Klaus Dörre über Grenzen des Wachstums und den sozialökologischen Umbau der Wirtschaft: »Es wird beinharte Konflikte geben«
Im Interview von Claus-Jürgen Göpfert in der jungen Welt vom 9. März 2024 über die Übernahme von Betrieben durch die Beschäftigten und die Utopie vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts erläutert der Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie Klaus Dörre u.a. seine Sichtweise zu Kapitalismus und Wirtschaftswachstum: „… Das kapitalistische Wirtschaftssystem kann auf Dauer nur existieren, indem es wächst. Es muss deshalb ständig neue Bereiche okkupieren, in denen Marktmechanismen noch nicht dominieren. Im Zuge dieser Expansion unterwirft sich der Kapitalismus fortwährend neue Gebiete, Produktionsweisen, Lebensformen und Wissensbestände und verleibt sie sich ein. Der Kapitalismus muss expandieren, um zu existieren. (…) Das wirtschaftliche Wachstum in der Bundesrepublik ist auch für die Bundesregierung deshalb so wichtig, weil es das bedeutendste Mittel zur Befriedung sozialer Konflikte ist…“ Siehe mehr daraus:
- Weiter aus dem Interview von Claus-Jürgen Göpfert in der jungen Welt vom 9. März 2024 mit Klaus Dörre: „… In der wirtschaftlichen Krise wächst die soziale Ungleichheit in Deutschland weiter und damit die Gefahr, dass das kapitalistische System von den Menschen in Frage gestellt wird. (…) Das kapitalistische Wirtschaftssystem in der heutigen Form verschärft die ökologische Krise, verstärkt den zerstörerischen Klimawandel. Die fortschreitende Zerstörung der Natur wirkt sich aber auch sehr negativ auf die Gesellschaft aus. Die Menschen in Deutschland spüren dies unmittelbar durch die zunehmenden Wetterextreme wie Starkregen und Überschwemmungen. Die verursachen hohe gesellschaftliche Kosten. (…) Es gibt mehrere mögliche Ansätze, um zu handeln. Der erste Ansatz besteht innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems, ist also weitgehend marktkonform. Diese Politik praktiziert die Bundesregierung. Also etwa durch den in Deutschland und in Europa verwirklichten Emissionshandel. (…) Die zweite Möglichkeit wäre: Die Politik greift ein, um den Klimawandel zu bekämpfen. Es bräuchte große staatliche Investitionsprogramme, um den sozialökologischen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben und so den Klimawandel zu bekämpfen. (…) Als ersten Schritt, um den sozialökologischen Umbau der Wirtschaft zu beschleunigen, bräuchte es mehr Mitbestimmung in den Betrieben. Sie muss ausgeweitet werden. Christiane Benner, die neue Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, schlägt zum Beispiel eine Stunde sogenannter »Demokratiezeit« für die Belegschaften vor. Das wäre eine Stunde während der Arbeitszeit, in der über die Zukunft des Betriebes, über die künftige Produktion und andere Fragen beraten werden kann. Das könnte der Beginn eines Prozesses sein, in welchem die Arbeitenden Verantwortung für das übernehmen, was sie herstellen. In einer solchen Verantwortungsübernahme steckt utopischer Überschuss. Am Ende dieses Prozesses sollten die Belegschaften selbst darüber entscheiden, was und wie in den einzelnen Betrieben produziert wird. Das führt zwangsläufig zur Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln. Die Entscheidung über die Produktion würde sozialisiert werden. Damit ließe sich das kapitalistische System allmählich überwinden. (…) Klar ist: Es wird beinharte Konflikte geben. Die Eigentümer der Produktionsmittel werden sie den Beschäftigten nicht freiwillig überlassen. Am Ende braucht es soviel politische Kraft, dass die Eigentumsfrage gestellt werden kann.(…) Es bräuchte eine Linke für das 21. Jahrhundert, die diese politische Lücke schließt…“
- Siehe auch Beiträge von Dörre in unserem Dosser Debatte über die Haltung der Industriegewerkschaften zum Thema Klimagerechtigkeit und Transformation