Die Legenden um das Ende der Keynesianischen Nachkriegsära
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 18.7.2013
„Wer von Inflationskämpfen nicht reden will, sollte auch von Schuldenschnitten und einer neuen Politik der Gerechtigkeit schweigen.“
Wer zu diesen „Ereignissen“ auch Zeitgenosse war, könnte sich – ob als Historiker oder nicht – auch immer wieder für diesen Streit um die „Legenden“-Bildung über das Ende der keynesianisch inspirierten Nach-Kriegs-Ära der Wirtschftspolitik („Ende von Bretton Woods“ usw.) interessieren, – und wie dann die sog. „Kluncker-Lohn-Runde“ in den siebziger Jahren – nach Flassbeck – zum ökonomischen „Regime-Wechsel“ beitragen konnte…
So manches an Voraussetzungswissen kann man sicher schon – allerdings bisher nur mit Englisch-Kenntnissen – aus dem großen neuen Werk von Daniel Stedman Jones „Masters of the Universe“ (Princeton University Press 2012) herausfinden – eine wahre Geschichte des neoliberalen Marktradikalismus (vgl. die Besprechung „Das Gemeinwohl und seine Feinde“ von Tim B. Müller in der „Süddeutschen“ vom 15. Juli 2013 – Feuilleton, S. 12).
Stedman Jones stellte schon einmal fest, diese neoliberale Gegenbewegung kündigte die grundlegende Einsicht des Keynesianismus auf, dass der Kapitalismus krisenanfällig war (dieses zentrale Problem der „Unsicherheit“!) und diese Krisen sich ohne Eingriffe des Staates so weit zuspitzen konnten, dass die Demokratie in Gefahr geriet.
Ich aber habe jetzt einmal den Historiker Adam Tooze heute zum Anlass genommen, dieser immer wieder offenen Frage – sozusagen nicht nur in der Ursachen-Suche allein auf der politischen Ebene bei dem sog. politischen „Lambsdorff-Papier“ nachzugehen, sondern dieses „Ende“ im größeren ökonomischen Kontext – aufzuspüren – just in einem berühmt-berüchtigten (= je nach Standpunkt!) Zitat des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt von 1972: Gastbeitrag von Adam Tooze: Inflation gegen die Krise: Mehr Geld – aber nicht mit dieser Merkel (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/inflation-gegen-die-krise-mehr-geld-1.1722576 )
Inflation und die Arbeitslosigkeit – Für ein Ende der Alternativlosigkeit – Oder was ist richtig an der Legende vom Scheitern der keynesianischen Nachkriegsphase?
Ach, es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet ein britischer Historiker, der Adam Tooze, uns Deutsche doch einmal – in diesem Zeitalter der Merkel`schen Alternativlosigkeit – auf das Zitat von Helmut Schmidt von 1972 aufmerksam macht: „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“ (Bundeskanzler Helmut Schmidt im Juli 1972 vor Ruhrkumpeln in der Dortmunder Westfalenhalle).
Und so meint Tooze, für uns ist heute die Selbstverständlichkeit frappierend, mit der Schmidt dies als Alternative hinstellte. Eine Alternative, über die man damals unter vernünftigen Leuten nachdenken und sprechen konnte.
Soweit bin ich noch vollkommen einig mit dem fulminanten Historiker Adam Tooze – aber jetzt beginnt dann auch bei ihm die „Umschwungs“- oder „Scheiterns“-Legende der keynesianischen Phase: „Volkswirte werden uns sagen (alle?), dass es keinen Grund gibt, diesen Zeiten nachzutrauern. Der unterstellte Trade-Off zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit, der von der berühmten Phillips-Kurve im fallenden Bogen schwungvoll nachgezeichnet wurde, galt eben nicht für alle Ewigkeit.
Aber mit der Phillipskurve ein Eigentor geschossen
Nur leider haben die Neoliberalen mit dem sogenannten Scheitern der keynesianischen Phillipskurve nur auf die eigenen Defizite hingewiesen. (vgl. ganz klar analysierend dazu Stephan Schulmeister („New Deal…“: www.fr-online.de/wirtschaft/wider-den-finanzkapitalismus/-/1472780/4537948//-/index.html , dort S. 47:)
„Diese Konstellation interpretieren die neoliberalen Masterminds als Widerlegung der Phillips-Kurve und damit des Keynesianismus. Eine geniale Fehlinterpretation – im Sinne des „Erfinders“ -, weil die Theorie der Phillipskurve wurde für eine geschlossene Wirtschaft entwickelt“. – Dies war ja nach Aufgabe der festen Wechselkurs 1971 („Ende von Bretton Woods“) nicht mehr der Fall! Und gerade die neoliberalen Masterminds hatten ja die freien Wechselkurse als Lösung aller Probleme der siebziger Jahre gefordert.
