Hierarchie der Not. Wer unten steht, leidet mehr: Die Corona-Krise verdeutlicht und verschärft die soziale Ungleichheit

Dossier

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im Shitstorm„Es geht jetzt auch um die gesellschaftlichen Abwehrkräfte. Mit jeder Verschärfung der Ausgangsregeln, die die Politik in diesen Tagen beschließt, wird eine Zahl immer wichtiger, die mit darüber entscheidet, wie schwer es für jeden Einzelnen wird: Die Quadratmeterzahl. Je größer die eigene Wohnung, desto eher lässt es sich dort auf Dauer aushalten. (…) Die Schwächeren tragen die größere Last und das größere Risiko. Das gilt für beide Bevölkerungsteile: für jene, die nicht mehr normal arbeiten können, und für jene, die jetzt erst recht arbeiten müssen. Je weniger die ungleiche Verteilung des Leids abgefedert wird durch Politik und private Solidarität und je länger die Ausnahmezustands dauert desto eher kann daraus gesellschaftlicher Sprengstoff werden. (…) Selbst bei den Kurzarbeitern gibt es Unterschiede: Wer bei VW oder BMW beschäftigt ist, wo man eh schon besser verdient, bekommt bis zu 90 Prozent des Lohns, weil die IG Metall aufstockt. Andere in Unternehmen ohne Tarifbindung bekommen nur 60 bis 67 Prozent. (…) Ungleich sind auch die Voraussetzungen für die Schüler. E-Learning geht leichter, wenn man Tablet, Computer und am besten noch Eltern hat, die bei den Aufgaben helfen können. Aber was ist beispielsweise mit jenen, die sich nicht mit ihren Eltern aufs Abitur vorbereiten können, die dafür in Bibliotheken oder zu Mitschülern gehen würden? Sie sind nun abgeschnitten…“ Artikel von Lenz Jacobsen und Parvin Sadigh vom 21. März 2020 in der Zeit online externer Link. Siehe dazu:

  • Corona-Tests nicht mehr gratis – Saarländische Armutskonferenz kritisiert Beschluss der Bundesregierung scharf! / Update zum „Ungleichheitsvirus“ Covid-19 New
    • Corona-Tests für Bürger*innen nicht mehr gratis – Saarländische Armutskonferenz kritisiert Beschluss der Bundesregierung scharf!
      In Zukunft drei Euro für den „Bürgertest“ – haben sich die Verantwortlichen überhaupt Gedanken gemacht, was das für einen Teil der Bevölkerung bedeutet? „In einer Phase, in der Energie- und Lebenshaltungskosten generell dauerhaft in die Höhe klettern, drei Euro für jeden einzelnen Coronatest von Menschen zu verlangen, die ihren täglichen Lebensunterhalt so schon nicht mehr finanziert bekommen, ist Ausdruck eines moralische Grenzen offenbar mühelos überschreitenden, menschenverachtenden Kapitalismus.“, so der Vorsitzende der Saarländischen Armutskonferenz (SAK) Michael Leinenbach. „Sollen Menschen an Lebensmitteln usw. sparen, um sich einen Test leisten zu können? In was für einer Zeit leben wir?“ Aber selbst aus rein wirtschaftlicher Sicht sei dieses Vorgehen mangelhaft, denn der dazu notwendige bürokratische Aufwand sei absurd im Verhältnis zur Aussicht auf irgendeinen Ertrag. Statt dass man Menschen kostenlos testet, wird eine sinnlose Bürokratie finanziert! Nach drei Jahren Pandemie immer noch überhaupt nichts dazu gelernt zu haben, ist aus Sicht der Saarländischen Armutskonferenz (SAK) ein beschämendes Armutszeugnis für die Politik. Weiterhin – und das sei nicht nur ein punktueller sondern ein sich wiederholender, struktureller Fehler in der Debatte um Kosten- und Lasten-Verteilungsfragen – müsse sich auch diese Bundesregierung anheften lassen, dass sie, am Beispiel der kostenlosen Bürgertests, oftmals diejenigen Bevölkerungsgruppen vollkommen aus den Augen verliert, die von materieller Armut bedroht oder bereits in materieller Armut sind…“ Pressemitteilung vom 27.06.22 externer Link
    • Ein Update zum „Ungleichheitsvirus“ Covid-19
      Versuchen wir uns zu erinnern: Am Ende des ersten Corona-Jahres 2020 und im Frühjahr 2021 gab es eine Debatte darüber, dass Corona offensichtlich doch nicht als „großer Gleichmacher“ durch das Land gezogen ist, sondern sowohl die Infektionsrisiken wie auch die schweren bis hin zu tödlichen Verläufen ungleich verteilt waren. (…)Mittlerweile wurde auch hier weiter beobachtet und neue Daten sind verfügbar. »Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit hatten im Jahr 2021 im Schnitt ein mehr als doppelt so hohes Risiko an Covid-19 zu versterben wie Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das hat eine Datenanalyse der AOK Nordost von rund 1.600 Sterbefällen ergeben. Auch Menschen, die in sozial benachteiligten Ortsteilen wohnen, haben im Schnitt ein höheres Sterberisiko«, berichtet die Krankenkasse AOK Nordost unter der Überschrift Covid-19: Ausländische Versicherte haben doppelt hohes Sterberisiko externer Link. Was haben die genau ausgewertet? (…) Das ein niedrigerer sozioökonomischer Status das Infektionsrisiko erhöht, zeigt sich auch in Datenanalyse der AOK Nordost. AOK-Versicherte, die in den am stärksten sozial benachteiligten Gebieten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wohnen, hatten laut der Analyse ein 11 Prozent höheres Sterberisiko als die Bewohner aller anderen Ortsteile. Selbst der Tod kommt wesentlich früher (…) Soziale Unterschiede im COVID-19-Geschehen kommen besonders deutlich bei schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen zum Ausdruck – ein Muster, das international berichtet wird…“ Beitrag vom 27. Juni 2022 von und bei Stefan Sell externer Link
  • Studie: Corona-Infektion vor allem von Sozialstatus abhängig – Forscher schlagen deshalb maßgeschneiderte Maßnahmen für arme Menschen vor 
    „Bildung, Einkommen und Migrationshintergrund: Das Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken, ist vom sozialen Status der Menschen abhängig. Das zeigt eine neue Studie zweier Wissenschaftler der Universität Bielefeld externer Link. „Im Verlauf der Pandemie hat der soziale Status als Faktor für das Infektionsgeschehen an Bedeutung gewonnen“, sagte der Epidemiologe und Studienautor Kayvan Bozorgmehr, der Professor an der Universität Bielefeld ist. In der ersten Welle der Pandemie seien es vor allem die Wohlhabenden gewesen, die einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen sein, heißt es in der Studie. Doch in der zweiten und dritten Welle waren es demnach eher ärmere Menschen, die einem höheren Risiko ausgesetzt gewesen seien. (…) Für die Studie hatten die beiden Wissenschaftler die Entwicklung in 401 deutschen Landkreisen in einem Zeitraum von 72 Wochen analysiert. Sie brachten unter anderem sozioökonomische Merkmale wie Bildung, Beschäftigungsstatus und Einkommen mit den Infektionen auf kommunaler Ebene in Verbindung. Hinzu kamen Bevölkerungsdaten, Informationen zur Siedlungsstruktur und zu Impfungen. Die Studienautoren ziehen aus ihren Untersuchungen den Schluss, dass es künftig keine einheitlichen Maßnahmen, sondern dass es in sozial benachteiligten Stadt- oder Landkreisen maßgeschneiderte Angebote geben könnte. „Ganz grundlegend müssen die Politik und Behörden berücksichtigen, wie sozioökonomische Faktoren bei der Ausbreitung wirken“, so Bozorgmehr. Es könnte sinnvoll sein, sagte er weiter, wenn „in Stadtteilen mit geringem Einkommen kostenlose Tests oder auch kostenlose Masken zur Verfügung“ gestellt würden. Mit Blick auf künftige Pandemien erklärten sie, dass die Diversität in der Gesellschaft stärker berücksichtigt werden müsse. „Insbesondere in frühen Phasen einer Pandemie muss man auf migrationsbedingte Faktoren vorbereitet sein, damit mehrsprachige und zielgruppengerechte Maßnahmen etabliert werden können“, so der Gesundheitswissenschaftler. Die aktuelle Veröffentlichung ist Teil der StopptCOVID- Studie externer Link . In einem weiteren Schritt wollen die Wissenschaftler untersuchen, wie wirksam die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in den Stadt- und Landkreisen waren.“ Beitrag von Bernd Müller vom 14. Juni 2022 bei Telepolis externer Link
  • „Pandemie der Habgier“: Corona-Todesfälle im Globalen Süden viermal höher – Die Reichen der Welt haben ihr Vermögen dabei verdoppelt 
    „Ein aktueller Bericht von Oxfam Intermón stellt fest, dass die durch Covid-19 verursachten Todesfälle in armen Ländern viermal so hoch waren wie in reichen Ländern. Zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie kommt die NGO zu dem Schluss, dass die Auswirkungen von Covid-19 in den europäischen Ländern zwar „verheerend“ sind, die ärmsten Länder der Welt jedoch am stärksten betroffen sind und „unverhältnismäßig stark“ unter den Folgen leiden. (…) Der Bericht „Pandemie der Habgier“ (Pandemic of Greed externer Link ), den Oxfam Intermón für die People’s Vaccine Alliance erstellt und am 3. März publiziert hat, hebt hervor, dass in vielen dieser armen Länder eine große Zahl von Todesfällen nicht registiert wird, weil es an diagnostischen Tests und an Berichten darüber fehlt. Nach Berechnungen von Oxfam Intermón sind etwa 19,6 Millionen Menschen an den Folgen der Pandemie gestorben, das Dreifache der offiziellen Zahl. Die NGO schätzt, dass für jeden Todesfall in einem Land mit hohem Einkommen vier weitere Menschen in einem Land mit niedrigem oder mittlerem Einkommen gestorben sind, da die Sterberate in diesen Ländern 31 Prozent höher ist als in reichen Ländern. In Ländern mit hohem Einkommen wurden demnach sechsmal mehr Auffrischungsimpfungen verabreicht als in Ländern mit niedrigem Einkommen Erstdosen. (…) Darüber hinaus weist Oxfam darauf hin, dass 99 Prozent der Menschheit durch die Pandemie schlechter gestellt sind. Etwa 160 Millionen Menschen wurden in die Armut getrieben und 137 Millionen haben ihre Arbeit verloren. (…) Dem Bericht zufolge gibt es alle 26 Stunden einen neuen Milliardär, und von ihnen „verdanken 40 ihr Vermögen der Corona-Pandemie, da sie mit Impfstoffen, Behandlungen, Tests und persönlicher Schutzausrüstung Milliardengewinne gemacht haben“. Die zehn reichsten Männer der Welt haben laut Oxfam während der Pandemie ihr Vermögen mit einer Rate von 1,3 Milliarden US-Dollar pro Tag oder 15.000 US-Dollar pro Sekunde verdoppelt…“ Beitrag von Vilma Guzmán vom 7. März 2022 bei amerika21 externer Link
  • Mit dem Neoliberalismus in die Endemie. Ungleichheit bleibt tödlich 
    „Eins ums andere brechen die Corona-Inzidenzen in diesem Jahr neue Rekorde. Statt aber Schutzmaßnahmen entsprechend anzupassen, beispielsweise die Testkapazitäten zu erhöhen, werden PCR-Tests reglementiert und die Isolationszeit verkürzt. Mit der Rationierung von PCR-Tests wird es nicht nur schwieriger, Gewissheit über den eigenen Gesundheitsstatus zu erhalten und diesen gegenüber Kontaktpersonen im Privaten wie auch in der Lohnarbeit kommunizieren zu können, sondern es können auch Spätfolgen, wie Long Covid schwerer dokumentiert werden. Obwohl das Gesundheitssystem mancherorts bereits kollabiert, werden wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutz vor Ansteckung zurückgefahren. (…) Die vermeintliche Alternativlosigkeit in der derzeitigen Coronapolitik der Bundesregierung ist tödlich. Überarbeitetes und unterbezahltes Pflegepersonal, die Schließung oder Teilschließung von Kliniken, völlige Überlastung in den Kinder- und Jugendpsychatrien und die Verschiebung von lebenswichtigen Operationen fordern ständig Opfer. Derzeit scheint vor allem zu zählen, dass diese auf ein Maß begrenzt werden, welches die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft und Wirtschaft sicherstellt. Eine solidarische Bekämpfung der Pandemie muss jedoch die Gesundheit aller Menschen in den Mittelpunkt stellen. Auch und gerade während einer Pandemie darf die Gefährdung der Gesundheit aller Menschen nicht von Kapitalinteressen geleitet sein. Stattdessen braucht es eine Debatte, die die Ausgangsbedingungen der Pandemiebekämpfung repolitisiert. (…) Während der Pandemie zeigt sich, dass gerade die Einkommens- und Vermögensverteilung jene benachteiligt, die sich tagtäglich im Gesundheits- und Dienstleistungssektor dem Virus aussetzen müssen. Die neue Bundesregierung zeigt hier bisher keinen Willen, dem entgegenzuwirken. Denn solange keine tatsächliche Umverteilung – etwa durch eine längst überfällige Vermögenssteuer – angestrebt wird, sind kaum spürbare Erhöhungen von Mindestlohn und „Bürgergeld“ nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Diese ökonomische Kluft ist tödlich. (…) Klassistische, rassistische und globale Ungleichheitsverhältnisse entscheiden darüber, wer leben darf und wer zu sterben hat. Bewusst werden so Menschen dem Tod ausgesetzt, um Kapitalinteressen durchzusetzen – im globalen, aber auch im bundespolitischen Kontext.“ Stellungnahme vom 22. Februar 2022 vom und beim Grundrechtekomitee externer Link
  • Der Paritätische: Offener Brief von breitem zivilgesellschaftlichen Bündnis zu ausbleibenden Hilfen für die Ärmsten 
    „… Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz, sehr geehrter Herr Bundesarbeitsminister Heil, sehr geehrte Frau Bundesfamilienministerin Spiegel, sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister Lindner,
    angesichts dauerhaft hoher Preissteigerungsraten und pandemiebedingter Mehrausgaben appellieren wir dringend an Sie, zügig gezielte und substantielle Hilfen für die Ärmsten in unserer Gesellschaft zu beschließen. Bereits im vergangenen Herbst hat ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis vor Kaufkraftverlusten bei Menschen, die auf Leistungen der Mindestsicherung angewiesen sind, gewarnt und Nachbesserungen bei der Anpassung der Regelsätze angemahnt. Die anhaltend hohen Preissteigerungsraten insbesondere auch bei den Stromkosten werden nicht annähernd von den zum 1.1.2022 angepassten Regelsätzen aufgefangen. Gleichzeitig verschärfen Mehrkosten für Masken und andere pandemiebedingte Ausgaben die Not von Menschen, die auf existenzsichernde Leistungen wie Hartz IV angewiesen sind. Die Kaufkraftverluste und zusätzlichen finanziellen Belastungen wiegen umso schwerer, da das derzeitige Niveau in der Grundsicherung ohnehin zu niedrig ist, um das soziokulturelle Existenzminimum sicherzustellen. Es ist allerhöchste Zeit armutspolitisch gegenzusteuern. Im Koalitionsvertrag haben Sie im November vergangenen Jahres einen Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder in Aussicht gestellt. Mitte Januar hatte Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck zudem Unterstützungszahlungen beim Wohngeld und Hartz IV angekündigt. Mit Ihrem Beschluss eines Heizkostenzuschusses vom 2. Februar wurde diese Ankündigung für Beziehende von Wohngeld umgesetzt. Mit großer Sorge nehmen wir jedoch wahr, dass der im Koalitionsvertrag angekündigte Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder auf sich warten lässt und bisher keine Schritte unternommen wurden, um alle Beziehenden von Grundsicherungsleistungen zu unterstützen. Es kann nicht sein, dass ausgerechnet die Ärmsten wieder einmal auf der Strecke bleiben. Vor dem Hintergrund der für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums ohnehin unzureichenden Regelsätze für Kinder, Jugendliche wie Erwachsene, der zusätzlichen Belastungen in der Pandemie sowie hoher Preissteigerungsraten appellieren wir daher dringend an Sie, mit dem Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder und Corona-Hilfen für alle Grundsicherungsbeziehenden zügig gezielte Hilfen in substanzieller Höhe zu beschließen. Mit freundlichen Grüßen…“ Offener Brief vom 15. Februar 2022 vom und beim Paritätischen Gesamtverband externer Link
  • Studie: Soziale Unterschiede beeinflussen Corona-Infektionsrisiko – Arme sterben wahrscheinlicher
    In der Corona-Pandemie spielen soziale und wirtschaftliche Unterschiede einer neuen Studie zufolge eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung des Erregers. Wer wenig verdiene und in beengten Wohnverhältnissen lebe, habe eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Sars-CoV-2-Virus zu infizieren und an der Erkrankung zu sterben, teilte die Leibniz Universität Hannover am Dienstag mit. Die Studie von Lars Mewes und Max-Leon Straßburger vom Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie an der Leibniz-Uni widme sich Menschen mit geringerem Einkommen und beengten Wohnverhältnissen am Beispiel der Stadt Duisburg. Es handele sich um die erste Studie in Deutschland, die die Ausbreitung von Covid-19 in einer Stadt und die Rolle sozialer Unterschiede untersuche, erklärte Mewes. Die Beziehung zwischen Covid-19-Fällen pro 100.000 Einwohner und dem sozio-ökonomischen Status sei anhand von Daten zur zweiten Welle in Duisburg überprüft worden – auf Stadtbezirksebene. Im Ausland gebe es vergleichbare Studien, die sich allerdings meist mit Mega-Städten wie New York befassten…“ Meldung vom  1. Februar 2022 bei News4teachers externer Link
  • Corona: Wieder trifft es die Ärmsten und Abgehängten
    Von einem Tag auf den anderen reicht eine Impfung mit dem Vakzin von Johnson und Johnson nicht mehr aus, um als vollständig geimpft zu gelten. Das verstärkt einmal mehr die Ungleichheit. Wo bleibt der Aufschrei?
    Jetzt haben sie also ohne Vorwarnung oder eine Übergangsfrist über drei Millionen Menschen (die Angaben schwanken) um ihren Impfstatus gebracht: Über Nacht gelten die, die sich nur ein Mal mit dem Wirkstoffe Johnson und Johnson haben impfen lassen, um als vollständig geimpft zu gelten, als eben das nicht mehr. Und diejenigen, die sich mit einer weiteren Impfdosis geboostert wähnten, brauchen dafür nun auch noch eine weitere Impfung. Das verkündet das Paul-Ehrlich-Institut, eine untergeordnete Behörde. Ohne Debatte, ohne Parlamentsbeschluss, einfach so. Wo bleibt der Aufschrei? Ich höre eher nichts. Woran liegt das, obwohl doch so viele betroffen sind? Die Einmalimpfung wurde vor allen Dingen den Ärmsten und Abgehängten verabreicht – Menschen, die so gut wie keine Lobby haben. Johnson und Johnson bekamen Geflüchtete, Obdachlose und Menschen in sozialen Brennpunkten. Ach nein, sie nennen die Gegenden, aus denen ich mich rausgekämpft habe, jetzt „vulnerable Sozialräume“. Als würde das einer der Betroffenen verstehen, geschweige denn, dass der neue Begriff etwas an den katastrophalen Wohn- und Lebensverhältnissen ändern würde…“ Kommentar von Mirijam Günter vom 27.01.2022 im Freitag online externer Link
  • Neue Corona-Welle, alte Probleme: Teurer Gesundheitsschutz – keine Hilfen
    • Teurer Gesundheitsschutz. Sozialverbände und Erwerbsloseninitiativen fordern kostenlose FFP2-Masken und mehr Unterstützung für Arme
      Nicht wiederverwendbar: Das bedeutet der Aufdruck NR (non reusable) auf den Mund- und Nasenschutzmasken, die vor Ansteckung schützen sollen und bundesweit Pflicht sind. Sie müssten also oft gewechselt werden. Die Bezahlung dieses Gesundheitsschutzes ist aber weitgehend Privatangelegenheit. Insbesondere die FFP2-Masken, die zuletzt in mehreren Bundesländern wieder verpflichtend wurden, gehen ins Geld. So dürfen beispielsweise in Berlin, Brandenburg, Hamburg und Bayern im öffentlichen Nahverkehr keine OP-Masken mehr benutzt werden, sondern nur noch die deutlich teureren FFP2-Masken.
      Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, forderte am Dienstag mehr Unterstützung für Pflegebedürftige und Sozialhilfeempfänger. »Selbst beim Discounter haben die Preise für Masken in den letzten Wochen extrem angezogen«, erklärte Bentele. Insbesondere für Menschen mit wenig Geld, wie Pflegebedürftige oder Sozialhilfeempfänger, seien »regelmäßig frische FFP2-Masken zu teuer«. Momentan seien gerade einmal 17 Euro im Monat im Regelsatz für Gesundheitskosten vorgesehen, so Bentele weiter. Künftig sollten deshalb die Kosten für FFP2-Masken für Hartz-IV- und Grundsicherungsempfänger übernommen werden. Darüber hinaus sollte die Pflegehilfsmittelpauschale für Pflegebedürftige erneut auf 60 Euro angehoben werden. Dass diese Erhöhung zum Jahresende 2021 nicht verlängert worden sei, kritisierte die VdK-Präsidentin als »völlig unverständlich«.
      Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verwies auf jW-Nachfrage auf »verschiedene Hilfen« der Bundesregierung, wie die anrechnungsfreie Einmalzahlung von 150 Euro für Grundsicherungsbeziehende, Aktionen kostenloser Maskenverteilung im Jahr 2021 und aktuelle entsprechende Länderinitiativen, die Masken kostenlos zu verteilen, sowie Bonuszahlungen für Kinder. Das reicht offenbar aber nicht aus. (…) Die Finanzierung von Coronaschutzmaßnahmen könnte künftig noch mehr zur Privatsache werden, das zeigt sich an der Diskussion um kostenlose PCR-Tests für alle. Um einer Überlastung der Laborkapazitäten entgegenzuwirken, könnten diese Tests bei hohen Infektionszahlen künftig auf »symptomatische Personen und gegebenenfalls vulnerable Gruppen« beschränkt werden…“ Artikel von Susanne Knütter in der jungen Welt vom 19.01.2022 externer Link
    • Unterstützung kommt oft nicht an. Jeder sechste Haushalt erhielt während der Corona-Pandemie trotz Bedarfs keine Sozialleistungen
      Die Corona-Pandemie führte bei 43 Prozent aller Haushalte in Deutschland zu Verlusten externer Link bei Einkommen oder Ersparnissen. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag veröffentlichte repräsentative Studie externer Link. Sie wurde von der Universität Mannheim, dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und dem Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) durchgeführt. Befragt wurden Haushalte auf dem Höhepunkt der zweiten Pandemie-Welle zwischen Dezember 2020 und Januar 2021.
