Debatte um Übergewinnsteuer: Moralisch und finanziell angebracht
Dossier
„Die Mineralölkonzerne machen seit dem Ukrainekrieg Extraprofite. Der Benzinpreis ist extrem hoch, der Rohölpreis ist es nicht. In Kriegszeiten machen manche Branchen hohe Gewinne, der Job des Staates ist es, diesem moralisch und ökonomisch unhaltbaren Zustand entgegenzuwirken. Das haben die USA und Großbritannien schon vor mehr als 100 Jahren im Ersten Weltkrieg getan. (…) In Italien müssen seit ein paar Monaten Energiekonzerne eine moderate Steuer auf Extragewinne zahlen. Es ist auch keine Raketenwissenschaft, diese Steuer verfassungsgemäß einzuführen und einigermaßen unbürokratisch zu gestalten. (…) Besser eine Übergewinnsteuer, die wenigstens etwas bringt, als ein überforderter Staat, der tatenlos duldet, dass Geringverdiener unter der Inflation leiden und Konzernprofite explodieren…“ Kommentar von Stefan Reinecke vom 6.6.2022 in der taz online – siehe dazu:
- [Übergewinnsteuer] Die Umverteilung von unten nach oben geht weiter
„… Über ein halbes Jahr ist es nun her, da brachte Italien eine der ersten Übergewinnsteuern für Energiekonzerne auf den Weg. Währenddessen konnte Lindner bei der Mineralölindustrie keine Übergewinne ausmachen, erkannte aber bei der Stromindustrie »Rendite-Autopiloten«, also durch das Marktdesign entstandene Zufallsgewinne. Getrieben von EU-Beschlüssen, legt die Ampel nun eigene Konzepte für eine 90-prozentige Zufallsgewinnabschöpfung auf dem Strommarkt und eine 33-prozentige Übergewinnabschöpfung bei Kohle, Gas und Öl vor. Doch die Vorschläge sind unausgegoren. Dabei ist das Abschöpfen der Übergewinne fundamental. Denn den zusätzlichen Einnahmen bei den Energiekonzernen stehen höhere Ausgaben der ganzen Gesellschaft gegenüber. Das ist Umverteilung von unten nach oben par excellence. Wird diese Umverteilung nicht gestoppt oder rückabgewickelt, wird die Ungleichheit sowie die Marktmacht der Krisengewinner weiter zunehmen. (…) Mit diesen Übergwinnabschöpfungen wird die Umverteilung von unten nach oben auf dem Energiemarkt abgedämpft – dabei müsste sie komplett gestoppt und die bisherige rückabgewickelt werden. Diese Rückabwicklung ist bei Strom für dieses Jahr aber nur noch bis Jahresende möglich. Danach wird man diese Übergewinne nicht mehr über diesen Weg besteuern können. Das alles ist nötig, um überhaupt nur den verteilungspolitischen Ausgangszustand wiederherzustellen. Dazu muss Lindner seine Definition und seinen Steuersatz überarbeiten und Habeck wiederum ein Modell vorlegen, das eine Rückwirkung ermöglicht und neue Anlagen nicht ausnimmt. Sollte das nicht geschehen, wird eine Vermögensabgabe noch wichtiger. Denn früher oder später fließen die Übergewinne von heute zu den Superreichen von morgen.“ Artikel von Lukas Scholle vom 2. Dezember 2022 in Jacobin.de - DGB: Übergewinnsteuer einführen: Wer von der Krise profitiert, soll zahlen.
