Sackgasse Wirtschaftswachstum: Dasselbe in Grün ist keine Lösung

Dossier

System change - not Climate change„Die Klimakrise ist endlich in aller Munde, doch die Politik macht weiter wie bisher: Neue Fernziele und Aktionspläne, marktbasierte Anreizprogramme, ein paar steuerliche Korrekturen – und die Beschwörung von „grünem“ Wachstum. Wir brauchen aber eine grundlegende Reform unseres Wirtschaftsmodells. (…) Wachstum hat zweifellos die Antwort auf die soziale Frage über etliche Jahre erleichtert. Doch für viele Millionen Menschen ging das Versprechen, Wirtschaftswachstum gehe mit Wohlstand und einem guten Leben für alle einher, nicht in Erfüllung. Stattdessen wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. (…) Noch gravierender sind die Folgen unseres Wegwerf-Kapitalismus jedoch für Menschen in Ländern, auf deren Kosten unser Reichtum aufbaut. In den Fabriken für Billigtextilien in Asien, in den Steinkohlegruben Kolumbiens, den Lithiumseen Südamerikas und den Coltanminen Afrikas, auf brasilianischen Sojaplantagen, die das Futter für unsere Schweinemast produzieren – unser Wirtschafts- und Konsummodell geht untrennbar einher mit der Ausbeutung von Menschen und der Zerstörung von Natur…“ Gastbeitrag von Olaf Bandt, Martin Kaiser, Kai Niebert und Hermann Ott vom 20. Januar 2020 bei Klimareporter externer Link, siehe weitere Beiträge zur Debatte:

  • Club of Rome: Klimaschutz nur mit mehr sozialer Gleichheit. Deutschland lebe weit über seine Verhältnisse. Dabei sei ein gutes Leben für alle möglich New
    „Wie kann es allen Menschen auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen gut gehen? Dieser Frage ist der Thinktank Club of Rome bereits vor zwei Jahren nachgegangen. Nun legte die unter anderem vom Club of Rome organisierte Initiative „Earth4All“ zusammen mit dem Wuppertal Institut einen Bericht für Deutschland vor. Darin fordern Expertinnen und Experten für eine umwelt- und klimaverträgliche Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft etwa eine deutlich höhere Besteuerung von Reichen. Nur so könne der angesichts von zahlreichen ökologischen Krisen notwendige „große Sprung“ finanziert werden, sagte Ökonom Peter Hennicke, Mitglied von Club of Rome und Mitautor. Demnach verursachten zehn Prozent der reichsten Menschen weltweit 50 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen – 50 Prozent der Ärmsten hingegen nur knapp zehn Prozent. Auch in Deutschland lebten wir „nach wie vor weit über unsere Verhältnisse, was die planetaren Grenzen angeht“, so der Bericht. Ein „Weiter so“ verstärke Ungleichheiten und könne der Klimakrise nicht genug entgegensetzen, um ihre dramatischen Folgen zu verhindern. In ihrem Bericht formulierten die Experten fünf nötige Kehrtwenden beziehungsweise Ziele – diese wurden bereits im Buch des Club of Rome 2022 genannt: Armut beseitigen, Ungleichheit verringern, Selbstwirksamkeit stärken, das Ernährungssystem umgestalten und das Energiesystem transformieren. Alle Kehrtwenden müssten gleichzeitig statt nacheinander umgesetzt werden. Das sei „leichter, effektiver, kostengünstiger und erfolgversprechender“. Auch seien sie nur gemeinsam und mit Unterstützung aller umsetzbar. „Unsere Demokratie muss dafür gestärkt werden“, schrieben die Autorinnen und Autoren. Dazu brauche es mehr Selbstwirksamkeit insbesondere von Frauen und Jugendlichen, „deren Rechte und Bedürfnisse noch zu wenig Gehör finden“. (…) Grenzenloses Wirtschaftswachstum sei auf dem begrenzten Planeten Erde unmöglich, sagte der Präsident des Wuppertal Instituts, Manfred Fischedick. Ohne die soziale Ungleichheit zu reduzieren sei eine ökologische Transformation nicht möglich. (…) Technik allein sei nicht die Lösung für alle Herausforderungen, so die Experten. Zusätzlich sei es nötig, maßvoller zu leben und den Luxuskonsum zu begrenzen. „Es geht dabei nicht um eine generelle Einschränkung von Bedürfnissen, sondern um Verantwortung und eine gerechtere Verteilung der verfügbaren Ressourcen – und damit ein besseres Leben für alle“, schreiben die Autorinnen und Autoren…“ Meldung vom 14. Oktober 2024 bei tagesschau.de externer Link