      Zwar wurden von Bund und Ländern Maßnahmen ergriffen, um die Folgen der finanziellen Verluste abzufedern, doch die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Finanzhilfen bei vielen Betroffenen nicht angekommen sind. Demnach bezogen im Schnitt nur rund neun Prozent der Erwerbsbevölkerung im Rahmen der Coronakrise Sozialleistungen. Unter den Haushalten, die keine Leistungen in Anspruch nahmen, gab rund jeder sechste an, Unterstützungsbedarf gehabt zu haben externer Link. Selbstständige beantragten fünfmal häufiger Unterstützungsleistungen als Angestellte. Weniger bekannt sei laut Tabea Bucher-Koen vom ZEW allerdings, dass »auch Alleinerziehende, geringfügig Beschäftigte und jüngere Erwerbstätige überdurchschnittlich von finanziellen Einschnitten betroffen sind.«
      Geringfügig Beschäftigte haben der Studie zu Folge aber sogar mehr als fünfmal seltener Unterstützung in Anspruch genommen als Vollzeitbeschäftigte, obwohl Bedarf bestanden hätte. Menschen, die keiner oder nur einer gelegentlichen Erwerbstätigkeit nachgehen, haben dreimal seltener Sozialleistungen in Anspruch genommen als Vollzeitbeschäftigte. Und Alleinerziehende beantragen viermal seltener Hilfe als kinderlose Paare…“ Artikel von Lisa Ecke vom 18.01.2022 im ND online externer Link, siehe auch ihren Kommentar ebd.: Kompliziert statt einfach. Lisa Ecke zu Sozialleistungen, die nicht bei Berechtigten ankommen externer Link
    • Siehe auch – unter anderem! – unser Dossier: Tacheles: Vorschläge zum Umgang mit der Corona-Krise für einkommensschwache Haushalte – und Reaktionen
  • Der Paritätische Armutsbericht 2021: „Armut in der Pandemie“ – erreicht 13,4 Millionen Menschen
    Laut aktuellem Paritätischen Armutsbericht hat die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent (rechnerisch 13,4 Millionen Menschen) im Pandemie-Jahr 2020 einen neuen Höchststand erreicht. Auch wenn das Ausmaß der Armut nicht proportional zum Wirtschaftseinbruch und dem damit verbundenen Beschäftigungsabbau zunahm, gibt es eindeutige Corona-Verlierer: So sind es laut der Studie des Wohlfahrtsverbandes vor allem die Selbstständigen, unter denen die Einkommensarmut zugenommen hat. Der Verband wirft der Politik armutspolitische Versäumnisse vor und appelliert an die neue Bundesregierung, nicht nur die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen wie Kindergrundsicherung oder Verbesserungen bei Wohngeld und BAFöG zügig und entschlossen anzugehen: Zwingend, so die Forderung, sei darüber hinaus insbesondere eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung.
    Der Bericht geht unter anderem auf die Lage in den Bundesländern ein, die von tiefen Gräben zeugt: Während die beiden süddeutschen Länder Bayern und Baden-Württemberg auf eine gemeinsame Armutsquote von ‚nur‘ 12,2 Prozent kommen, weisen die übrigen Bundesländer eine gemeinsame Armutsquote von 17,7 Prozent aus. Der Abstand zwischen Bayern (11,6 Prozent) und dem schlechtplatziertesten Bundesland Bremen (28,4 Prozent) betrage mittlerweile 16,8 Prozentpunkte. „Deutschland ist nicht nur sozial, sondern auch regional ein tief gespaltenes Land und die Gräben werden immer tiefer. Wenn in einem Bundesland jeder zehnte und in dem anderen mehr als jede*r vierte Einwohner*in zu den Armen gezählt werden muss, hat dies mit gleichwertigen Lebensbedingungen in ganz Deutschland nichts mehr zu tun”, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
    Neben soziodemografischen Aspekten und der Zusammensetzung der Gruppe armer Menschen liegt ein Schwerpunkt des Armutsberichts auf der Analyse der Pandemie-Auswirkungen. „Die allgemeinen Folgen der Pandemie trafen Arme ungleich härter”, kritisiert Schneider. Insbesondere das Kurzarbeitergeld, aber auch das Arbeitslosengeld I hätten zwar durchaus als Instrumente der Armutsbekämpfung gewirkt, so ein Befund des Berichts. Doch seien vor allem Erwerbstätige, und darunter vor allem die Selbständigen, die Einkommensverlierer der Corona-Krise und das schlage sich auch in den Armutsquoten nieder: Zählte die Mikrozensuserhebung 2019 unter den Erwerbstätigen insgesamt 8 und unter den Selbständigen 9 Prozent Arme, kommt die 2020er Erhebung auf 8,7 Prozent bei den Erwerbstätigen und sogar 13 Prozent bei den Selbständigen…“ Meldung vom 16.12.2021 externer Link zum Paritätischen Armutsbericht 2021 externer Link
  • Corona-Hilfspakete für Frauen und Männer: Hilfen ungleich verteilt 
    Seit der Pandemie wird vor einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse gewarnt. Verschiedene Studien belegen inzwischen, dass die Krise für Frauen, insbesondere für Mütter, negativere Konsequenzen hat als für Männer und Väter. Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) wurde auf der DGB-Frauenkonferenz vorgestellt. Sie zeigt, wie die Corona-Hilfspakete auf Frauen und Männer wirken. Seit der Pandemie wird vor einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse gewarnt. Verschiedene Studien zur Corona-Krise externer Link belegen inzwischen, dass die Krise für Frauen, insbesondere für Mütter, negativere Konsequenzen hat als für Männer und Väter. Auch die drei zentralen Corona-Hilfspakete der Bundesregierung konnten daran wenig ändern. So zeigt die aktuelle Analyse, dass 38 Prozent der 108 untersuchten Maßnahmen Männern eher nutzen als Frauen. „Ein Beispiel für eine geschlechterblinde Politik, wie es sie im Jahr 2021 eigentlich nicht mehr geben sollte“, sagt Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Der finanzielle Umfang der Pakete wurde untersucht. 68 Prozent der insgesamt eingeplanten knapp 600 Milliarden Euro für die Hilfepakete sind für Instrumente vorgesehen, die eher Männern nutzen dürften…“ DGB-Meldung vom 19.11.2021 externer Link zur Studie der Hans-Böckler-Stiftung externer Link
  • Pandemie-Folgen: Finanzielle Notlagen nehmen zu
    „… „Die steigende Nachfrage nach sozialer Schuldnerberatung ist alarmierend“, sagt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. Denn Beratungsstellen der Diakonie und der Caritas verzeichneten im ersten Halbjahr 2021 eine deutlichen Zunahme der Nachfrage nach Schuldnerberatungen. Das geht aus einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der beiden Verbände hervor. Wie die Umfrage zeigt, erhöhte sich bei mehr als zwei Dritteln der befragten Beratungsstellen die Anzahl der Anfragen im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie. Teilweise stieg die Nachfrage um mehr als 30 Prozent. Vor allem die Dauer der Pandemielage werde zum Problem für viele Menschen, so Loheide: „Zu Beginn der Pandemie konnten sich viele Menschen noch durch Rücklagen oder privat geliehenes Geld finanziell über Wasser halten. Inzwischen können viele ihre Überschuldungssituation jedoch nicht mehr kompensieren.“ (…) Vor allem die in den vergangenen Monaten gestiegenen Energiepreise und die steigenden Kosten für eine wirksame Klimapolitik sieht der Caritas-Verband als Triebkräfte der Entwicklung. Die erhöhte Nachfrage nach Beratung war bei über einem Viertel der Beratungsstellen auf fällige Kredite, Miet- und Energieschulden zurückzuführen. Viel mehr Menschen als früher hätten sich demnach nach einem Pfändungsschutzkonto erkundigt und brauchten Hilfe beim Ausfüllen der notwendigen Bescheinigung. (…) Die künftige Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Welskop-Deffaa, forderte darum Ausgleichsmaßnahmen wie eine Klimaprämie: „Wir fordern von der Ampelkoalition nicht nur eine auskömmliche Finanzierung der Schuldnerberatung und eine Fortführung der kostenlosen Energieberatung für einkommensschwache Haushalte.“ Auch die Nachfrage von Solo-Selbstständigen und Personen in Kurzarbeit stieg teilweise deutlich um über 40 Prozent an. Diakonie und Caritas fordern darum, den Zugang zur gemeinnützigen Schuldnerberatung auszuweiten, etwa für Erwerbstätige und Solo-Selbständige…“ Meldung vom 27. Oktober 2021 bei tagesschau.de externer Link
  • [Zitat zum Thema] Folgen von Corona
    Inzwischen ist erwiesen, dass Corona gerecht ist, weil alle gleichermaßen profitieren: Reiche werden reicher, und Arme ärmer.“ Aus Deutscher Einheit(z)-Textdienst externer Link 3/21 von Werner Lutz
  • Sars-CoV-2 ist kein Ungleichheitsvirus – Ungerecht ist nicht das Virus, sondern eine Klassengesellschaft 
    Das neuartige Coronavirus ist kein sozialer Spaltpilz, wiewohl es manchem Beobachter schien, als habe die Pandemie das Land innerlich zerrissen. Zwar hat sich die soziale Ungleichheit infolge der Pandemie weltweit zum Teil drastisch verschärft, wie die Studie „Das Ungleichheitsvirus“ der internationalen Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam belegte. Trotz ihres missverständlichen Titels ist es jedoch falsch, Sars-CoV-2 dafür verantwortlich zu machen. Denn vor diesem Coronavirus sind, was seine Infektiosität betrifft, alle Erwachsenen, Kinder und Jugendlichen gleich. Nur weil sich deren Gesundheitszustand, Lebensbedingungen sowie Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse der Bevölkerungsschichten stark voneinander unterscheiden, sind auch die Infektionsrisiken sehr ungleich verteilt. Naomi Bader und Christina Berndt wiesen zusammen mit vier Koautoren in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (v. 5.3.2021) unter dem Titel Das ungerechte Virus darauf hin, dass es die meisten Bundesländer versäumt haben, die sozialen Auswirkungen der Pandemie auf unterschiedliche Bevölkerungsschichten zu analysieren und daraus Konsequenzen für den Schutz besonders gefährdeter Personengruppen zu ziehen. Ungerecht ist also gar nicht das Virus selbst, sondern eine Klassengesellschaft, deren Mitglieder es ganz unterschiedlich trifft. Unter den bestehenden Eigentumsverhältnissen, Machtstrukturen und Verteilungsmechanismen wirkte es als Katalysator des sozioökonomischen Polarisierungsprozesses, der das Land spaltet, was einen Großteil seiner Bewohner:innen wiederum zermürbt und gesundheitlich verschleißt…“ Artikel von Christoph Butterwegge vom 18. August 2021 bei Telepolis externer Link – ein Auszug aus dem Buch „Kinder der Ungleichheit. Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt“ , siehe auch das Interview mit Ihm:

    • „Am härtesten trifft Covid-19 die Immun- und die Finanzschwächsten“
      Der Politikwissenschaftler und Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge über die sozialen Folgen der Corona-Pandemie, den Neoliberalismus und Inzidenzzahlen in Villenvierteln…“ Interview von Harald Neuber vom 18. August 2021 bei Telepolis externer Link
  • Von oben herab behandeln. Viele Arme haben schlechte Erfahrungen mit Ärzten gemacht – daher ihre Impfskepsis 
    „… „Die Impfungen“, sagt der Arzt und nimmt einen Schluck Kaffee, „habe ich im Wesentlichen als eine Veranstaltung für die deutsche Mittelschicht wahrgenommen. Vor allem in der Anfangsphase, in den Impfzentren.“ Michael Janssen ist Hausarzt, betreibt seit 20 Jahren eine Praxis in Berlin-Neukölln – mit Patienten aus ärmeren Verhältnissen hat er viel zu tun. Normalerweise. Bei den Impfungen ist ihm aufgefallen, dass jemand fehlt, schon zu Anfang: ältere Menschen aus der italienischen oder türkischen ersten Generation der Arbeitsmigration etwa, und ärmere, bildungsferne Ältere: „Obwohl sie ja alle ein Schreiben bekommen haben, genau wie die deutschstämmigen Älteren aus der Ober- und Mittelschicht.“ (…) Die Universität Mainz macht ein Gefälle zwischen sozial Benachteiligten und Bessergestellten aus, sowohl beim Impfstatus als auch bei der Impfbereitschaft. Studien aus Großbritannien verwiesen bereits Anfang des Jahres auf eine Impfskepsis von bis zu 72 Prozent unter Minderheiten und in ärmeren Communitys. Mitte Juli veröffentlichte die Universität Oxford Zahlen, nach denen die Impfabdeckung bei Weißen um 20 Prozent höher als bei Schwarzen lag. „Ja, wer ruft denn an und erkundigt sich nach freien Impfterminen, wer schreibt E-Mails und lässt sich auf Listen setzen?“, fragt Michael Janssen. In seiner Praxis bietet er Substitution für Heroinabhängige an, ist viel mit Patienten in Kontakt, die es nicht so leicht haben (…) Wer in der Gesellschaft wenig Geld und Status hat, geht sogar öfter zum Hausarzt als Akademiker – bei Fachärzten dreht sich dieses Verhältnis um, das weiß Benjamin Wachtler zu berichten. Der Mediziner forscht zu „Public Health“, was übersetzt „Volksgesundheit“ heißt, in Deutschland aber nicht mehr gerne so genannt wird. Eigentlich forscht Wachtler zu Vertrauen: zu der Frage, wie die Gesundheit zu den Menschen kommen kann, die nicht zu ihr kommen. Viele ärmere Menschen, sagt er, „haben keine guten Erfahrungen mit staatlichen Institutionen oder Ärzten gemacht, sind auf Sprachbarrieren gestoßen oder auf Diskriminierung, sie haben Probleme mit Aufenthaltspapieren oder mit der Krankenkasse“. So sei ein Misstrauen entstanden, das sich jetzt auch in Impfskepsis äußere: „Vertrauen ist keine individuelle Frage, sondern eine der sozialen Erfahrung.“…“ Artikel von Elsa Koester vom 6.08.2021 im Freitag online externer Link Ausgabe 31/2021: Zu Besuch in einer Praxis in Berlin-Neukölln
  • HBS-Erwerbspersonenbefragung im Corona-Sommer 2021: Sorgen um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und eine steigende soziale Ungleichheit
    „Viele Erwerbstätige in Deutschland durchleben den zweiten Corona-Sommer mit äußerst gemischten Gefühlen. Das zeigt die neueste Welle der repräsentativen Erwerbspersonenbefragung, die die Hans-Böckler-Stiftung seit Frühjahr 2020 durchführt. Einerseits fürchteten im Juli 2021 weniger Menschen als im Winter 2020, wegen der Pandemie ihre Arbeit zu verlieren. Die Quote ist von 13 Prozent im November 2020 auf acht Prozent gesunken. Der Anteil derer, die die aktuelle Situation familiär, finanziell oder an ihrem Arbeitsplatz als belastend empfinden, ist ebenfalls in den vergangenen Monaten zurückgegangen und hat sich auf dem Niveau des Sommers 2020 eingependelt (…). Andererseits ist die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Politik stark gestiegen. 59 Prozent der im Juli Befragten äußerten sich unzufrieden über die aktuelle Anti-Krisenpolitik der Bundesregierung. Und fast unverändert jeweils knapp 90 Prozent der Befragten machen sich Sorgen um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und eine steigende soziale Ungleichheit. (… )Betrachtet man die Zahl der Ungeimpften in Relation zur Gesamtzahl der Erwerbspersonen, kann davon ausgegangen werden, dass bisher etwa fünf Prozent der Erwerbspersonen noch nicht geimpft wurden, obwohl sie dazu bereit wären. Weitere sechs Prozent wollen sich „eher nicht“ impfen lassen und etwa sieben Prozent lehnen eine Impfung entschieden ab. Schaut man sich die Verteilung der Gruppen nach Einkommen an, so stellt sich heraus, dass bislang ungeimpfte Impfwillige häufiger in niedrigen Einkommensgruppen zu finden sind (…) Trotz weitgehender Öffnung von Schulen und Kitas nach Ende des Lockdowns sind die geschlechtsspezifischen Differenzen bei der Kinderbetreuung weiter sehr groß. Der schon vor der Pandemie große Unterschied zwischen Frauen und Männern scheint sogar gewachsen zu sein. (…) „Offensichtlich war der im Frühling und Sommer letzten Jahres beobachtete Anstieg beim Anteil der Männer, die den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung übernehmen, ein kurzfristiger Effekt, der vermutlich auf die Kurzarbeit zurückzuführen ist“, analysiert die Soziologin Kohlrausch. „Es zeichnet sich somit kein Trend ab, wonach Männer dauerhaft mehr Verantwortung für die Kinderbetreuung übernehmen. Die Hauptlast hier lag und liegt während der Krise bei den Frauen.“ (…) Die Zahl der Personen, die im Homeoffice arbeiten, ist mit dem Auslaufen der Verpflichtung für Arbeitgeber, Homeoffice wo immer möglich anzubieten, deutlich zurückgegangen…“ Pressemitteilung vom 3. August 2021 von und bei der Hans-Böckler-Stiftung externer Link
  • WSI: Geringverdienende geraten bei Impfungen ins Hintertreffen – Impfungen am Arbeitsplatz wichtiger Baustein für die Impfkampagne 
    „Trotz der jüngsten Fortschritte bei den Corona-Impfungen warten viele Beschäftigte noch immer auf ihre Erstimpfung oder einen Impftermin. Besonders ins Hintertreffen sind dabei Personen mit geringem sozio-ökonomischen Status geraten: Unter Geringverdienenden im untersten Fünftel der Lohnverteilung (1. Quintil) gaben im Juni 2021 nur 49 Prozent der Befragten an, schon mindestens ihre erste Impfdosis erhalten zu haben – verglichen mit 71 Prozent unter Besserverdienenden im obersten Fünftel (…). Insgesamt gaben 59 Prozent der Befragten an, zumindest eine Impfdosis erhalten zu haben; 27 Prozent waren vollständig geimpft. Das ist das Ergebnis einer Befragung des Portals Lohnspiegel.de, an der sich im Juni 2021 mehr als 4.500 Beschäftigte beteiligt haben. Lohnspiegel.de wird vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung wissenschaftlich betreut. (…) Unter den Ungeimpften mit geringen Löhnen sind auch viele Beschäftigte, die am Anfang der Pandemie als Heldinnen und Helden der Corona-Krise gefeiert wurden. Dazu zählen die besonders exponierten Verkaufsberufe: Nur gut die Hälfte der dort beschäftigten Befragten (52 Prozent) gab an, bereits mindestens einmal geimpft zu sein. Nach der Coronavirus-Impfverordnung sollten Beschäftigte im Lebensmitteleinzelhandel eigentlich bevorzugt geimpft werden. „Wegen der Aufhebung der Impfpriorisierung sind viele Beschäftigte aus der Prioritätsgruppe 3, in die eine Tätigkeit im Lebensmitteleinzelhandel fiel, aber nicht mehr zum Zuge gekommen. Jetzt finden sich etliche davon offenbar im Dschungel um die Terminvergabe nicht zurecht“, erläutert Zucco. Deutliche höhere Impfquoten gibt es unter den Befragten aus den medizinischen Gesundheitsberufen (81 Prozent) und dem Bereich Erziehung und Soziales (74 Prozent), die überwiegend zu den Prioritätsgruppen 1 und 2 zählten…“ Pressemitteilung vom 7. Juli 2021 der Hans-Böckler-Stiftung externer Link zur aktuellen Auswertung
  • Die Corona-Pandemie hat soziale Verwerfungen offenbart. So etwa, dass viele nicht einmal für wenige Wochen ohne die Regeleinkünfte auskommen  Die von wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen begleitete Covid-19-Pandemie hat das Phänomen der Ungleichheit zwar nicht hervorgebracht, aber deutlicher sichtbar gemacht und weiter verschärft. Weil die Pandemie als ökonomischer, sozialer und politischer Spaltpilz wirkte, legte sie auch lange verschüttete Klassenstrukturen offen. Wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erkennbar, dass trotz eines verhältnismäßig hohen Lebens- und Sozialstandards des Landes im Weltmaßstab sowie entgegen allen Beteuerungen der politisch Verantwortlichen, die Bundesrepublik sei eine „klassenlose“ Gesellschaft mit gesicherter Wohlständigkeit all ihrer Mitglieder, ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal für wenige Wochen ohne seine ungeschmälerten Regeleinkünfte auskommt. Letztlich ist die soziale bzw. sozioökonomische Ungleichheit der Gegenwart nur unter Rückgriff auf die analytische Schlüsselkategorie der Klasse zu verstehen. Denn sie bildet ein Strukturelement jener Klassengesellschaft, in der wir leben…“ Artikel von Christoph Butterwegge vom 22. Juni 2021 bei Telepolis externer Link: Ungleichheit als Strukturelement der Klassengesellschaft
  • Ungleiche Lebenslagen in der Pandemie. Report: Einschränkungen von Grundrechten treffen ohnehin benachteiligte soziale Gruppen  „»Einschränkungen von Grundrechten treffen meist die schwächsten und vulnerabelsten Gruppen in unserer Gesellschaft.« Die Worte der Integrationsforscherin Naika Foroutan bei der Vorstellung des neuen Grundrechtereports am Mittwochvormittag in Berlin sind deutlich. Die Coronakrise habe laut der Wissenschaftlerin die schon bestehende gesellschaftliche Ungleichheit sichtbarer gemacht. Dazu habe sie vor allem aber die Gruppen getroffen, die ohnehin schlecht geschützt seien. »Besonders Frauen und migrantische Gruppen sind von den Grundrechtseinschränkungen der Pandemie betroffen«, betonte Foroutan. Auch klassenspezifisch habe es Unterschiede gegeben. Insgesamt seien Freiheiten und Rechte in der Pandemie sehr ungleich verteilt gewesen. »Ungleiche Rechte spiegeln daher auch den strukturellen Rassismus in diesem Land«, so die Forscherin der Berliner Humboldt-Universität…“ Artikel von Sebastian Bähr vom 26.05.2021 im ND online externer Link – siehe zum Hintergrund Grundrechte-Report 2021: „Ungleiche (Un-)Freiheiten in der Pandemie“
  • Fallzahlen in deutschen Städten: Wie das Geld bestimmt, wer sich mit Corona infiziert 
    „“Armut macht krank“ – das gilt bereits für viele Krankheiten in Deutschland. Vor einer hohen Gefährdung von Menschen mit niedrigem Einkommen warnen Experten auch in der Corona-Krise seit Langem. Doch die Datenlage ist bisher schwach, die zu untersuchenden Faktoren sind divers, Langzeitbetrachtungen vonnöten. Jetzt liegen in mehreren Städten Daten vor, die einen Zusammenhang zwischen Wohnort, sozioökonomischen Einflüssen und der Infektionsrate belegen oder zumindest nahelegen. „Die Zahlen aus Städten wie Bremen, Hamburg, Berlin, Köln decken sich mit denen, die wir in vielen Studien weltweit sehen: Regionen mit vielen Einwohnern, die wenig verdienen, haben konsistent höhere Infektionszahlen“, sagt Nico Dragano, Professor für Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, im Gespräch mit t-online. „Das fügt sich in ein Bild, das immer konkreter wird.“ (…) In Stadtteilen mit geringem Einkommen steckten sich zum Teil bis zu sechs Mal mehr Bewohner an als in Stadtteilen, in denen die Bewohner mehr Geld haben. (…) Die unklare Datenlage ist für den medizinischen Soziologen Nico Dragano derzeit eines der größten Probleme in Deutschland. „Städte sollten das Problem erst einmal zur Kenntnis nehmen und messen“, sagt er. „Die notwendigen Daten erheben noch bei Weitem nicht alle Gemeinden und Kreise.“ Erst dann könne man Auffälligkeiten aufzeigen, Probleme klären und vor Ort intervenieren. Die Tendenzen, die erste Städte nun in ihren Daten zeigen und offen thematisieren, überraschen Dragano nicht. Sie bestätigen vielmehr seine Erwartungen und Ergebnisse internationaler Studien. Die genauen Gründe, warum besonders ärmere Viertel so betroffen sind, seien noch nicht vollständig bekannt. Klar sei aber schon jetzt: Ein ganzes Bündel an Faktoren habe Einfluss auf diese Entwicklung. „Menschen, die wenig Geld haben, leben oft mit mehreren Leuten in kleineren Wohnungen in engeren Stadtvierteln. Das erhöht das Infektionsrisiko“, erklärt Dragano im Gespräch mit t-online. „Sie arbeiten außerdem öfters in einfachen, schlecht bezahlten Jobs, in denen sie häufiger in Präsenz arbeiten und viele Kontakte haben müssen.“ Das sei beispielsweise bei Produktionshelfern in den Werkhallen so, bei Busfahrern, aber auch bei Altenpflegekräften. Das Homeoffice stehe hingegen vor allem den akademischen Berufen offen. Und auch Gesundheitsbildung spiele eine Rolle – Menschen mit niedriger Bildung falle es zum Teil schwerer, Informationen zur Pandemie zu finden und zu verstehen. (…) Um das zu verhindern, fordert Dragano neben mehr Untersuchungen besonders in diesen Vierteln bei der Impfkampagne über die Hausärzte zu steuern. Die Hausärzte lassen sich zwar oft lieber und vermehrt in den wohlhabenderen Vierteln nieder, in einkommensschwachen Gegenden ist die Dichte der Praxen häufig nicht besonders hoch. Aber: „Viele Menschen mit wenig Geld sind wegen Vorerkrankungen ohnehin beim Hausarzt in Behandlung“, sagt Dragano. Die Allgemeinmedizin sei zur Aufklärung und „unbürokratischen Hilfe“ in ärmeren Stadtteilen deswegen ein guter Ort. Außerdem sollten Städte die Impfungen in diesen Regionen intensivieren, schlägt Dragano vor. „Das kann durch eine Erhöhung der Impfdosen passieren, aber auch durch intensive Aufklärung.“ Sein einfacher Rat: „Wo es besonders viele Infektionen gibt, sollte man es den Leuten besonders leicht machen.“…“ Artikel von Annika Leister vom 28.04.2021 bei t-online externer Link – von „Brennpunktvierteln“ sollte aber wirklich nicht gesprochen werden! Siehe dazu auch:

    • Die einen wollen nicht mehr genau hinschauen, die anderen mobile Impfteams in „Hochhaus-Siedlungen“ schicken. Das Ungleichheitsvirus ist angekommen in der impfpolitischen Debatte. Aber zu spät?
