[Buch] „Bewegt Euch Schneller!“ Zur Kritik moderner Managementmethoden
„Dieser Aufforderung des SAP-Mitgründers Hasso Plattner an die Beschäftigten des Konzerns lassen viele Unternehmen Taten folgen. Mit agilen Managementmethoden betreiben sie eine Neuausrichtung der Unternehmen und eine Umgestaltung der Arbeitsabläufe. Ziel ist eine höhere Leistung der Beschäftigten und eine Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Möglichst in Echtzeit auf Kunden und Märkte zu reagieren – das ist der Wunsch der agilen Unternehmen, das ist der Erwartungsdruck, mit dem die Beschäftigten konfrontiert sind. Wie das geschieht und zu welchen Belastungen und Konflikten agile Arbeits- und Managementmethoden führen, wird in diesem Buch aus der Perspektive der Beschäftigten dargestellt. Im Sinne eines Handbuchs bietet es eine kritische Einführung in neue Arbeitsweisen und Managementformen und vermittelt allen Interessierten, die sich vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen mit ihrer Arbeitssituation beschäftigen, wegweisende Anregungen.“ Kellner-Verlag zum Buch von Hermann Bueren, das voraussichtlich im Mai 2022 erscheinen wird. Siehe Informationen zum Buch, eine erste Rezension sowie als Leseprobe im LabourNet Germany ein Auszug aus dem Kap. 4. „Go for it!“ Wie leistungsfördernde Gefühle instrumentalisiert werden“:
- Anders arbeiten – Plädoyer für eine neue Organisation von Beschäftigung und Produktion
„Wer in einem Betrieb, einer Dienststelle oder einem Unternehmen einer Erwerbsarbeit nachgeht, kennt die Aufforderungen und Anforderungen, die an ihn oder sie gestellt werden. Sie lauten: »Sei flexibel! Arbeite mit Zielen! Übernehme Verantwortung für den Unternehmenserfolg! Sei motiviert! Arbeite im Team! Sorge für den Erfolg deines Projekts! Sei agil!« (…) Ob wir wollen oder nicht: Im Betrieb sind wir Teil eines Räderwerks, das Menschen führt, das ihre Arbeit koordiniert, kontrolliert und organisiert. (…) Der Philosoph Walter Benjamin hat diese Art der Normalität bereits vor fast 80 Jahren als eigentliche Katastrophe und wahres Abbild kapitalistischer Verhältnisse bezeichnet: »Dass es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene.« (…) Müssen die Beschäftigten sich mit diesem Normalvollzug also abfinden? (…) So wie ein Normalvollzug in der Arbeitsorganisation existiert, so zieht sich durch die Geschichte der kapitalistischen Arbeitsorganisation auch ein Ringen der Beschäftigten um eine andere Form und Organisation der Arbeit. In diesen Kämpfen werden neben Widerstand und einer gesunden Form von Eigensinn auch Aufgeschlossenheit sowie Interesse an einer intelligenteren, menschlicheren, ressourcenschonenden Arbeit erkennbar. Der kapitalistischen Arbeitsorganisation stellen die Beschäftigten andere Formen einer solidarisch-kooperativen Arbeitsorganisation entgegen, in der ihre Fähigkeiten besser zur Geltung kommen. Ein markantes Beispiel für dieses Interesse an einem »Anders arbeiten« sind die Techniker, Angestellten und Ingenieure des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace. Als Alternative zu den Schließungsplänen des Lucas-Managements entwickelten sie 1975 zahlreiche neue Produkte zur Herstellung ökologischer und sozialer Güter. Ihre Vorgehensweise bei der Entwicklung dieser Produktvorschläge zeigt eine verblüffende Ähnlichkeit mit heutigen Formen der Projektarbeit, wie sie in der IT- und Softwareindustrie unter dem Stichwort der »agilen« Projektarbeit praktiziert werden. (…) Wie verbreitet die Kritik an den existierenden Arbeits- und Produktionsverhältnissen und der Wunsch nach einem »Anders arbeiten« war, wie aktuell diese Diskussion heute ist, beschreibt der ehemalige Betriebsrat Thomas Adler in einem Beitrag mit dem Titel »Blick zurück nach vorn. Auto, Umwelt, Verkehr – Produktionskonversion revisited«. (…) Für eine tiefgreifende Änderung müssen Ungleichheitsverhältnisse zum Vorteil der Beschäftigten im Unternehmen aufgehoben werden. Als diejenigen, die sich Wissen angeeignet haben und über umfangreiche Erfahrungen mit dem Arbeitsprozess verfügen, können sie auch über die Entscheidungsprozesse und Organisation des Unternehmens selbst bestimmen. Ein Management oder eine Leitungsebene von Personen, die führen und Beschäftigte kontrollieren, ist unter diesen Vorzeichen nicht mehr erforderlich. »Hierarchisches Management wird ineffizient, weil die Planung, Bewertung