  • Wetterwarnung: Alex Demirović fragt nach dem Sinn eines Wirtschaftswachstums, das zerstört
    „Wer hat sie nicht auf dem Smartphone gehabt: die vielen Warnungen vor den nächsten Unwettern, den Gewitterzellen, die Starkregen mit sich bringen, den Stürmen, die Bäume umreißen und Straßen und Bahnstrecken blockieren – ständig neue »Jahrhundertereignisse« in diesem noch jungen Jahrhundert? Dabei stehen wir erst am relativen Beginn der Erderhitzung. Eine Studie der Universität Lausanne kommt zum Ergebnis, dass Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat und von Platz 15 im Jahr 2022 auf Platz 24 im Jahr 2024 zurückgefallen ist. Damit liegt es hinter Schweiz, Singapur, Norwegen oder Katar. (…) Die Schwäche der deutschen Wirtschaft ist keine dramatische Botschaft. Eigentlich weist sie sogar in die richtige Richtung. Es gibt entwicklungspolitische und ökologische Gründe dafür, dass die kapitalistischen Zentren endlich wirtschaftspolitisch negative Wachstumsraten anzielen sollten. Aber ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit widerspricht dem kapitalistischen Interesse. Sie muss die deutsche Bundesregierung wurmen, denn ihre Ziele sind Wachstum, hohe Wertschöpfung vor allem in der Automobilindustrie, steigende Konsumausgaben, Arbeitsplätze. Wächst die Wirtschaft nicht, dann heißt dies zumeist nur, dass die Gesellschaft im Verhältnis zum vergangenen Jahr nicht reicher geworden ist. Wir benötigen aber auch Wachstum: Eine stärkere Gewerkschaftsorganisation und mehr Streiks sind dringend geboten, die Bildung zu verbessern sollte angesichts der Erfolge rechter Parteien eine zentrale Aufgabe sein, mehr Eisenbahninfrastruktur und Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung. Auf perverse Weise wird es Wachstum geben. Die Fluten der vergangenen Wochen in Bayern und Baden-Württemberg, zum Jahreswechsel in Norddeutschland haben Schäden von mehreren Milliarden Euro angerichtet. Ja, es sind Schäden. Denn viele Menschen haben Möbel oder Kleidung verloren, Lebensqualität, Lebenszeit. Nun müssen die Wohnungen oder Häuser renoviert, Straßen saniert, die Kanalisation repariert, die Flüsse neu reguliert werden. Das wird viel Zeit und Geld erfordern, das wiederum für andere Ziele fehlt – und sei es einfach nur das Ziel, müßig zu sein. Für die Baufirmen, die Handwerker, für die Möbel- und Textilindustrie ist das ein regelrechter Wachstumsschub. Die Verluste der einen sind die Gewinne der anderen. Für die Kennzahlen des Bruttosozialprodukts ist das gleichgültig. So behäbig ist das Bürgertum, es interessiert sich gar nicht wirklich dafür, was qualitativ passiert. Es geht um das, was »hinten herauskommt«. (…) Wer CDU/CSU, AfD, SPD, Grüne, FDP, die Freien Wähler oder nun auch noch BSW wählt, wird demnächst erneut erleben, wie Keller absaufen, Menschen Sandsäcke füllen, Helfer ihr Leben verlieren. Klar, die Leute wollen ihren Wohlstand nicht aufgeben oder ihn überhaupt erst einmal erlangen. Leider werden die Maßstäbe des Wohlstands und seine Folgen zu wenig folgenreich infrage gestellt. Aber wäre das nicht ein neuer Wohlstand: nicht mehr wettbewerbsfähig sein müssen, nicht reicher sein müssen als gestern und vorgestern, die Regionen des globalen Südens nicht zerstören für unseren vermeintlichen Wohlstand – und dafür keine Fluten im Wohnzimmer haben, nicht mehr im Stau stehen, pünktlich zur Arbeit und an Reiseziele gelangen? Wie viel Reichtum an Lebenszeit, an Zufriedenheit, an Glück könnten wir gewinnen!“ Artikel von Alex Demirović vom 23. Juni 2024 in Neues Deutschland online externer Link