      „»Die Stadt München hat entschieden, künftig nicht mehr aufzuschlüsseln, aus welchen Vierteln besonders viele Corona-Neuinfektionen gemeldet werden. Hintergrund sind Befürchtungen, die Menschen dort könnten stigmatisiert werden. Köln geht einen anderen Weg – und wird Menschen zum Beispiel in Hochhaussiedlungen bald bevorzugt impfen«, kann man einer Meldung externer Link des Deutschlandfunks entnehmen. Erneut ein Beispiel für das föderale Durcheinander? Selbst im angesprochenen Freistaat Bayern gibt es offensichtlich keine eindeutige Linie: »Während Nürnberg die „Problemviertel“ im Auge hat, verzichtet München darauf«, so dieser Beitrag: Hohe Inzidenzen in „Problemvierteln“: Keine Zahlen in München externer Link. (…) Man kann die Augen natürlich verschließen vor der ungleichen Verteilung. Man kann aber auch genauer hinschauen, nicht um zu stigmatisieren, sondern um eine gezielte Pandemiebekämpfung vornehmen zu können. »In Städten wie Hamburg hat die Auswertung des Wohnorts der Infizierten anhand von Daten der Sozialämter dagegen gezeigt, dass sich in sozial schwächeren Gegenden wohnende Menschen bis zu sechs Mal häufiger mit Corona infizierten als andere. Auch Nürnberg verzeichnet deutlich höhere Infektionszahlen in sozial angespannten Quartieren, was auch mit dem vorhandenen Wohnraum zusammenhängt.« Der wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters, Christian Karagiannidis, wird mit diese Worten zitiert: „Auf den Intensivstationen liegen überdurchschnittlich viele Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten, Menschen mit Migrationshintergrund und sozial Benachteiligte“ … „Um diese Menschen besser zu schützen und die Intensivstationen zu entlasten, sollten alle Bürgermeister und Gesundheitsämter mobile Impfteams in die sozialen Brennpunkte ihrer Städte schicken. Das würde eine Menge bringen …, (so) Karagiannidis, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) ist. Und das wird zunehmend von einigen aufgegriffen (…) Wenn man in diesen Tagen die Berichterstattung durchforstet, dann kann man zu dem Eindruck gelangen, dass das mit der ungleichen Verteilung des Virus in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Lebenslagen irgendwie erst seit kurzem präsentiert worden ist und nun darauf reagiert wird. Dem ist natürlich nicht so. Seit Monaten wird über entsprechende Befunde aus der Wissenschaft hingewiesen und sich daraus – eigentlich – ergebende Konsequenzen diskutiert. (…) »Betroffen sind vor allem Leute, die in exponierten Bereichen wie beispielsweise in einer Fabrik oder als Pflegekraft arbeiten. Auch Familien, die mit mehreren Generationen in einem Haushalt leben, sich ein Bad teilen und kein eigenes Zimmer haben, in dem sie sich isolieren können«, sagt Çelik. Es sei nicht der Migrationshintergrund, der die Menschen krank mache. »Armut macht krank.« (…) Insofern wird eher über kurz als über lang die Impfreihenfolge, die sowieso schon täglich löchriger wird, aufgehoben werden. Das würde aber auch bedeuten, dass diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer über eine höhere Artikulationsfähigkeit verfügen, die bessere Netzwerke haben, die über zahlreiche Verbindungen verfügen, sich auch schneller Zugang zu Impfungen verschaffen werden. Andere bleiben dann auf der Strecke…“ Beitrag von Stefan Sell vom 30. April 2021 auf seinem Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ externer Link, siehe auch die Meldung zuvor:
  • RKI-Studien: Deshalb erkranken und sterben sozial Benachteiligte häufiger an Covid-19 
    „… „Das Virus eint alle, vor dem Virus sind alle gleich“, sagte der Psychologe Stephan Grünewald aus dem Corona-Expertenrat von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet vor rund einem Jahr – und meinte damit auch, dass jeder den gleichen Verzicht üben müsse. Der Satz wurde zu Beginn der Pandemie zu einem Mantra der Solidarität, des „Wir stecken hier zusammen drin“. Nach 13 Monaten Corona zeigt sich: Der Satz ist nicht gut gealtert. Auch in Deutschland spielt der soziale Status eine Rolle dabei, ob man die Pandemie überlebt – und wie hoch das eigene Infektionsrisiko ist. Das zeigen Ergebnisse aus zwei Studien des Robert Koch-Instituts (RKI). Sozialverbände fordern, ärmere Menschen besser vor dem Virus zu schützen. (…) „In Regionen, wo Menschen überproportional an Armut leiden, ist das Risiko, an Corona zu sterben, um 50 bis 70 Prozent höher“, kommentiert Verena Bentele die Studien. (…) Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands (der Paritätische), überrascht das nicht. „Je ärmer die Menschen sind, desto weniger Möglichkeiten haben sie, sich vor dem Virus zu schützen.“ Das fange beim Thema Wohnen an und gehe bei der Arbeit weiter. „Menschen bei der Wach- und Schließgesellschaft oder von einer Reinigungsfirma müssen nicht nur vor Ort sein, sondern fahren meistens auch in der U-Bahn gequetscht zur Arbeit und nicht im eigenen Pkw. Sie tragen ein höheres Risiko, sich anzustecken“, sagt Schneider. „Das ist eine klare Sache des Geldes.“ Vorerkrankungen sind eine weiterer Risikofaktor, den sowohl die Forschenden als auch VdK-Präsidentin Bentele und Schneider betonen. „Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Armut, Covid-Krankheitsverlauf und Vorerkrankung“, sagt Schneider. Ärmere Menschen litten häufiger an Vorerkrankungen, die auch einen Einfluss darauf haben, wie schlimm sie an Covid-19 erkrankten. (…) Benachteiligte Bevölkerungsgruppen „sollten bei der Weiterentwicklung von Infektionsschutzmaßnahmen verstärkt berücksichtigt werden, um die gesundheitliche Chancengleichheit in der Covid-19-Pandemie und darüber hinaus zu fördern“, bilanzieren die RKI-Forscher in ihrer Studie. Der Paritätische und der VdK fordern seit Monaten 100 Euro im Monat extra für Sozialhilfeempfänger für FFP2-Masken und Desinfektionsmittel. Derzeit sind laut Schneider im Hartz-IV-Satz weniger als 5 Euro für Hygieneartikel vorgesehen…“ Beitrag von Nadine Wolter vom 17. April 2021 beim RND externer Link

  • Soziale Unterschiede [Nachteile!] in der COVID-19-Sterblichkeit – höhere Sterblichkeitsrate von 50 bis 70% / Häufung von Corona bei Migranten hat soziale Ursachen 
    • Soziale Unterschiede in der COVID-19-Sterblichkeit während der zweiten Infektionswelle in Deutschland – höhere Sterblichkeitsrate von 50 bis 70%
      Während der zweiten Infektionswelle im Herbst und Winter 2020/2021 stieg die COVID-19-Sterblichkeit in Deutschland stark an und erreichte im Dezember und Januar einen Höchststand. Nach den Meldungen der Gesundheitsämter sind im Dezember und Januar mehr als 42.000 Personen, bei denen COVID-19 festgestellt wurde, verstorben. Davon waren etwa 90 Prozent im Alter von 70 Jahren und älter. Der Anstieg der COVID-19-Todesfälle fiel in sozial benachteiligten Regionen Deutschlands am stärksten aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Im Dezember und Januar lag die COVID-19-Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Regionen um rund 50 bis 70 Prozent höher als in Regionen mit geringer sozialer Benachteiligung…“ Kernaussagen der RKI-Meldung vom 16.03.2021 externer Link – siehe dazu auch:

      • Deutlich erhöhte Corona-Sterblichkeit bei sozial Benachteiligten
        Experten sehen Menschen im Niedriglohnsektor einer höheren Gefahr ausgesetzt, an Corona zu erkranken. Nun bestätigt auch das Robert-Koch-Institut eine höhere Sterblichkeitsrate – von 50 bis 70 Prozent…“ Meldung vom 16.03.2021 in der Welt online externer Link
    • [Soziologin Kohlenberger widerspricht „Bild“:] Häufung von Corona bei Migranten hat soziale Ursachen
      „Ein „Bild“-Bericht sorgte zunächst für Empörung, stellte sich später aber als unwahr heraus: Bis zu 90 Prozent aller Corona-Intensivpatienten seien Migranten. (…) Die Häufung von Corona-Infektionen bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte hängt einer Expertin zufolge mit dem sozialen Status der Betroffenen zusammen. Das häufigere Auftreten von Covid-19 bei Migranten sei nicht überraschend, sagte die Wiener Soziologin Judith Kohlenberger der „Berliner Zeitung“. Es gebe dafür sozio-ökonomische Gründe. „Viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten in systemerhaltenden Berufen, die im niedrig-qualifizierten Bereich angesiedelt sind, wo Homeoffice nicht möglich ist“, sagte die Forscherin der Wirtschaftsuniversität Wien. Als Beispiel nannte sie Menschen, die bei Reinigungs- und Lieferdiensten oder an Supermarktkassen arbeiten. „Ein niedriger sozio-ökonomischer Status ist ein Gesundheitsrisiko, denn Armut geht ganz massiv mit einer schlechteren Gesundheit einher. Wer reicher ist, ist statistisch gesehen gesünder“, betonte die Soziologin. (…) Im mittel- bis hochqualifizierten Bereich seien zudem auch in der Pflege sowie unter Ärzten Migranten überrepräsentiert. „In all diesen Berufen herrscht ein höheres Level an Exponiertheit und somit ein höheres Infektionsrisiko“, sagte Kohlenberger. (…) Die ursprüngliche Meldung von „Bild“ wurde in den sozialen Medien vielfach geteilt und von rechten und rechtsextremen Blogs und Portalen aufgegriffen.“ Beitrag vom 17. März 2021 von und bei MiGAZIN externer Link

  • Coronakrise verschärft Spaltung zwischen Arm und Reich: Geringverdiener und schlechter Qualifizierte leiden besonders unter der Pandemie
    Die Coronakrise trifft einem Bericht zufolge vor allem die unteren Einkommensschichten. Bis Ende August 2020 mussten bereits 15,5 Millionen Haushalte in Deutschland Einkommenseinbußen hinnehmen, wie die »Süddeutsche Zeitung« am Freitag unter Berufung auf den Entwurf des sechsten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung berichtete. Darunter zu leiden hätten vor allem Gering- und Normalverdiener. Bei einer Unterteilung der Bevölkerung in fünf gleich große Teile würden gut 30 Prozent der Befragten im untersten Teil von Problemen bei der Deckung der laufenden Ausgaben berichten, hieß es in dem Bericht. Besonders betroffen seien Selbstständige. Die mit der Pandemie verbundenen Einkommensrisiken seien in den unteren Einkommensbereichen größer, auch weil diese Menschen »wenig Rücklagen oder andere finanzielle Spielräume« haben. Auch auf dem Arbeitsmarkt trifft die Pandemie die Schwächeren in der Gesellschaft dem Bericht zufolge härter…“ Agenturmeldung vom 05.03.2021 im ND online externer Link
  • Soziale Ungleichheit in der Pandemie. Warum Deutsche weniger darüber wissen als Briten
    „Die Corona-Pandemie trifft die Armen härter als die Reichen. Darüber diskutiert man in Deutschland allerdings viel weniger als in Großbritannien oder den USA. In der Bundesrepublik hat die Vernachlässigung der ökonomischen Ungleichheit eine lange historische Tradition. m 19. Jahrhundert wussten die Zeitgenossen in mancher Hinsicht mehr über Epidemien als heute. Im Jahr 1867 tobte in Köln wieder einmal die Cholera – und bereits im darauf folgenden Jahr lag eine kartographische Analyse vor, in der alle rund fünfhundert Todesfälle auf dem Stadtplan eingezeichnet waren. Eine vergleichbare Seuchenkarte, welche die Sozialgeographie der Corona-Pandemie abbilden könnte, sucht man heute in Köln vergeblich. (…) Die fehlenden Karten sind nur ein Symptom für weitergehende Wissensdefizite. (…) Der Vergleich zu den USA und dem Vereinigten Königreich ist frappierend: Dort wurden die disproportionalen Effekte der Pandemie auf ethnische Minderheiten und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen längst auf breiter Basis erfasst. Das Problem der gesundheitlichen Ungleichheit war daher auch im politischen Diskurs deutlich präsenter. In den USA zeigten Studien, dass etwa doppelt so viele Schwarze wie Weiße an Covid-19 starben – ein Befund, der die Black-Lives-Matter-Proteste zusätzlich befeuerte.(…) Erst in den 1980er Jahren lebte die Debatte über die „Neue Armut“ in der Bundesrepublik auf, und es dauerte bis in die 2000er Jahre, bis auch die Einkommens- und Vermögensverteilung zu einem größeren gesellschaftlichen Thema wurde. Bekannte Gründe dafür lagen in dem tief verwurzelten Selbstbild der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ und dem Kontext des Kalten Krieges, der die Beschäftigung mit solchen Themen erschwerte. Wichtig war außerdem die sichtbare Wohlstandsentwicklung und das Narrativ des „Wirtschaftswunders“. (…) Weniger geläufig ist, dass der Erfolg dieser Narrative auch durch Nicht-Wissen bedingt war. Das sozialharmonische Bild der Mittelstandsgesellschaft wurde vom Soziologen Helmut Schelsky 1953 ohne breite statistische Grundlage formuliert. Und dass die Erträge des „Wirtschaftswunders“ lange vor allem bei den Top-Verdienern ankamen, zeigten erst spätere Analysen. Gewiss war die Ungleichheit während der Nachkriegsjahrzehnte vergleichsweise moderat ausgeprägt, doch der Trend zeigte nach oben. Heute wissen wir, dass schon in den 1970er Jahren die Einkommensanteile der oberen zehn Prozent über den europäischen Durchschnitt hinauswuchsen, während die unteren 50 Prozent abfielen. (…) Durch diese Vorgeschichte fehlte der Gesellschaft nicht nur präziseres Wissen, sondern auch statistische Literarizität bzw. Kompetenz. Die Kategorien, in denen die Welt heute über Ungleichheit spricht, wurden den Deutschen erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten geläufiger. (…) Die Art, wie Statistiken produziert und kommuniziert werden, sagt viel über die jeweilige Gesellschaft aus, und wenn statistische Transparenz fehlt, können bestehende Ungleichheitsregime kaum hinterfragt werden. Letzteres gehört zu den weniger bekannten Traditionen der „sozialen Marktwirtschaft“ in Deutschland. Die Erfahrung der Corona-Krise zeigt, wie weit diese in die Gegenwart reichen.“ Beitrag von Felix Römer vom 3. März 2021 bei ‚Geschichte der Gegenwart‘ externer Link (Schweiz)
  • Empfänger von Sozialleistungen brauchen Mittel für ausreichenden Infektionsschutz – jetzt [Muster]Anträge stellen! 
    „… Das Sozialgericht Karlsruhe hat entschieden, dass das Jobcenter wöchentlich 20 FFP2-Masken zur Verfügung stellen oder eine Geldleistung von 129 Euro im Monat zahlen muss (zum Urteil). Wir orientieren uns an diesem Urteil und rufen alle ALG II-Empfänger dazu auf, einen entsprechenden Antrag an das Jobcenter zu stellen und alle Grundsicherungs-Empfänger an die Sozialrathäuser. Da die Gefahr besteht, dass die Jobcenter den Antrag erst sehr spät bescheiden werden, die Epidemie-Lage aber bereits besteht, halten wir es für sinnvoll, eine Frist von einer Woche im Antrag zu setzen und falls diese ohne Bescheid verstrichen sein sollte oder abgelehnt wird, einen Eilantrag beim Sozialgericht zu stellen. Hintergrund für diesen Schritt ist das Versagen der Regierung, ALG II-Empfängern kostenlose FFP2-Masken zur Verfügung zu stellen. Die Krankenkassen sollen zwar Berechtigungsscheine für Bedürftige ausstellen und verschicken, das ist aber seit Wochen nicht geschehen. Zudem sind dabei nur 10 Masken vorgesehen, also eine unzureichende Anzahl…“ Der »Zusammen e.V.« hat am 17. Februar 2021 eine gute Zusammenfassung mit Musteranträgen verfasst externer Link
  • SG Karlsruhe: Jobcenter muss nach erfolgreichem Eilantrag zusätzlich zum Regelsatz entweder als Sachleistung wöchentlich 20 FFP2-Masken verschicken oder als Geldleistung hierfür monatlich weitere 129,- € zahlen 
    „Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe dem Eilantrag eines Arbeitsuchenden auf Gewährung eines im Epidemie-bedingten Einzelfall unabweisbaren Hygienebedarfs an FFP2-Masken bis zum Sommeranfang am 21.06.2021 stattgegeben. Die Kammer meint, ein besonderer Mehrbedarf an wöchentlich 20 FFP2-Masken sei glaubhaft gemacht. Ohne Mund-Nasen-Bedeckungen dieses Standards seien Empfänger:innen von Grundsicherungsleistungen in ihrem Grundrecht auf sozialen Teilhabe in unverhältnismäßiger Weise beschränkt. Nach drei Monaten Lockdown müssten Arbeitsuchende wieder am Gemeinschaftsleben in einer dem sozialen Existenzminimum entsprechenden Art und Weise teilnehmen können. Auf Alltagsmasken oder OP-Masken müssten sie sich nicht verweisen lassen. Diese seien für den Infektionsschutz vor SARS-Cov-2-haltigen Aerosolen in der Straßenbahn, im Supermarkt, im Treppenhaus, im Wartezimmer, in der Leichenhalle, etc. – auch angesichts der Virusvarianten – nicht gut genug geeignet. Wer bei der Verrichtung alltäglicher Erledigungen trotzdem lediglich eine OP-Maske gebrauche und einen Mitmenschen mit dem lebensgefährlichen Virus anstecke, schädige eine andere Person an der Gesundheit und verstoße gegen das gesetzliche Verbot gefährlicher Körperverletzungen. Dieses verbotswidrige Verhalten sei auch nicht allein deswegen außerhalb von Krankenhäusern oder Pflegeheimen erlaubt, weil die CoronaVO FFP2-Masken lediglich dort vorschreibe und andernorts OP-Masken genügen lasse. Die Anerkennung individueller Mehrbedarfe an FFP2-Masken diene nicht nur der Befriedigung privater Bedürfnisse. Sie bezwecke den Infektionsschutz der Allgemeinheit vor einer weiteren Verbreitung des Virus. Zur effektiven Abwehr dieser gesteigerten Ansteckungsgefahr müsse die Mehrbedarfsgewährung wöchentlich 20 FFP2-Masken umfassen. Dem Infektionsschutz werde ein Bärendienst erwiesen, falls nicht mindestens täglich eine neue Maske sowie durchschnittlich ca. zwei weitere neue Ersatz-FFP2-Masken bereitgestellt würden…“ Pressemeldung zum Kammerbeschluss SG Karlsruhe vom 11. Februar 2021, Az. S 12 AS 213/21 ER externer Link – mit 129 Euro/mtl. wäre dem oder der Betroffenen wohl mehr gedient, als mit 20 Masken pro Woche, den Infektionsschutz ist mehr als die Masken…
  • [E-Mail-Aktion von foodwatch u.a.] Corona trifft Arme extra hart – Soforthilfen jetzt! 