„Die Kosten für Gas und Strom gehen durch die Decke. Doch während viele Menschen durch die steigenden Energiepreise ärmer werden, erzielen einige Energiekonzerne hohe Extra-Gewinne. Auch andere Unternehmen profitieren von der Energiekrise – auf dem Rücken der Verbraucher*innen. Diese Krisengewinner müssen zur Kasse gebeten werden, um Entlastungen für die Allgemeinheit zu bezahlen. Der DGB fordert, Krisenprofiteure in die Pflicht zu nehmen. Mit einer Übergewinnsteuer könnten krisenbedingte Gewinne abgeschöpft und Entlastungspakete gegenfinanziert werden. Die Bundesregierung hat dies für den Strommarkt bereits zugesagt, auch auf Druck der Gewerkschaften. Sie muss es nun schnell umsetzen und auf weitere Bereiche ausweiten. Das fordert der DGB, um die Krisenkosten gerecht zu verteilen: – Rasche Umsetzung des EU-Beschlusses für Strompreisbremse und Solidaritätsabgabe – Einführung der Übergewinnsteuer für Unternehmen der Energiewirtschaft – Wiederbelebung der Vermögensteuer ab einer Million Euro Nettovermögen – Einmalige Vermögensabgabe für Superreiche und Vermögende. (…) Wenn Unternehmen erfolgreich sind, ist das gut. Denn nur in erfolgreichen Unternehmen können langfristig gute Arbeitsplätze gesichert werden. Und die Erfolge sind auch auf die dort Beschäftigten zurückzuführen. Doch Gewinne, die auf dem Rücken der Verbraucher*innen eingefahren werden, müssen anders bewertet werden. (…) Auch die Vermögen der Reichsten wachsen ungebremst weiter. Dem Staat entgehen Milliarden an Steuereinnahmen, weil seit 1997 keine Vermögensteuer mehr erhoben wird. Der DGB fordert, dass starke Schultern auch mehr zum Gemeinwesen beitragen sollen. Für Superreiche und Vermögende muss es eine einmalige Vermögensabgabe geben. Vermögen und Erbschaften müssen wieder stärker besteuert werden. Diese Forderungen findet sich auch im DGB-Steuerkonzept: Vermögensteuer, Preisbremsen, Abgabe für Superreiche – wie eine faire Verteilung gelingt…“ DGB-Forderungen mit ausführlicher Begründung vom 25. Oktober 2022 und als Faktenblatt - Studie des Netzwerk Steuergerechtigkeit zu Übergewinnsteuer für Energieunternehmen schätzt mögliche Mehreinnahmen für Deutschland auf 30-100 Milliarden Euro
„Unsere aktuelle Studie “Kriegsgewinne besteuern. Ein Beitrag zur Debatte um Übergewinnsteuern” für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, über die der Spiegel berichtet , schätzt: Deutschland könnte durch eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen etwa 30 bis 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen gewinnen. (…) Je nach Ausgestaltung und Steuersatz (25, 50 oder 90 Prozent) könnte eine Übergewinnsteuer trotzdem Einnahmen von rund 30 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr generieren. Die bisherigen Preisentwicklungen und das Beispiel Italien legen nahe, dass Einnahmen von 30 bis 40 Milliarden Euro realistisch wären. Würde es gelingen fast alle in Deutschland erwirtschafteten Gewinne auch hier zu besteuern, wären hypothetisch sogar 100 Milliarden Euro möglich. Während die EU-Kommission eine europäische Übergewinnsteuer erwägt, haben einige europäische Länder, darunter Großbritannien, Italien, Spanien, Griechenland, Rumänien und Ungarn, Übergewinnsteuern eingeführt, entwickeln sie gerade oder weiten sie aus (etwa Spanien mit Blick auf die Banken). Die erwarteten Einnahmen bewegen sich zwischen 0,2 und 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Auf Deutschland übertragen und auf ein Jahr gerechnet wären dies elf bis 40 Milliarden Euro. (…) Zwei Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags argumentieren mittlerweile recht eindeutig, dass eine Übergewinnsteuer in Deutschland rechtlich möglich ist. Auch eine Verwendung von Quasi-Gewinnen aus den Umsatzsteuervoranmeldungen wie in Italien wäre möglich. Damit ist der Einwand von Bundesfinanzminister Lindner (FDP), Übergewinne ließen sich „amtlicherseits“ nicht feststellen, widerlegt. Ökonomisch und politisch gibt es eine Reihe von Ansätzen, Übergewinne zu ermitteln und die Übergewinne der Mineralölkonzerne in Deutschland zu besteuern. Die Gegenargumente sind also vor allem eine ideologisch und verteilungspolitisch motivierte Verteidigung des Status Quo…“ Meldung des Netzwerk Steuergerechtigkeit vom 16.8.2022 - Extraprofite: So wächst der Druck auf die Energiekonzerne in Deutschland