  • [Wichtig bei aktuellen „Katastrophen“-Meldungen] Anders Wirtschaften ohne Wachstum
    „… Die Transformationsforscherin Andrea Vetter beschäftigt sich wissenschaftlich und praktisch mit Fragen des Übergangs zu einer Lebens- und Wirtschaftsweise, die den Planeten nicht zerstört und ein gutes Leben für alle ermöglicht. Im Projektzentrum Mehringhof in Berlin-Kreuzberg stellte sie am 14. März 2024 auf Einladung des Buchladenkollektivs Schwarze Risse die Notwendigkeit einer Postwachstumswirtschaft, deren Kennzeichen und die Wege dorthin vor. (…) Vetter stellte sieben unterschiedliche Wachstumskritiken vor: Erstens: Wachstumskritik aus ökologischer Perspektive (…) Angesichts von Klimakrise und Naturzerstörung ist ein weiteres Wirtschaftswachstum aus ökologischer Perspektive nicht vertretbar. Zweitens: Sozial-ökonomische Wachstumskritik (…) Gerechtigkeit stellt sich nicht durch eine wachsende Wirtschaft her, sondern durch eine andere Verteilung. Drittens: Kulturkritik des Wachstums Die Steigerungslogik des Schneller-Höher-Weiter ist nicht menschengemäß, sie macht auf Dauer krank und auch nicht glücklich. (…) Viertens: Feministische Wachstumskritik (…) Diese unbezahlten Arbeiten sind oft unsichtbar, werden meist von Frauen getan und kostenlos angeeignet, ebenso wie Ressourcen und Arbeit aus dem Globalen Süden. Mit dem Wirtschaftswachstum nimmt also auch diese Ausbeutung zu. Fünftens: Kapitalismuskritik In einer kapitalistischen Wirtschaft wird aus Geld über die Produktion und den Verkauf von Waren mehr Geld (G – W – G’). Dieses Geld fließt wiederum in die Produktion und durch den „Sachzwang der Konkurrenz“ (Karl Marx) entsteht zwangsläufig Wachstum. Ohne Wachstum kann der Kapitalismus nicht existieren, darum muss eine Postwachstumsgesellschaft auch postkapitalistisch sein. Sechstens: Industriekritik (…) Es reicht also nicht, [die industrielle Produktion] unter sozialistischen Vorzeichen fortzuführen, sondern es ist notwendig, die gesamt Produktionsweise umzubauen. Siebtens: Dekoloniale Wachstumskritik (…) Eine Postwachstumsgesellschaft braucht anstelle der herrschenden Imperialen Lebensweise (Ulrich Brand, Markus Wissen) eine Solidarische Lebensweise. (…) Es gibt viele Wege zu einer Postwachstumsgesellschaft. Andrea Vetter bezieht sich auf den US-amerikanischen Soziologen Erik Olin Wright (1947-2019) und skizziert vier Transformationswege. (…) Wichtig sei das Tun, also nicht nur über Veränderungen zu schreiben, sondern diese auch zu leben. Dafür werden schon heute überall auf der Welt kleine Orte und Projekte aufgebaut, die als Freiräume anderen als den herrschenden Wachstumslogiken folgen. (…) Auch wenn bürokratische Institutionen schwer zu verändern sind, sei es doch gerade deshalb wichtig, in die Abläufe in öffentlichen Verwaltungen, Bibliotheken, Universitäten etc. einzugreifen. Beispielsweise indem Engagierte sich beruflich in solche Institutionen einbringen, oder indem juristische Mittel zur Veränderung eingesetzt werden. (…) Widerstand kann viele Formen annehmen. Die Widerständigen setzen ihre Körper ein um zu demonstrieren, zu blockieren und öffentliche Wirksamkeit zu erzielen, so wie es beispielsweise aktuell in Grünheide bei den Protesten gegen Tesla geschieht. (…) Vetter plädiert dafür, eine Gegenhegemonie gegen das Wachstumsparadigma aufzubauen, indem als normal Angesehenes in Frage gestellt wird. Sei es nicht empörend, dass noch immer erwartet wird, 40 Stunden die Woche zu arbeiten?…“ Beitrag von Elisabeth Voß vom 25. März 2024 bei Telepolis externer Link
  • Kapital will wachsen: Degrowth und Postwachstum in der Klimaschutzdebatte