    Die Corona-Pandemie trifft die Armen besonders hart. Gesundes Essen ist ohnehin schon teurer und für Einkommensschwache oft nicht bezahlbar. Die Pandemie verstärkt dieses Problem: Sie führt zu weiteren Einkommensverlusten, Einrichtungen wie die Tafeln sind geschlossen, kostenlose Mittagessen in Schulen, Kitas oder Sozialeinrichtungen fallen weg. Beim Essen geht es nicht nur ums Sattwerden – wir dürfen es nicht hinnehmen, wenn sich Menschen in Deutschland eine gesunde Ernährung nicht leisten können! Denn wenn es an wichtigen Nährstoffen fehlt, wirkt sich das vor allem für Kinder aus armen Familien fatal auf ihre geistige und körperliche Entwicklung aus – sie werden ihrer Lebenschancen beraubt. Ein Kurswechsel ist nötig, erst recht, weil Corona Menschen in Armut besonders hart trifft. Wir fordern daher gemeinsam mit einem breiten Bündnis Soforthilfen – und zwar jetzt. Gesundheit darf nicht am fehlenden Geld scheitern: Unterstützen Sie jetzt unseren Eil-Appell an die Bundesregierung!…“ foodwatch hat die Aktion am 09. Februar 2021 externer Link gemeinsam mit 38 anderen Organisation gestartet
  • Corona-Hilfen: Warum der Staat kein Rettungspaket für Arme schnürt
    „… Es ist keine Überraschung, dass die Kombination Pandemie plus Kapitalismus diejenigen auf eine besondere Weise hart trifft, die wenig Geld haben. Aber so wenig verblüffend es ist, so skandalös ist es, dass Konzerne von der Bundesregierung lieb geschnürte Rettungspakete bekommen und Hartz-IV-Empfänger*innen nicht. Die offizielle Erklärung dafür lautet natürlich, dass Arbeitsplätze gerettet werden müssen. Die kapitalismuskritische Variante dieser Erklärung lautet, dass in Deutschland Menschenopfer gebracht werden, um Profite nicht zu gefährden. Wenn Lockdown-Maßnahmen so eingerichtet werden, dass es immer noch volle Großraumbüros und U-Bahnen gibt, dann bedeutet das nichts anderes, als dass das Wirtschaften der einen wichtiger ist als das Leben der anderen. Denn es kostet Geld, sich vor dem Virus zu schützen, und das heißt, dass Menschen mit wenig Geld besonders gefährdet sind. Und bevor irgendjemand hier mit »Es kostet ja wohl nichts, zu Hause zu bleiben« ankommt, muss man sagen: Natürlich kostet das was. Wer Angebote wie die Tafel genutzt hat, als das noch ging, muss jetzt mehr Geld für Lebensmittel ausgeben. Wer beim Einkaufen Vorräte anlegen will, muss mehr Geld auf einmal ausgeben können. Wer vorher zu Hause keinen WLAN-Anschluss hatte und Bibliotheken oder Internetcafés nutzte, muss nun eventuell den Anschluss zu Hause bezahlen. Wer zu Hause die Kinder unterrichten oder mehr als sonst unterhalten muss, braucht dafür Geräte und Materialien. Ein Bündnis von Sozialverbänden fordert deswegen die Anhebung der Regelsätze von Hartz IV und Altersgrundsicherung auf mindestens 600 Euro, außerdem weitere sofortige zusätzliche Unterstützung für arme Menschen. Arme Menschen – oder wie Politiker*innen gern sagen: »sozial schwache« Menschen, was absurd ist, denn Menschen mit wenig Geld sind nicht sozial schwach. Sozial schwach ist Politik, die Arbeitslose oder Menschen mit geringem Einkommen unten halten will. (…) Hartz IV ist schon ohne Pandemie ein System, das man ohne Weiteres als psychische Gewalt durch den Staat bezeichnen kann, mit Pandemie ist es noch schlimmer…“ Kolumne von Margarete Stokowski vom 26. Januar 2021 beim Spiegel online externer Link
  • Oxfams Studie zu sozialer Ungleichheit: Corona-Krise? Für die Reichsten ist sie schon vorbei – Warum die Wirtschaft demokratisiert werden muss 
    „Wie oft haben wir das gehört: Vor dem Virus sind wir alle gleich. Zumindest wirtschaftlich betrachtet ist leider das Gegenteil der Fall. Während alle über Krise reden, haben die Milliardäre dieser Welt wirtschaftliche Verluste bereits wieder wettgemacht. Die 10 reichsten von ihnen haben sogar trotz der Krise profitiert und satte Gewinne eingestrichen: Insgesamt sagenhafte 1,12 Billionen US-Dollar beträgt ihr Vermögen jetzt. Ein Anstieg um fast eine halbe Billion seit 2019 – das wäre mehr als genug, um die gesamte Weltbevölkerung gegen Covid-19 zu impfen. Die Ärmsten hingegen werden immer weiter abgehängt, wie unsere neue Studie „Das Ungleichheitsvirus“ zeigt. „Die Pandemie hat vielen deutlich gemacht, was wirklich wichtig ist und worauf wir in unserer Gesellschaft mehr Wert legen sollten. Wenn eine Pflegekraft in Deutschland über 156 Jahre arbeiten müsste, um auf das durchschnittliche Jahresgehalt eines CEO zu kommen – darf das sein?“ (Tobias Hauschild, Leiter des Teams „Soziale Gerechtigkeit“) (…) Wir brauchen eine demokratische Wirtschaft: Das bedeutet, dass Entscheidungsmacht breit geteilt wird, anstatt sie bei einigen wenigen zu konzentrieren. Es gilt: Keine demokratische Gesellschaft ohne demokratische Wirtschaft…“ Oxfam-Meldung vom 25. Januar 2021 externer Link zu Oxfams Bericht zu Covid-19-Auswirkungen „Das Ungleichheitsvirus“ vom Januar 2021 externer Link

  • Heils Bezugsscheine: Nach Kritik von Sozialverbänden an teurer Maskenpflicht: Bundesarbeitsminister will nun doch Pandemiezuschuss für Arme 
    Ohne medizinische Einwegmaske kommt ab jetzt niemand mehr in Busse, Bahnen und Geschäfte. Wieder einmal hatte die Bundesregierung den ärmeren Teil der Bevölkerung bei dem Beschluss nicht mitgedacht. Doch wer als Alleinstehender 17, als Partner 15 und als erwachsenes oder jugendliches Familienmitglied rund 13 Euro jeden Monat für die gesamte Körperpflege zur Verfügung hat, kann nicht einfach 20 Euro für wenige Tage Maskenvorrat ausgeben. Die Alternative wäre: weniger oder schlechter essen, die kaputten Schuhe weitertragen, das Jobcenter oder Sozialamt um ein Darlehen ersuchen. Bisher waren die Rufe der Sozialverbände nach einem Pandemiezuschuss für Ärmere an der Regierung abgeprallt. Nun, nach der Einführung der bußgeldbewehrten Pflicht, schwenkt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) um. So verkündete Heil in einer am Freitag veröffentlichten Videobotschaft seinen guten Willen. Man müsse schauen, wie man in der Pandemie mit den sozialen Unterschieden umgeht, sagte der Minister. Er sprach von einem »Krisenmodus« und »sozialen Sorgen«, die »vor allem Kinder, Ältere, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen und Langzeitarbeitslose« belasteten. Damit die Bevölkerung »sozial zusammen bleibt«, müsse bei einer Pflicht für medizinische Masken auch gesichert werden, dass Betroffene versorgt seien, so Heil. Man müsse ihnen wenigstens Bezugsscheine für die Produkte zur Verfügung stellen, welche Ältere bereits erhielten. Sein Programm: »Wir arbeiten mit Hochdruck an Konzepten für einen Coronazuschuss und wollen das so schnell wie möglich umsetzen.« Es geht dem SPD-Mann also speziell um den Erwerb von Einwegmasken, weniger um geschlossene Tafeln, fehlende Ausstattung für geforderte Heimbeschulung der Kinder, wegfallende kostenlose Schul- und Kitamahlzeiten, höheren Stromverbrauch für tägliches Kochen und so weiter...“ Artikel von Susan Bonath in der jungen Welt vom 25.01.2021 externer Link
  • [Monitor] Vergessen im Lockdown: Wie (un)gerecht sind die Corona-Maßnahmen? 
    Der Corona-Lockdown in Deutschland geht in die Verlängerung – und noch ist unklar, wie es in den Schulen weitergeht und wie lange Geschäfte, Gastronomie und Kulturbetriebe geschlossen bleiben. Trotz der verschärften Maßnahmen steigen die Zahlen der Infizierten und derjenigen, die an oder mit dem Corona-Virus sterben, weiter an. Gleichzeitig zeichnen sich immer mehr die dramatischen sozialen Folgen der Corona-Politik ab – vor allem für die Schwächsten in der Gesellschaft: Für tausende Obdachlose, Kinder aus ärmeren Familien, Solo-Selbständige und viele andere ist der verlängerte Lockdown längst zur Existenzfrage geworden. Während große Unternehmen mit Milliarden an staatlicher Hilfe rechnen können, gehen die sozial Benachteiligten oft leer aus. Dieser Corona-Winter zeigt, wer für die Politik als „systemrelevant“ gilt und wer nicht. Über mehrere Monate haben Autor*innen des ARD-/WDR-Magazins MONITOR Menschen in der Millionenstadt Köln durch den Corona-Winter begleitet. Der Film zeigt, was mit denen passiert, die durchs Raster fallen und die in der Pandemie auf der Strecke bleiben: eine siebenköpfige Familie, der die Einkünfte des Vaters wegbrechen, ein Obdachloser, der sich als Corona-Risikopatient nicht in die nächste Schlafstelle traut, eine Brennpunktschule, in der die Lehrer fürchten, den Kontakt zu ihren Schülern zu verlieren und ein Musikerpaar, das seit Monaten nicht mehr auftreten kann. Dabei wird deutlich: Die Corona-Politik verschärft die soziale Ungleichheit im Land.Film von Lara Straatmann, Andreas Maus und Jan Schmitt in der Monitor-Sendung am 14.01.2021 beim WDR externer Link
  • FFP2-Maskenpflicht: Zu arm für die Maske – Wie sich gegen eine Zwangsabgabe wehren? Vorschläge von Armin Kammrad 
    • FFP2-Maskenpflicht: Zu arm für die Maske
      „Keine drei Euro pro Monat stehen Menschen mit Hartz IV für medizinische Produkte zur Verfügung. Die in Bayern geplante FFP2-Maskenpflicht könnten sie sich kaum leisten. In Bayern sind FFP2-Masken ab kommender Woche in allen Geschäften sowie Bussen, U- und S-Bahnen Pflicht, das hat die Staatsregierung am Dienstag beschlossen. Während viele Mediziner und Virologen die FFP2-Maskenpflicht befürworten, immerhin schützen solche medizinischen Masken auch die Trägerin oder den Träger selbst, regt sich politisch viel Kritik an der Entscheidung. Denn unklar sind noch etliche Details – etwa, ob und wie die Einhaltung dieser neuen Pflicht kontrolliert werden soll, wie Verstöße geahndet werden und auch die Frage, wer sich die speziellen Masken eigentlich leisten soll, immerhin kostet eine Maske zum Beispiel in Onlineapotheken fast fünf Euro. Zwar hat die bayerische Regierung nach heftiger Kritik an dem Vorhaben am Mittwoch erklärt, zwei Millionen solcher FFP2-Masken für Bedürftige zur Verfügung zu stellen, aber viele Fragen sind noch unklar. Zudem können FFP2-Maske nicht beliebig lange getragen werden und auch nicht beliebig oft wiederverwendet werden wie die bisher üblichen Stoffmasken, wären das rein rechnerisch sechs Masken pro Grundsicherungsbezieher. Denn FFP2-Masken haben einen Luftfilter und enthalten Kunststoffteile, eine Reinigung ist sehr kompliziert. Daher dürfen aus Sicht des Robert-Koch-Instituts (RKI) solche Masken auch nur im Notfall wiederverwendet werden. Die nun zwei Millionen in Aussicht gestellten kostenlosen Masken dürften daher rasch aufgebraucht sein. Immerhin gibt es in Bayern allein knapp 300.000 Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher – jeder von ihnen würde also sechs bis sieben Masken erhalten. Und was ist mit all denen, die mit ihrem Einkommen knapp über dem Existenzminimum liegen? Sowohl die Linke als auch die SPD in Bayern hatten gefordert, dass mindestens Menschen, die Grundsicherung bekommen, kostenlose FFP2-Masken erhalten sollen – und zwar ohne ein Limit zu nennen. Denn Fakt ist: Wer Hartz IV bekommt, der kann sich die Masken mit dem aktuell geltenden Satz nicht leisten. Nur 0,59 Prozent des Regelsatzes sind für solche medizinischen Produkte ohne Rezept vorgesehen. Das sind aktuell 2,63 Euro pro Monat. Insgesamt stehen einem alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger im Monat 17,02 Euro für die gesamte Gesundheitspflege zu – das ist schon ohne Corona viel zu niedrig, kritisieren Sozialverbände wie etwa die Diakonie Bayern. Der Verband will aber auch grundsätzlich eine zusätzliche finanzielle Unterstützung für Ärmere in der Pandemie…“ Artikel von Tina Groll vom 13. Januar 2021 in der Zeit online externer Link
    • Arme sollen FFP2-Masken selbst kaufen
      Die Bundesregierung will Hartz-IV-Empfänger*innen nicht mit FFP2-Masken ausstatten, obwohl es in Bayern bereits eine Tragepflicht gibt. Betroffene müssten das Geld dafür an anderer Stelle sparen, hieß es. FFP2-Masken schützen anders als Stoffmasken nicht nur andere vor einer Infektion, sondern auch diejenigen, die sie tragen. Deswegen sind sie ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen die Coronapandemie – und in Bayern neuerdings sogar Pflicht beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Problem: Sie sind verhältnismäßig teuer, der Preis für eine Zehnerpackung liegt bei 30 Euro. Für Menschen mit wenig Geld ein teures Gut. Der Hartz-IV-Regelsatz sieht für „andere medizinische Leistungen“ gerade mal 2,50 Euro pro Monat vor, also nichtmal genug für eine Maske. Trotzdem will die Bundesregierung nicht aushelfen: Hartz-IV-Empfänger*innen müssten eigenverantwortlich mit ihrem Geld haushalten, sagte eine Sprecherin des Bundessozialministeriums am Mittwoch in der Bundespressekonferenz: „Dazu gehört auch, dass man höhere Ausgaben in einem Lebensbereich mit niedrigeren Ausgaben in einem anderen Lebensbereich ausgleichen muss.“ Lediglich angehörige von Risikogruppen erhalten von der Bundesregierung kostenlose FFP2-Masken. Obdachlose profitieren davon allerdings nicht, obwohl sie als Risikogruppen gelten…“ Artikel von Benjamin Laufer vom 14. Januar 2021 bei Hinz&Kunzt externer Link
    • Infos der Arbeitslosen-Selbsthilfe: Bezug von Hartz 4: Wird ein Sonderbedarf gewährt? externer Link
    • Siehe dazu die Petition „Kostenfreie und sichere FFP2-Masken für alle bayerischen Bürger*innen!“ externer Link bei change.org vom 13. Januar 2021 mit Bitte um Unterzeichnung
    • Wie sich gegen eine Zwangsabgabe wehren?
      Neben Petitionen geht es vor allem darum, sich im Streitfall dagegen zu wehren, wenn man/frau keine FFP2-Maske bekommt oder sich die finanziellen Aufwendungen nicht leisten kann. Der Ausschluss aus der Grundversorgung in den Geschäften und von der Teilnahme am öffentlichen Verkehr wegen fehlender FFP2-Maske, ist in jedem Fall ein unzulässiger verfassungswidriger Eingriff. Alternativ bliebe ein Busgeld, wozu jedoch zusagen ist, dass die Zugangssicherung zum erhöhten Schutz als Teil der Verantwortung des Verordnungsgebers zu betrachten ist.
      Was die Verfügbarkeit betrifft, muss diese zunächst unproblematisch und günstig sein. Niemand muss sich mit teuren und nur zeitaufwändig beschaffbaren Masken zufrieden geben. Was die Qualität betrifft, muss der Maximalstandard gewährleistet sein. Zur Qualität gehört aber auch der ausreichende Infektionsschutz, den der Verordnungsgeber mit den FFP2-Masken angeblich gerade anstrebt. Eine Beschränkung von Einkäufen, Fahrten usw. aufgrund von nicht ausreichend vorhandenen Masken, wäre eine rechtswidrige Zweckverfehlung.
      Hierzu gehört zunächst das richtige Tragen der FFP2-Maske, weil nur das den erklärten Schutzanspruch überhaupt genügen kann. Eine nicht richtig angelegte FFP2-Maske schützt nicht mehr als die gewöhnliche Alltagsmaske. Bezüglich Kosten ist jedoch auch die verfügbare Anzahl der Masken zentral. Die FFP2-Maske ist ein Einmalprodukt, was laut Virologen, höchsten ein paar Stunden getragen und nicht wiederverwendet werden kann (Desterilisierung in der Regel nicht möglich). Feuchte Masken, z.B. beim Warten vor dem Laden bei Schnee oder Regen, müssen sogar beim Betreten des Ladens getauscht werden, weil bei Feuchtigkeit kein Schutz mehr besteht. Anders gesagt: Die epidemiologischem Sicherheitsstandards, auf die sich der Verordnungsgeber bei der FFP2-Maske gerade beruft, dürfen nicht unterschritten werden, ohne dass das Verordnungsziel verfehlt wird.
      Wichtig ist dieser Aspekt besonders bezüglich Kosten. Beispielsweise muss man bei den jetzigen Witterungsverhältnissen davon ausgehen, dass ein Einkauf oft mehr als eine FFP2-Maske erfordert. Abhängig von den Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Einkäufen, wird in der Regel von mindestens 4 FFP2-Masken pro Woche auszugehen sein. Ein Verzicht auf dringende Einkäufe oder Fahrten wegen schlechter Witterung (feuchte Maske ohne Schutzfunktion mehr), kann ebenfalls nicht als Verordnungsziel angenommen werden. D.h. bereits bei einem Maskenpreis von 3 Euro, beträgt der monatliche Mehrbedarf mindestens 36 Euro (bei 5 Euro pro Stück sogar 60 Euro). Damit ist klar, dass der Verordnungsgeber den deklarierten Gesundheitsschutz auch durch eine angemessene Finanzierung gewährleisten muss, damit das erklärte Ziel, überhaupt erreicht und nicht verfehlt wird.
      Für Unterstützungsberechtigte nach SGB II gab es hierzu bereits ein Urteil, nämlich des  Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 30. April 2020 (Az. L 7 AS 635/20). Den Antrag auf Kostenübernahme bzw. kostenloser Verfügstellung von Masken durch das Jobcenter, lehnte das Gericht auch mit der Begründung ab, dass für Hartz IV-Leistungsberechtigte selbst Alltagsmasken nicht erforderlich seien, weil alternativ Schals und Tücher verwendet werden könnten. Beim Zwang zu FFP2-Masken fällt diese Argument jedoch weg, weshalb das Urteil des LSG NRW nur so interpretiert werden kann, dass die Kosten für FFP2-Masken vom Jobcenter übernommen werden müssen, bzw. das Jobcenter diese zur Verfügung stellen muss. Dies sicherzustellen hat der bayerische Verordnungsgeber versäumt und kann für eigne Versäumnisse nicht andere durch Busgeld verantwortlichen machen. Ebenso ist die teilweise ins Gespräch gebrachte Kostenübernahme durch die Krankenkasse alleinige Klärungsverpflichtung des Verordnungsgebers VOR Einführung eines Busgelds. Und das betrifft nicht nur das SGB II. Mehr noch: Nach der Aufklärungspflicht von § 13 SGB I ist es nach dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes die Pflicht der verantwortlichen staatlichen Stellen, alles zu unternehmen, damit auch sozial Schwache ausreichend vor Infektion geschützt werden, z.B. durch Zusendung kostenloser FFP2-Masken und der dafür maßgeblichen Information.
      Es ist in sofern auch nicht unbedingt erforderlich, nun präventiv den Klageweg zu beschreiten. Empfehlenswert ist jedoch ein Nachweis für den Streitfall, dass man sich um Kostenübernahme z.B. durch das Jobcenter, aber auch um kostengünstige Qualitätsmasken bemüht hat. Hat man jedoch keine bzw. nur eine abschlägige Antwort des Jobcenters erhalten, ist ein Busgeld eindeutig rechtswidrig. Denn man hat sich selbst um etwas bemüht, was eigentlich im Verantwortungsbereich des Verordnungsgebers liegt. Will er tatsächlich besseren Infektionsschutz, muss er sich auch um die finanziellen und materiellen Voraussetzungen bemühen.“ Anmerkung von Armin Kammrad vom 14. Januar 2021 – wir danken!