und Integration von Leistungen durch die Arbeitenden flexibler und sachlich angemessener ist. Komplexe Kooperation kann also besser durch (…) die Arbeitenden selbst gewährleistet werden. Aufgrund der neuen dominanten Form der Arbeitsteilung als Spezialisierung von Wissen (…) wird die Trennung von Leitung und Ausführung zum Problem und eine Demokratisierung der Arbeitsteilung unumgänglich«, stellt Nadine Müller in einem Beitrag fest, der sich mit der Frage der Demokratisierung von Arbeit befasst. (…) Die im Unternehmen zu fällenden Entscheidungen werden von der Gesamtheit derer getroffen, die jeweils vom Gegenstand der Entscheidungen betroffen sind. Entscheiden bedeutet: selbst entscheiden. Es heißt nicht, die Entscheidung »kompetenten Leuten« zu übertragen. In dieser Darstellung einer demokratischen, selbstverwalteten Organisation der Arbeit hat der Begriff Management keinerlei Bedeutung mehr. Vielleicht wird er irgendwann aussterben. Oder das Urteil der Menschen über diesen Begriff wird etwa so lauten wie das von Mike Cooley, der als Ingenieur und gewerkschaftlicher Aktivist bei dem englischen Rüstungskonzern Lucas Aerospace arbeitete: »Management ist weder eine Fertigkeit noch eine Wissenschaft, sondern eine reine Herrschaftsbeziehung. Es ist ganz einfach ein schlechter Brauch, den wir von Kirche und Armee geerbt haben.«“ Überarbeiteter Beitrag von Hermann Bueren in der Jungen Welt vom 30. April 2022 aus „»Bewegt euch schneller!« Zur Kritik moderner Managementmethoden. Ein Handbuch“: - Hermann Bueren: „Bewegt Euch Schneller!“. Zur Kritik moderner Managementmethoden. Ein Handbuch“ erscheint Mai 2022 beim Kellner Verlag Bremen , dort auch kurze Übersicht über die Inhalte der einzelnen Kapitel und die Einführung. 200 Seiten, für ca. 19.00 SFr. bzw. 16 Euro, ISBN 978-3-95651-332-9
- „Go for it!“ Wie leistungsfördernde Gefühle instrumentalisiert werden“
„Mit der Frage, wie sich Gefühle der Beschäftigten zur Steigerung von Arbeitsleistung instrumentalisieren lassen, beschäftigen sich Unternehmen schon seit einigen Jahren. Bereits in den 1980er Jahren sprachen Manager und Unternehmensberater in den USA von „Emotional engineering.“ Die sprachliche Nähe dieses Begriffs zu einer anderen Managementmethode, dem „Business reengineering“, ist kein Zufall. „Engineering“ beruht auf der Annahme, dass alles, was sich im Unternehmen abspielt, steuer- und beherrschbar sei. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „Management by emotions“. Er geht zurück auf Führungstechniken, die in den 1970er Jahren in den USA entwickelt („management by“-Ansätze) wurden. Mit ähnlicher Zielrichtung aber anderen Begriffen beschäftigen sich Managementliteratur oder Webseiten von Unternehmensberatern aus dem deutschsprachigen Raum mit dem Management der Gefühle. Hier wird dieses Thema im Sinne einer Führungstechnik unter den Stichworten „Emotionale Kompetenz“ oder „emotionales Management“ bzw. „emotional leadership“ behandelt. In Firmen und Startups der IT-Industrie existiert bereits seit einigen Jahren ein Feel–good-Management (abgekürzt: FGM). (…) Die Mobilisierung leistungsförderlicher Gefühle geht häufig einher mit der Schaffung einer betriebsinternen Öffentlichkeit, in der Höchstleistung und positive Arbeitsgefühle eine Art Norm bilden und oberste Priorität haben. In Managementkreisen wird diese Öffentlichkeit mit Bezeichnungen wie „(High) Performance culture“ geadelt. Angesprochen werden sollen mit dieser Kultur insbesondere Beschäftigte in den Vertriebs- und Marketingabteilungen von Banken, Versicherungen, in IT-Unternehmen, in Forschung und Entwicklung oder in global agierenden Unternehmen. Im Niedriglohnbereich, bei Leiharbeitern, bei befristet Beschäftigten hingegen haben positive Arbeitsgefühle für das Management nur eine geringe oder keine Bedeutung. Der reine Druck der prekären Arbeitssituation sorgt für die vom Management gewünschte Leistungsbereitschaft. (…)
Als Folge von maßloser, entgrenzter Unternehmenspolitik sieht der Soziologe Ulrich Bröckling die Beschäftigten zu einem Arbeitsleben im Modus einer stetigen Steigerung von Anforderungen gezwungen. Sie müssen nicht nur emotional, leidenschaftlich und begeistert sein, sondern emotionaler, leidenschaftlicher und begeisterter als die Konkurrenz und dürfen daher nie in ihrer Anstrengung nachlassen, ihre Arbeitsgefühle zu intensivieren. „So wenig es in diesem Rennen ein Entkommen gibt, so wenig gibt es ein Ankommen. Die Erfahrung, dass kein Genug je genügt, erzeugt den Sog zum permanenten Mehr. Weil die Anforderungen keine Schranken kennen, bleiben die Einzelnen stets hinter ihnen zurück – und hetzen trotzdem immer weiter. Die Tretmühle wird zum Teufelskreis.“
