Auf Bismarcks Spuren. Die gegenwärtige Rentendiskussion wird an der zunehmenden Altersarmut nichts ändern. Sie ist schließlich gewollt.
Quelle: Artikel von Axel Berger in der Jungle World vom 13. September 2012
„Entgegen mancher Verklärung hätte Bismarck an den jüngst veröffentlichen »Renten-Horrorzahlen« (Ursula von der Leyen) bestimmt seine Freude gehabt. Denn als am 1. Januar 1891 die gesetzliche Rentenversicherung in Kraft trat, war diese von ihrem Protegé überhaupt nicht als Absicherung für das Alter und das damit einhergehende Ausscheiden aus dem Arbeitsleben gedacht. Schon gar nicht ging es um den Genuss der letzten Lebensjahre nach der jahrzehntelangen Knochenarbeit. Lediglich einen »Sicherheitszuschuss zum Lebensunterhalt für die verminderte Erwerbsfähigkeit« wollte der Reichskanzler den verschlissenen Proletariern des ersten deutschen Wirtschaftswunders zugestehen, wie er den schon über so viel »Wohlfahrtsstaat« heftig erbosten Abgeordneten der Konservativen, Liberalen und des katholischen Zentrums im Reichstag entgegenhielt. Dass die maximal 40 Prozent des Lebensdurchschnittseinkommens, die zudem erst vom 71. Lebensjahr an in Anspruch genommen werden konnten, nicht zum Leben reichen würden, sondern lediglich als Zubrot zur sich erschöpfenden Arbeitskraft dienen sollten, verstand sich von selbst…“ Aus dem Text:
„… Anders als bei den nach Peter Hartz benannten Arbeitsmarktreformen ist es keine genau identifizierbare Einzelmaßnahme, die die Verschärfung der Altersarmut hervorgerufen hat. In fast 20 Gesetzen seit dem Rentenreformgesetz von 1992 sind zahlreiche kleinere Veränderungen vorgenommen worden, von den Erhöhungen der Einstiegsalter für bestimmte soziale Gruppen über Veränderungen bei den Berechnungsgrundlagen bis hin zu den in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommenen Absenkungen des Rentenniveaus. Auch die von der Großen Koalition beschlossene Rente mit 67 trägt dazu bei, indem die Abschläge für frühere Übergänge in den Ruhestand erhöht wurden. (…) Um die »Legitimität des Rentensystems«, die die Bundesarbeitsministerin verteidigen will, steht es also längst ziemlich schlecht. In Frage gestellt ist diese aber weniger durch die Altersarmut an sich als durch die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre. Wichtigstes Motiv für die Bereitschaft, die eigene Arbeitskraft vom Kapital vernutzen zu lassen, war stets, dass das Schicksal der Ausbeutung gegenüber dem, das man im Falle der Nichtvernutzung zu erwarten hätte, etwas weniger unkomfortabel war. In der alten Bundesrepublik nannte man dies das Lohnabstandsgebot…“