    „… Die Debatte ums Wachstum krankt daran, dass meist nicht eindeutig gesagt wird, was man unter „Wirtschaft“ versteht und was da eigentlich „wächst“. Freunde wie Gegner des Wachstums fassen unter „Wirtschaftswachstum“ häufig alles Mögliche zusammen: Autos, Energie und Computer auf der einen Seite, Umsatz, Investitionen und Gewinn auf der anderen. Sie trennen nicht die stoffliche Ebene – die produzierten Dinge – von der finanziellen Ebene, wo nur das Geld zählt. Das Streben der Unternehmen nach Profit wie auch das Streben der Menschen nach mehr Konsumgütern – beides gilt als „materieller Wohlstand“, der wächst. Aber ist das ein Zwang? „Die Menschen wollen Wachstum“, einfach weil dadurch ihr Wohlstand zunimmt, sagte der Wirtschaftsweise Volker Wieland bei Jung & Naiv. Jackson spricht von einer „Obsession mit Wachstum“. Aus den Bedürfnissen und Einstellungen der Menschen allerdings kann sich kein Zwang zum Wachstum ergeben. Selbst wenn man annimmt, dass diese Bedürfnisse prinzipiell grenzenlos sind, bliebe ihre Befriedigung doch ein Akt des Willens: Jede:r könnte verzichten, jede:r kann eine Obsession ablegen, wenn auch unter Schmerzen. Jedoch: Würden alle zum Wohle des Klimas verzichten, wäre eine ausgewachsene Wirtschaftskrise die Folge. Der existierende Zwang zum Wachstum ergibt sich also weder aus der unersättlichen Natur des Menschen noch aus seinen Verirrungen. Er ist eine Eigenart des herrschenden Wirtschaftssystems. Kapitalistische Unternehmen brauchen immer mehr. Sie leben von der Steigerung. Ein Unternehmen investiert 1.000 Euro, um 1.500 Euro zurückzuerhalten. In der nächsten Runde investiert es die 1.500, um 2.000 Euro zurückzuerhalten. Und so weiter. „Kapital“ ist keine Sache, es benennt eine Bewegung, die Verwertung einer Geldsumme. Eine Investition muss „sich rechnen“: Die eingesetzte Summe muss sich vermehren, und zwar mit möglichst hoher Rate. Das bedeutet, dass Produktion unter der Bedingung und damit zu dem Zweck stattfindet, Umsatz und Gewinn zu erhöhen. Das macht jene reicher, denen die Unternehmen gehören, woraus sich ihr Wunsch nach Wachstum ergibt, der tatsächlich grenzenlos ist. Denn es geht nur um die Vermehrung von Privateigentum in seiner materiellen Gestalt: Geld, und das hat kein Maß, es ist nie genug. (…) So weit zum Wunsch nach Wachstum. Der Zwang wiederum ergibt sich aus der Art, wie die Unternehmen ihre Überschüsse erzielen: in der Konkurrenz um die zahlungsfähige Nachfrage. (…) In der kapitalistischen Praxis jedoch ergibt sich erstens das Problem, dass Klimaschutz Kosten verursacht und Kosten ein Konkurrenznachteil für Standorte ebenso wie für Unternehmen sind. Zweitens steht in den Sternen, ob der Klimaschutz, wie gefordert, zum neuen Wachstumsmotor werden kann, also zu einer Gewinnquelle für die Unternehmen. Fest steht jedoch: Die sicheren Kosten und die unsicheren Erträge des Klimaschutzes führen stets dazu, dass bestenfalls nur das Nötigste zum Klimaschutz unternommen wird – und vielleicht nicht einmal das. Die Weltorganisation für Meteorologie meldete vergangene Woche, die globale Durchschnittstemperatur eines Jahres könnte bis 2026 erstmals mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen.“ Artikel von Stephan Kaufmann vom 31. Mai 2022 in Der Freitag 21/2022 externer Link
  • Grünes Wachstum gibt es nicht 
    „… Was würden wir sehen, wenn wir die konzeptionellen Mauern in unseren Köpfen einreißen würden? Wir würden einen Angriff auf die lebende Welt auf allen Ebenen erkennen. Es gibt heute kaum noch einen Ort, der vor diesem anhaltenden Angriff sicher ist. Laut einem jüngeren wissenschaftlichen Aufsatz können geschätzt nur noch drei Prozent der Erdoberfläche als „ökologisch intakt“ betrachtet werden. Die verschiedenen Auswirkungen haben eine gemeinsame Ursache und die ist schlicht das Volumen bestehender wirtschaftlicher Aktivität. Wir machen von fast allem zu viel, und die Ökosysteme der Welt halten das nicht aus. Aber unser Unvermögen, das