Beschäftigte, die sich diesem Modus der Steigerung verschreiben oder dazu gezwungen sind, laufen Gefahr, dass sie von vielfältigen Symptomen von Depressionen und Burnout (z. B. Erschöpfung, Panik, Ängste, Schlaflosigkeit, eingeschränkte Fähigkeit zur Erholung) eingeholt werden. Statistische Erhebungen der Krankenkassen berichten seit Jahren von einer Zunahme von Arbeitsunfähigkeitsdiagnosen aufgrund psychischer Erkrankungen…“ Auszug aus dem Kap. 4. des Buches von Hermann Bueren - Zum Kap. 4.: „Go for it!“ Wie leistungsfördernde Gefühle instrumentalisiert werden
- 4.1 Unternehmen setzen verschieden Methoden (z.B. betriebsinterne Rituale, Feeling rules, usw.) zur Förderung leistungsförderlicher Gefühle ein. Ziel dieses Gefühlsmanagements ist eine „Performance Culture“ der Erfolgreichen und „Bestleister.“
- 4.2 Vor 100 Jahren galten Gefühle im Arbeitsprozess als störende Faktoren. Durch Involvie-rung von Human Relation, Psychotechniken und Human Resource Management vollzieht sich im Management ein Einstellungswandel: Leistungsförderliche Gefühle gelten als positiv, als persönlichkeitsfördernde Ressource, die es zu instrumentalisieren gilt.
- 4.3 Vier Thesen. Das Management der Gefühle löst bestehende Grenzen von Arbeit und Person auf. Leistungs-förderliche Gefühle fördern die Gefahr von Selbstausbeutung. Performance Culture beruht auf Mechanismen der Ausgrenzung und Entsolidarisierung der Beschäftigten. Dagegen wehren sich Beschäftigten.
- [Rezension] Hermann Bueren: „Bewegt Euch Schneller!“ Zur Kritik moderner Managementmethoden
„… Seit der Jahrtausendwende dominieren Zielvereinbarungen und Agile Unternehmensführung die Methodendiskussion. Was unter einer „agilen Unternehmensführung“ oder „agiler Team- und Projektarbeit“ zu verstehen ist, thematisiert das Buch „Bewegt Euch schneller!“ von Hermann Bueren. Das Zitat des Buchtitels stammt von Hasso Plattner, Mitgründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats von SAP, ein Unternehmen, das weltweit zu den grössten Softwarekonzernen zählt. Er richtete diese unmissverständliche Aufforderung an die im Walldorfer Stammsitz des Konzerns arbeitenden Beschäftigten und bringt in diesen drei Worten auf den Punkt, was das Buch als den Kern agiler Arbeit und Managementmethoden betrachtet: Das Einfordern höher Leistung der Beschäftigten und eine Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Möglichst in Echtzeit auf Kunden und Märkte zu reagieren – das ist der Wunsch der agilen Unternehmen, das ist der Erwartungs- und Leistungsdruck, mit dem die Beschäftigten konfrontiert sind. Wie das geschieht und zu welchen Belastungen und Konflikten agile Arbeits- und Managementmethoden führen, wird in diesem Buch aus der Perspektive der Beschäftigten dargestellt. (…) Der Autor, ehemaliger Geschäftsführer einer arbeitnehmernahen Bildungseinrichtung, versteht Agilität nicht als ein fertiges Handlungsrezept und schon gar nicht als eine modische Erscheinung. Vielmehr handele es sich dabei um einen tiefgreifenden Umbruch in der kapitalistischen Arbeitsorganisation, dessen Auswirkungen bis hinunter auf die Ebene der Arbeitssituation einzelner Beschäftigter und der Organisation von Teams und Projekten reiche. (…) Doch dieses Vorgehen stösst bei den so Beteiligten nicht auf ungeteilte Zustimmung. Sie wehren sich gegen die Einführung immer neuer Arbeitsweisen und Methoden, die permanenten Druck zur Beschleunigung von Leistung und Anpassung des eigenen Arbeitsverhaltens ausüben. (…)Diesen Widerständigkeiten widmet der Autor das Schlusskapitel. Er begreift diese nicht nur als abwehrende oder oppositionelle Reaktionen gegen die Zumutungen des Managements. Vielmehr versteht er sie als Suchbewegungen, die eine andere Form des Arbeitens jenseits einer kapitalistisch gefassten Organisation der Arbeit anstreben. Wie diese Alternative aussehen könnte, skizziert das Kapitel in Gestalt einer auf Selbstverwaltung beruhenden Arbeitsorganisation, die auf Erfahrung und Wissen der Produzenten basiert.“ Rezension von Stefan Konrad vom 30. März 2022 beim untergrundblättle