Harald Welzer: „In manchen Berufen wird nur noch Unsinniges gemacht“
„In Island wurde erfolgreich die 4-Tage-Woche getestet. Der Soziologe Harald Welzer argumentiert im Interview, warum das auch ein Modell für Deutschland wäre, wir uns vom Fetisch der Erwerbsarbeit befreien sollten und die grassierende Bewertungskultur zur Entmenschlichung führt. (…) Auch wenn es heute meist andere Akzentuierungen gibt, ist eine derartige Verkürzung keinesfalls ausgeschlossen. Dennoch ist recht deutlich, dass es in Deutschland einen Fetisch von Erwerbs- und Lohnarbeit gibt. (…) Deutschland ist eines der frühindustrialisierten Länder, in dem sich die entsprechende Produktionsart mitsamt dem zugehörigen Zeitregime sowie einer dazu passenden, normativen Hochbewertung von Arbeit über mehrere Generationen in die Psyche eingeschrieben hat. Zudem hat auch die Arbeiterbewegung ihren Teil dazu beigetragen, da diese erst lernen musste, mit dem industriell diktierten Zeitrhythmus umzugehen. Allerdings hat sie im Zuge dieses Lernprozesses und damit parallel zur Forderung des 8-Stunden-Tages auch begonnen, Arbeit als etwas ganz besonders Großartiges anzusehen. (…) Eine Möglichkeit bestünde darin, dass man eine andere Sichtweise auf Erwerbsarbeit entwickelt, etwa indem man eingesteht, dass es natürlich auch schlechte Arbeit gibt, die es am besten abzuschaffen gilt. (…) Wer noch immer unangenehme Arbeiten verrichtet, müsste viel besser bezahlt werden, als dies bis dato der Fall ist. Denken Sie nur an die Pandemie und eines der großen ungelösten Rätsel der Menschheit, wieso die sogenannten systemrelevanten Jobs mit die schlechtesten Arbeitsbedingungen haben und zudem noch miserabel bezahlt werden…“ Interview von Dominik Erhard vom 22. Juli 2021 im Philosophie Magazin