Aber dieses schräge – schon hier zu beobachtende – Problemlösungsverhalten durchzieht die ganze Geschichte des Neoliberalismus: Die eigenen Lösungsvorschläge bringen ein neues Problem hervor, das dann einfach als Fehler anderen „untergeschoben“ wird – hier dem Keynesianismus – sonst meist dem Staat. So macht man das eigene „System“ sakrosankt“ – nur blöd sind auch die „Gegner“, die das nicht „systemisch“ wahrzunehmen vermögen.
Oder an anderer Stelle geht Schulmeisterer noch auf den politischen Konstellations- oder „Koalitions“wechsel – weg vom keynesianischen Bündnis zwischen Arbeit und Kapital – in dieser Zeit ein: „Hohes Wirtschaftswachstum, Ausbau des Sozialstaates und anhaltende Vollbeschäftigung zogen in den 1960-er Jahren eine langsame, aber stetige Machtverlagerung zugunsten der Gewerkschaften (und der Sozialdemokratie) nach sich. Die damit verbundene Umverteilung von den Gewinnen zu den Löhnen, die massive Zunahme von Streiks, die Forderung nach immer mehr Mitbestimmung, das Jahr 1968 und die drohende Abwanderung der Intellektuellen ins linke Lager, all dies trug wesentlich zur Abkehr der Unternehmer vom – keynesianischen – Interessebündnis mit der Arbeit bei. (dortselbst S. 46 – und insgesamt den Abschnitt „Realkapitalismus und Finanzkapitalismus“ auf den Seiten 40 ff.)
Oder kurz und prägnant noch einmal mit den Worten von Stephan Schulmeister: Diese keynesianische Nackriegs-Ära ging an ihren ihren sozialpolitischen Erfolgen zugrunde – und eben nicht an der „falschen“ ökonomischen Einschätzung. (vgl. dazu „Besteht – jetzt in dieser Krise – beim Rückblick noch die Chance auf eine tiefergehende Trauer?“: http://archiv.labournet.de/diskussion/wipo/finanz/trauer_bahl.html – und dort insbesondere ab der Seite 2 unten) Heiner Flassbeck und Ulrike Spiecker gehen just auf diese Zusammenhänge für Deutschland noch konkreter ein (vgl. Ihr Buch „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“: www.dradio.de/dkultur/sendungen/lesart/707969/ , auf den Seiten 171 ff. „Das Ende von Bretton Woods“ (vorher S. 156 f.) – aber dann dort insbesondere die Seite 174 „…lösen Stagflation aus“): „Diese abrupte (Öl-)Preissteigerung (bedingt durch die von der Nixon-Regierung gewollte „Abwertung“ des Dollar (als Leitwährung) wurde nun aber von den Gewerkschaften aller Länder (vgl. dort Abbildung 14) – bei Vollbeschäftigung – zum Anlass genommen, höhere Lohnforderungen zu stellen, um die – Ölpreis-bedingten – Kaufkraftverluste auszugleichen. In Deutschland kam es zur berühmten „Kluncker-Runde“ im öffentlichen Dienst mit Forderungen von 14 Prozent und einem Abschluss um die 11 Prozent. In anderen Ländern war es noch viel schlimmer. Lohnsteigerungen von mehr als 20 Prozent waren eher die Regel als die Ausnahme.
Dadurch erst – durch diesen Zweitrunden-Effekt bei den Löhnen – kam es zu einer allgemeinen Infaltionsbe-schleunigung in den westlichen Volkswirtschaften, weil es den Unternehmen gelang, einen erheblichen Teil der durch die Löhne verursachten Kostensteigerungen in den Preisen weiterzugeben.
Die Stunde der Notenbanken – munter in die Stagflation!
Das war die Stunde der Notenbanken. Politisch unabhängig und monetaristisch inspiriert, wie die meisten waren, reagierten sie auf die Inflationsbeschleunigung mit bis dahin unbekannter Härte…. (und auch bei „Flassbeck`s“ dort weiter mit Helmut Schmidt, der Phillips-Kurve, dieser keynesianischen Hoffnung, und dem fulminanten Schwenk zur Angebotspolitik) Die Folgen dieser Notenbankpolitik(en) waren dramatisch: Die Zinsen stiegen auf Rekordhöhe, die Investitionstätigkeit der Unternehmen und mit ihnen die gesamte Konjunktur brachen weltweit ein. Die Arbeitslosigkeit explodierte überall und erreichte zum ersten Male in Deutschland die Millionengrenze. Da die Löhne und mit ihnen die Inflation nicht sofort auf den Anstieg der Arbeitslosigkeit reagierten, war eine neue, bis dahin unbekannte Konstellation der Weltwirtschaft geboren: die Stagflation.
