Ruhestand erst ab 70 nicht nur als Wahlkampfthema: Neoliberale Rentenpropaganda
Dossier
„Ab Mitte der 2020er Jahre gehen geburtenstarke Jahrgänge in Rente. Ein Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium schreibt nun von „schockartigen steigenden Finanzierungsproblemen“ und will die Altersgrenze über 67 hinaus weiter erhöhen. Dabei ist das lange bekannt und diskutiert. Das hindert BILD und Co., aber auch seriösere Medien nicht, mal wieder das Märchen von der bald „unbezahlbaren“ Rente oder dem „Betrug an der jüngeren Generation“ zu verbreiten, die das alles ausbaden müsse. Tatsächlich geht es diesen Leuten darum, die Arbeitgeber vor höheren Beiträgen oder Steuern zu bewahren. Die Beschäftigten wären auf jeden Fall die Leidtragenden, und zwar besonders die Jüngeren: Sie müssten länger Beiträge zahlen und bekämen kürzer Rente – wenn sie die überhaupt erleben. Wer eher aufhören will, bekommt weniger Rente. Etwas niedrigere Beitragsätze zur gesetzlichen Rente – die zur Hälfte die Arbeitgeber bezahlen müssten – sollen die Beschäftigten durch höhere Privatvorsorge ausgleichen. Ohne Arbeitgeberbeiträge. Eine gute Rente ist auch künftig möglich. Etwas höhere Beitragssätze und höhere Steuerzuschüsse zur gesetzlichen Rente sind da die beste, kostengünstigste und gerechteste Lösung. Selbständige müssen schrittweise einbezogen werden. Das verbessert ihre Absicherung und drückt über lange Zeit auch die Beitragsätze.“ ver.di-Standpunkt in Wirtschaftspolitik aktuell 11 vom Juni 2021 – siehe dazu:
- Länger arbeiten – früher sterben. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit verkürzt die Lebenszeit und auch „Schreibtischjobs“ sind keine Schonarbeitsplätze
„(Junge Demonstratin 2023 in Paris: „Mit 64 Jahren sind schon 1/4 der Arbeiter tot“)
Die bestsituierten Damen und Herren blasen wieder stärker ins Horn: „Wir“ müssen mehr und länger arbeiten, sonst drohe der wirtschaftliche Untergang. Dabei stört sie nicht, das längeres Arbeiten die Wahrscheinlichkeit erhöht, früher zu sterben. Auf Demokratie oder ähnlichen Ballast pfeifen diese Menschen ebenso. (…) Menschen, die 1949 geboren wurden und ein Jahr länger arbeiten mussten, sind im Durchschnitt 6 Monate früher verstorben. Diesen Zusammenhang haben spanische und deutsche Wissenschaftler in einer gründlichen Untersuchung festgestellt. Die Veröffentlichung der Studie ist 2023 (aktualisiert: Juli 2024 ) erfolgt. In ihr wird analysiert, welche Auswirkungen die Abschaffung von Frühverrentungen auf die Sterbewahrscheinlichkeiten in Spanien hatte und weiter haben wird. (1967 wurde die Frühverrentung mit 60 Jahren in Spanien abgeschafft, ab da galt: Verrentung erst ab 65 Jahren). Ein weiteres Ergebnis: „Die Verzögerung des Ausscheidens aus dem Arbeitsmarkt um ein Jahr erhöht das Risiko, zwischen 60 und 69 Jahren zu sterben um 4,4 Prozentpunkte (38%)“. Die Autoren betonen, dass die Ergebnisse sehr wahrscheinlich auch auf andere Länder übertragbar sind. (…) Die Daten der Untersuchung zeigen auch auf: Das Sterberisiko bei längerem Arbeiten nimmt bei physisch und psychisch belasteten Tätigkeiten nahezu gleich zu. Die Behauptung von Gesamtmetallchef Wolf, dass Schreibtischjobs weniger belastend seien, haben keine Basis. Das ist auch daran erkennbar, dass der Anteil an den Erwerbsminderungsrentnern die mit psychischen Erkrankungen dauerhaft arbeitsunfähig wurden, mittlerweile bei 42% liegt. Vor 25 Jahren waren es 20%. Ganz offensichtlich sind die krank machenden Belastungen am „Schreibtisch“ enorm angestiegen. (…) Nach Zahlen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sterben Rentnerinnen und Rentner mit niedrigem Einkommen bzw. Renten etwa 5 Jahre früher. (…) Wenn es um die Lebenserwartung geht, bleiben die Ärmeren