„Die Kritik an den Ölkonzernen wächst. Denn trotz der Senkung der Spritsteuer kommt davon kaum etwas bei den Verbrauchern an. Der Steuervorteil bei Super (E10) beläuft sich seit Mittwoch auf über 35 Cent pro Liter, bei Diesel fast 17 Cent. Doch die Preise an den Zapfsäulen sind nur kurzzeitig gesunken. Ein Sprecher des Automobilclubs ADAC sagte am Wochenende: „Die Entwicklung geht in die komplett falsche Richtung“. Nun fordern auch in Deutschland Koalitionspolitiker, dass die Energiekonzerne stärker zur Kasse gebeten werden. (…) Vor allem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) spricht sich aber gegen die Profit-Besteuerung aus. Auch der Chef des Ifo-Instituts Clemens Fuest warnt vor einem solchen Schritt. Viele Wirtschaftsredaktionen der großen Medien wenden sich ebenfalls gegen die Übergewinnsteuer, wie sie jetzt diskutiert wird. Der Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung Nikolaus Piper zum Beispiel nennt eine Übergewinnsteuer „Willkür“ und empfindet sie als „ungerecht“. Und er fragt: „Ist es wirklich gerecht, Unternehmen Gewinne wegzunehmen, bloß weil Politiker sie für überhöht halten?“ Natürlich könnte Piper auch fragen, ob es gerecht ist, dass Energiekonzerne leistungslos Profite mitnehmen auf Kosten der Verbraucher:innen und jedes Jahr in Deutschland laut Internationalem Währungsfonds (IWF) rund 70 Milliarden Euro an Steuergeldern in Form von Subventionen für fossile Energieträger erhalten, ohne die sie auf den Märkten nicht überleben würden. (…)
Während die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Besteuerung der Kriegsgewinne bislang ablehnte, hat die konservative Regierung in Großbritannien nachgezogen und will ebenfalls eine Übergewinnsteuer von 25 Prozent als Ausgleichsmaßnahme einführen. In Italien hofft man mit der Zusatzsteuer Einnahmen von rund zehn Milliarden Euro zu generieren. In Großbritannien rechnet man mit sechs Milliarden. (…)
Letztlich müssten auch nicht nur die Kriegsgewinner aus der Energiebranche, sondern alle Profiteure zur Kasse gebeten werden. Der Demokrat und Vorsitzende des Senatsausschusses für Haushaltsfragen Bernie Sanders schlug in den USA vor kurzem ein Gesetz mit dem Namen Ending Corporate Greed Act vor. Danach sollen Konzerne, die ihren Durchschnittsgewinn der Vorjahre übertreffen, 95 Prozent auf diese Profite zahlen. Bei den dreißig größten Unternehmen würde das zu staatlichen Mehreinnahmen von 400 Milliarden Dollar führen.“ Beitrag von David Goeßmann vom 07. Juni 2022 in Telepolis - [DGB] Übergewinnsteuer: Profitgetriebene Inflation verhindern!
„… Europaweit sind Verbraucher*innen von steigenden Preisen betroffen. Doch es gibt auch Krisengewinner: Viele Unternehmen können Preissteigerungen bei Vorprodukten an die Kunden weitergeben und machen nach wie vor gute Gewinne. Manche machen im Windschatten der Inflation sogar Extra-Profite. Insbesondere großen Energie- und Mineralölkonzernen bescheren hohe Preise ein starkes Plus bei Umsätzen und Gewinnen (…) Solche Gewinne – auch „windfall profits“ genannt – sind weder Resultat unternehmerischer Leistung noch vorausschauender Investitionen. Sie ergeben sich daraus, dass eine Sondersituation am Markt ausgenutzt werden kann. Bereits seit Beginn der Coronapandemie wird eine „Übergewinnsteuer“ als Mittel zur Abschöpfung solcher Gewinne diskutiert. Krisengewinner sollen zur Kasse gebeten werden, um mit den Einnahmen wiederum Entlastungsleistungen für die Allgemeinheit zu finanzieren. Als historische Beispiele dienen u. a. die USA, England und Frankreich, wo während des ersten und zweiten Weltkrieges die Übergewinne solcher Unternehmen besteuert wurden, die von der Kriegswirtschaft überproportional profitierten. (…) Bereits im März 2022 hat die EU-Kommission eine Leitlinie zur Besteuerung übermäßiger Gewinne veröffentlicht und damit Rechtssicherheit geschaffen. Daraufhin hat Italien als erstes Land eine Übergewinnsteuer von 10 Prozent eingeführt, welche wenig später auf 25 Prozent erhöht wurde. Dabei wird einmalig jener Teil des von Energieunternehmen zwischen Oktober 2021 und März 2022 erwirtschafteten Umsatzes besteuert, welcher den Vorjahreswert um mindestens 5 Millionen Euro oder 10 Prozent überschreitet. Der Fokus auf die Umsätze erfordert dabei nur minimalen Verwaltungsaufwand. Erwartet werden Steuereinnahmen von circa 10 Milliarden Euro. In Großbritannien werden seit Ende Mai ebenfalls überhöhte Gewinne der Energieriesen abgeschöpft. Dort setzt die Steuer allerdings nicht am Umsatz, sondern direkt bei den Gewinnen an, wofür schon ein ausgeklügeltes Steuerinstrumentarium existiert. Dabei gewährt die britische Regierung Steuererlasse, sofern die Unternehmen ihre gestiegenen Gewinne in die Erweiterung der Produktion reinvestieren. Gerechnet wird dennoch mit Einnahmen in Höhe von 5 bis 8 Milliarden Euro. Weitere Varianten der Übergewinnsteuer wurden zudem in Rumänien, Bulgarien und Griechenland eingeführt. (…) Klar ist: Es darf nicht sein, dass Unternehmen Preise erhöhen und die ohnehin inflationsgeplagten Verbraucher*innen belasten, um Extra-Gewinne einzufahren und an die Aktionäre auszuschütten…“ Beitrag vom 3. Juni 2022 von und bei DGB-Klartext Nr. 18/2022
Siehe auch unser Dossier: Christian Lindner: „Eine Vermögensteuer kann Deutschland sich nicht leisten“