Und Flassbeck`s weiter: Seit der zweiten Ölpreisexplosion vollzog die Bundesbank einen klaren geldpolitischen Regimewechsel in Deutschland: Seit 1980 lag der Realzins nie mehr spürbar geschweige denn längere Zeit unter der Wachstumsrate (vgl. dazu auch Schulmeister (S. 41) zu den Bedingungen des Realkapitalismus gehört, dass der Zinssatz von den Notenbanken stabil auf einem unter der Wachstumsrate liegenden Niveau gehalten wird – ders. auch auf der Seite 57: „Der Zinssatz liegt seit 30 Jahren über der Wachstumsrate“), vielmehr übertraf er sie von 1980 bis 1989 um durchschnittlich 1,8 Prozentpunkte und seit der deutschen Wiedervereinigung 1991 bis heute beträgt der Abstand immerhin 1,3 Prozentpunkte.
Der Monetarismus bzw. die Interpretation desselben durch die Deutsche Bundesbank hatte Anfang der 80-er Jahre gesiegt und hat die deutschen Wachstumschancen für die nächsten beiden Jahrzehnte dadurch radikal vermindert. Seit 1983 hat es Deutschland auf ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 2 Prozent gebracht, die USA sind mit 3,3 Prozent klar vorbeigezogen… (dieselben, S. 180)
Kann der Keynesianismus scheitern, wenn kurzzeitig ökonomisch unangemssene, weil dem Ursachen-Gefüge der Ölpreisexplosion nicht entsprechende Lohnforderungen durchgesetzt werden können – und Inflation hervorbringen?
Wenn ich also in diesem Punkte des sogenannten „Scheiterns“ der keynesianischen Phase der Nachkriegszeit mit Tooze über`s Kreuz kam, so kann ich seinen weiteren Ausführungen – und die sind für heute relevanter – umso begeisterter – wenigstens zum Teil – wieder zustimmen: „Wir befinden uns in einer anderen Realität als Schmidt im Sommer 1972. Darum stellt sich die Frage: Wann begann dieses heutige Denken?
Die Geschichte, die sich Zentralbankiers und ihre intellektuellen Vasallen bis vor 5 Jahren noch erzählten, war die eines Bildungsromans. Man hatte aus der Politik der Siebziger Jahre gelernt. „Die „great Moderation“, das Ende der Inflation, wurde durch die neue Lehre der Zentralbankautonomie eingeläutet.
Europa sollte zur Niedriginflationszone werden
Und weiter mit Tooze: Aber die Rede von der Great Moderation war verharmlosend. Zeitgleich mit dem Anfang der Krise des Kommunismus und dem Zusammenbruch der autoritären Regime in Lateinamerika fand auf beiden Seiten des Atlantik ein harter politischer Machtkampf um die Bedingungen der Stabilisierung statt. In den Bergwerksrevieren von England und Wales wurde er in Strassenschlachten ausgefochten. Aber auch in den Zentren der Macht ging es hart zu. Es war eine nationale wie auch internationale Auseinandersetzung. . Margaret Thatcher und Ronald Reagan mögen ihre Schocktherapien auf nationaler Ebene angewendet haben, zwischen Frankreich und Deutschland ging es europäisch zu:
!979 ersetzte man das Festwährungssystem von Bretton Woods durch das Europäische Währungssystem (EWS). Aber was aus dieser währungspolitischen Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Europäischen Gemeinschaft werden sollte, stand zunächst noch nicht fest. Die Bundesbanker – natürlich – befürchteten eine Europäische Inflationsgemeinschaft.
Erst 1981, im dreiseitigen Machtkampf zwischen Helmut Schmidt, der sozialistischen Regierung Mitterand und den Zentralbanken von Deutschland und Frankreich, fiel endgültig die Entscheidung. Europa solle zur Niedriginflationszone werden.
Und am Anfang der „Great Moderation“ stand die Niederlage der Linken.
Das Ergebnis dieser Entscheidung war eine fatale Schwächung der sozialliberalen Koalition in Bonn und die Demütigung Mitterands. Im Frühjahr 1983 verließen die Kommunisten zum ersten und zum letzten Male die französische Regierung, und Paris schwenkte voll auf den Austeritätskurs ein. Der Wert des französischen Franc gegenüber der Deutschen Mark musste mit allen Mitteln gehalten werden. Die Ära des „Franc fort“, des „starken Franc“, begann.