  • Gegen Armut hilft kein Impfstoff – „Corona“ spaltet die Gesellschaft? Nein, dafür kann das Virus nun wirklich nichts
    „Was so ein kleines Virus alles anstellen soll: Jetzt ist „Corona“ auch noch schuld an der verstärkten Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Die Meldungen dazu häufen sich, gerade in der Weihnachtszeit. Dann drücken die Medien traditionell noch mehr auf die Tränendrüsen. Richtiger wird das damit allerdings nicht. Das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) aus Düsseldorf stellt in seinem „Verteilungsbericht 2020“ fest: „Die Einkommensungleichheit wird durch die Corona-Krise weiter verstärkt.“ (…) Ein nicht allzu überraschender Befund: Wer täglich von der Hand in den Mund lebt, keine bedeutenden Rücklagen bilden kann, und wem seine miese Einkommensquelle dann genommen wird – der hat ein existenzielles Problem. Diese Lage hat aber das Corona-Virus nicht erzeugt. Sondern es ist das Ergebnis des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit. Wer da auf der Arbeit-Seite steht, muss hoffen, vom Kapital beschäftigt zu werden. Bezahlt wird dann ein „Einkommen“, das nie die Höhe erreicht, sich vom Zwang zu befreien, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen. (…) Die Ratschläge des WSI zielen eben nicht auf eine Beseitigung von „Ungleichheit“. Ein bisschen weniger ungleich müsste reichen. (…) Was immer sich die Forscher darunter vorstellen, ihr Schluss daraus ist zynisch: Geben wir denen doch einfach eine bessere Mindestausstattung, dann werden die schon alles wieder gut finden. Zumindest in dem Maße, dass sie in ihrer Armut nicht unangenehm auffallen. Und den Wissenschaftlern bleibt mit Sicherheit ihr Forschungsgegenstand Ungleichheit erhalten. Arbeitslos werden die nicht. (…) Mit „Corona“ ist die Armut hierzulande nicht eingezogen. Sie war schon immer da – im Prinzip nämlich bei allen, die keine Mittel besitzen, ein profitables Geschäft aufzuziehen. Sie haben nur ihre Arbeitskraft, um an Geld zu kommen. Die Produktion in der kapitalistischen Wirtschaft basiert genau darauf: Dass es genügend Leute gibt, deren Mittellosigkeit sie zur abhängigen Beschäftigung zwingt. Wenn alles funktioniert, steht am Ende der Veranstaltung auf der einen Seite ein ordentlicher Gewinn für den Betrieb. Gegenüber zählt der Arbeitnehmer seine Euro und weiß: Morgen muss ich da wieder hin. Schlimmer: Hoffentlich darf ich da wieder hin. Ich habe ja sonst nichts. So wird es auch nach der Pandemie bleiben. Denn gegen Armut im Kapitalismus hilft kein Impfstoff…“ Beitrag von Björn Hendrig vom 25. Dezember 2020 bei Telepolis externer Link
  • Corona und soziale Folgen: »Das Leben ist wesentlich härter geworden« 
    „Arme Menschen kämpfen in der Corona-Pandemie mit zusätzlichen Kosten“, betont VdK-Präsidentin Verena Bentele im Interview von Jana-Sophie Brüntjen bei neues Deutschland am 14. Dezember 2020 externer Link: „… Zum einen haben sich die Lebenshaltungskosten zumindest phasenweise erhöht, weil zum Beispiel manches Obst und Gemüse teurer geworden ist. Dazu kommen die Sonderausgaben für Masken und Desinfektionsmittel. Das sind alles Kosten, die Menschen mit wenig Geld wie Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger oder Alleinerziehende große Löcher in die Haushaltskassen reißen. (…) Außerdem sind für die Risikogruppe der Älteren die Masken nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Größere finanzielle Probleme sind zum Beispiel, dass einige von ihnen einen Lieferservice für Lebensmittel bestellen müssen, wenn sie sich nicht in den Supermarkt trauen und ihnen niemand helfen kann. Oder dass sie mal ein Taxi zum Arzt nehmen, um nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu müssen. Auch für solche Fälle fordern wir die Aufstockung der Grundsicherung um 100 Euro. (…) Soziale Teilhabe hängt in Deutschland stark von den finanziellen Möglichkeiten ab. Das wurde in der Pandemie noch verstärkt. Kinder und Jugendliche aus Familien mit wenig Geld sind normalerweise über die Schule, die Kita oder den Sportverein sozial eingebunden. Wenn das wegfällt und keine digitale Technik da ist, können sie keinen Kontakt zu Freunden halten. (…) Für Erwachsene mit geringem Einkommen ist die soziale Teilhabe erschwert, weil sie kaum oder keine Austauschmöglichkeiten mehr haben. Verschiedene Unterstützungsstellen wie die Tafeln können nur eingeschränkt arbeiten. Die waren aber für viele zuverlässige Plattformen, um andere Menschen zu treffen. Dadurch, dass auch Erwachsenen die digitale Technik und teilweise auch digitale Kompetenzen fehlen, wird ihre Kommunikation noch weiter erschwert. Im Übrigen ist auch die Ernährung von Menschen mit wenig Geld dadurch schlechter und weniger ausgewogen geworden, dass die Tafeln nicht so operieren wie normalerweise. Das sind alles Aspekte, die zeigen, dass das Leben von Einkommensschwachen wesentlich härter geworden ist. (…) Wir müssen darüber sprechen, wie wir die soziale Absicherung in unserem Land gestalten wollen. Die Grundsicherung muss dringend verbessert werden. Und auch die Frage, dass Selbstständige sowie Beamtinnen und Beamte in die Sozialversicherungen einbezogen werden, müssen wir diskutieren.“
  • Die Krisengewinnler zur Gemeinschaftskasse, bitte! 
    „In den Krisenmonaten sind insbesondere die Einnahmen der ärmeren Hälfte der Deutschen eingebrochen. Bisher hat der Staat hier nur relativ wenig Hilfe angeboten. Es ist Zeit, dass die Krisengewinnler nun ihrerseits zur Solidarität aufgerufen werden (…) Aktuell löst der Staat viele wirtschaftliche Probleme der Krise durch eine massive Schuldenaufnahme. Die Frage stellt sich aber natürlich, wie die Kosten hierfür langfristig zu tragen und die zukünftigen Lasten zu verteilen sind. (…) Es haben jedoch nicht alle Deutschen Einbußen erlitten. (…) Betrachtet man die Gewinne der Milliardäre weltweit, ist das Ausmaß so gravierend, dass die New York Times und The Guardian dem Thema ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben. Beispielsweise konnten die US-Milliardäre ihr Vermögen in nur einem halben Jahr der Krise, die unzähligen Menschen Arbeit und finanzielle Sicherheit gekostet hat, um ein gutes Drittel vermehren: von 2,95 Billionen US-Dollar auf rund 4 Billionen US-Dollar. Als Erinnerung: Nach der Finanzkrise 2008 benötigten die US-Milliardäre drei Jahre, um sich von den Verlusten zu erholen. Jetzt hingegen herrscht in der schlimmsten Wirtschafskrise seit 1930er Jahre Goldgräberstimmung. (…) In einer Zeit, in der der Gesundheitsschutz im offiziellen politischen Diskurs eine derartige Präsenz hat, muss betont werden, dass Ungleichheit die menschliche Gesundheit nachweislich massiv beschädigt. Wenn also der Gesundheitsdiskurs kohärent sein soll, muss sich jede Partei der Frage der Ungleichheit beherzt annehmen. (…) Betrachtet man die gesundheitsschädlichen Auswirkungen massiver Ungleichheit und Armut in der aktuellen Krise, kann gar nicht oft genug wiederholt werden, dass die schwerste Last der Krise die ärmeren und benachteiligten Menschen in der Gesellschaft zu stemmen hatten und haben. (…) Wer also Gesundheit wirklich ernst nimmt (und nebenbei keine unüberbrückbare Ausweitung der Kluft zwischen Arm und Reich, aber auch ganz besonders zwischen einer deutlich polarisierten Gesellschaft akzeptieren möchte), muss dringend erkennen, dass eine wirklich sozialverträgliche und gemeinwohlfördernde Lösung gefunden werden muss. (…) Kurz: Es ist Zeit für einen zweiten Akt der Solidarität, über dessen konkrete Umsetzung ohne Scheuklappen und Tabu gesamtgesellschaftlich diskutiert werden muss.“ Beitrag von Andreas von Westphalen vom 9. Dezember 2020 bei Telepolis externer Link
  •  Spaltung als Programm. Hilfspakete des Staats bescheren Aktionären enorme Gewinne. Lohnabhängige bleiben im Regen stehen
    Geld ist genug da. Es ist nur in den falschen Händen. Die Privatvermögen in der Coronakrise steigen dank der üppigen Finanzhilfen vom Staat: Nach Angaben der Deutschen Bundesbank stieg das Geldvermögen der privaten Haushalte in Form von Bargeld, Wertpapieren, Bankeinlagen sowie Ansprüchen gegenüber Versicherungen auf den Rekordwert von rund 6,63 Billionen Euro. Das waren 253 Milliarden Euro oder vier Prozent mehr als im ersten Vierteljahr. Zu den 2,1 Millionen Einkommensmillionären in Deutschland haben sich, laut Zahlen der Credit Suisse, in diesem Jahr weitere 58.000 hinzugesellt. Die Lohnabhängigen werden hingegen im Regen stehengelassen. (…) Besonders die von der Regierung vielfach beschworene Kurzarbeit könne für betroffene Beschäftigte empfindliche Einbußen bedeuten. Niedriglöhnern biete die Maßnahme zu geringen Schutz. Denn sie »arbeiten seltener in tarifgebundenen, mitbestimmten Betrieben, sie haben also eine geringere Chance auf Aufstockungen. Und nur mit dem gesetzlichen Kurzarbeitergeld landen Niedrigverdienerinnen und Niedrigverdiener schnell unterhalb des Existenzminimums«, schreiben die Forscher. Das bleibt nicht ohne Folgen. Eine Sprecherin des Kinderschutzbunds sagte am vergangenen Freitag gegenüber jW, zwar gebe es noch keine verlässlichen Zahlen zu den tatsächlichen Auswirkungen der Coronapandemie auf die Situation in gewaltbelasteten Familien. »Wir befürchten allerdings, dass gerade in Familien, die in beengten Verhältnissen wohnen müssen und in denen zunehmend Ängste vor dem Jobverlust herrschen, der Druck im Kessel steigen könnte.«… Artikel von Simon Zeise in der jungen Welt vom 07.12.2020 externer Link
  • Ungleiche Verteilung der Lasten in der Corona-Pandemie: „Die“ Frauen als Verliererinnen in der Krise? Der Blick auf einige Studien aus den letzten Monaten
    „Um es gleich an den Anfang des Beitrags zu stellen und damit auch die Anführungszeichen in der Überschrift zu erläutern: Eine simple Gegenüberstellung von „die“ Frauen als Verliererinnen versus „die“ Männer als zumindest weniger bis kaum oder gar nicht negativ Betroffene wäre eine nicht zulässige Vereinfachung, mehr noch eine grobschlächtige, falsche Polarisierung, die sich auch in anderen Bereichen gesellschaftlich höchst umstrittener Debatten als nicht nur substanzlos, sondern kontraproduktiv erwiesen hat. Man denke hier an die Gegenüberstellung von „den“ jungen Menschen versus „den“ Alten (…) Letztendlich kann man an den genannten wenigen Beispielen erkennen, dass es oftmals ganz andere Ungleichheiten sind, die dann teilweise an den Merkmalen Geschlecht, Alter oder Lebensabschnitt gespiegelt werden, aber bei einer genaueren Inaugenscheinnahme erkennt man, dass die eigentlichen Ungleichheiten auch in den vermeintlich einheitlichen Gruppen stark variieren. Vor diesem Hintergrund schauen wir uns einmal Aussagen an, mit denen das Thema Frauen und die Folgen der Corona-Krise beschrieben werden: »Wir erleben eine entsetzliche Retraditionalisierung. Die Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen ist wie in alten Zeiten: eine Rolle zurück. Sie ist entsetzlich – sie entsetzt uns –, weil Frauen heute ganz andere Vorstellungen von ihrem Leben haben als früher.« Das sind Worte der Soziologin Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Das Zitat ist einem Beitrag entnommen, der im Mai 2020 veröffentlicht wurde – wobei hier hervorzuheben ist, dass es dabei (wie auch bei anderen Veröffentlichungen) um die Folgen der ersten Welle der Corona-Pandemie geht, also das, was im Frühjahr 2020 mit dem wochenlangen „härteren“ Lockdown (…) Mit Blick auf die Bedeutung der öffentlichen Infrastruktur in Form von Schulen und Kitas müssen wir für die zweite Welle zur Kenntnis nehmen, dass man offensichtlich die Flaschenhals-Funktion dieser Einrichtungen erkannt und insofern berücksichtigt hat, dass die Schulen und Kitas unbedingt offen gehalten (werden sollen). Das auch (und manche werden meinen vor allem) aufgrund der Tatsache, dass viele berufstätige Mütter ansonsten nicht mehr regulär zur Arbeit gehen könnten, denn der Urlaub ist aufgebraucht und die ansonsten privat organisierten Betreuungsarrangements, beispielsweise über die Großeltern, funktionieren in diesen Zeiten nicht mehr so wie früher oder eben gar nicht. Andere Stimmen im wissenschaftlichen Diskurs betonen lieber Aspekte wie das angeblich oder tatsächlich gefährdete Kindeswohl bei einem Lockdown, der auch die Bildungs- und Betreuungseinrichtungen betreffen würde – oder Bildungsökonomen melden sich zu Wort, die schwerwiegende Schäden an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und den lebenslangen Einkommensperspektiven der heutigen Kinder und Jugendlichen meinen beziffern zu können (…). Aber es ist sicher keine zu gewagte These, wenn man davon ausgeht, dass es vor allem darum geht, die Wirtschaft am Laufen zu halten und dafür braucht man die genannten Einrichtungen…“ Beitrag von Stefan Sell vom 6. Dezember 2020 auf seinem Blog Aktuelle Sozialpolitik externer Link
  • Vor Corona ist jeder (un)gleich. Der Verteilungsbericht 2020 des WSI und die Frage, was man hätte tun können/sollen, aber nicht getan hat 
    „… Dann kommt ein wichtiger Punkt: »Als wichtige Gründe für spürbare Einkommenseinbußen identifiziert das WSI neben dem Verlust von Umsätzen bei Selbständigen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes, der bislang vor allem prekär Beschäftigte betraf, Kurzarbeit. Diese sichert in der Krise zwar zahlreiche Jobs, kann für betroffene Beschäftigte aber empfindliche Einbußen bedeuten.« Die Betroffenheit von Kurzarbeit ist nicht gleichverteilt über die Einkommensgruppen, sondern es gibt gerade bei den unteren Einkommensgruppen einen überdurchschnittlichen Anteil der Beschäftigten, die in Kurzarbeit waren oder noch bzw. wieder sind. Nun sind die Kurzarbeitergeldleistungen als prozentualer Lohnersatz naturgemäß niedriger, wenn das zu ersetzende Lohneinkommen niedrig ist („Mit dem gesetzlichen Kurzarbeitergeld landen … Niedrigverdiener schnell unterhalb des Existenzminimums“). Problem- bzw. hier ungleichheitsverschärfend kommt hinzu: »So erhielten im Fall von Kurzarbeit im Durchschnitt 58 Prozent der Beschäftigten, die nach einem Tarifvertrag bezahlt wurden, eine Aufstockung. In Unternehmen ohne Tarifbindung waren es hingegen lediglich 34 Prozent.« Die Niedriglohnbezieher sind nun überdurchschnittlich stark vertreten in den Branchen und Unternehmen, die eine unterdurchschnittliche, zuweilen auch vollständig fehlende Tarifbindung aufweisen, während gerade die Arbeitnehmer mit überdurchschnittlichen Lohneinkommen, man denke hier an die Kernbelegschaften in der Industrie, im Regelfall von tarifvertraglich geregelten oder betrieblich zugestandenen Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes profitieren. Dieser im Verteilungsbericht 2020 beschriebene Tatbestand ist wichtig, um die dort vorgeschlagenen möglichen Maßnahmen, mit denen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich eingedämmt werden soll, einordnen zu können. Hier nur die vom WSI verschlagenen kurzfristigen Maßnahmen: Anhebung des Kurzarbeitergeldes, insbesondere für Beschäftigte mit Niedrigeinkommen.; Für den gesamten Zeitraum der Krise eine Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I.; Dauerhafte Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf ein „armutsfestes“ Niveau.; Mehr Qualifizierungsmöglichkeiten während der Kurzarbeit. Was soll man zu diesen nachvollziehbaren Forderungen sagen? Es handelt sich – im Lichte der tatsächlichen Regierungspolitik – um Wunschdenken, denn die drei handfesten ersten Punkte der Forderungslist sind nicht nur noch nicht umgesetzt – sie sind ausdrücklich und im Wissen um die damit verbundenen sozialpolitischen Bedarfe abgelehnt worden von den Unionsparteien und den Sozialdemokraten im Bundestag. (…)  Es hatte nicht sein sollen bzw. dürfen. Und das war eine bewusste politische Entscheidung der Union und auch der SPD, die sich ansonsten bemüht, ein anderes sozialpolitisches Image nach außen zu tragen. Nicht einmal einen befristeten Aufschlag auf die umstrittenen Sätze der Grundsicherung konnte (oder wollte?) man in der Koalition durchsetzen. Insofern sind die neuen Beschlüsse im Kontext des Beschäftigungssicherungsgesetzes, die eindeutig eine Unwucht zuungunsten der Arbeitnehmer mit eher niedrigen Einkommen sowie der in und durch die Krise arbeitslos gewordenen Menschen haben, nur folgerichtig und konsequent. Dass sich viele in die von oben verordnete Nicht-Berücksichtigung der schwächsten Glieder beispielsweise beim Kurzarbeitergeld fügen, kann man auch der Tatsache entnehmen, dass die im Rahmen der Anhörung zum Entwurf eines Beschäftigungssicherungsgesetzes vom DGB vorgelegte Stellungnahme (vgl. hierzu Materialien zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 16. November 2020, Ausschussdrucksache 19(11)864 vom 13.11.2020, S. 12-18) nicht einmal den Hinweis auf die nun auch im Verteilungsbericht 2020 des gewerkschaftsnahen WSI vorgetragene Forderung nach einer „Anhebung des Kurzarbeitergeldes, insbesondere für Beschäftigte mit Niedrigeinkommen“ enthält, den Frontabschnitt hat man offensichtlich schon längst aufgegeben.“ Beitrag von Stefan Sell vom 19. November 2020  auf seinem Blog Aktuelle Sozialpolitik externer Link zu Hans-Böckler-Stiftung: Corona-Krise verschärft Ungleichheit zwischen hohen und niedrigen Einkommen, auch Mitte droht zurückzufallen externer Link
  • Grenzen der Solidarität. COVID-19 und die Strukturen globaler sozialer Ungleichheit
    „… Dass die Corona-Solidarität […] eine exklusive, ausschließende ist, dass der soziale Zusammenhalt sich immer auch gegen etwas richtet, und zwar letztlich nicht etwa gegen das Virus als abstrakte, außersoziale Entität, sondern gegen andere, de facto als gegnerisch konstruierte Sozialeinheiten: Dieser Sachverhalt wird öffentlich kaum thematisiert. Entweder, weil er nicht der Rede wert zu sein scheint, weil es eben selbstverständlich, ja geradezu alternativlos erscheint, dass das „Wir“ des solidarischen Zusammenstehens ein begrenztes – genauer: ein national begrenztes – sein muss. Oder aber, weil es politisch aussichtslos, nicht opportun, im Zweifel sogar selbstschädigend anmutet, auf die soziale Problematik und sozialethische Fragwürdigkeit einer nationalstaatlich formatierten Solidarität hinzuweisen. Und doch gilt es, genau diese Problematik und Fragwürdigkeit hervorzuheben. Das Coronavirus verstärkt eben nicht nur im nationalgesellschaftlichen Kontext bestehende bzw. schafft neue Ungleichheiten zwischen ressourcenreichen und ressourcenarmen, gesicherten und prekären, mobilen und immobilen Personen, Haushalten und Sozialmilieus. Es produziert nicht nur multiple soziale Spaltungen in den reichen Gesellschaften des euroatlantischen Raums: Zwischen Soloselbstständigen und Beamten, oberen Mittelklassen und Dienstleistungsproletariat, Stamm- und Randbelegschaften, in den Produktionsstätten und im Homeoffice Tätigen, Haushalten mit und ohne Betreuungsbedarfen, großzügig und beengt Wohnenden, zwischen Männern und Frauen, Weißen und Schwarzen, Einheimischen und Migrant*innen usw. usf. Die COVID-19-Pandemie offenbart und verschärft insbesondere auch die zwischengesellschaftlichen Machtdifferentiale – schon innerhalb Europas und der Europäischen Union, mehr aber noch im globalen Zusammenhang. Gerade im Weltmaßstab ist das Virus nicht etwa – wie zu Beginn der Pandemie vielfach behauptet und auch heute noch allzu häufig unterstellt – der große Gleichmacher, sondern eine ungeheure Triebkraft sozialer Ungleichheit. (…) Das Strohfeuer der Solidarität, das Corona in den Öffentlichkeiten der reichen industriekapitalistischen Gesellschaften angefacht hat, ändert an diesen Zusammenhängen gar nichts. Eher im Gegenteil: Je enger diese Gesellschaften intern zusammenrücken, um so weiter driften reiche und arme Länder, Zentrum und Peripherie in ihrer ökonomischen Chancenstruktur und ihrer sozialen Kohäsionsfähigkeit auseinander. Diesen Sachverhalt zumindest zu thematisieren, idealerweise aber auch zu politisieren und zum Bezugspunkt sozialer Mobilisierung zu machen, wäre die ureigene Aufgabe einer sich als solidarisch verstehenden Gewerkschaftsbewegung. Hoch die internationale Solidarität: Womöglich noch nie, in jedem Fall aber schon lange nicht mehr, war diese Losung politisch so angemessen wie in Zeiten der Pandemie.“ Beitrag von Stephan Lessenich vom 9. November 2020 beim WSI-Blog ‚Work on Progress‘ externer Link
  • Pandemie zeigt die Grenzen der Demokratie: Die schon bestehende Ungleichheit der gesellschaftlichen Teilhabe werde durch die Corona-Pandemie verstärkt
    „… Wie verschärft die Corona-Pandemie auch die Ungleichheit in der Gesellschaft? Es gibt viele Menschen, die unter den Corona-Auflagen zu leiden haben – einige mehr als andere. So würden die bisher schon bestehenden und lange gewachsenen Ungleichheiten der gesellschaftlichen Teilhabe verstärkt, erklärte Stephan Lessenich. Er ist Professor für politische Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Es kämen vielleicht auch neue Ungleichheiten dazu: „Wir kennen die neuartige Rede von systemrelevanten Berufen, Berufsfeldern und Wirtschaftssektoren.“ (…) Dabei gehe es nicht nur um materiale Ungleichheiten wie Einkommen und Vermögen, sondern auch um Bildungs- und Gesundheitschancen – also der Möglichkeit, nicht zu erkranken und wenn man erkrankt ist, diese Erkrankung ohne dauerhafte Schädigung zu überleben. Ungleichheiten seien aber auch symbolischer Art: „Wird man gehört? Wer hat eigentlich in der Gesellschaft die Möglichkeit, seine Bedarfe zu Gehör zu bringen, gesehen zu werden, sich einzubringen, Themen zu setzen? Sich im Sozialraum frei zu bewegen?“ (…) In der aktuellen Situation sei es keineswegs so, dass alle Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft in der bundesdeutschen Demokratie dieselben Chancen hätten, auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse Einfluss zu nehmen – also auf die Verhältnisse, unter denen sie selber agieren. „Es ist klar, dass die oben stehen, die viele Ressourcen haben, Reichtum, Vermögen, Einkommen, hohen Bildungsstand, gute Berufe, große Wohnungen, große Freiheitsspielräume in ihrem Leben genießen, dass die insgesamt auch mehr Möglichkeiten haben, an Demokratie teilzuhaben. Die, die unten stehen, haben das tendenziell weniger.“ Das sei eine erste Grenzziehung innerhalb von Gesellschaften, dass man die Ressourcen haben müsse, um teilzuhaben an der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Stephan Lessenich im Gespräch mit Michael Köhler am 8. November 2020 beim Deutschlandfunk externer Link Audio Datei (Audiolänge: 11:42 Min., aufrufbar bis zum 19. Januar 2038)
  • Die Armen verlieren: Die Corona-Pandemie verschärft soziale Ungleichheit
    „Die neuen Maßnahmen der Bundesregierung gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus zielen vor allem auf das Privatleben der Bevölkerung und bewahren die Unternehmen weitgehend vor Einbußen. Daher erwarten Ökonomen durch die Beschlüsse bislang nur einen geringen Schaden für die deutsche Wirtschaft. Gleichzeitig zeigt eine neue Untersuchung: Einkommenseinbußen in den vergangenen Monaten erlitten vor allem die ärmeren und prekär Beschäftigten. Die einmonatige Schließung von Hotels, Restaurants, Bars und Kinos wird viele Unternehmen hart treffen. Gleichzeitig dürften die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft begrenzt bleiben. Laut Berenberg Bank machen die Branchen Gastgewerbe, Beherbergung, Unterhaltung und Luftfahrt lediglich 3,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung aus. In diesen Branchen liegt das Geschäft zum großen Teil ohnehin darnieder, weitere Einbußen dürften also die gesamte Wirtschaftsleistung kaum bremsen. Die Berenberg Bank hatte vor den neuen Anti-Corona-Maßnahmen ein Wirtschaftswachstum im vierten Quartal von 1,4 Prozent prognostiziert. [Anm. was jedoch nach Destatis 8.2 % beträgt!] Nun erwartet sie eher eine Stagnation. Letztlich aber profitiere die deutsche Wirtschaft von den Maßnahmen, erklärt das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW. Denn durch sie werde die Konjunktur vor einer noch härteren Infektionswelle geschützt. »Der größte ökonomische Schaden entsteht durch eine starke, lang anhaltende zweite Infektionswelle – nicht durch gezielte Beschränkungen des täglichen Lebens«, so das DIW. Auch der Internationale Währungsfonds hatte kürzlich festgestellt, dass ein zeitlich befristeter »Lockdown«, der Infektionsketten durchbricht, für eine Volkswirtschaft günstiger sein könne als ein lang anhaltendes Infektionsrisiko…“ Artikel von Stephan Kaufmann vom 31. Oktober 2020 in neues Deutschland online externer Link

    • Anm.: Womit Stephan Kaufmann gut den systemorientierten Hintergrund des 2. Lockdowns darstellt. Es ist allerdings noch schlimmer: Das Wirtschaftswachstum im 3. Quartal beträgt nicht nur 1,4 Prozent, wie Kaufmann angibt. Nach einer Meldung von Destatis vom 30. Oktober 2020 externer Link ist das preis-, saison- und kalenderbereinigte Bruttoinlandsprodukt im 3. Quartal um 8,2 Prozent (!!) gegenüber dem 2. Quartal gestiegen, was gut verdeutlicht, wer trotz Corona gewinnt und wer verliert. Betrachtet man die wirtschaftlichen Eckdaten, kann also von der eingeforderten Solidarität keine Rede sein. Sie existiert nicht. Bei den Eingriffen in das Eigentumsrecht nach Art. 14 (2) GG beispielsweise sind diese, je nach Klassenlage und wirtschaftlicher Mächtigkeit, noch unheitlicher und gegensätzlicher als in Zeiten ohne Pandemie.