Ganze zu erfassen, führt dazu, dass wir diese Krise nicht systematisch und effektiv angehen. Wenn wir das Dilemma in verschiedene Schubladen packen, verschärfen unsere Bemühungen, einen Aspekt der Krise zu lösen, häufig einen anderen. Würden wir etwa genügend Direct-Air-Capture-Anlagen zur direkten Filterung von Kohlendioxid aus der Luft bauen, um die Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre deutlich zu verringern, müssten massiv mehr Rohstoffe für die Herstellung von Stahl und Beton abgebaut werden. Dabei strahlen die Auswirkungen solcher Bauprojekte in die ganze Welt hinein. Um nur eine Komponente herauszugreifen: Der Abbau von Sand zur Herstellung von Beton vernichtet hunderte von wichtigen Lebensräumen. Besonders verheerend ist dies für Flüsse, deren Sand im Baugewerbe sehr gefragt ist. Die Flüsse leiden schon jetzt unter Dürre, dem Rückgang von Eis und Schnee in den Bergen, der Wasserentnahme durch den Menschen und der Verschmutzung durch Landwirtschaft, Abwässer und Industrie. Zu diesen Belastungen hinzukommende Sandbaggerungen könnten ein letzter, tödlicher Schlag sein. Oder betrachten wir die Materialien, die wir für die digitale Revoluion brauchen, die uns vor der Klimakatastrophe retten soll. Schon jetzt werden durch den Abbau und die Verarbeitung der für Magnete und Batterien benötigten Rohstoffe Lebensräume zerstört und neue Umweltkrisen verursacht. (…) Es besteht keine Hoffnung, aus dieser allumfassenden Krise herauszukommen, ohne die ökonomische Aktivität drastisch zu reduzieren. Reichtum muss umverteilt werden – eine eingeschränkte Welt kann sich die Reichen nicht leisten –, aber er muss auch reduziert werden. Unsere Lebensgrundlagen erhalten würde bedeuten, von fast allem weniger zu tun. Doch dieser Grundsatz – der im Mittelpunkt einer neuen Umweltethik stehen sollte – gilt als weltliche Gotteslästerung.“ Beitrag vom Guardian-Kolumnisten George Monbiot in der Übersetzung von Carola Torti am 1. Oktober 2021 beim Freitag online externer Link
  • Ökonom Helge Peukert: „Begrenzung auf 1,5 Grad mit unserem Wirtschaftssystem nicht hinzubekommen“ 
    Der Ökonom Helge Peukert über dominante Strömungen in den Wirtschaftswissenschaften, Risikoforschung und Klimawandel (…) So dominiert in der Volkswirtschaftslehre ein internationaler Mainstream, der optimierte formale Modelle aufstellt, die viele Bereiche wirtschaftlicher Verhältnisse, wie eben Feminismus, historische Schule, ausschließt, genauso den Postkeynesianismus, der die Bedeutung von Nachfrage und Bedarf als mindestens genauso wichtig erachtet, wie gute Bedingungen für Unternehmen. (…) Was wesentlich fehlt, sind Ansätze eines gesamtökonomischen Blickwinkels. (…) In Deutschland gab es einmal die Deutsche Historische Schule, die aus den Hochschulen ausgegrenzt wurde. Sie hatte einen breiten Blickwinkel für die ökonomischen Probleme, auch einen gesellschaftlichen. Zwar wird ab und an die Vermögensungleichheit kritisiert, aber wer stellt kritisch die Profiteure der Internationale der Globalisten, nämlich die Zentralbanken, die Finanzgroßwirtschaft, Mediengiganten, internationale (IT-)Konzerne, das Politikestablishment infrage? Es gibt Wirtschaftswissenschaftler wie Heinz Bontrup oder Ralf Marquardt, die diese Fragen auch in ihrem Lehrbuch thematisieren, was immer noch zu selten geschieht. Besonders bedenklich finde ich, dass angesichts der Klimakatastrophe, die mittlerweile vor der eigenen Haustür angekommen ist, viel zu wenig Professuren in diesem Bereich eingerichtet werden. Die dominanten Lehrbücher für die Studenten sind nach wie vor von Kopf bis Fuß auf Wachstum eingestellt. (…) Die Risikoforschung müsste eine Unsicherheitsforschung werden, die die – leider nicht mehr auszuschließenden Extremereignisse zur Grundlage aller Vorschläge machen müsste. (…) Ein E-Golf ist