Welche Wachstumskritiken sind emanzipatorisch? Warum ein genauer Blick lohnt und was linke Projekte von Degrowth-Diskussionen lernen können

degrowth 2014„…  Postwachstum innerhalb der bestehenden Institutionen ist (…) nicht zu haben, sondern erfordert ein Programm für einen grundlegenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. (…) Die Postwachstumsdiskussionen mit ihrer gründlichen Analyse verschiedener Wachstumskritiken liefert daher wertvolle Anstöße für die Formulierung zeitgemäßer emanzipatorischer Projekte: Erstens existiert die Biosphärenkrise. Wir müssen sie in vollem Umfang zur Kenntnis nehmen. Entkopplung ist keine Möglichkeit, sondern ein Märchen. Und nicht »der Mensch« ist daran schuld, sondern die kapitalistische Produktions- und Gesellschaftsform. Hier treffen sich Postwachstumsdiskussion und Klimagerechtigkeitsbewegung. Die Verbindung von Ökologie- und Kapitalismuskritik spricht für Transformationsstrategien, die mit der Notwendigkeit von partiellen Brüchen argumentieren: der Abwicklung ganzer Wirtschaftssektoren und der grundlegenden Veränderung aller Produktionsweisen…“ Artikel von Andrea Vetter vom 18. Januar 2022 aus dem ak 678 externer Link – siehe mehr daraus:

  • Weiter im Artikel von Andrea Vetter vom 18. Januar 2022 aus dem ak 678 externer Link: „… Zweitens: Die globale Gerechtigkeitskrise ungleicher materieller Verteilung ist keine Wachstumsfrage, sondern eine Verteilungsfrage. Im doppelten Sinne: Erstens ist der Nachkriegskonsens der frühindustrialisierten Staaten (»die Flut hebt alle Boote«) aufgekündigt: Zum einen nimmt die Ungleichheit trotz steigender Bruttoinlandsprodukte immer weiter zu. Zum anderen basierte der klassen- und schichtenübergreifende materielle Zugewinn im Globalen Norden nach 1945 immer auf imperialer Ausbeutung von Menschen und Natur anderswo (imperiale Lebensweise). Wir müssen die Verteilungsfrage also völlig anders angehen. Hier treffen sich Postwachstums- und dekoloniale und antirassistische Bewegungen. Für diese Verbindung von sozial-ökonomischer Wachstumskritik mit Industrialismus- und Süd-Nord-Kritik sind Transformationsstrategien wichtig, die für Veränderungen in bestehenden Institutionen und die Schaffung neuer Institutionen innerhalb rechtsstaatlicher Frames eintreten. Und drittens ist Entfremdung ein Problem, Care-Arbeit ist lebensnotwendig. Freiheit und Verbundenheit sind beides Pole, die im menschlichen Leben wichtig sind. Materielle Güter alleine machen Menschen nicht glücklich, die kapitalistische Produktionsweise und die Imagination des Homo oeconomicus als alleinstehendes, stets rational agierendes autonomes Wesen machen Menschen krank. Daher geht es bei den kommenden Transformationen um das Recht auf Emanzipation und Einbettung gleichermaßen. Hier treffen sich Postwachstums- und feministische Bewegungen: in der Betonung der Notwendigkeit anderer Beziehungsformen, queerer Banden, geteilter Sorgeverantwortung, Wahlverwandtschaften, Mikro-Ökonomien und Regionalentwicklung von unten. In dieser Verbindung von kultureller und feministischer Kritik rücken Transformationsstrategien in den Blick, die im Hier und Jetzt, bei Vorformen, Nischen, Keimen und Freiräumen oder in bestehenden informellen Kollektiven ansetzen. Hinter diese in der vergangenen Dekade im Degrowth-Diskurs – in Kommunikation mit vielen anderen Bewegungen – klar herausgearbeiteten Einsichten sollte keine Utopie, kein Reformprojekt und kein emanzipatorischer Transformationsvorschlag der 2020er Jahre zurückfallen.“
  • Andrea Vetter veröffentlichte 2019 zusammen mit Matthias Schmelzer »Degrowth/Postwachstum zur Einführung«
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=197486
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