  • Armutsfalle Shutdown: Kontaktbeschränkungen in Coronapandemie treffen Geringverdiener am heftigsten. Arbeitsminister droht Lohnabhängigen mit »hartem Winter«
    „Die Bundesregierung hat einen weitgehenden Shutdown des öffentlichen Lebens beschlossen. Wieder werden die Krisenlasten bei den Lohnabhängigen abgeladen. Millionen Menschen müssen ab der kommenden Woche erneut auf ihre Einkommen verzichten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) drohte am Donnerstag in Berlin einen »harten Winter« an. Insbesondere Minijobber würden schwer getroffen, weil diese nicht über Kurzarbeit abgesichert seien. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) teilte in Nürnberg in einer aktuellen Lageeinschätzung mit, es sei zu erwarten, dass die neuen Kontaktbeschränkungen wirtschaftliche Auswirkungen hätten und »in der Folge über 100.000 Jobs kurzfristig verlorengehen«. Auch die Zahl der Kurzarbeiter werde erneut »deutlich steigen«. (…) Maßnahmen gegen Massenelend gebe es zuhauf: Der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke, forderte eine unbürokratische Auszahlung der versprochenen Hilfen für Soloselbständige. Die Betroffenen in der Kultur- und Veranstaltungsbranche dürften nicht mit einem komplizierten Antragsverfahren überfordert werden, sagte Werneke zu dpa in Berlin. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Sabine Zimmermann, warnte: »Viele Erwerbslose scheitern an den hohen Zugangshürden für den Bezug von Arbeitslosengeld und landen gleich in Hartz IV. Für Selbständige gibt es kaum effektive Hilfen, sie werden auf Hartz IV verwiesen und zum Sozialfall.« Und auch um das Coronavirus wirksam zu bekämpfen, wird es sinnvollere Maßnahmen als nur Kontaktbeschränkungen brauchen. »Mit dem drastischen Anstieg der Fallzahlen kehrt ein verdrängtes Problem der Krankenhäuser zurück.« Das jetzige System der Krankenhausfinanzierung müsse ausgesetzt werden, forderte der Bundestagsabgeordnete Harald Weinberg (Die Linke). Um die Kliniken für den Winter coronafest zu machen, müssten die Fallpauschalen ausgesetzt werden. Intensivmediziner warnen bereits vor einer Überlastung der Krankenhäuser. Doch die Regierung schützt weiterhin die Profite der Konzerne.“ Artikel von Simon Zeise in der jungen Welt vom 30. Oktober 2020 externer Link
  • [WSI] Krise verstärkt soziale Ungleichheit und Sorgen um Demokratie: Wer hat durch die Corona-Krise Einkommen verloren? Neue Analyse leuchtet Ursachen und Folgen aus
    „Die Corona-Pandemie vergrößert die soziale Ungleichheit in Deutschland. Denn von Einkommensverlusten sind überdurchschnittlich oft Menschen betroffen, die schon zuvor eine schwächere Position auf dem Arbeitsmarkt hatten. So haben Personen mit Migrationshintergrund bislang häufiger an Einkommen eingebüßt als Personen ohne familiäre Zuwanderungsgeschichte. Erwerbstätige mit ohnehin niedrigen Einkommen sind stärker betroffen als solche, die bereits vor der Pandemie mehr Geld zur Verfügung hatten. Auch wer in einem atypischen oder prekären Job arbeitet, etwa als Leiharbeiter oder Minijobberin, hat im Zuge der Krise häufiger Einkommen verloren als stabil Beschäftigte. Ebenso sind Eltern öfter mit Einkommensverlusten konfrontiert als Kinderlose. Das ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis einer Panel-Befragung von mehr als 6000 Erwerbspersonen, also Erwerbstätigen sowie Arbeitslosen. Es zeige sich, „wie die Krise bereits bestehende soziale Ungleichheiten verschärft, da sie vor allem jene trifft, die auch vor der Krise über eher geringe Ressourcen verfügten“, schreiben Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, und ihr Ko-Autor Dr. Andreas Hövermann. Gleichzeitig machten die Befragungsdaten deutlich, dass bewährte Schutzmechanismen auch in der Ausnahmesituation der Covid-Krise funktionieren, betonen sie. So mussten Beschäftigte, die in Betrieben mit Tarifvertrag und Betriebsrat arbeiten, im Vergleich seltener auf Einkommen verzichten. Es komme auf den Zugang zu solchen Absicherungen an. Wenn der bei vielen Menschen eingeschränkt sei, könne das negative Folgen für die Demokratie haben, warnen die Wissenschaftler. Ein Indiz dafür: Befragte, die durch Einkommensverluste belastet sind, beurteilen die politische und soziale Situation in Deutschland insgesamt deutlich kritischer. Und sie zeigen sich im Durchschnitt empfänglicher für Verschwörungsmythen zur Pandemie…“ WSI-Pressemitteilung vom 29. Oktober 2020 bei der Hans-Böckler-Stiftung externer Link
  • Corona-Krise: Bereicherung der Reichsten 
    Armut nimmt stark zu. Wachsende Ungleichheit poltisch und sozial nicht mehr erträglich. Studien aus den USA und Frankreich fordern Hilfeprogramme. So kann es nicht weitergehen, meint Thomas Piketty. Die derzeitige Entwicklung der Geldpolitik sei sozial und politisch nicht haltbar. In seinem englisch-sprachigen Beitrag in Le Monde geht er der Frage nach, wie mit den Covid-Schulden umgegangen wird. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler, international als Spezialist für Ungleichheit bekannt, sind die enormen Schulden, die Zentralbanken verbuchen, um staatliche Hilfsmaßnahmen zu finanzieren, zwar technisch kein Problem. Aber diese Politik sorge woanders für Probleme, nämlich bei der Verteilung von Vermögenswerten. Die Ungleichheit vergrößere sich. (…) An „nicht unbedingt guten“ Nachrichten zu Ungleichheiten, die sich während der Corona-Krise vergrößert haben, mangelt es nicht (Corona-Krise in den USA: Fast 40 Millionen Arbeitslose, aber Milliardäre gewinnen externer Link). Die New York Times weist externer Link heute auf zwei aktuelle Studien hin, die einen Abrutsch von sechs bis acht Millionen US-Bürgern in die Armut seit der Corona-Krise konstatieren. (…) Hätte es die Arbeitslosen-Extrahilfe des Cares-Gesetzes nicht gegeben, so die Studienverfasser, dann wäre die Armut noch stärker gestiegen. Einer der Verfasser, Bruce D. Meyer, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Chicago, wird von der New York Times damit zitiert, dass „uns die Zahlen sagen, dass die Menschen viel mehr Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu bezahlen, ihre Miete zu bezahlen, das Essen auf den Tisch zu bringen“. Frankreich: „20% der Haushalte haben 70% des Wachstums des Finanzvermögens gehortet“ (…) Die Forderung an die Politik, die der Rat für Wirtschaftsanalyse daraus zieht, geht einerseits dahin, die Notwendigkeit einer „sehr schnellen“, sehr viel größere“ Unterstützung der ärmsten Haushalte, die den wirtschaftlichen Folgen von Gesundheitsmaßnahmen stärker ausgesetzt sind, zu betonen. Anderseits wird ein politisch heikles Pflaster betreten, das Piketty als Alternative zum „Weiter so“ als unumgänglich bezeichnet: eine andere Fiskalpolitik, höhere Besteuerung der Vermögenden…“ Artikel von Thomas Pany vom 16. Oktober 2020 bei telepolis externer Link
  • Butterwegge: Corona-Krise fördert soziale Ungleichheit – Solidaritätszuschlag für wirtschaftlich Benachteiligte einsetzen und Vermögensteuer erheben 
    Nach Ansicht des Armutsforschers Butterwegge hat die Bundesregierung einkommensschwache Menschen in der Corona-Krise vernachlässigt. Zwar habe der Staat Sozialschutzpakete auf den Weg gebracht, die Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmern einen erleichterten Zugang zu Hartz IV verschafften. An diejenigen, die sowieso zu den Ärmsten zählten, habe man aber kaum gedacht, sagte Butterwegge im Deutschlandfunk (Audio-Link). Durch die Schließung von Tafeln und Kitas hätten zum Beispiel Familien, die Hartz IV bezögen, zusätzliche Lasten gehabt. Auch der Kinderbonus komme viel zu spät. Butterwegge forderte, den Solidaritätszuschlag für wirtschaftlich Benachteiligte in der Corona-Krise einzusetzen und wieder eine Vermögensteuer zu erheben. Die Gesellschaft müsse erkennen, dass das Geld von oben nach unten umverteilt werden müsse.“ Nachricht zum Interview im Deutschlandfunk am 26.09.2020 samt Audio externer Link Audio Datei
  • Covid-19: Die schlimmsten Folgen kommen noch 
    „Der UN-Sondergesandte für extreme Armut warnt, dass 180 Millionen weitere Menschen aufgrund der Corona-Maßnahmen in der Armut landen werden. Ähnlich wie Covid-19 sehr unterschiedlich global zugeschlagen hat, werden sich die wirtschaftlichen Folgen in den Ländern erheblich unterscheiden, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehören wird (Fast 40 Millionen Arbeitslose, aber Milliardäre gewinnen). Die Kluft wird sich auch zwischen den reichen und armen Staaten weiter verstärken. Die reichen Staaten können versuchen, mit Milliarden und Billionen ihre Wirtschaft – und manche der Branchen – zu retten, während sich in den meist sowieso bereits überschuldeten armen Ländern die Armut rasant verbreiten wird (Covid und die explodierenden Schulden der Entwicklungsländer). In Krisen schauen wenn nicht alle, so doch die meisten auf sich selbst und wird der Konkurrenzkampf noch gnadenloser. Das ist besonders kritisch bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, wo es doch eigentlich um die Rettung von Menschenleben gehen soll – aber es sind eben nur die eigenen Menschen oder die eigenen Bevölkerungsschichten, an die gedacht wird. Das wird auch bei den Querdenken-Protesten deutlich, die irgendwie für „Freiheit und Frieden“ sind, aber in denen die soziale Dimension für die Friedens- und Freiheitskämpfer und Maskenablehner praktisch keine Rolle spielt. (…) Die sozialen Maßnahmen müssten dem Recht auf sozialen Schutz gehorchen. Ähnlich wie man Abgaben je nach Belastung des Klimas plant, müssten soziale Schutzmaßnahmen auf der Grundlage der Menschenrechte und der sozialen Solidarität. Das dürfte man als schöne Träume sehen, hinter deren Umsetzung keine politischen Kräfte stehen. Gefordert werden keine Almosen, sondern systematische Anstrengungen zur Reduktion der Armut und der Ungleichheit, die aber in Zeiten des MAGA nirgendwo zu sehen sind. Ob die Pandemie ein Umdenken mit sich bringt, ist kaum denkbar. Zwischen 1980 und 2016 sind nach dem World Inequality Report von 2018 27 Prozent des Einkommenszuwachses gerade einmal einem Prozent der Weltbevölkerung zugutegekommen.“ Beitrag von Florian Rötzer vom 14. September 2020 bei Telepolis externer Link
  • Corona und die sozialen Folgen: Mehr Ungleichheit war nie 
    „… Die von ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen begleitete Covid-19-Pandemie hat das Phänomen der Ungleichheit, das ein Kardinalproblem der meisten Länder und der Menschheit insgesamt ist, wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht. Trotz eines verhältnismäßig hohen Lebens- und Sozialstandards im Weltmaßstab sowie entgegen den Beteuerungen von politisch Verantwortlichen und Massenmedien, bei der Bundesrepublik handle es sich um eine „klassenlose“ Gesellschaft mit gesicherter Wohlständigkeit all ihrer Mitglieder, kam ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal für wenige Wochen ohne seine ungeschmälerten Regeleinkünfte aus. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als seien vor einem Virus alle Menschen gleich. Bezüglich der Infektiosität von Coronaviren stimmt dies, im Hinblick auf das Infektionsrisiko allerdings nicht. So traf die Covid-19-Pandemie alle Menschen, aber keineswegs alle gleichermaßen. Sozial bedingte Vorerkrankungen wie Adipositas (Fettleibigkeit), Asthma, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Rheuma oder COPD (Raucherlunge), katastrophale Arbeitsbedingungen etwa in der Fleischindustrie sowie beengte und hygienisch bedenkliche Wohnverhältnisse erhöhten das Risiko für eine Infektion und für einen schweren Krankheitsverlauf. (…) In der pandemischen Ausnahmesituation sind die Reichen noch reicher und die Armen zahlreicher geworden. Zwar brachen die Aktienkurse nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie vorübergehend ein, dramatische Verluste erlitten aber vor allem KleinaktionärInnen, die generell zu Panikreaktionen und überhasteten Verkäufen neigen. Großinvestoren dürften die Gunst der Stunde außerdem für Ergänzungskäufe zu relativ niedrigen Kursen genutzt und davon profitiert haben, dass der Kurstrend bald wieder nach oben zeigte. Hedgefonds und Finanzkonglomerate wie BlackRock wetteten mittels Leerverkäufen erfolgreich auf fallende Aktienkurse und verdienten an den Einbußen der KleinanlegerInnen. Zu den Hauptleidtragenden der Coronakrise gehörten Obdach- und Wohnungslose, aber auch BewohnerInnen von Gemeinschaftsunterkünften wie Geflüchtete, (süd)osteuropäische WerkvertragsarbeiterInnen der Subunternehmen deutscher Großschlachtereien bzw. Fleischfabriken und nichtdeutsche SaisonarbeiterInnen. Außerdem MigrantInnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige, Suchtkranke, Prostituierte, Erwerbslose, GeringverdienerInnen, KleinstrentnerInnen und TransferleistungsbezieherInnen (EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Asylbewerberleistungen). (…) Weder hat Sars-CoV-2 die Kluft zwischen Arm und Reich verursacht, noch war das Coronavirus für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verantwortlich, auf die es traf. Covid-19 ließ die bestehenden Interessengegensätze nur deutlicher hervortreten, während sie der Lockdown und die staatlichen Rettungspakete zuspitzten. Nicht das Coronavirus ist unsozial, sondern eine reiche Gesellschaft, die arme Mitglieder zu wenig vor einer Infektion und den wirtschaftlichen Verwerfungen der Pandemie schützt. „ Beitrag von Gastautor Christoph Butterwegge vom 9. September 2020 bei Kontext: Wochenzeitschrift externer Link – siehe dazu auch [Buch] Ungleichheit in der Klassengesellschaft und darin das Kapitel 1.4: „Durch mehr Gleichheit zum individuellen Glück und zur ökologischen Nachhaltigkeit?“ – wir danken dem Autor Christoph Butterwegge!