laut Herstellerangaben bereits mit dem dreifachen Emissionsvolumen über den Lebenszyklus des Fahrzeugs verbunden. Mit anderen Worten: Die Begrenzung auf 1,5 Grad Erderwärmung ist im Rahmen unseres Wachstumswirtschaftssystems nicht hinzubekommen. Eine erschütternde Tatsache. Selbst das nachgebesserte Klimaschutzgesetz läuft auf 9,7 Gigatonnen hinaus. Doch selbst diese Minderungswerte werden nicht eingehalten. (…) Eine radikale Klimapolitik würde zwangsläufig erst einmal zu einer hohen Arbeitslosigkeit führen, die im Zusammenhang mit einer zunehmend ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung enormen Zündstoff bedeutet. Es bedürfte meines Erachtens der Schaffung eines öffentlichen dritten Arbeitsmarktes, der allen ein bedingtes Grundeinkommen zusichert. Der dortige Mindestlohn müsste sicher bei mindestens 15 Euro die Stunde liegen für ökologisch-soziale berufliche Tätigkeiten. Daher bedürfte es einer deutlich höheren Einkommensbesteuerung, sagen wir ab 200.000 Euro, und einer Erbschaftssteuer, die ab gewissen Höhen von mehreren Millionen auch einhundert Prozent betragen könnte…“ Interview von Klaus Weinert vom 23. September 2021 in Telepolis externer Link
  • Solch grüner Schein: Der Öko-Kapitalismus verspricht, Wachstum und Zerstörung zu entkoppeln. Das ist unmöglich. Dennoch klammern sich Konzerne und Milieus an diese Idee 
    „Man möchte es ja sofort glauben: „Nachhaltiges Wirtschaften ist ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie von HeidelbergCement. Im Mittelpunkt unseres Handelns steht die Verantwortung für die Umwelt. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Branchenführer auf dem Weg zur CO₂-Neutralität zu sein.“ Führend ist der Beton-Konzern vor allem, was den CO₂-Ausstoß angeht: HeidelbergCement ist – nach dem Kohlekraftwerksbetreiber RWE – das klimaschädlichste Unternehmen im DAX. Der zweitgrößte Zementhersteller der Welt gehört zu den „Carbon Majors“, den 50 Konzernen, die weltweit am meisten CO₂ ausstoßen. (…) Dennoch verspricht der Konzern, bis 2050 klimaneutral zu sein. Er setzt dabei vor allem auf die umstrittene „Carbon Capture and Storage“-Technologie (CCS), also die Abscheidung und Speicherung von CO₂ unter der Erde oder unter dem Meeresboden. (…) Bis heute gibt es weder ein ausgereiftes technisches Verfahren, das flächendeckend und langfristig eingesetzt werden könnte, noch Belege dafür, dass CCS wirklich dem Klimaschutz dient. Mehrere Pilotprojekte, selbst vielversprechende, wurden bereits abgebrochen. CCS ist nicht nur teuer und extrem energieaufwendig, sondern auch gefährlich: Durch Leckagen kann gespeichertes CO₂ in die Atmosphäre oder das Wasser entweichen, bei Unfällen sogar große Mengen. Vor allem aber verhindert diese Scheinlösung den schnellen Ausstieg aus der fossilen Energie: denn sie suggeriert, dass weiter CO₂ ausgestoßen werden könnte, wenn es denn in Zukunft problemlos abgeschieden und gespeichert wird. Kein Wunder, dass sich Ölkonzerne wie Exxon und Shell für CCS einsetzen. Die Technologie würde ihnen erlauben, weiter Öl zu fördern. So sieht er also aus, der Grüne Kapitalismus. Er ist das Gegenteil einer ökosozialen Transformation. Er verspricht ein „Weiter-so“, nämlich die „Versöhnung“ von Ökologie und Ökonomie. Die Kernidee ist die „Entkopplung“ von Wachstum, Naturverbrauch und Klimaschäden mittels neuer Technologien und Marktmechanismen. Das ist schlicht unmöglich: Kapitalistisches Wachstum ist immer verbunden mit Rohstoff- und Energieverbrauch, ganz egal, wie innovativ die Technologie ist. Beides ist nicht ohne Naturzerstörung zu haben. Wäre eine Entkopplung möglich, wäre dies ein echtes grünes Wunder, ein Perpetuum mobile. Deswegen sind alle Versuche der Entkopplung bislang krachend gescheitert, etwa das Horrorbeispiel Biosprit: Mit ihm verband sich die Hoffnung, der Individualverkehr könnte klimafreundlich wachsen, wenn nur fossiler Treibstoff durch pflanzlichen ersetzt würde. Das führte dazu, dass in Indonesien Regenwald vernichtet wurde, um auf einer Fläche, knapp viermal so groß wie die Schweiz, Palmölplantagen zu errichten. Das Resultat: Biosprit wurde 80 Prozent klimaschädlicher als fossiler Diesel und Indonesien zeitweise zum drittgrößten CO₂-Emittenten der Welt…“ Artikel von Kathrin Hartmann vom 25.08.2021 aus der Freitag-Ausgabe 30/2021 externer Link
