Finanzkapitalismus macht Reicher immer noch reicher – und beherrscht die Politik sowie die „demokratische“ Öffentlichkeit dazu
Die Ungleichheit bedroht unsere demokratischen Gesellschaft – Ein unwidersprochener Diskurs ohne Wirkung auf die Meinungsmacher. Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 10.4.2014
Ein erster Schritt: Mehr Gleichheit bringt Glück
Rufen wir uns also in einem ersten Schritt den Unsinn dieser Machenschaften des Finanzkapitals für die „Immer-Reicheren“ in Erinnerung, da es zeigt, um wie vieles zufriedener eine Gesellschaft ohne diese extreme Polarisierung in ein ach-so-kleines „Oben“ und dem gewaltigen sozialen „Unten“ doch sein könnte.
Bevor wir deshalb zu dem neuen Heft von „APuZ“ über „die da oben“ kommen, sei hier noch einmal in aller Kürze der Kontext des Gleichheits-/Ungleichheits-Diskurses grob nachvollzogen, da es den Anschein hat, dass er jeweils „gegenseitig“ überhaupt nicht wahrgenommen wird – also lauter wissenschaftlich „Autisten“ oder „Nabelbetrachter“ ohne einen Sinn für das Wesentliche?
Groß begann die Diskussion mit den Forschungsergebnissen von Richard Wilkinson und Kate Pickett „Gleichheit ist Glück“ (vgl. z.B. http://www.nachdenkseiten.de/?p=4972#h12 , http://www.nachdenkseiten.de/?p=4968#h05 oder: http://www.nachdenkseiten.de/?p=4786#h01 und http://www.nachdenkseiten.de/?p=8070#h11 ). Thomas Fricke bringt das Ergebnis zusammenfassend auf den Punkt: Nieder mit Arm und Reich (http://www.nachdenkseiten.de/?p=5934#h05 , vgl. auch den Überblick bei den „einleitenden Bemerkungen… zur mangelnden Gleichheit“ bei (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/bahl_sowi2.html)
Nur dieses „Nieder mit Arm und Reich“ steht erst noch einmal in den Sternen, wenn wir einen Blick werfen auf die zunehmende „Proletarisierung“ im Dienstleistungsbereich, wo die Menschen ohne jede gesellschaftliche Aufstiegschance und berufliche Sinnerfüllung mit ihrem niedrigen Einkommen immer mehr vom kapitalistsichen Versprechen der Teilhabe ausgeschlossen werden. (vgl. zum Dienstleistungsproletariat in Deutschland Friederike Bahl und Philipp Staab vom HIS zu „Zukunft der Ungleichheit“ (http://www.deutschlandfunk.de/dienstleistungsproletariat-in-deutschland.1148.de.html?dram:article_id=180794 oder auch noch die Pubikationen http://www.his-online.de/ueber-uns/mitarbeiter/aktuell/person/bahl-friederike/lecture/ )
Und Ungleichheit zwang uns in die Krise.
