Frank Schirrmachers neues Buch „Ego“
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 16.2.2013
Zu diesem morgen erscheinenden Buch gibt es heute (16. Februar 2013) in der „Süddeutschen“ im Feuilleton eine ganze Seite: „Das Monster in uns“ – oder: „Nun hat sich der Kapitalismus seiner letzten Zwänge entledigt – der Lebensrealität der Menschen.“
Natürlich war der „Homo oecomicus“, elaboriert in Chicago, schon immer mehr als eine pure Vereinfachung, es war stets ein ideologiegeladener Idealtyp.
So war er am Anfang nur eine Fiktion: dieser Homo oeconomicus. Doch längst hat dieses Modell die Macht über die reale Ökonomie, vor allem über die Individuen übernommen. Frank Schirrmachers Buch „Ego“, das morgen erscheinen soll, lehrt uns das Grausen.
Aber warum können ausgerechnet solche Feuilletonisten u.ä. – also keine Ökonomen – solch beeindruckende Kapitalismuskritiken schreiben? So ragen – bisher schon – Joseph Vogl`s „Gespenst des Kapitals“ (vgl. www.gegenblende.de/++co++728d7bfc-8aec-11e1-5e66-001ec9b03e44 ), David Graebers „Schulden“ (vgl. www.gegenblende.de/++co++a5ccf7aa-e6d0-11e1-a14d-52540066f352 ) und jetzt eben Frank Schirrmachers „Ego – Das Spiel des Lebens“ weit über jeden gehobenen Dilletantismus hinaus.
Experten der Ethnografie und der Literatur sind gewohnt, behauptete Sachverhalte und vermeintlich unverrückbares als Fiktion, als Narration zunehmen und zu deuten.
Darum provoziert gerade diese Leute der heutige Kapitalismus, der sich seit dem Fall des Kommunismus wie ein alternativloses Naturgesetz gibt, gegen den Widerspruch sinnlos ist…
So muss man den Kapitalismus einfach zu lesen verstehen.
Und dazu haben wir es – und damit nehmen wir schon Schirrmachers Kernthese vorweg, spätestens seit dem Beginn des digitalen Zeitalters mit dem „Informations-kapitalismus“ zu tun. Und was sind Informationen anderes als fabrizierte Objekte, die Sinn vermitteln und der Interpretation bedürfen. Wenn schließlich auch Geld nur eine Information ist, wenn auch eine ganz besondere, verdinglicht und virtuell zugleich und mit einer verbindlichen Wertaussage, dann verlangt es erst recht nach Interpreten, die mit vieldeutigen Zeichen und Sprachen umzugehen wissen… Und: Inzwischen trägt die Haltezeit von Aktien an der Wallstreet sage und schreibe 22 Sekunden…
Zu verwechseln mit traditioneller Kapitalismuskritik ist es aber nicht: von der Ausbeutung der Arbeiter erfahren wir bei Schirrmacher nichts (- aber bei uns im Fernsehen – vgl. jetzt die Leiharbeiter bei Amazon: www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/handel/ausgeliefert-leiharbeiter-bei-amazon/ oder
www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ard-dokumentation-ueber-leiharbeiter-amazon-im-shitstorm-1.1600543 oder noch www.nachdenkseiten.de/?p=16182#h01 ) und vom Klassenkampf steht darin kein Wort (aber auch das können wir ergänzend andernorts – als gezielten Klassenkampf von oben – nachlesen: So ist in einer neuen Analyse dazu zu lesen: „The consequences of the EU`s new wage policy interventionism are thus entirely clear. They lead, on one hand, directly to a wage policy downward spiral, foster deflationary development and thus contribute to consolidating economic stagnation in Europe. On the other hand, a radical restructuring of collectiv bargaining systems is taking place in Southern Europe, within the framework of which in a short time historically developed institutions have been destroyed and reshaped in accordance with a neoliberal master plan under the auspices of the Troika. As a result, centralised collective agreements are being extensivly undermined and wage policy is being comprehensivly decentralised, which may also result in a significant reduction in collective agreement coverage.“ (siehe „Euro Crisis, Austerity Policy and the European Social Model“: http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09656.pdf oder www.nachdenkseiten.de/?p=16182#h04 – dort vielleicht insbesondere die Seite 13 f.)
So ist es nicht allgemein schädlich, wenn er mit der ihm eigenen Sprachgewalt „nur“ die tiefe Verunsicherung des bürgerlichen Selbstverständnisses ausdrückt, das unter die Herrschaft dieses neuen, Geist und Seele vereinnahmenden Kapitalismus ausdrückt, in dem man sich nur noch in entstellter, pathologischer Verfassung wiederfindet.
So ist der Clou seines Buches, dass er veranschaulicht, wie dieses Modell des „rationalen Egoismus“, das zunächst nur eine Fiktion, eine schlichte Vereinfachung für formalisierbare Theoriebildung darstellte, nach und nach die ökonomische Praxis beeinflusst und schließlich so tief eindringt, dass es sie nach seinem Bilde formt. Das Modell macht sich die Realität untertan, das künstliche Geschöpf, dieser Frankenstein, wird Vorbild, Eminenz und Herrscher über seinen Schöpfer.
Der Modellplatonismus entpuppt sich als Realtyrannei. Schirrmacher als Türöffner gegen die Merkel`sch Alternativlosigkeit
Und so könnte es im Endeffekt doch sein, dass dieser konservative Bürgerliche vielleicht doch die beste Verteidigng für Gysi und die Linke übernimmt – d.h. wir können einfach auf diesen Rhetoriker Gysi und andere wie den Ökonomen Axel Troost mit seinen / ihren Vorstellung – als „alternative“ Akzentsetzung in diesem eindimensional fixierten Bundestag – überhaupt nicht verzichten. (Vgl. dazu die zuletzt kläglichen Versuche „unserer“ Rechten: www.nachdenkseiten.de/?p=16157#h14 )
Aber falls es dich anspricht, kannst du dir ja Schirrmachers Buch „Ego“ einmal vornehmen. – Es könnte ja auch der Sozialdemokratie – und vor allem Peer Steinbrück – gewisse Möglichkeiten der Selbsterkenntnis vermitteln… (http://www.nachdenkseiten.de/?p=16157#h02 )
P.S.: Denn welche Chance besteht eigentlich jetzt noch „unsere“ Griechen doch noch einmal davor zu been als grausames „Experimentierfeld“ für die Grenzen (= was kann extremsten Falls dem „Volke“ noch zugemutet werden) der „marktkonformen Demokratie“ von Merkel und Co. zu dienen (www.nachdenkseiten.de/?p=16157#h07 )