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Das Virus, die Weltwirtschaft und das Klima. Einige Bemerkungen zur Wechselwirkung von innerer und äußerer Schranke des kapitalistischen Weltsystems angesichts der zunehmenden Panik
„Endlich mal frei durchatmen, die Seele baumeln lassen, etwas zur Ruhe kommen – Corona sei Dank? Unter Ausblendung des menschlichen Leidens und der sozialen Panik, die die gefährlichste Pandemie seit vielen Jahrzehnten verursacht, scheinen die Stilllegungen von Produktionskapazitäten tatsächlich zu einer substanziellen Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen geführt zu haben. Werden nur diese ökologischen Folgen der globalen Epidemie berücksichtigt, könnte sich der Gedanke festsetzen, das Virus stelle das perfekte Allheilmittel gegen die Klimakrise dar, an deren Lösung die kapitalistischen Politeliten seit Jahrzehnten immer wieder spektakulär scheitern. (…) Dennoch scheint es zweifelhaft, ob die Produktionsausfälle in der Werkstatt der Welt, die etwa einen großen Teil des auf schnellstmöglichen Verschleiß geeichten, kapitalistischen Elektroschrotts produziert, in diesem Jahr tatsächlich einen verringerten Treibhausgasausstoß verzeichnen wird, bemerkte Time. Die Regierung in China habe bereits ein Konjunkturpaket angekündigt, das sich vor allem durch gigantische Investitionen in die Infrastruktur die Wirtschaft erneut beleben wolle. (…) Es ließe sich gar argumentieren, dass die Pandemie nur den konkreten Auslöser darstellt, der eine labile, von inneren Widersprüchen zerrissene und auf beständig wachsenden Schuldenbergen fußende Weltwirtschaft in den nächsten Krisenschub stürzen lässt. (…) Dieses dumpfe Krisenbewusstsein, die Ahnung des monströsen Widerspruchs zwischen Ökologie und Ökonomie, in dem alle Marktsubjekte verfangen sind, befeuert auch die nun aufkommende Panik. Drei Jahrzehnte neoliberaler Entsolidarisierung und die Angst vor der unverstandenen sozialen wie ökologischen Krisendynamik lassen die Bestrebungen zur Abkapslung, zur Selbstisolierung aufkommen, also ob man der krisengeplagten Gesellschaft, dem immer enger gewobenen Netz der globalen Vergesellschaftung durch das Horten von Nudeln und Bohnen entkäme…“ Artikel von Tomasz Konicz vom 13. März 2020 bei Telepolis und vor ihm neu dazu:
- Kapitalismus kaputt? Löst die gegenwärtige Pandemie den nächsten globalen Krisenschub aus? Ein Überblick über die strukturelle Krisenanfälligkeit des spätkapitalistischen Weltsystems
„Was hat oberste Priorität angesichts der rasch um sich greifenden Pandemiepanik, der abstürzenden Finanzmärkte und der sich in vielen Weltregionen abzeichnenden Rezessionen, die Millionen Menschen in ein existenzgefährdendes Elend zu stürzen drohen? (…) Inzwischen hat das große, hektische Rechnen eingesetzt, um das systemische Risiko für den globalen Schuldenberg einzuschätzen. Bei ersten Modellrechnungen wurden die Unternehmensschulden von acht Ländern – China, USA, Japan, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland – berücksichtigt. Bei einem ökonomischen Schock, der nur halb so stark ausfiele wie die globale Finanzkrise von 2008, würden Verbindlichkeiten im Umfang von 19 Billionen US-Dollar (das sind, wie ausgeführt, 19 000 Milliarden) nicht mehr bedient werden können. Dies wären der 40 Prozent der gesamten Unternehmensschulden in den besagten Ländern. Dabei scheinen Rezessionen in den meisten Wirtschaftsräumen kaum noch abwendbar – es stellt sich nur die Frage, wie heftig sie ausfallen werden. Somit zeichnet sich das wahrscheinlichste Szenario der kommenden Schuldenkrise deutlich ab, bei dem die gegenwärtige Pandemie als ein äußerer Auslöser fungiert, der die von den Notenbanken inflationierte Liquiditätsblase platzen lässt: Produktionsstillegungen und Nachtfrageeinbrüche wandeln einen großen Teil der Unternehmensschulden in Finanzmarktschrott, ähnlich den Hypothekenverbriefungen ab 2008, die wiederum eine Kreditklemme auf den Finanzmärkten auszulösen drohen. Eine Welle von Zahlungsausfällen oder Herabstufungen von Anleihen würde das „Finanzsystem erschüttern“, so Analysten. Diese Kreditklemme würde in Wechselwirkung mit der realen Wirtschaft treten und in einer positiven Rückkopplung den konjunkturellen Abwärtssog verstärken. In einem solchen Fall wäre ein irreversibler „Point of no Return“ erreicht, nach dessen Überschreitung Maßnahmen der Krisenpolitik kaum noch zur Beeinflussung einer vollends unkontrollierbaren Krisendynamik beitragen könnten. (…) Offensichtlich wird, dass der labile, von Grund auf marode Spätkapitalismus inzwischen unfähig ist, größere externe Schocks zu verkraften. Wochenlange Produktionsausfälle lassen das auf uferloses Wachstum geeichte System in eine existenzbedrohende Krise stürzen. Eine grundlegende Systemtransformation scheint – auch vor dem Hintergrund der eskalierenden Klimakrise – unabdingbar. Am Beginn der voll einsetzenden Klimakrise, die eine Vielzahl unterschiedlichster externer Schocks mit sich bringen wird, gewinnt die Überführung des Kapitals in Geschichte, der Aufbau einer postkapitalistischen Gesellschaft, die den kommenden externen Schocks gewachsen sein wird, den Charakter einer Überlebensnotwendigkeit der menschlichen Zivilisation. Feststeht schon jetzt, dass diese Pandemie die spätkapitalistische Gesellschaft, in der wir zu leben genötigt sind, grundlegend verändern wird. Es stellt sich nur die Frage, ob diese Veränderungen in eine progressive, emanzipatorische, oder in eine reaktionäre und autoritäre Richtung verlaufen werden. Hier, beim Kampf um die Ausgestaltung dieser objektiv anstehenden Transformation, öffnen sich neue Kampffelder für progressive und emanzipatorische Kräfte, die dem Drang des in Agonie befindlichen Systems zu autoritärer Krisenverwaltung und Faschismus entgegenwirken müssen.“ Beitrag von Tomasz Konicz vom 17. März 2020 bei Telepolis