„Faire-Kassenwahl-Gesetz“: Vorgeschlagene Änderungen für die gute Versorgung der Versicherten brandgefährlich und ein Angriff auf die Selbstverwaltung
Dossier
„Die Große Koalition will ein weiteres Gesetz mit wohlklingendem Namen auf den Weg bringen: Das „Faire-Kassenwahl-Gesetz“. Doch Fairness ist nur ein Teilaspekt des Pakets. Es geht um tiefgreifende Änderungen bei der Organisation und den Finanzen. (…) Die Eckpunkte für die Finanz- und Organisationsänderungen sehen jetzt unter anderem vor: – bundesweite Öffnung bislang regional begrenzter Krankenkassen, darunter Innungskrankenkassen, Betriebskrankenkassen und AOKen – Reform des Risikostrukturausgleichs – bundesweit einheitliche Zuweisungen bei regional unterschiedlichen Ausgabenstrukturen – Abschaffung der ehrenamtlichen Vertreter der Versicherten und Arbeitgeber der Strukturen des GKV- Spitzenverbandes (Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen) (…) Aus Sicht der Gewerkschaften sind die von Minister Spahn vorgeschlagenen Änderungen für die gute Versorgung der Versicherten brandgefährlich. „Wenn die Vorschläge so umgesetzt würden, würden Preiskampf und Konkurrenzdruck der Kassen untereinander auf die Spitze getrieben. Schon jetzt sind die Kassen dazu verleitet, sich besonders um junge, gesunde und gutverdienende Versicherte zu bemühen. Das würde sich dann mit noch mehr Wettbewerb bei den Leistungen, Tarifen und Angeboten weiter eklatant verschärfen“, warnt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. „Das ist der Einstieg in die Abschaffung der sozial selbstverwalteten, solidarischen Gesundheitsversorgung. Es ist ein Fehler, das soziale System einseitig in Richtung Privatisierung und Konkurrenz auszurichten“, so Buntenbach weiter. Dass mehr Wettbewerb im Kassensystem das Allheilmittel für eine bessere Versorgung ist, ist eine vollkommen unbewiesene Annahme. Stattdessen führt mehr Konkurrenz dazu, dass nicht der Mensch im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik steht, sondern Wettbewerb und Organisation. „Das ist alles andere als fair – und schon gar nicht gerecht“, mahnt Buntenbach…“ DGB-Stellungnahme vom 27. März 2019 , siehe auch IG Metall zum darin beinhalteten Angriff auf die Selbstverwaltung und weitere Infos:
- Attacke auf die Selbstverwaltung – Gesetzliche Krankenversicherungen wehren sich: Ehrenamtliche Versichertenvertreter erhalten
„Zum ersten Mal seit der Gründung des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) 2007 hat die Organisation am Donnerstag in Berlin eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen. Anlass sind Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), in denen Kassenvertreter einen Angriff auf die soziale Selbstverwaltung sehen. Sie befürchten eine Schwächung der demokratischen Legitimation des Gesundheitssystems. Das Merkmal der sozialen Selbstverwaltung bekam das hierzulande etablierte System Ende des 19. Jahrhunderts mit den Bismarckschen Sozialversicherungen in die Wiege gelegt. Heute spiegelt sich das Prinzip in den Sozialwahlen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen wieder. Sie sind nicht unbedingt der Aufreger, der Beitragszahler in Massen aktiviert, über ihre Vertretung in den Verwaltungsräten der einzelnen Kassen zu entscheiden. Diese Ehrenamtlichen wählen am Ende den Verwaltungsrat des GKV-SV. Damit sitzen dort dann Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit am Tisch. Mit Spahns Entwurf zum »Faire-Kassen-Wahl-Gesetz« (GKV-FKG) soll dieses Verfahren abgeschafft werden. Der Verwaltungsrat des Spitzenverbandes soll mit hauptamtlichen Kassenvertretern besetzt werden. Von Kassenvertretern, Gewerkschaften und selbst aus dem Arbeitgeberlager ist nun zu hören, dass ohne Not die Axt an das soziale Sicherungssystem gelegt wird. (…) Der Entwurf Spahns für das »Faire-Kassen-Wahl-Gesetz« liegt schon seit dem Frühjahr vor, ist aber auch wegen anderer Punkte in der Koalition umstritten, darunter die bundesweite Öffnung bislang regional tätiger Kassen.“ Beitrag von Ulrike Henning bei neues Deutschland online vom 26. September 2019