  • [DGB] Ungleichheit: Superreiche an Corona-Kosten beteiligen 
    „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise sind immens. Doch sie treffen keineswegs alle gleich: Während viele um ihren Arbeitsplatz bangen oder in Kurzarbeit mit viel weniger Geld über die Runden kommen müssen, leben andere nach wie vor in großem Reichtum. (…) Fakt ist: Die Kluft zwischen arm und reich ist sehr groß. Hierzulande wurden der Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung jahrzehntelang gefördert. Die Zahl der Beschäftigten, die durch Tarifverträge geschützt sind, sank. Die zahlreichen Steuergeschenke für Reiche zu Anfang des Jahrtausends förderten die Ungleichheit. Zudem entzogen sie den Staatskassen Mittel, die zur Bewältigung der aktuellen Krise dringend nötig wären. (…) Es braucht daher einen steuerpolitischen Kurswechsel, eine Wiedererhebung der Vermögenssteuer, eine effektive Erbschaftssteuer sowie eine höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen und eine entsprechende Entlastung der mittleren und kleineren Einkommen. Auch muss die Tarifbindung flächendeckend erhöht werden. Hier muss die Politik die Weichen stellen. Umverteilung ist nicht nur aus Gerechtigkeitsaspekten sinnvoll, sondern Gebot der ökonomischen Vernunft. Denn der Staat hat richtigerweise viel Geld in die Hand genommen, um die Corona-Krise zu bekämpfen. Super-Reiche müssen viel stärker an diesen Kosten beteiligt werden. Nur so lässt sich die Jahrhundert-Herausforderung „Corona“ meistern.“ DGB-Klartext 27/2020 vom 19. August 2020 externer Link
  • [HBS-Umfrage] Corona-Krise: 26 Prozent der Erwerbstätigen haben bereits Einkommenseinbußen erlitten, soziale Ungleichheit verschärft sich 
    „Die Corona-Krise in Deutschland verschärft auch nach der weitgehenden Lockerung der Kontaktbeschränkungen bestehende Ungleichheiten bei Einkommen und beruflichen Möglichkeiten. Erwerbstätige mit ohnehin schon niedrigeren Einkommen haben deutlich mehr unter negativen wirtschaftlichen Folgen zu leiden als Menschen mit höheren Einkommen. Sie haben beispielsweise während der Pandemie spürbar häufiger schon an Einkommen eingebüßt, bei Kurzarbeit erhalten sie deutlich seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, und sie fürchten etwa doppelt so häufig, als Folge der Pandemie ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das zeigen erste Ergebnisse einer neuen Online-Befragung, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zwischen Mitte und Ende Juni 6.309 Erwerbstätige interviewt worden sind. Mütter übernehmen weiterhin deutlich häufiger als Väter den Hauptteil der anfallenden Betreuungsarbeit. Der Anteil der Männer scheint im Vergleich zu einer Vorgängerbefragung vom April sogar leicht rückläufig zu sein. Der Abstand zwischen den durchschnittlichen Arbeitszeiten von Vätern und Müttern ist weiterhin deutlich größer als vor Beginn der Krise. Generell bessere Perspektiven in der Krise haben Beschäftigte in Unternehmen mit Tarifvertrag und/oder Mitbestimmung: So erhalten beispielsweise im Fall von Kurzarbeit 54 Prozent der Befragten mit Tarifvertrag eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, während es ohne Tarifvertrag nur 31 Prozent sind. In Betrieben mit Betriebsrat existieren deutlich häufiger feste Regeln für das Homeoffice als in Betrieben ohne Mitbestimmung. Gibt es eine solche Vereinbarung, empfinden Befragte die Arbeitssituation im Homeoffice als weniger belastend. Zudem finden in Betrieben mit Betriebsrat in allen Qualifikationsgruppen häufiger Weiterbildungen der Beschäftigten statt. Schaut man auf alle Befragten, ist der Anteil derjenigen, die bereits Einkommenseinbußen erlitten haben, zwischen April und Juni von 20 auf 26 Prozent gestiegen. Dagegen ist die Quote der Menschen, die sich Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft oder ihren Job machen, etwas zurückgegangen. Erfolge bei der Eindämmung der Epidemie in Deutschland und die Anti-Krisenpolitik von Bund und Ländern werden also offensichtlich positiv wahrgenommen. Nach wie vor sind insgesamt rund zwei Drittel der Befragten eher oder voll zufrieden mit dem Krisenmanagement, allerdings sind auch hier die Unterschiede erheblich. Die Zustimmungswerte steigen mit dem Einkommen und liegen zwischen 46 Prozent bei Erwerbstätigen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1500 Euro und 72 Prozent bei einem Haushaltsnetto über 3200 Euro. Zudem können sich 39 Prozent aller Befragten auch vorstellen, dass die Pandemie „benutzt wird, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen.“ Dieser Verdacht ist unter Menschen mit niedrigen Einkommen ebenfalls überdurchschnittlich verbreitet: Hier stimmen 50 Prozent zu…“ Mitteilung des Pressedienstes der Hans-Böckler-Stiftung vom 10. Juli 2020 externer Link
  • Wie die Pandemie die Ungleichheit verschärft: Atypische Beschäftigung und die Covid-19-Krise 
    „… Die Covid-19-Krise hat viele Regierungen dazu veranlasst, beispiellose Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen, was zu einem vorübergehenden Stillstand weiter Teile der Wirtschaft geführt hat. Die am stärksten betroffenen Sektoren sind in erster Linie der Dienstleistungssektor (z.B. Tourismus), Bereiche, in denen es zu direktem Kontakten zwischen KundInnen und DienstleistungsanbieterInnen kommt (z.B. Gastronomie und Unterhaltungsbranche), sowie der Bausektor. Mit der möglichen Ausnahme des Baugewerbes handelt es sich dabei um Branchen, in denen die wirtschaftliche Aktivität voraussichtlich noch einige Zeit beeinträchtigt bleiben wird, auch wenn sich die Volkswirtschaften langsam von den weit verbreiteten Stilllegungen erholen. Der Schutz der ArbeitnehmerInnen in den betroffenen Sektoren, insbesondere derjenigen, die am stärksten von Einkommensverlusten betroffen sind, und die nur begrenzt sozial abgesichert sind, wäre ein wichtiger Schritt zur Vermeidung zunehmender negativer Verteilungseffekte infolge der Covid-19-Krise. Dies ist umso wichtiger vor dem Hintergrund, dass der Wandel der modernen Arbeitswelt mit einer allmählichen Zunahme neuer, nicht dem Standard entsprechender Beschäftigungsformen einhergeht. Diese Entwicklung stellt die Fähigkeit der derzeitigen sozialen Sicherungssysteme in Frage, diejenigen zu erreichen, welche wahrscheinlich am stärksten auf Unterstützung angewiesen sind. Eine neue Untersuchung der OECD- liefert Schätzungen des Anteils der atypischen Beschäftigungsverhältnisse, die besonders anfällig für Einkommens- oder Arbeitsplatzverluste infolge von Störungen des Arbeitsmarktes durch Covid-19 sind. Dabei wird erörtert, welche politischen Massnahmen die Regierungen bisher ergriffen haben sowie was darüber hinaus getan werden sollte, um gefährdete Beschäftigte zu unterstützen und eine integrative Erholung des Arbeitsmarktes zu fördern sowie was darüber hinaus getan werden sollte (z.B. Stabile et al. 2020, Dingel und Neiman 2020). Im Rahmen dieser Analyse zählen zu atypischen Beschäftigten Teilzeitbeschäftigte, Selbständige und ArbeitnehmerInnen mit befristeten Verträgen. Um es vorwegzunehmen: Im Durchschnitt der OECD-Länder machen Branchen, die Schätzungen zufolge am stärksten von den Covid-19-Eindämmungsmassnahmen betroffen sind, rund 40% der Gesamtbeschäftigung aus. (…) Viele OECD-Länder haben die Kranken-, Gesundheits- und Arbeitslosenunterstützung vorübergehend auf atypische Beschäftigungsverhältnisse ausgeweitet. Es sollte in Erwägung gezogen werden, nach der Krise dauerhaftere Sozialversicherungssysteme für diese Beschäftigten einzuführen, welche die Versicherten über verschiedene Arten von Arbeitsverhältnissen hinweg begleitet. Ein gleichberechtigter Zugang zu sozialem Schutz für verschiedene Kategorien von Beschäftigten würde die Arbeitsplatzqualität erhöhen und zur Verringerung der Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt beitragen. Reformen in diesem Bereich würden ebenso zu Effizienz- und Gerechtigkeitsgewinnen führen.“ Beitrag von Orsetta Causa und Maria Chiara Cavalleri vom 7. Juli 2020 bei der Ökonomenstimme.org externer Link
  • Klasse Virus – Während in Fleischfabriken Hunderte erkranken, bleiben Privilegierte in Freibädern unter sich: Corona legt Milieugrenzen brutal offen 
    „… Wer ins Freibad will, muss sich das Ticket jetzt Tage vorher kaufen – online. Mit Kreditkarte, oder per Paypal. Das Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg galt immer als Treffpunkt aller Milieus. Jetzt nicht mehr. Jetzt schwimmen hier an einem Sommertag nur noch: weiße Körper. Coronafrei. Dabei kam das Virus in Deutschland einmal genau über diese Einfallstür. Es befiel weiße Akademikerkörper, die im Februar natürlich nicht schwammen, sondern Ski fuhren, in Ischgl. Jetzt vollzieht Corona eine Klassenwanderung. Wenn der R-Wert in Deutschland über zwei liegt, dann löst das nur deshalb keine Panik aus, weil der Infektionsausbruch stark begrenzt ist. Auf einen Häuserblock in Berlin-Neukölln, zwei Häuser in Göttingen, die Mitarbeiter von Tönnies. Noch relevanter als die lokale Begrenzung scheint die soziale. Die Träger des Virus haben derart wenig Kontakt zu anderen Milieus, dass diese sich kaum vor einer Ansteckung sorgen müssen. (…) Brutalität an prekären Körpern ist keine Erfindung der Pandemie. Im Gegenteil: Weil insbesondere das viel reisende bürgerliche Milieu als erstes von dem Virus betroffen war, ist die Identifizierung mit Opfern von Covid-19 hoch. Noch. Denn die Sprache verschiebt sich. Von Familienfeiern zum Ende des Ramadan ist die Rede, von Wochenendausflügen nach Rumänien. Alles Begriffe, die eines anzeigen sollen: Es sind die anderen, die sich anstecken, weil sie anders sind. Weil sie Rumänen sind, halten sie sich nicht an Regeln. Weil sie Muslime sind, leben sie in Großfamilien eng zusammen. Diese Form der Kulturalisierung der Ansteckungswege ist für die verantwortliche Politik gemütlich, denn was, wenn es gar nicht an den Menschen läge? Sondern an ihren Wohn-, Lebens-, und Arbeitsverhältnissen? Was, wenn Politik es ändern könnte, dass Fleischarbeiter tausendfach krank werden, dass Hartz-IV-Beziehende früher sterben? Wenn Politik für Leben und Tod der Bevölkerung verantwortlich wäre? Was, wenn die Körper von Tönnies-Arbeitern ebenso betrauerbar werden wie jene von Ischgl-Skifahrenden? Doch das sind sie nicht. Sie sind die anderen…“ Artikel von Elsa Koester vom 26. Juni 2020 bei ‚Der Freitag‘ Ausgabe 26/2020 externer Link
  • Ein Virus spaltet die Gesellschaft 
    Die Corona-Pandemie trifft arme und benachteiligte Menschen besonders hart: Sie haben ein höheres Risiko, schwer zu erkranken – und sie leiden stärker unter den Folgen der Krise. (…) Nun aber wird immer deutlicher sichtbar, dass die Krise sehr wohl eine soziale Dimension hat. Besonders eindrucksvoll zeigen das die jüngsten großen Ausbrüche. Die Tönnies-Fleischfabrik in Gütersloh, die Wohnblöcke in Berlin-Neukölln: Hotspots entstehen dort, wo Menschen unter schwierigen Bedingungen wohnen und arbeiten. Wo große Familien in kleinen Wohnungen leben, wo Schlachthofarbeiter zu nah nebeneinander am Zerlegeband stehen und in Gruppenunterkünften schlafen. Hinzu kommt die enge, feuchte und kühle Umgebung im Schlachthof, die das Risiko einer Ansteckung möglicherweise erhöht. Neu ist all das natürlich nicht. Es ist bekannt, dass Menschen mit geringem sozio-ökonomischen Status stärker und häufiger erkranken. (…) Für Deutschland liefern erste Untersuchungen deutliche Hinweise, dass auch hierzulande die Gesundheit armer Menschen unter der Pandemie besonders leidet. (…) Um die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie methodisch zu untersuchen, hat sich das Kompetenznetz Public Health zu Covid-19 gegründet, ein Zusammenschluss von mehr als 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. In einer ersten Stellungnahme schreiben sie, es sei davon auszugehen, dass sozioökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen häufiger mit dem Virus in Kontakt kämen, häufiger schwer erkrankten und dass sie verstärkt unter dem Infektionsschutz litten – etwa durch Arbeitslosigkeit, Isolation oder fehlende Bildungsmöglichkeiten…“ Artikel von Felix Hütten, München, und Henrike Roßbach, Berlin, vom 20. Juni 2020 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link
  • [„Risikofaktor Arbeitslosigkeit“] Wissenschaftliche Analyse: Corona trifft sozial Benachteiligte härter 
    „Sozial benachteiligte Menschen haben ein deutlich höheres Risiko, wegen Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Das zeigt eine Analyse der Uniklinik Düsseldorf und der Krankenkasse AOK, die das ARD-Mittagsmagazin initiiert hat. (…) Seit einigen Wochen kommen immer weniger Verdachtsfälle ins Klinikum nach Darmstadt. Und die, die kommen, sind vielfach andere Patienten als früher, sagt [Oberarzt Cihan] Celik. Zu Beginn der Pandemie sei die Zusammensetzung der Patienten für eine Lungenstation sehr untypisch gewesen: Studenten, Geschäftsreisende oder Urlaubsrückkehrer. Doch das habe sich verändert. Die Patienten kommen zunehmend aus einkommensschwachen Verhältnissen. Schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, wenig Platz zum Wohnen. All das erhöhe das Infektionsrisiko, sagt Celik. (…) Eine gemeinsame Analyse des Instituts für Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Düsseldorf und der AOK Rheinland/Hamburg belegt nun: Bei sozial benachteiligten Menschen ist das Risiko, aufgrund von Covid-19 ins Krankenhaus zu kommen, deutlich erhöht. Demnach liegt das Risiko für ALG-II-Empfänger im Vergleich zu erwerbstätig Versicherten um 84,1 Prozent höher, für ALG-I-Empfänger um 17,5 Prozent. Für die Analyse haben die Forschenden die Daten von knapp 1,3 Millionen Versicherten daraufhin untersucht, ob Menschen in Arbeitslosigkeit (ALG I und ALG II) häufiger mit einer Corona-Infektion in einem Krankenhaus behandelt werden mussten als erwerbstätige Versicherte (Untersuchungszeitraum 01. Januar bis 04. Juni 2020). (…) Forscher Dragano von der Uniklinik Düsseldorf kritisiert dagegen, das erhöhte Risiko sei bisher nicht ausreichend beachtet worden. Um sozial benachteiligte Menschen gezielt vor dem erhöhten Risiko zu schützen, fordert er ein umfassendes Konzept, das neben dem Gesundheitssystem auch die Sozial- und Bildungspolitik mit einschließt. (…) Für Celik besteht auch ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Infektionsgefahr und sozialem Status: „Angefangen bei der Art der Arbeit, die man macht, ob man stärker exponiert ist, ob man etwa kein Homeoffice machen konnte, sondern weiter an der Supermarktkasse oder im öffentlichen Nahverkehr arbeiten musste. Das betrifft natürlich eher niedrig bezahlte Jobs stärker“, sagt der Oberarzt.“ Bericht von Stefanie Delfs und Kaveh Kooroshy vom 15. Juni 2020 beim ARD-Mittagsmagazin externer Link und die Pressemitteilung des Instituts für Medizinische Soziologie der Uniklinik Düsseldorf externer Link zur Studie „Risikofaktor Arbeitslosigkeit“
  • Coronakrise: Risikofaktor Ungleichheit
    Hohes Alter, Vorerkrankungen – damit steigt bekanntermaßen das Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Doch weltweit könnte es noch einen weiteren Gefahrenherd geben. Mehr als 1,8 Millionen Infizierte in den USA, mehr als eine halbe Million in Brasilien, eine gute Viertelmillion in Großbritannien: In vielen Teilen der Welt sind die Covid-19-Fallzahlen in jenen Ländern am höchsten, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich am größten ist. Nach Recherchen des SPIEGEL zeichnet sich damit immer deutlicher ein weiterer Risikofaktor für die Ausbreitung der Pandemie ab: soziale Ungleichheit. Ein Team von SPIEGEL-Dokumentaren hat in den vergangenen Wochen den Zusammenhang zwischen dem Arm-Reich-Gefälle einzelner Länder und den dortigen Covid-19-Fallzahlen untersucht – mit zum Teil verblüffenden Ergebnissen. (…) Überraschend sei der Zusammenhang nicht, sagt der britische Gesundheitswissenschaftler Richard Wilkinson dem SPIEGEL. In seinem Buch „The Spirit Level“ hätten er und seine Kollegin Kate Pickett bereits vor zehn Jahren festgestellt, dass ungleiche Gesellschaften ungesunde Gesellschaften seien. Je ungleicher Einkommen und Vermögen verteilt seien, desto heftiger litten die Menschen in betroffenen Gesellschaften – quer durch alle Schichten – an Problemen wie Depression, Drogenabhängigkeit und hohen Suizidraten. Auch seien in den entsprechenden Ländern sehr viel mehr Menschen übergewichtig und durch Atemwegserkrankungen geschwächt – Risikofaktoren, die in der jetzigen Pandemie eine entscheidende Rolle spielen. (…) In der Pandemie hat die Ungleichheit fatale Folgen: Sowohl in den USA als auch in Großbritannien starben in den vergangenen Monaten bei Weitem mehr People of Color an Covid-19 als Weiße.“ Artikel von Jörg Schindler, London, vom 03.06.2020 beim Spiegel online externer Link
  • Verschärfte soziale Ungleichheit. Die Coronakrise sorgt für eine weiter wachsende Konzentration bei Vermögen und Einkommen
    Corona macht den Unterschied bei Einkommen und Vermögen in Deutschland. Der Lockdown und die Verunsicherung über die Entwicklung der Pandemie hinterlassen längst ihre Spuren. (…) Für soziale Unwucht sorgen weiterhin Immobilien. Eigentümer profitieren, zumindest in den Städten und in günstigen Lagen auf dem Land, schon seit einiger Zeit von enormen Wertzuwächsen. So sind die Preise für Wohnimmobilien seit 2010 laut Bundesbank um rund 70 Prozent gestiegen, in Großstädten sogar um mehr als 100 Prozent. Insgesamt bleibt der Kreis der Wohlhabenden überschaubar. Nach der Bafin-Umfrage sparen lediglich elf Prozent der Befragten 500 Euro im Monat oder mehr. Ganz unten auf der Skala finden sich dagegen 15 Prozent, die gar nicht sparen. Fast alle, weil sie zu wenig Geld dafür haben. Corona verschärft solche langfristigen Trends noch, wie eine Studie der Postbank, deren Kunden meist aus der Mittelschicht kommen, jetzt ergab. (…) Die soziale Unwucht beginnt bereits beim Einkommen. Mehrere Millionen Menschen sind in Kurzarbeit. Vor allem Beschäftigte in Klein- und Mittelbetrieben müssen mit 60 Prozent (mit Kind: 67 Prozent) des Nettolohns auskommen. Die von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung auf 70/77 Prozent wird erst ab dem vierten Monat greifen. Zahlreiche Großkonzerne hingegen stocken das Kurzarbeitergeld ihrer ohnehin überdurchschnittlich bezahlten Beschäftigten auf 100 Prozent auf. Ganzen mittelständisch geprägten Berufszweigen wie der Gastronomie, den Volkshochschulen oder dem Friseurhandwerk brachen im Lockdown komplett die Einnahmen weg. Millionen Kinder müssen wegen Schließung der Kindertagesstätten und Schulen von ihren oft berufstätigen Eltern betreut werden, was offenbar häufig mit herben Einkommensverlusten verbunden ist. Laut der Postbank-Studie traf die Krise Familien finanziell besonders hart. (…) Corona vergrößert zugleich die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern. Schätzungsweise doppelt so viele Frauen haben ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. »Da die ökonomischen Folgen der Krise noch lange spürbar sein werden, wird eine Rückkehr zur vorherigen Arbeitszeit wahrscheinlich nicht für alle möglich sein«, befürchtet der DGB. Frauen mit geringerem Einkommen werden davon noch stärker getroffen als alle anderen…“ Artikel von Hermannus Pfeiffer vom 02.06.2020 im ND online externer Link
  • Covid-19-Arzt im Interview: „Es gibt eine sehr starke soziale Komponente bei dieser Krankheit“ 
    „… zum anderen kommen bei uns auf der Normalstation sozial komplexe Umstände dazu. Wohnungslosigkeit zum Beispiel oder andere Situationen, in denen keine Heimisolation möglich ist. Wir haben einen Lkw-Fahrer behandelt, der in seinem Führerhaus wohnt. Insgesamt sehen wir nach zwei Monaten Behandlung von Covid-19-Patienten, dass es eine sehr starke soziale Komponente bei dieser Krankheit gibt. Gerade Patienten, die zu Minderheiten gehören und sozial schwach sind, sind bei der Morbidität und der Mortalität am stärksten betroffen. Sie werden also verhältnismäßig öfter krank und sterben öfter an der Krankheit. Das haben Studien in Ländern wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Norwegen gezeigt und das sieht man auch im Mikrokosmos Krankenhaus. [Woran liegt das?] Viele sozioökonomische Faktoren tragen dazu bei, ob man diese Krankheit bekommt und wie schwer sie verläuft. Fettleibigkeit kann zu einem schweren Verlauf führen, das ist vor allem in sozial schwachen Schichten ein Problem, genau wie ein Mangel an gesundheitlicher Aufklärung, an gesunder Ernährung, an Sport. Symptome werden außerdem oft erst später erkannt oder ernst genommen. Ärmere Menschen sind weniger gut an Ärzte angebunden, Migranten können teilweise ihre Beschwerden nicht so gut auf Deutsch schildern. Die Menschen leben auf engerem Raum und arbeiten in Berufen, in denen sie vielen Kontakten ausgesetzt sind. Armut macht krank, das ist bei vielen Krankheiten ein Problem…“ Interview von Sebastian Eder mit Cihan Çelik vom 17.05.2020 in der FAZ online externer Link
  • Warum die Coronakrise Ungleichheit verstärkt: Die Krise trifft Geringverdiener hart, von denen viele ihren Job verlieren. Auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nimmt zu 
    „… Wie weit die Kluft in der Gesellschaft auseinandergeht, zeichnen Forscher der Universität Mannheim nach. Sie befragen jede Woche 3500 Menschen dazu, wie sich ihr Leben durch die Pandemie verändert. Ein erstes Ergebnis: Je niedriger der Schulabschluss, desto seltener können Angestellte ins Homeoffice wechseln. So haben zuletzt 40 Prozent der Deutschen mit einem hohen Schulabschluss von Zuhause aus gearbeitet, während das unter denjenigen mit einem niedrigen Abschluss gerade einmal sechs Prozent möglich war. Das lege den Schluss nahe, dass die Coronakrise die soziale Ungleichheit im Land weiter verstärkt, schreiben die Forscher. Folgen hat das sowohl für die Gesundheit als auch für die finanzielle Situation der Menschen. „Die Risiken der Pandemie sind ungleich verteilt“, schreiben die Wissenschaftler. „Untere Einkommensgruppen haben aufgrund ihrer Arbeit vor Ort vermutlich ein größeres Risiko sich mit dem Coronavirus anzustecken.“ (…) Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell spricht deshalb von einer „Hierarchie der Not“. Verstärkt wird diese dadurch, dass gerade in den Branchen, die besonders unter dem Shutdown leiden, die Löhne sehr niedrig sind: in der Gastronomie oder im Einzelhandel. (…) Wie groß das Problem ist, zeigen Zahlen, die das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) für Schleswig-Holstein erhoben hat. Dort arbeiten 240 000 Menschen in Betrieben, die vom Shutdown betroffen sind – 80 000 von ihnen sind Geringverdiener. Dramatisch ist dabei die Lage der Minijobber, also jener, die nur auf 450-Euro-Basis arbeiten. Denn Unternehmen können sie gar nicht erst in Kurzarbeit schicken, sodass oft nur die Kündigung bleibt. „Gerade Geringverdienern droht der Stellenverlust und damit der Wegfall ihres Einkommens“, sagt IfW-Experte Klaus Schrader. (…) Dabei gibt es auch bei der Kurzarbeit Unterschiede: Während Industriebetriebe das Kurzarbeitergeld nämlich meist freiwillig aufstocken, ist das vielen Dienstleistern nicht möglich. Sie sind schon froh, wenn sie die Jobs erhalten können, die Mitarbeiter nicht entlassen müssen. Auch das trifft vor allem Geringverdiener. (…) Verlässliche Zahlen, ob die Coronakrise die Ungleichheit bei den Vermögen vergrößert, wird es erst in der Rückschau in ein paar Jahren geben. (…) Miriam Rehm, die an der Universität Duisburg-Essen zur Ungleichheit forscht, glaubt zudem, dass der Crash am Aktienmarkt nur wenig Auswirkungen auf das Gesamtbild haben dürfte. „Entscheidend ist die Höhe der Ungleichheit bei den Vermögen“, sagt sie. „In Deutschland sind die Vermögen so ungleich verteilt, dass die Krise die Vermögen der Reichsten extrem stark treffen müsste, um die Vermögensungleichheit nachhaltig zu reduzieren.“ (…) Gleichzeitig aber haben sich für viele Menschen die Lebensumstände verändert. Rehm sieht dabei vor allem die Frauen im Nachteil, die zusätzlich zum Job nun vielfach auch noch die Kinderbetreuung und das Homeschooling übernehmen. (…) Ebenso groß sind die Unterschiede bei den Unternehmern. Während die einen auf Hilfskredite angewiesen sind, machen andere das große Geschäft. Ein Extrem-Beispiel ist dabei Jeff Bezos, Chef des Onlineversandhändlers Amazon: Er ist durch die Coronakrise seit Jahresbeginn um 23,6 Milliarden Dollar reicher geworden. (…) DIW-Forscher Stefan Bach regt deshalb eine einmalige Vermögensabgabe an. Dabei würde einmal festgestellt, wer wie viel leisten muss – abbezahlen könnten die Vermögenden sie dann über einen längeren Zeitraum. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man mit einer solchen Vermögensabgabe gute Erfahrungen gemacht“, sagt Bach. Er schlägt vor, dass diese Abgabe das reichste Prozent der Deutschen zahlen sollte…“ Artikel von Carla Neuhaus vom 10. Mai 2020 beim Tagesspiegel online externer Link
  • Die Krise rückt die Klassengesellschaft in den Fokus. Expert*innen und Beamt*innen machen die Ideologie unsichtbar. Aber die Verantwortung trägt die Politik 
    In Not erkennt man seine Freunde, sagt das Sprichwort. Ein Ausdruck, der davon ausgeht, dass wir erst in der Not wissen, wes Geistes Kind jemand wirklich ist. In guten Zeiten ist es leicht, Freund zu sein, aber in schlechten Zeiten trennt sich die Spreu vom Weizen. Das kann natürlich leicht auf die gesellschaftliche Ebene übertragen werden: In der Krise wird das System auf die Probe gestellt. Das heißt, wenn es nicht in Bewegung ist, dann sehen wir am deutlichsten die wahre Natur der Gesellschaft; welche Werte vor anderen geschützt werden und wessen Interessen an erste Stelle gesetzt werden. Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass dies vielleicht vor allem ein systemkritischer, sozialistischer Blick auf die Gesellschaft ist. Für ein allgemeineres politisches Bewusstsein ist die Ausnahme einfach nur eine Ausnahme. Deshalb schreit die Rechte derzeit mit einer Stimme: „Wenn die Krise vorbei ist, wird alles wieder so weitergehen wie vorher!“ Die meisten Menschen denken in erster Linie daran, wie schön es wäre, Menschen wiederzusehen und das Leben wieder aufzunehmen. Politisch bedeutet es etwas völlig anderes, dass wir alles, was wir jetzt lernen, ebenso schnell wieder vergessen sollen. Alle Maßnahmen, die notwendig sind, um auf die Krise zu reagieren, sollen so schnell wie möglich aufgehoben werden, und alles soll zu der Ordnung zurückkehren, die vorher bestand. Das sind natürlich zwei völlig unterschiedliche Dinge, aber überall und immer werden sie zu einem zusammengebacken. Das nennt man Ideologie. Am stärksten wirkt die Ideologie, wenn sie überhaupt nicht erwähnt wird, in angeblich unpolitischer Rhetorik. Wie bei der Veröffentlichung von Zahlen, die zeigen, wie stark überrepräsentiert im Ausland geborene Menschen unter den Corona-Infizierten in offiziellen Statistiken sind, und der Antwort der Gesundheitsbehörde, man könne die betroffenen Gruppen nicht mit Informationen erreichen. Wie amtlich und unpolitisch das klingt! Das schafft Platz für wilde Spekulationen über „kulturelle Besonderheiten“, „geringes Vertrauen in den Staat“, „mangelnde Fähigkeit, sich Wissen anzueignen“, „Familienstrukturen, die von der schwedischen Norm abweichen“. Alles klingt so objektiv und unideologisch, dass wir Stopp rufen und das Band zurückspulen müssen, um Zeit zu haben darüber nachzudenken, was wirklich gesagt wird…“ Leitartikel aus der schwedischen Zeitung „Internationalen“ am 16. April 2020, dokumentiert in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 3/2020 externer Link (Mai/Juni 2020)(Übersetzung aus dem Schwedischen: Björn Mertens)
  • [HBS] Drei Monate durchhalten – Pandemie vergrößert Ungleichheiten 
    Die Corona-Krise in Deutschland macht sehr deutlich, wie unterschiedlich Beschäftigte in beruflich und wirtschaftlich schwierigen Situationen abgesichert sind oder auf unterstützende Regeln vertrauen können. Das gilt beispielsweise bei der Höhe des Kurzarbeitergeldes oder der Organisation von mobiler Arbeit und Homeoffice. Durch die Pandemie können sich bestehende Ungleichheiten am deutschen Arbeitsmarkt verschärfen – etwa zwischen höher und niedriger bezahlten Beschäftigtengruppen, aber auch zwischen den Geschlechtern. Generell sind Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen, in Betrieben ohne Tarifvertrag oder Betriebsrat sowie Frauen derzeit überproportional belastet. Das zeigen erste Ergebnisse einer neuen Online-Befragung, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung 7.677 Erwerbstätige interviewt wurden. Die von Kantar Deutschland durchgeführte Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab. 94 Prozent der Befragten unterstützen die Forderung nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in „systemrelevanten“ Berufen wie Pflege oder Einzelhandel. „Bestimmte gesellschaftliche Gruppen sind vor den Auswirkungen der Krise schlechter geschützt als andere. Das kann langfristig negative Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft haben“, warnt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch. Die Soziologin an der Universität Paderborn und designierte Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat die neue Befragung ausgewertet. 74 Prozent der Befragten äußern Sorgen um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland, 70 Prozent sorgen sich um ihre eigene wirtschaftliche Situation. Diese Sorgen sind in den unteren Einkommensgruppen stärker ausgeprägt. (…) 14 Prozent der zwischen dem 3. und dem 14. April Befragten in abhängiger Beschäftigung gaben an, momentan in Kurzarbeit zu sein. Rechnet man diese Zahl auf die Gesamtzahl der Beschäftigten hoch, entspräche dies ca. 4 Millionen Beschäftigter, die momentan in Kurzarbeit sind. Beschäftigte in niedrigeren Einkommensgruppen sind häufiger in Kurzarbeit als Arbeitnehmer mit höherem Einkommen, zeigt die Auswertung der Befragungsdaten durch Bettina Kohlrausch. Von den Befragten in Kurzarbeit erklärt rund ein Drittel (32 Prozent), dass ihr Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld aufstocke, gut die Hälfte (52 Prozent) berichtet hingegen, es gebe in ihrem Betrieb keine Aufstockung, der Rest konnte das (noch) nicht sagen. Personen, die in einem Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten, erhalten nach der Umfrage mehr als doppelt so häufig (45 Prozent) eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes wie Personen, die nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden (19 Prozent). Eine aktuelle Übersicht des WSI zeigt, dass die DGB-Gewerkschaften derzeit in knapp zwei Dutzend Branchen und Großbetrieben tarifvertraglich Aufstockungszahlungen vereinbart haben…“ HBS-Pressemitteilung vom 21.04.2020 externer Link, siehe zum Hintergrund auch unser Dossier: Wenn Arbeitgeber nach mehr Staat rufen: Mit Kurzarbeit wertvolle Arbeitskräfte in viralen Zeiten hamstern und die Unternehmen auch bei den Sozialbeiträgen entlasten?