immer weiter hinter den besser Verdienenden zurück. Die Zahl der durchschnittlich im Alter von 65 noch zu erwartenden Lebensjahre nimmt für die Männer in der obersten Einkommensgruppe viel stärker zu als für die in der untersten. (…) Im Ergebnis dieser Analysen muss davon ausgegangen werden, dass die Strategie des längeren Arbeitens für viele Millionen Menschen darauf hinausläuft, nicht nur kürzere Zeit Rente beziehen zu können, sondern auch früher zu versterben. (…) Viele Millionen werden den geforderten menschenfeindlichen Weg der oben zitierten Funktionäre nicht gehen können. Für sie würden die Abschläge für Verrentung vor der Regelaltersgrenze noch weiter steigen. Schon heute können Millionen Menschen nicht bis zum regulären Rentenalter arbeiten. Im Jahr 2021 wurden 8,5 Millionen Renten mit durchschnittlich 32 Abschlagsmonaten ausbezahlt. Das ist eine durchschnittliche Rentenkürzung von 9,6 Prozent. Die Hauptopfer der längeren Lebensarbeitszeit, bzw. der vorgezeichneten Rentenkürzungen sind die jetzt Jungen. Sie werden in 20, 30 oder 40 Jahren die Ernte derartiger „Generationengerechtigkeiten“ einfahren müssen, indem sie gezwungen sind, bis 69, 70 oder noch länger zu arbeiten und/oder in Altersarmut zu enden. (…) Grundgesetz Artikel 20: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus…“ Der Verfassungsanspruch und die Wirklichkeiten entfernen sich immer weiter voneinander ….“ Beitrag von Reiner Heyse vom 29. Juli 2024 bei renten-zukunft.de - Rente: ver.di lehnt Verlängerung der Lebensarbeitszeit ab – Arbeitgeberpläne sind ein „Rentenraub“
„Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) wehrt sich gegen Verschlechterungen in der gesetzlichen Rentenversicherung und lehnt die Forderungen von führenden Arbeitgeberfunktionären nach einer erneuten Verlängerung der Lebensarbeitszeit entschieden ab. Zuletzt hatte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger gefordert, die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung zu koppeln. „Wir werden als ver.di gegen derlei Pläne entschiedenen Widerstand leisten und erwarten zudem klare Aussagen der Parteien zur Rentenpolitik im Bundestagswahlkampf“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am Montag. Es sei eine Mär, dass die Lebenserwartung aller Menschen steige. Ganz aktuell belege dies eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Demnach klaffe zwischen Menschen mit niedrigen Einkommen und Menschen mit hohen Einkommen bei der durchschnittlichen Lebenserwartung ein Unterschied von fünf Lebensjahren. „Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters – auch in Koppelung an die Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung – wäre nichts anderes als ein Rentenraub an Arbeiterinnen und Arbeitern und Menschen mit eher niedrigen Einkommen“, betonte Werneke. (…) Jetzt müsse es darum gehen, das Rentenniveau auch über das Jahr 2025 hinaus bei mindestens 48 Prozent zu stabilisieren und schrittweise auf 53 Prozent zu erhöhen. Grundfalsch sei dagegen die willkürlich gesetzte Deckelung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent. Damit werde das System der sozialen Sicherung schrittweise ausgehöhlt. „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr soziale Sicherung“, betonte Werneke: „Das ist realistisch und finanzierbar.“ ver.di-Pressemitteilung vom 30. August 2021 - VdK-Studie zu Renten: Härter arbeiten, weniger Rente, kürzer leben