- Reform für Medizinischen Dienst der Krankenkassen beschlossen / DGB u.a. gegen die Attacke auf die soziale Selbstverwaltung
„Das Bundeskabinett hat eine Reform des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) auf den Weg gebracht. Künftig soll der MDK organisatorisch von den Krankenkassen getrennt sein, außerdem soll die Prüfung der Krankenhausabrechnungen einheitlicher und transparenter werden. Das soll auf Dauer die Streitfälle wegen Abrechnungsfragen reduzieren. (…) Der MDK wird durch die Änderung zu einer unabhängigen Körperschaft des öffentlichen Rechts. Doch genau das sorgt für erhebliche Kritik. (…) Frank Michalak, Vorstand der AOK Nordost, kritisiert: „Die Medizinischen Dienste werden komplett durch die Beitragsgelder der Kranken- und Pflegekassen bezahlt. Zukünftig sollen aber die Vertreter dieser Kassen so gut wie kein Mitspracherecht mehr haben. Ein völlig untauglicher Zustand.“ Das Gesetz zur Reform des MDK soll am 1. Januar 2020 in Kraft treten. Es bedarf laut Gesundheitsministerium nicht der Zustimmung des Bundesrates.“ Artikel von Tina Groll vom 17. Juli 2019 bei der Zeit online , siehe dazu:- [DGB] MDK-Reform: Spahn attackiert erneut die soziale Selbstverwaltung
„Bundesgesundheitsminister Spahn plant eine Reform des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Dabei attackiert er nicht nur die soziale Selbstverwaltung, sondern auch die Interessen der Versicherten und Beitragszahlenden. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach nennt Spahns Pläne „skandalös und eine Kampfansage“. (…) Der Verwaltungsrat ist das wichtigste Entscheidungsgremium des MDK. Er entscheidet über grundsätzliche Angelegenheiten, verabschiedet den Haushalt und wählt die Geschäftsführung. Bislang wird er nach dem Prinzip der Selbstverwaltung besetzt. Das heißt: Die Versicherten wählen bei die der Sozialwahl ihre Vertreterinnen und Vertreter in die Verwaltungsräte der gesetzlichen Krankenversicherungen. Aus diesen Reihen wird dann der Verwaltungsrat des MDK gewählt. Die Mitglieder des Verwaltungsrates repräsentieren sowohl Versicherte, als auch Arbeitgeber, also beide Seiten der Sozialpartnerschaft und gleichzeitig die beiden entscheidenden Seiten der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). (…) Gerade diese Selbstverwaltung ist Bundesgesundheitsminister Spahn offenbar ein Dorn im Auge: Wie auch schon beim „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ attackiert er die soziale Selbstverwaltung. Den Verwaltungsrat will er öffnen für Ärzte und Patientenorganisationen, also Vertreter der Seite der Leistungserbringer. „Dies würde dann zu der absurden Situation führen, dass sich die Leistungserbringer selbst kontrollieren“, warnt Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied. (…) Zusätzlich will der Minister die Prüfungen der Krankenhäuser empfindlich einschränken. Die Krankenhausrechnungen werden aber aus den Beiträgen der Versicherten beglichen. (…) Die Gewerkschaften fordern deshalb mit Nachdruck, dass die große Koalition die Reformpläne umgehend zu den Akten legt.“ DGB-Stellungnahme vom 17. Juli 2019 - Mehr Unabhängigkeit, weniger Prüfungen – Reform des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen: Kritik von Gewerkschaften
„Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) soll unabhängiger werden. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch ins Kabinett eingebracht. Der MDK prüft Anträge von Versicherten für bestimmte Leistungen und erstellt Gutachten. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Einstufung von Pflegebedürftigen in die verschiedenen Pflegegrade. Es gibt immer wieder die Kritik, der MDK agiere quasi als verlängerter Arm der gesetzlichen Kassen. Zukünftig soll er keine Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen mehr sein, sondern als eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts fungieren. Dann werden auch Vertreter von Patienten, Pflegebedürftigen und der Verbraucher sowie der Ärzteschaft im Verwaltungsrat vertreten sein. Aus dem Medizinische Dienst der Krankenkassen soll der Medizinische Dienst werden. Außerdem soll mit dem Gesetz die Überprüfung von Krankenhausabrechnungen reformiert werden: Kliniken, die ordentlich abrechnen, sollen Spahns Plänen zufolge seltener überprüft werden. Hintergrund sei eine steigende Zahl von Abrechnungsprüfungen, die bei den Kliniken Zeit und Personal binden. Es gibt aber auch immer wieder Beschwerden über fehlerhafte Abrechnungen der Krankenhäuser, wie AFP am Mittwoch meldete. Kritik an dem Reformvorhaben kommt von Krankenkassen und Gewerkschaften, Lob dagegen von den Krankenhäusern. Die Vorstandvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK), Ulrike Elsner, kritisierte die Umbaupläne in der Zusammensetzung der Verwaltungsräte der MDK, wonach die in Sozialwahlen gewählten »aktiven und ehrenamtlich tätigen Verwaltungsräte« der Krankenkassen nicht mehr in die MDK-Gremien gewählt werden dürfen. Im Gegensatz zu deren Mandaten, wurden die Sitze der Kassenvertreter durch Nachbesserungen am ursprünglichen Referentenentwurf allerdings gesichert. So sollen die Kassen mit 16 von 23 Mandaten nun die Stimmenmehrheit in den Verwaltungsräten stellen und von den Krankenkassen gewählt werden…“ Meldung in der jungen Welt vom 18. Juli 2019
- [DGB] MDK-Reform: Spahn attackiert erneut die soziale Selbstverwaltung
- Gesundheitsminister will Versicherte entmachten
„Ob bei Zahnersatz, Arztterminen oder Beitragshöhe: In den gesetzlichen Krankenkassen entscheiden die Versicherten mit. Gesundheitsminister Jens Spahn will diese soziale Mitbestimmung nun demontieren. Wer zahlt, bestimmt mit: Das gilt in Deutschland auch bei den gesetzlichen Krankenkassen. Die Kassen werden durch die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Beide Gruppen entscheiden über die Politik der Krankenkassen mit, genauso wie über Versorgungsleistungen, Haushaltspläne und das Führungspersonal. Konkret heißt das: Arbeitgeber und Versicherte stellen die Mitglieder der Verwaltungsräte, der höchsten Entscheidungsgremien der Kassen. Gewählt werden Verwaltungsräte von der Versicherten. Das Prinzip heißt Selbstverwaltung. (…) An diesem demokratischen Prinzip will Gesundheitsminister Jens Spahn jetzt rütteln. Er will die Selbstverwaltung abschaffen – zumindest im Dachverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband). Dort soll der Verwaltungsrat künftig nicht mehr mit ehrenamtlichen Versicherten- und Arbeitgebervertretern besetzt werden, sondern mit „hauptamtlich tätigen Vorstandmitgliedern der Mitgliedskassen“. So steht es in einem Gesetzentwurf, den Spahn vorgelegt hat. (…) Ungewöhnlich ist Spahns Vorgehen: Den Angriff auf die Selbstverwaltung hat er im Entwurf für ein „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ (GKV-FKG) verpackt. In dem Gesetz geht es eigentlich um den Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen…“ Stellungnahme der IG Metall vom 28. März 2019
- Siehe auch die Kritik der AOK Nordost