Diese zunächst nur soziologischen Befunde von Wilkinson und Pickett zur höheren Zufriedenheit bei stärkerer gesellschaftlicher Gleichheit wurden – parallel – noch vertieft durch die Ökonomen, die den Beitrag der Ungleichheit für die Krise auf`s Korn nahmen: Von der Finanz- zur Weltwirtschaftskrise – Die Rolle der Ungleichheit (http://weltderarbeit.de/start81.pdf oder http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_41_2009.pdf ) und so bremst -ökonomische gesehen – die Ungleichheit nicht nur das Glück von vielen, sondern auch das Wachstum (http://www.nachdenkseiten.de/?p=8654#h03 ). Man könnte das Ergebnis auch so zusammenfassen: Durch Umverteilen von unten nach oben in die Krise. (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07705.pdf )
Zur Diskussion um die ökonomische Bedeutung von Gleichheit und Ungleichheit siehe auch noch einmal Orlando Pascheit und Albrecht Müller zu der Feststellung des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner „Ungleichheit ist besser“ – womit er sich auch als Hort des neoliberalen Dogmas positioniert hat (http://www.nachdenkseiten.de/?p=7754 ). Auf jeden Fall ist die Ungleichheit schlecht für die Konjunktur (http://www.nachdenkseiten.de/?p=8502#h02 )
Für die Diskussion unter den Ökonomen setzte Till van Treeck und Simon Sturn noch einmal einen Markstein für diese Diskussion in einem Gutachten für die Internatioale Arbeitsorganisation (ILO): „Income inequality as a cause of the Great Recession?“ (http://www.nachdenkseiten.de/?p=14481 – oder auch http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_protect/—protrav/—travail/documents/publication/wcms_187497.pdf )
Dass sich in diesen Diskurs noch ein prominenter deutscher Historiker, wie Hans-Ulrich Wehler mit seinem „Die neue Umverteilung – Soziale Ungleichheit in Deutschland“ einmischte, gerät angesichts dieser breiten Wucht prominenter – gerade auch ökonomischer – Argumente schon fast zu „Nebensache“ – obwohl dieses soziale Problem nie zur Nebensache werden kann. (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/2052629/ )
Ja, hatte nicht schon Jean-Jacques Rousseau einer der geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution das Problem der Gleichheit für eine Gesellschaft ziemlich „klassisch“ definiert? (vgl. dazu die Seite 1 „Zurück zu den Anfängen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – oder einfach wir sind die 99 Prozent“ – bei https://www.labournet.de/?p=50518)
Dieser Zuspitzung auf die Ungleichheit pflichtet Noam Chomsky, dieser wunderbare kritische Geist aus den USA, zu: Kern der ökonomischen Krise ist die wachsende ungleiche Verteilung (Seite 2 bei (https://www.labournet.de/?p=52278)
Aber zuletzt „krönte“ noch der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz diese Bedeutung der Ungleicheit für die Zukunft unserer Gesellschten mit seinem Buch „Der Preis der Ungleichheit – und wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht“ (siehe dazu die Seite 3 bei (https://www.labournet.de/?p=50518).
Zum Abschluss seines Buches schreibt Stiglitz noch unter der Überschrift „Besteht Hoffnung?“: Unsere Demokratie, mag sie auch unfair und verzerrt sein, bietet uns zwei Wege, um Reformen durchzusetzen. Die 99 Prozent könnten erkennen, dass sie von dem einen Prozent hinters Licht geführt wurden: dass das, was im Interesse des obersten einen Prozentes ist, nicht in ihrem Interesse ist. Das eine Prozent hat alles daran gesetzt, die übrigen 99 Prozent davon zu überzeugen, dass eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht möglich ist; dass es den 99 Prozent zwangsläufig schade, wenn irgendetwas unternommen wird, was das eine Prozent nicht will. In diesem Buch habe ich nicht nur diesen Mythos zerstört, sonden auch dargelegt, dass wir nicht nur unsere Wirtschaft dynamischer und effizienter, sondern zugleich unsere Gesellschaft fairer gestalten können. (soweit Stiglitz)
Ja, jüngst hatte das der Ungleichheitsforscher Thomas Piketty noch weiter zugespitzt – und klar gestellt, dass wir uns auf das Niveau feudaler Gesellschaften zu bewegen. (Vgl. Das Kapital ist zurück: Gesellschaften so ungleich wie im Feudalismus – vgl. den entsprechenden Abschnitt auf der Seite 4 bei https://www.labournet.de/?p=56131 sowie http://www.nachdenkseiten.de/?p=21240#h12 und weiter zu Piketty: http://jourdan.ens.fr/piketty/_mpublic/ipublic.php )
Aber die Banken mit dem größten Raubzug der Geschichte – einfach so von der Politik unterstützt
Ja, es gibt eine Analyse der Finanzkrise von zwei ehemaligen Finanzberaten noch, die gerade noch einmal Henry Ford zitieren: „Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Banken- und Währungssystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution vor morgen früh.“ – Einen Merkspruch denn sich sicher unsere Kanzlerin im Eurokrisenmanagement zur Devise erkoren hat.