„In Deutschland gibt es große Unterschiede, wer wieviel von seinem Ruhestand hat. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie im Auftrag des Sozialverbands VdK. Beamte sind gleich mehrfach im Vorteil. Beamte leben länger. Und das nach einem Arbeitsleben, in dem sie weniger stark belastet sind als andere Bevölkerungsgruppen. Das sei zumindest im Durchschnitt so, befindet eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag des Sozialverbands VdK. Demnach haben Beamte aktuell eine Lebenserwartung von 87,2 Jahren – mehr als Angestellte, Selbstständige und vor allem Arbeiter, die mit 83,1 Jahren am schlechtesten abschneiden. (…) Hinzu kommt, dass Arbeiter – aufgrund eines geringeren Einkommens – im Durchschnitt auch mit weniger Geld in ihrem kürzeren Ruhestand auskommen müssen…“ Beitrag von Andre Kartschall vom 16. August 2021 bei tagesschau.de und der VdK selbst:- VdK-Studie: Sozialverband warnt vor sozialer Spaltung der älteren Bevölkerung
„… Der Sozialverband VdK warnt angesichts einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vor einer pauschalen Erhöhung des Renteneintrittsalters: „Eine Erhöhung auf 68, 69 oder gar 70 Jahre würde die soziale Spaltung in der älteren Bevölkerung weiter verschärfen und zu noch mehr Altersarmut führen“, kritisierte VdK-Präsidentin Verena Bentele bei der Präsentation einer Studie des DIW Berlin zur Lebenserwartung verschiedener Berufs- und Einkommensgruppen. „Statt den nächsten Beirat einzusetzen, der vorschlägt, alle pauschal länger arbeiten zu lassen, brauchen wir flexiblere Lösungen: Wer etwa ein Leben lang in körperlich und psychisch anstrengenden Berufen gearbeitet hat, muss früher in Rente gehen können, und zwar ohne Abschläge auch schon mit 63“, forderte Bentele. (…) „Geringverdienende Menschen, die in körperlich und psychisch belastenden Berufen arbeiten, sind im Alter deutlich schlechter gestellt als Menschen mit höheren Einkommen in weniger belastenden Berufen“, kritisierte Bentele. „Wird das Renteneintrittsalter erhöht, benachteiligt sie das doppelt: Zum einen, bekommen sie deutlich geringere Renten. Zum anderen, beziehen sie diese aufgrund ihrer geringeren Lebenserwartung erheblich kürzer.“ Ungerecht sei auch, dass Menschen, die über die gesetzliche Rentenversicherung vorsorgen, im Alter deutlich schlechter gestellt sind als Beamte. Diese Ungerechtigkeiten ließen sich nur mit einer grundlegenden Reform des gegenwärtigen Systems beseitigen: „Wir brauchen eine Rentenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen: Arbeiter, Angestellte, Selbstständige und eben auch Politiker und Beamte“, sagte die VdK-Präsidentin. Nur so ließe sich auf Dauer die gesetzliche Rentenversicherung stabilisieren und die soziale Spaltung bekämpfen. Zudem fordert der VdK, geringe Renten von langjährig Versicherten aufzuwerten…“ VdK-Pressemitteilung vom 16. August 2021 mit Links zur DIW-Studie „Heterogene Lebenserwartung“ und den politischen Schlussfolgerungen des VdK dazu
- VdK-Studie: Sozialverband warnt vor sozialer Spaltung der älteren Bevölkerung
- Rente mit 68? … Rente mit 70? … Reicht alles nicht! Jedenfalls nicht bei diesem gesetzlichen Mindestlohn
„Die Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung ist mal wieder ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit gerückt. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft fordert die »Rente mit 68« (…) Um alleine mit der Rente die Schwelle der Grundsicherungsberechtigung nach SGB XII erreichen zu können, muss deren monatlicher Nettobetrag (ohne weitere Einkünfte) in diesem Jahr 1.074 Euro erreichen. Bei einer erwerbslebensdurchschnittlichen Entgeltposition von 45,22 Prozent – also bei heutigem Mindestlohn – bedarf es dafür einer Beitragszeit von 54,9 Jahren. Hierbei ist der Zuschlag an Entgeltpunkten auf Basis des zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Grundrentengesetzes ebenso berücksichtigt wie der neue Rentenfreibetrag im Sozialhilferecht (§ 82a SGB XII). Wer im Alter von 17 Jahren in die Rentenversicherung eintritt und ununterbrochen beschäftigt