Deutschlands Arme und ihr Arzt Gerhard Trabert
„“Das Arztmobil ist da – wenn jemand was braucht!“ So klingt es, wenn Dr. Gerhard Trabert Wohnungslosen ärztliche Hilfe anbietet. Der Arzt und Sozialarbeiter hat schon vor vielen Jahren sein Sprechzimmer auf die Straße verlegt. Unterstützung erhält er dabei vom Verein Armut und Gesundheit in Deutschland, den Trabert 1997 gründete. Der Verein engagiert sich für arme Menschen in Deutschland, aber auch weltweit…“ Die ganze Sendung (58’28“ beim SWR | BR-alpha vom 26. Februar 2014) bei Planet Wissen und dazu:
- Rollende Praxis gegen Zwei-Klassen-Medizin: Seit über 30 Jahren versorgt das Mainzer Arztmobil jene, die an den Hürden des deutschen Gesundheitssystems scheitern
„»Wenn ich freitags unterwegs bin – jeder wünscht mir ein schönes Wochenende. Und meint das auch so.« Gerhard Trabert lächelt zufrieden, wenn er über seinen Arbeitsalltag spricht. Dabei befasst er sich seit mittlerweile über 30 Jahren mit einem komplexen Thema der Sozialpolitik: Menschen mit unzureichendem Krankenschutz. Seit Mitte der 90er Jahre sucht er mit dem Arztmobil wohnungslose und armutsgefährdete Menschen in Rheinland-Pfalz auf, die anderenfalls schweren oder keinen Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung hätten. Das betrifft derzeit in Deutschland über eine Million Menschen, so der Politologe Ilker Ataç von der Hochschule Fulda. Er veröffentlichte im Oktober eine Bestandsaufnahme von Zugangsbarrieren zur medizinischen Versorgung. In Rheinland-Pfalz geht man von 20 000 Betroffenen aus, die keinen Krankenversicherungsschutz haben. Besonders prekär ist der Zugang zum Gesundheitssystem für Drittstaatsangehörige ohne regulären Aufenthaltsstatus. Aber auch kürzlich aus der Haft Entlassene müssen vier bis sechs Wochen auf die Ausstellung ihrer Gesundheitskarte warten. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosigkeit ist außerdem ein Sechstel aller Wohnungslosen in Deutschland nicht krankenversichert. Sie sind für Trabert »die Spitze des Armutseisbergs«. Er ist überzeugt, die Dunkelziffer der Unversicherten liege deutlich höher. Und Trabert hat viel Erfahrung in dem Bereich. Seine Auseinandersetzung mit dem Thema begann Anfang der 90er Jahre. Damals leitete er eine Sportgruppe für wohnungslose Männer. »Da habe ich erstmals mitbekommen, dass viele in einem gesundheitlich schlechten Zustand waren«, erinnert er sich. Er schrieb seine Doktorarbeit über die Gesundheit wohnungsloser Menschen und stellte fest, wie viele vom deutschen Gesundheitssystem nicht versorgt wurden. In Indien lernte er bei der Behandlung Leprakranker die aufsuchende Gesundheitsversorgung kennen. Sie lieferte das bis heute aktuelle Motto seiner Arbeit: »Kommt der Patient nicht zum Arzt, muss der Arzt zum Patienten gehen«. Als erster Arzt in Deutschland erhielt Trabert eine kassenärztliche Zulassung, Menschen »aufsuchend zu versorgen« 30 Jahre später sind es illegalisierte Menschen, die vor den größten Barrieren im Gesundheitssystem stehen. Nach Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes müssen öffentliche Stellen Personen ohne Papiere bei Ausländerbehörden melden, woraufhin ihnen die Abschiebung droht. Deswegen schrecken viele davor zurück, in Krankheitsfällen eine Behörde aufzusuchen. Dabei schützt sie der Nothelferparagraf. Laut ihm muss eine Notfallbehandlung von der Sozialbehörde auch ohne Angaben der Personalien erstattet werden. In der Praxis mache man aber die Erfahrung, so Trabert, dass viele Behörden auf Meldungen bestehen und Kliniken sich deswegen nicht auf Behandlungen einließen. Der Rechtsstreit sei zu mühsam. (…) Gab es im (noch) SPD-geführten Gesundheitsministerium Pläne für die über eine Million unversicherten Menschen in Deutschland? Auf »nd«-Anfrage heißt es dazu, der Koalitionsvertrag der Ampel habe vorgesehen, den Zugang zur Krankenversicherung und die Versorgung von Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus »zu prüfen und im Sinne der Betroffenen zu klären«. Die konkreten Maßnahmen konnten jedoch »innerhalb der Koalition nicht mehr abgestimmt und geeint werden«…“ Artikel von Sarah Yolanda Koss vom 27. November 2024 in Neues Deutschland online - „Ich werde zunehmend wütend“
„Als Arzt und Vorsitzender des Mainzer Vereins „Armut und Gesundheit“ kommt Gerhard Trabert zu dem Schluss: Armut macht krank und Krankheit macht arm. (…) Wir haben schon jetzt eine Drei-Klassen-Medizin. Für einen Teil der Bevölkerung ist unser Gesundheitssystem hervorragend, aber für immer mehr Menschen ist es zu hochschwellig, wird die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen immer mehr von der ökonomischen Lebenssituation des Erkrankten abhängig. Unser Gesundheitsversorgungs- und Sozialleistungssystem ist krank und verursacht selbst Krankheit, Krankheitsverschlimmerung und Ausgrenzung…“ Interview von Thomas Leif beim Freitag online vom 16.03.2016 . Aus dem Text: „… Die Suizidquote bei arbeitslosen Menschen ist zwanzigfach höher als bei Erwerbstätigen. Die Depressionsrate ist deutlich erhöht. Darüber finden Sie kein einziges Wort in diesem Armutsbericht. Genau wie über die Gesundheitsreform, die Zuzahlungen, die zunehmenden Eigenbeteiligungen, diese Entsolidarisierung im Gesundheitssystem, die Aufgabe der Parität, das Festschreiben des Arbeitgeberanteils an den Krankenversicherungsbeiträgen und die dynamische Anpassung, sprich einseitige Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge. Dies alles sind Faktoren, die viele Menschen weiter ausgrenzen und von einer adäquaten Gesundheitsversorgung entfernen. Dies wird nicht thematisiert und nicht bekämpft…„