Am Anfang der Great Moderation stand also erst einmal diese Niederlage der Linken.
Die Lebenslüge dieser neuen Ordnung: „Die Märkte sorgen für Disziplin“ – deshalb zuerst eine Liberalisierung der Finanzmärkte
Wer als Politiker nicht glaubwürdig ist, dem droht der Vertrauensentzug der Bondsmärkte: Die wirtschaftspoli-tischen Maßnahmen, die in den Neunzigerjahren als neoliberaler „Washington Consensus“ berühmt werden sollten, hatten europäische wie amerikanische Väter. Sie wurden untermauert durch die Maastrichter Veträge, die Währungsunion mit dem Ziel einer Null-Inflation und – das war die wichtigste Weichenstellung – die Liberalisierung des Kapitalverkehrs. (vgl. dazu noch einmal die Zusammenstellung der Finanzmarkt-Deregulierung allein in Deutschland bei www.nachdenkseiten.de/?p=3692 ) Und gerade diese letzte fundamentale Befreiung des Geldes war, so unwahrscheinlich es klingt, ein Projekt von enttäuschten französischen Sozialisten, Männern wie Jacques Delors und Michel Camdessus…
Die antiinflationäre Politik hatte nicht nur gesiegt, sie war nun fest verankert, Wer nicht glaubwürdig war, dem drohte der Vertrauensentzug der Finanzmärkte, die man vorher erst selbst in diese bestimmende Rolle durch eine rasante Deregulierung politisch erst gehievt hatte. Die wahrhaft katastrophalen Folgen dieser Lebenslüge bekommt man eine Generation später zu spüren.
Inflation als „gerechten“ Schuldenausgleich? – Nur bei wem fällt dieser an: Beim Steuerzahler oder beim „ewig“ gewinnenden Spekulanten
Es gibt inzwischen wenig Grund noch zu glauben, dass die erzwungene Preisstabilität wachstumsfördernd war. Wir sind heute mit einem riesigen Überhang an nominellen Schulden konfrontiert. Konsolidierung lautet daher das Schlagwort. Aber der Versuch, solche Schulden bei stabilen Preisen abzutragen, ist historisch naiv. (vgl. dazu den Abschnitt „… Attac und eine (noch nicht) hergestellte Öffentlichkeit über den „Fluss des Geldes bei der Griechenland-„Rettung“ auf der Seite 1 bei www.labournet.de/?p=38729 – sowie weiter zu dem Unterschied bei der Betrachtung der Schulden und damit beim „Schuldenschnitt“ je nachdem, wer der Gläubiger ist, die spekulierenden Banken oder dann die „übernehmende“ öffentliche Hand (sprich der Steuerzahler) von Serge Halimi in der „Diplo“: http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/07/12.mondeText.artikel,a0054.idx,19 )
Und die vernichtende Bilanz der „ewigen“ Retter für die Steuerzahler: „Ein sofortiger Schuldenschnitt wäre – nach dem IWF-Bericht! – die europäischen Steuerzahler billiger gekommen. Die privaten Gläubiger (Banken und Hedgefonds) erhielten ihr Geld dagegen bis 2012 zurück“
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es keinen gelungenen Versuch dieser Art. Immer hat Inflation eine zentrale Rolle gespielt bei der Umverteilung der Lasten und der Schaffung von Verteilungsspielräumen… In unserer heutigen Lage kann es keinen Zweifel geben: Ein robustes Wachstum im nominellen Einkommen, auch wenn ein Großteil in inflationärer Form stattfindet, ist der Schlüssel zur Entlastung und zur Stabilisierung der Schuldnerländer im europäischen Süden…
Und es ist nicht zu leugnen, dass man in den Schaltzentralen der Macht in Washington, London und Tokio offen über höhere Inflationsziele redet. Olivier Blanchard, der Chef-Ökonom des IWF, plädiert schon seit 2010 für 4 Prozent Inflation. Wovor sich die Konservativen jedoch fürchten, ist doch gerade die vielbeschworene Repolitisierung der Wirtschaft, die Möglichkeit, dass die Verteilungsfrage neu gestellt werden könnte…
Der heutigen europäischen Linken, der deutschen an erster Stelle, möchte man in Abwandlung von Horkheimers Kapitalismus-Faschismus-Formulierung sagen: „Wer aber von Inflationskämpfen nicht reden will, sollte auch von Schuldenschnitten und einer neuen Politik der Gerechtigkeit schweigen.“