  • Debatte über Klimaschutz im Kapitalismus: „Grünes Wachstum ist nicht möglich“
    Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Aber geht das in unserem Wirtschaftssystem überhaupt? Ein Streitgespräch. Patrick Graichen ist Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, der umfassende Studien vorgelegt hat, wie Wege zu einem „klimaneutralen Deutschland“ aussehen könnten. Sie lesen sich wie Blaupausen für eine schwarz-grüne Regierung, die den Klimaschutz ernst nimmt. Er trifft an einem langen Abend auf Ulrike Herrmann, Finanzexpertin der taz und Bestsellerautorin von Büchern wie „Der Sieg des Kapitals“. Sie stellt infrage, ob die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie so gelingen kann. Es wird ein intensives Gespräch. Für die Dauer einer Fußballpartie mit Nachspielzeit spielen die beiden sich die Bälle zu. Die taz fungiert als Schiedsrichter, aber der Austausch bleibt fair…” Interview von Bernhard Pötter vom 30.7.2021 in der taz online externer Link und darin Ulrike Herrmann: “Das Problem daran ist, dass sie behaupten, auch eine klimaneutrale Wirtschaft könnte stetig wachsen – ohne dass dies irgendwo genau modelliert wäre. Diese Lücke ist kein Zufall, glaube ich. Grünes Wachstum ist nicht möglich. (…) Aus meiner Sicht ist Energie alles. Ohne billige Energie hätte es den Kapitalismus nicht gegeben. Und Wachstum ohne billige Energie ist nicht möglich. (…) In einer Demokratie, wo jeder eine Stimme hat, ist es schlicht nicht denkbar, dass nur die Reichen Zugriff auf die begehrten Güter haben…”
  • Grüne Lügen. Wer das Klima retten will, muss auch die Systemfrage stellen 
    „… Um weiter Profit zu machen, kommen Unternehmen nicht darum herum, sich mindestens grün zu geben, wenn nicht gar tatsächlich ihre Produktion umzustellen. Denn sobald sich der Kampf um die endlichen Ressourcen zuspitzt, möchte niemand das Nachsehen haben. (…) Dennoch haben weder einzelne Unternehmen noch einzelne Konsumentinnen die Möglichkeit, durch eigene Entscheidungen an diesem System etwas zu verändern. Solange es Abnehmer für Erdöl oder Schweineschnitzel gibt, wird es einen Markt geben, der diesen Bedürfnissen nachkommt. Erst wenn kollektiv entschieden würde, darauf weitgehend zu verzichten, bliebe das Öl in der Erde oder die Massentierhaltung wäre abgeschafft. Das ist allerdings unrealistisch in einer Welt, die nicht gerade auf kollektiven und rationalen Entscheidungen fußt, sondern auf den Interessen einiger weniger. (…) Doch selbst im positivsten Szenario, in der es anpassungsfähige kapitalistische Regime schaffen, bis 2030 keine Emissionen mehr in die Luft zu pusten oder das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen (was bereits heute unrealistisch ist, aber nehmen wir es einmal an), wäre die Katastrophe nicht aufgehalten. (…) Trotz jeder Anstrengung, die richtig und notwendig ist, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen, kommen wir nicht umhin, darüber hinaus die existierende Produktionsweise zu überwinden und durch eine zu ersetzen, die nicht nach der Logik der Profitmaximierung funktioniert. Denn in dieser Logik ist die Ausbeutung von Mensch und Natur fest eingeschrieben…“ Artikel von Ines Schwerdtner 09.07.2021 in der Freitag-Ausgabe 27/2021 externer Link
  • Kann es einen klimagerechten Kapitalismus geben? 