  • Das dünne Eis: Die Corona-Krise zeigt, dass die meisten Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft von der Hand in den Mund leben
    „… So kennen wir die Gewerkschaft: Selbstverständlich geht das mit der Kurzarbeit in Ordnung – bei der Alternative Entlassung. Wenn die Unternehmen weniger Geschäfte machen, müssen die Arbeitnehmer halt die Gürtel enger schnallen. Sie dürfen froh sein, dass ihnen noch nicht gekündigt wird. Dieser Zusammenhang, diese Abhängigkeit der Existenz der Gewerkschaftsmitglieder von der Firmenbilanz ist doch klar wie Kloßbrühe. Wer daran zweifelt, versteht nichts von „Wirtschaft“, da gibt es keinen Dissens zwischen Unternehmern und Vertretern der Arbeiterinteressen. Menschen zu bezahlen, die weniger oder sogar keinen Gewinn erwirtschaften, geht nun einmal nicht. Leistung in der Marktwirtschaft wird nur dann entlohnt, wenn sie sich lohnt – für den Arbeitgeber. (…) Die Frage nach einem Einkommen, das dem abhängig Beschäftigten eine komfortable Existenz sichert, kommt in diesem Verhältnis nicht vor. Logisch: Ein Arbeitnehmer kann sich weder seinen Job einteilen noch gut davon leben. Was er zu leisten hat, bestimmt die Firma. Und wie viel Geld er dafür bekommt, ist Gegenstand ständiger Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber – ob mit oder ohne Gewerkschaft. Denn für den Betrieb sind die Personal-Ausgaben Abzug vom Gewinn. Je geringer sie ausfallen, desto besser sieht die Bilanz aus. Das steht natürlich unmittelbar im Gegensatz zum Interesse des Arbeitnehmers an einem auskömmlichen Gehalt. Aber was heißt schon „auskömmlich“? In normalen Zeiten kämpfen sie schon damit, die alltäglichen und notwendigen Ausgaben zu finanzieren. Diese Kosten laufen selbstverständlich weiter auch bei einem Kurzarbeitergeld von nur noch 60 bzw. 67 Prozent des Gehalts. Entsprechend ungemütlich wird die Lage, von Tag zu Tag mehr. (…) Wie dünn dieses Eis ist, auf dem der normal abhängig Beschäftigte in Deutschland wandelt, zeigt sich deshalb nicht erst seit der wegen der Corona-Pandemie verordneten wirtschaftlichen Auszeit. Monat für Monat müssen die Arbeitnehmer hoffen, ihr Gehalt zu bekommen – sonst ist ihre ökonomische Lage in kürzester Zeit prekär. Rücklagen können sie kaum bilden, laufende Kredite und Mieten sowie natürlich alle anderen notwendigen Ausgaben für die Lebenshaltung müssen bezahlt werden. (…) Auf die verschärfte Notlage der Arbeitnehmer wegen „Corona“ weist die IG Metall zu Recht hin. Nur was folgt für sie daraus? Es sollten beim Kurzarbeitergeld schon 80 Prozent des letzten Nettolohns sein. Wie sie errechnet hat, dass dieser Prozentsatz zum Leben reicht, bleibt rätselhaft. Die Vermutung liegt nahe: eher gar nicht. Denn sie begründet die „Forderung“ mit der Ungerechtigkeit, dass die Unternehmen auch die Sozialbeiträge ihrer Beschäftigten erstattet bekommen. Also nicht: Unsere Mitglieder brauchen mindestens die 80 Prozent, um ihre Kosten bezahlen zu können! Sondern: Die paar Euros mehr sind nur zu gerecht! Und das ist leider etwas anderes, als das materielle Interesse von Arbeitnehmern an einer nicht unmittelbar gefährdeten Existenz gegen die Seite der Arbeitgeber durchzusetzen. So bleibt es bei dieser folgenlosen Beschwerde und der Wohltätigkeit einzelner Unternehmen vorbehalten, das Kurzarbeitergeld aufzustocken. (…) Angesichts der katastrophalen Wirkungen des gesellschaftlichen „Lockdowns“ binnen relativ kurzer Zeit erscheint die Situation davor seltsam rosig. Doch da sollte man sich nicht täuschen: Die grundsätzliche Armut der besitzlosen Menschen und ihre damit ständig prekäre Lage gibt es, seit es Marktwirtschaft gibt. „Corona“ macht für sie alles nur noch viel schlimmer.“ Beitrag von Björn Hendrig vom 12. April 2020 bei Telepolis externer Link
  • Wie durch ein Brennglas – Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse vor und während der COVID-19-Pandemie 
    „… Die COVID-19-Pandemie führt derzeit die grundlegende Verletzbarkeit und Unsicherheit allen Lebens vor Augen. (…) Prekäre Beschäftigung (und mehr noch Arbeitslosigkeit) haben aber nicht nur große ökonomische Ungleichheitsfolgen, zumal sie in der Regel mit geringen Einkommen verbunden sind, sondern bringen auch Anerkennungsdefizite in weiteren Bereichen mit sich. Prekäre Beschäftigung wirkt sich auch auf das Soziale aus: „Es löchert die Gesellschaft von innen raus auf“, so eine unserer Befragten. Prekarisierung betraf darüber hinaus auch schon vor COVID-19 das gesamte Leben: Soziale Beziehungen, Familie, Freundschaften, Paarbeziehungen, Liebe können prekär werden, die Sorge für sich und andere, die Gesundheit, soziale Teilhabe, Wohnraum, Sinn, die Zukunftsperspektiven und anderes mehr. Doch wie hängen Nahbeziehungen, Sorge und das gesamte Leben mit Ungleichheiten, Prekarität und Anerkennung zusammen? (…)Unsere Gesellschaft ist strukturell hetero- und paarnormativ. Das Leben in einer (heterosexuellen) Paarbeziehung wird gesellschaftlich als das ‚richtige‘ und ‚glückliche Leben‘ vermittelt. Wie unsere Forschung zeigt, konnten für manche der Befragten Anerkennungsdefizite aus einer prekären Beschäftigung im Paar teilweise aufgefangen werden und traten so etwas in den Hintergrund. Oft bergen heterosexuelle Paarbeziehungen aber große Geschlechterungleichheiten und ungleiche Arbeitsteilungen. Sorgearbeit wird in der Regel Frauen zugewiesen, ist unsichtbar und wird kaum anerkannt. Viele der befragten Frauen litten emotional und körperlich unter der Mehrfachbelastung aus prekärer Beschäftigung, der nahezu alleinigen Sorgeverantwortung und der Hausarbeit. Im Paar entstanden Konflikte, und mehrere Frauen waren wegen Depression, Erschöpfung und Burn-out in Behandlung. Wer nicht in einer Paarbeziehung lebt, ist zwar von Geschlechterungleichheiten im Paar kaum betroffen. Allerdings hat ein Leben ohne Partner*in in einer paarnormativen Gesellschaft oft große Ungleichheitsfolgen, vor allem, wenn Kinder im Spiel sind. Alleinerziehende etwa haben das höchste Armutsrisiko. In unserer Studie deuteten es einige der Befragten als ihr Scheitern, dass sie keine Partnerschaft etablieren und keine Familie gründen konnten. Andere wiederum fanden zur romantischen Liebesbeziehung ansatzweise alternative Anerkennungs- und Sinnquellen, etwa in Freundschaften oder einer Orientierung an Familie und Kindern. Was wir aber nicht fanden, waren zur Erwerbsarbeit alternative Anerkennungsquellen. Während (die befragten) Frauen weiterhin die Hauptverantwortung für Sorge und Haushalt trugen, wurde von Männern – im Paar, in der Erwerbssphäre, sozialstaatlich – weiter erwartet, dass sie die Rolle des Familienernährers ausfüllen. Auch wenn Väter sich stärker um ihre Kinder kümmern wollten, erhielten sie dafür auf den verschiedenen Ebenen nur sehr begrenzt Anerkennung. Für sie bestehen ähnliche Vereinbarkeitskonflikte und Hürden wie für Mütter; alleinerziehende Väter stießen angesichts ihrer Sorgeorientierung etwa bei der an Vollzeit orientierten Arbeitsvermittlung auf größere Schwierigkeiten. (…) Wie durch ein Brennglas verschärfen sich also derzeit Ungleichheiten, die auch schon vor der Pandemie bekannt waren, und neue entstehen. Wir sollten ihnen mit umfassenden Politiken der Ent_Prekarisierung begegnen (…). Diese nehmen in der Verletzbarkeit des Lebens ihren Ausgangspunkt. Sie dezentrieren Erwerbsarbeit und stellen – so eine alte, doch ungebrochen aktuelle feministische Forderung – Sorge und den gesamten Lebenszusammenhang ins Zentrum. Wir plädieren für eine Entprekarisierung von Beschäftigung, eine Orientierung an Guter Arbeit, für eine 32- oder 35-Wochenstunden-Vollzeitvorstellung und die Etablierung von kreativen Lebensarbeitszeitenmodellen…“ Beitrag von Christine Wimbauer und Mona Motake vom 9. April 2020 beim Genderblog externer Link (Christine Wimbauer und Mona Motake veröffentlichten im April „Prekäre Arbeit, prekäre Liebe – Über Anerkennung und unsichere Lebensverhältnisse“ beim Campus Verlag (420 Seiten)
  • Corona und das Krisenprekariat – Die Corona-Pandemie bringt es schlagartig an den Tag: die Konkurrenzökonomie erzeugt massenhaft prekäre Existenzen und soziale Unsicherheit 
    „… Eine dem Individualisierungszwang verfallene Gesellschaft wird durch die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden notwendigen Schutz- und Isolierungsmaßnahmen einem Belastungstest unterzogen, wie er bisher nicht denkbar war. Mit einem Mal kursiert ein Begriff in der Öffentlichkeit und wird insbesondere von Politikern auf geradezu inflationäre Art und Weise vor sich her getragen, der in „normalen“ Zeiten eher als Kampfbegriff der Linken sein Unwesen treibt und deshalb auf generell wenig öffentliche Gegenliebe stößt: „Solidarität“ soll jetzt geübt werden – mit Nachbarn, insbesondere Alten und Hilflosen, mit jetzt schlagartig in ihrer Existenz gefährdeten Unternehmern, Soloselbständigen und überhaupt allen, denen mit dem ökonomischen Shutdown die Geschäftsgrundlage wegzubrechen droht. Dass es sich bei der geforderten „Solidarität“ nicht um eine mit linken Erwartungen angereicherte Form der wechselseitigen Unterstützung und Hilfe unter emanzipatorischen Vorzeichen handelt, wird daran erkennbar, da es hierbei nicht um die Durchsetzung eines egalitären Gesellschaftsmodells gehen soll, sondern um den Erhalt der lebensnotwendigen Grundlagen des bestehenden, die herrschende ökonomische und politische Rang- und Hackordnung natürlich mit inbegriffen. Die Wirtschaft in erster Linie soll vor einem die eigene Konkurrenzfähigkeit massiv schädigenden Niedergang bewahrt werden. Die Gesundheit der Bevölkerung spielt darin insofern eine Rolle, als einerseits deren Arbeits- und somit ökonomische Verfügungsfähigkeit erhalten werden soll und andererseits eine staatliche und grundgesetzlich vorgeschriebene Fürsorgepflicht besteht, aus deren mehr oder weniger gelingenden Erfüllungskriterien sich politisches Kapital erster Güte schlagen lässt. Die Staatsbürger erwarten Führungsstärke, und die Politiker bemühen sich redlich, diesem Bedürfnis zu entsprechen, denn sie sehen darin eine Chance, ihren Ermächtigungsauftrag in einen Zugewinn an politischer Macht umzumünzen. (…) Artikel 14, Absatz 1 des Grundgesetzes lautet: „Das Erbrecht und das Eigentum werden gewährleistet. …“ Diese höchst hoheitliche Eigentumsgewährung, so kurz und bündig sie auch formuliert ist, hat es in sich: garantiert wird nicht nur ein bestimmtes Eigentum, sondern Eigentum schlechthin. Das mag einleuchtend klingen, dennoch stellt sich hierbei die vielleicht nicht ganz unberechtigte Frage, weshalb der Staat es für nötig hält, Riesenvermögen und Armutseigentum gleichermaßen unter Schutz zu stellen. Oder anders gefragt: Weshalb ist dem Gesetzgeber ein milliardenschweres Vermögen gleich viel wert wie die Schachtel Zigaretten, die sich ein Hartz 4-Bezieher von seinem schmalen Überlebensbudget leisten kann? Wenn der Staat, wie in GG Artikel 3, Absatz 1 ausgeführt, verspricht: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Wieso garantiert der Staat seinen Bürgern dann nicht auch einen gleichen und konkret bezifferbaren Anteil am gesellschaftlichen Eigentum? Eine Antwort auf letztere Frage rückt näher, wenn wir uns GG Artikel 2, Absatz 1 anschauen: „Jeder hat das Recĥt auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Hier lässt sich bereits ein aufschlussreicher Bezug zum Eigentumsartikel herstellen: Es verstößt demnach nicht gegen das Sittengesetz, dass der Staat Eigentum unabhängig von seiner Größe und Art unter seinen Schutz stellt und damit so tut, als gäbe es überhaupt keinen praktischen Unterschied zwischen einem Geldvermögen und einer Zahnbürste…“ Beitrag von Richard Winterstein vom 3. April 2020 bei Telepolis externer Link
  • Vor Corona sind nicht alle gleich 
    Die Ausbreitung des Corona-Virus beeinflusst derzeit unser aller Leben und unseren Alltag enorm. Dennoch sind wir in der Pandemie-Krise nicht alle gleich. Ob Geringverdiener*innen, Hartz IV-Bezieher*innen oder Wohnungslose – diejenigen, die es vorher schon schwer hatten, sind von den Auswirkungen am massivsten betroffen. Sie führen nun umso mehr einen Kampf um ihre ohnehin schon prekäre Existenz. Viele von ihnen sind auf Notversorgungsangebote wie die Tafeln angewiesen, welche derzeit nach und nach wegfallen. Durch die grassierenden Hamsterkäufe preiswerter Nahrungsmittel stehen oftmals (wenn überhaupt) nur noch die teuren Varianten im Supermarktregal, die sich Empfänger*innen von Sozialleistungen bei einem Bedarfssatz von zurzeit 150€ für Lebensmittel und Getränke schlicht nicht leisten können. Und die Schließung von Wohnungslosenunterkünften bringt Menschen ohne festen Wohnsitz in den immer noch bitterkalten Nächten in große Gefahr. Während für die Großkonzerne in Eilverfahren milliardenschwere Rettungspakete geschnürt und inzwischen auch für kleinere und mittelständische Unternehmen Schutzschirme gespannt werden, bleibt eine Antwort der bürgerlichen Politik auf die Frage, wie den ärmsten Bevölkerungsgruppen geholfen werden soll, bisher aus. An unterschiedlichen Stellen regt sich deshalb Widerstand. re:volt-Redakteurin Mona Lorenz hat darüber mit der Erwerbsloseninitiative Basta! Berlin gesprochen…“ Interview von Mona Lorenz mit der Erwerbsloseninitiative Basta! vom 26. März 2020 im re:volt magazine externer Link und darin: „… Die Einschränkungen treffen alle Lohnarbeitenden und abhängig Beschäftigten. Besonders betroffen sind momentan all jene, die ihre Arbeitsplätze wegen der Pandemieverlieren, aber zum Beispiel auch Menschen mit Behinderungen oder Sexarbeiter*innen, also Menschen, die sonst öfter mal in Arbeitskämpfen übersehen werden. Dazu kommen Freiberufler*innen, Künstler*innen, Honorarkräfte und so weiter. All jene bräuchten unbürokratische Entschädigungszahlungen. Eine andere Risikogruppe sind Immigrierte aus EU-Staaten, die gerade von Jobcentern in subalterne und schmutzige Berufsbranchen verwiesen wurden. Diese Jobs in der Gastronomie, dem Sicherheitsgewerbe, der Tourismusbranche, auf dem Bau oder in den Schlachtfabriken sind ungesicherter als vergleichbare Arbeiten und zudem mies bezahlt. Es ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Tagen und Wochen zigtausend Leiharbeiter*innen, Beschäftigte in der Probezeit oder Angestellte in sogenannten Subunternehmen ihre Jobs verlieren, Aufträge beziehungsweise gleich auch Verträge gecancelt werden und viele dann ohne Geld zur Finanzierung ihrer Lebenshaltungskosten dastehen. (…) Wir sollten strikt gegen eine komplette Ausgangssperre, beziehungsweise die Verhängung des Notstands handeln und argumentieren, ebenso wie gegen die Abschottung der Länder voneinander. Ein Widerstand dagegen ist auch deshalb wichtig, weil es viele Menschen auf besonders harte Art und Weise trifft – Menschen ohne Wohnsitz, ohne Meldeadresse und so weiter. Sie sind durch diese Restriktionen noch stärkeren Gefährdungen ausgesetzt. Das bedeutet nicht, sich gegen physische Distanzierung und gegenseitige Inschutznahme zu stellen, im Gegenteil: Es richtet sich gegen die menschenverachtenden Auswüchse davon, gegen die Vereinzelung und Isolation. Derzeit wird das Grundrecht auf Asyl ausgesetzt, die Freizügigkeit innerhalb der EU wird zumindest für einige vakant. Wir bekommen nichts mehr voneinander mit. Wir bekommen nicht mehr mit, was mit den Leuten ohne Wohnung, ohne Klo, ohne Krankenversicherungsschutz passiert. Wir bekommen nicht mehr mit, wenn Abschiebungen laufen und so weiter. Teilweise verpassen wir auch, was mit uns selbst passiert, falls wir selbst prekär beschäftigt sind und keine Ahnung haben, wie es weitergehen soll…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164961
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