Schlaf unter Druck. Neoliberalismus und Computertechnologie sind einen faustischen Pakt eingegangen

In Jonathan Crarys Buch »24/7. Schlaflos im Kapitalismus« geht es um die Mechanismen, mit denen der Kapitalismus sich jene Menschen schafft, die er für sein reibungsloses Funktionieren benötigt. Die Notwendigkeit solcher »Subjektformierung«, so der soziologische Fachausdruck dafür, ist eine Konstante in der Entwicklungsgeschichte dieser Gesellschaftsformation. Sie wurde schon in ihrer Frühzeit mit Nachdruck betrieben, um die Menschen den streng reglementierten Arbeitsabläufen des Industriesystems zu unterwerfen. Nach wie vor haben die damit verbundenen Prozesse der Zerstörung traditioneller Subjektstrukturen und ihre Ersetzung durch außengeleitete Flexibilitätsmuster einen repressiven Charakter, auch wenn heute unmittelbare Gewalt anders als in früheren kapitalistischen Entwicklungsphasen nicht mehr eingesetzt werden muss…“ Artikel von Werner Seppmann in junge Welt vom 27.08.2015 externer Link

  • Aus dem Text: „… Bei der »Formatierung« des Denkens und Verhaltens kommt mittlerweile den Informationstechnologien eine zentrale Rolle zu: Neoliberalismus, Computer und Internet sind einen faustischen Pakt eingegangen. Crary stellt die antizivilisatorischen Langzeitwirkungen der digitalen Durchdringungsprozesse überzeugend dar: Schaut man hinter die Kulissen, wird deutlich, dass Big Data vor allem als Erfassungs-, Selektions- und Formatierungsapparatur begriffen werden muss und der internetbasierten Informationstechnologie eine Hebelfunktion bei der Durchsetzung radikalisierter Kapitalverwertungsstrategien zukommt. (…) Es sollte kritische Zeitgenossen nicht irritieren, dass dieses Buch soeben in das Programm der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen wurde, über die es preiswert erworben werden kann. Zwar handelt es sich bei der dort publizierten kapitalismusskeptischen Literatur fast immer um Texte, die sich einer konkreten Perspektive der Gegenwehr und der Beschäftigung mit den ökonomisch fundierten Machtverhältnissen verweigern. Auf Crarys Buch trifft dieser Einwand jedoch nicht zu. Allerdings haben die Verantwortlichen dem Buch einen harmloseren Untertitel gegeben. Er lautet nun unverfänglich: »Gesellschaft ohne Schlaf«.“
  • Besprechung von: Jonathan Crary, 24/7. Schlaflos im Kapitalismus. Wagenbach-Verlag, Berlin 2014, 110 Seiten, 14,90 Euro
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=85953
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