    “In der letzten Zeit wachsen auch in der Umweltbewegung die Zweifel – und es gibt Theoretiker, die wieder auf Sozialismus und sogar auf Lenin zurückgreifen. Die im Auftrag der Klimabewegung Fridays for Future vom Wuppertal-Institut erstellte Studie sollte zeigen, dass es möglich ist, den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dieser Wert gilt bei vielen als akzeptabel. Die Studie sollte damit einerseits Druck auf die Politik ausüben, der von anerkannten Experten nachgewiesen werden sollte, dass eine klimagerechte Welt möglich ist, wenn es die Politiker nur wollen. Gleichzeitig war es auch eine Ansage an eine linke Bewegung, die einen klimagerechten Kapitalismus für nicht möglich hält. Die Studie sollte das Gegenteil beweisen. So wurde sie auch in großen Teilen der Medien aufgenommen. Wer jetzt noch die Systemfrage stelle, dem wurde vorgeworfen, Zeit mit Diskussionen zu verplempern, statt den Blick auf das Wesentliche, die Umwelt- und Klimakrise zu lenken. Doch die Studie beweist gerade nicht, was ihr nachgesagt wird. Das hat die Taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, eine linke Sozialdemokratin nachgewiesen. (…)So zieht Herrmann auch ein ernüchterndes Fazit. Denn machbar ist gar nichts in dieser sogenannten Machbarkeitsstudie. (…) Doch auch innerhalb der Klimabewegung wächst schon länger der Kreis derer, die den Kapitalismus als Problem und nicht als Lösung in der Klimafrage sehen. Der schwedische Philosoph und Umweltaktivist Andreas Malm will auch in der Klimakrise radikal im Wortsinne sein, das heißt, er will an die Wurzeln gehen. Dabei nimmt er sogar Anleihen bei Lenin, Malm vertritt eine neue Strömung des Ökoleninismus. (…) Nun ist Malm nicht der einzige Theoretiker, der aktuell in der Klimabewegung Thesen aufstellte, die aus der Zeit der Arbeiterbewegung stammen. Der kanadische Ökosozialist Ian Angus hat die Parole “Sozialismus oder Barbarei” in “Ökosozialismus oder Barbarei” erweitert. (…) Auch eine der bis in linksliberale Kreise populäre Theoretikerin wie Naomi Klein hat sich in der Klimakrise radikalisiert: “Nur eine soziale Massenbewegung kann uns jetzt noch retten. Weil wir wissen, wo das gegenwärtige System hinsteuert, wenn es ungehemmt weiterläuft. Wir wissen auch, möchte ich hinzufügen, wie dieses System mit der Realität einer Serie von Klimakatastrophen umgehen wird: mit Gewinnmaximierung und eskalierender Barbarei, um die Gewinner von den Verlierern abzusondern. Wenn wir in dieser Dystrophie landen wollen, müssen wir nur auf der Straße weiterbrettern, auf der wir uns befinden. Die einzige verbleibende Variable ist die Frage, ob eine Gegenmacht entsteht, die die Straße blockiert und gleichzeitig alternative Wege freiräumt, die zu weniger gefährlichen Entwicklungen führen. Wenn das geschieht, ändert sich alles.”…” Beitrag von Peter Nowak vom 24. Oktober 2020 bei Telepolis externer Link

Siehe zum Thema u.a. auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=161627
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