bleibt, der kann die 1.074 Euro Nettorente frühestens im Alter von 71,9 Jahren erreichen. Kommen Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Langzeiterkrankung hinzu, so verschiebt dies die Altersgrenze entsprechend weiter nach oben. Von wegen »freie Wahl« beim Zugang zur »Rente ab 60«. – Bei genauerem Blick erweist sich das Vorhaben der FDP als einzigartiges Umverteilungsprogramm von unten nach oben: Wer relativ gute/hohe Rentenanwartschaften erworben hat, Rentenabschläge verkraften kann und häufig auch eine höhere Lebenserwartung hat, darf früher in Altersrente wechseln; Niedriglöhnerinnen und Niedriglöhner müssten ihren Rentenbeginn dagegen deutlich nach hinten verschieben. Insofern können sie beim FDP-Modell von einer Rente mit 68 oder auch mit 70 nur träumen. Der geschilderte Zusammenhang lässt sich auch anders herum betrachten: Ausgangspunkt wäre nicht die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns, sondern eine typisierend vorgegebene Lebensarbeitszeit (Beitragsjahre). Wie hoch müsste der gesetzliche Mindestlohn derzeit ausfallen, wenn die Beitragszeit mit 45 Jahren angesetzt wird (sog. Standarderwerbsbiografie) und alle übrigen Annahmen unverändert bleiben? In diesem Fall ist eine erwerbslebensdurchschnittliche Entgeltposition von 76,48 Prozent erforderlich. Nur dann erreicht alleine die Nettorente jene Höhe, die eine Grundsicherungsberechtigung ausschließt. Das entspricht 2021 einem Stundenlohn in Höhe von 16,15 Euro. Beim gesetzlichen Mindestlohn, der nach erwerbslebenslanger Vollzeitbeschäftigung eine Nettorente gerade oberhalb der Schwelle zur Grundsicherungberechtigung ermöglichen sollte, ist also noch reichlich Luft nach oben…“ Beitrag und Info-Grafik von Johannes Steffen vom 22.06.2021 im Portal Sozialpolitik - Balodis/Hühne: Stoppt endlich die Verdummung!
„In den jüngsten Tagen ploppte das Thema Rente allerorten hoch: „Rente mit 68“ (Wissenschaftlicher Beirat im Wirtschaftsministerium), „Rente mit 70“ (Institut der Deutschen Wirtschaft), „Aktienrente“ (FDP) oder „Bürgerfonds“ (Grüne). Wie ein Mantra zieht sich dabei der Kampfbegriff „Generationengerechtigkeit“ durch alle Medien. Suggeriert wird: die gesetzliche Rente packt es nicht mehr. Zu wenig Junge, zu viele Alte. Drastische Maßnahmen sind angeblich nötig. Länger arbeiten, weniger Rente, mehr Aktieninvestments – am besten alles zusammen. So erklären es Axel Börsch-Supan und Bernd Raffelhüschen als Experten und nahezu alle plappern es nach. So auch geschehen in der ARD-Sendung ‚Presseclub’ am vergangenen Sonntag. Leider werde es – so wurde dort beklagt – diese „notwendigen“ Maßnahmen aber nicht geben, weil sich in dieser „Rentnerrepublik“ gegen den Willen der überwiegend alten Wähler kaum etwas durchsetzen lasse. Ja, hört denn diese gnadenlose Verdummung nie auf? Bereits in den vergangenen 30 Jahren wurden durch Absenkungen des Rentenniveaus und massive Verschlechterungen im Rentenrecht die Ansprüche der Versicherten um fast 40 Prozent zusammengestrichen. Von Massenprotesten der Bevölkerung keine Spur. Dabei hätte es hierfür allen Grund gegeben: Die Renten lägen ohne diese Einschnitte für langjährig Versicherte (mindestens 35 Beitragsjahre) nicht wie heute bei rund 1.200 Euro, sondern bei rund 2.000 Euro. Und das ist auch finanzierbar. Natürlich reichen dafür nicht die kümmerlichen 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die aktuell in die deutschen Renten fließen. Nachbarländer wie Dänemark, Österreich oder Frankreich machen es vor: sie geben 13 bis 15 Prozent für die Rente aus. Derweil gehen immer größere Teile der deutschen Bevölkerung in Richtung Altersarmut…“ Beitrag aus dem Newsletter von Holger Balodis und Dagmar Hühne, 21.06.2021 beim Seniorenaufstand