So wird in dem Buch von Matthias Weik und Marc Friedrich „Der größte Raubzug der Geschichte – Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden“ (http://www.nachdenkseiten.de/?p=19862 ) auch noch einmal die Geschichte der Entfesselung der Finanzmärkte vom „Big Bang“ der Margret Thatcher im Jahre 1986 nachvollzogen.
Für Deutschland wird dies an dem Einfluss von Jörg Asmussen nachvollzogen: Er hat den Handel mit ABS vorangetrieben. Laut Süddeutscher Zeitung ist auf ihn wohl auch jene Passage im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2005 zurückzuführen, nach der der deutsche Finanzmarkt (vgl. schon vorher www.nachdenkseiten.de/?p=545 – und allgemein „Im Strudel der Deregulierung“ von Stephan Schulmeister: http://boeckler.de/45592_45620.htm ) von überflüssigen Regulierungen befreit und Produktinnovationen und neue Vertriebswege gefördert werden sollen.
Wie das weltweit befreite Spekulationsunwesen funktionieren konnte, wird am Beispiel der CDO`s geschildert, die dann durch CDS „gesichert“ werden sollten. Wie irrsinnig dieses Treiben der Finanzjongleure war, wird schon daran deutlich, dass 2007 der Nominalwert aller CDS mit 62 Billionen den Wert des Weltsozialproduktes noch übersteigt. Deshalb sehen die Autoren in diesem Finanzprodukt eine der Hauptursachen der globalen Krise.
Und jenseits der offiziellen Bankstrukturen spielt sich das inzwischen in den sog. Schattenbanken ab.
(vgl. dazu inzwischen den „Unterwerfungs-Trend“ noch bei „Merkel noch einmal systemisch gesehen – und deshalb müssen Schattenbanken zur Richtschnur werden“ (Rudolf Hickel) auf der Seite 2 f. – und speziell zu dem Beitrag von Rudolf Hickel auf der Seite 3 unten f. bei https://www.labournet.de/?p=54334)
Besonders verdienstvoll an diesem Buch, das durchaus auch volkswirtschftlich Schwächen aufweist, ist die Tatasache, dass sie deutlich in ihrem „größten Raubzug der Geschichte“ rausarbeiten, wie der Abstand zwischen arm und reich immer größer wird.
Und so wird das Fazit der beiden Autoren niederschmetternd: Die Politik ist immer mehr zum Handlanger der Finanzwirtschaft geworden und setzt deren Interessen gnadenlos gegen die Bevölkerung durchsetzt. Nur – ich muss es gestehen – die Dimensionen dieser Ungleichheit sozusagen „generiert“ durch das Finanzkapital, die blieb uns bisher doch noch verschlossen. Wir wissen einiges über die Instrumente mit denen dieser „Betrug“ auf den Finanzmärkten (ehem. Finanzminister Theo Waigel) von Staaten geht – aber noch nicht, welchen „Flurschaden“ an Ungleichheit sie hinterlassen.
Dem wollen wir uns jetzt im nächsten Abschnitt noch widmen:
Vermögensverteilung in Deutschland – besonders krass
Und da können wir gleich eingangs festhalten: In keinem anderen Euroland ist das Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Und die Schere zwischen denen, die viel Geld besitzen und denen, die gar keines haben, wird dabei immer größer, wie eine DIW-Studie festhielt. (http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/diw-studie-vermoegensverteilung-deutschland )
Und so werden die Reichen immer reicher – und die Armen einfach nur mehr. Arbeitslose haben somit in den vergangenen Jahren besonders viel verloren.
Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt demnach ein persönliches Vermögen im Wert von mindestens 800 000 Euro. Dagegen verfügt ein Fünftel aller Erwachsenen über gar kein Vermögen. Bei rund sieben Prozent sind die Schulden größer als der Besitz. (http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.438708.de/14-9.pdf )
Der Autor der DIW-Studie Markus Grabka verhehlt dabei nicht, dass seine Ergebnisse nur einen Teil der Realität abbilden, denn die Wirklichkeit sehe einfach noch verheerender aus. Man müsse nämlich davon ausgehen, dass diese Stichprobe das Ausmaß der Vermögensungleichheit grob unterschätzt, weil die ganz besonders Vermögenden wie Multimillionäre oder Milliardäre würden fehlen.
Bevor wir aber noch auf diese spezielle Gruppe der Superreichen und ihre besonders privilegierte Situation kommen, hier noch einmal der sog. Gini-Koeffizient, der die Vermögensungleichheit misst und sie dadurch international vergleichbar macht: Der Wert liegt für Deutschland deprimierend hoch – nämlich bei 0,78. Der Wert von eins gibt die maximale Ungleichheit an, während sie bei Null minimal ausgeprägt ist. Zum Vergleich noch einmal: Frankreich liegt bei 0,68 und Italien bei 0,61. Deutschland ist somit mit Abstand das ungleichste Land in der Euro-Zone.
Deshalb kommt Reiner Hoffmann (DGB) mit Blick auf diese Studie zu dem Ergebnis: „Wir sind Europameister, wenn es um die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und die Leistungsbereitschaft unserer Belegschaften geht. Aber wir sind Schlusslicht in der Eurozone, wenn es um die gerechte Verteilung von Vermögen geht. Diese soziale Schieflage muss zurückgedrängt werden. (http://www.dgb.de/presse/++co++b76f0b96-9edb-11e3-8643-52540023ef1a?k:list=Wirtschaft&list=Verm%F6gen )
Und deshalb drängt der DGB auf eine gerechte Vermögensbesteuerung für Zukunftsinvestitionen (http://www.dgb.de/themen/++co++45e62182-9240-11e3-8e2b-52540023ef1a?k:list=Wirtschaft&k:list=Verm%F6gen )
Die Chefin des WSI, Brigitte Unger, hat dazu gleich Vorschläge unterbreitet: Sieben Wege zur Korrektur der Vermögensverteilung in Deutschland. (http://www.gegenblende.de/++co++7514edda-bf09-11e3-98b3-52540066f352 oder auch www.nachdenkseiten.de/?p=21334#h05 )
Und die Ökonomen vom IMK unterstützen dieses Anliegen mit einer fachlich fundierten, aber ansosnten recht komplizierten Analyse – gegen den neoliberalen Mainstream: Ist die Aufnahme zusätzlicher Staatsschulden durch rechtlich und ökonomische Zwänge eng begrenzt, bietet es sich an, ein investives Konjunkturprogramm durch höhere Steuern zu finanzieren. Da der Investitionsmultiplikator signifikant über dem Steuermultiplikator liegt, ist mit einem positiven Wachstumseffekt zu rechnen, der den öffentlichen Haushalt in der Folge stark entlastet. (http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_92_2014.pdf )
Nur gerechter – oder gar gleicher – wird unsere Gesellschaft dabei wohl erst noch kaum, auch wenn die Gefahr der Arbeitslosigkeit mit ihrer starken Armutstendenz reduziert wird.
Und die Super-Reichen als die Krisengewinner
Wir mussten oben noch konstatieren, dass das Ausmaß der Vermögensungleichheit in der DIW-Studie noch unterschätzt wird – weil die Super-Reichen Milliardäre & Co. fehlen, so können wir diese bishrige Lücke mit dem sog.“Billionäre Census“ noch ausfüllen. Und etwas verwundert reiben wir uns die Augen, denn in der Krise mussten doch Steuerzahler – auch der deutsche – immer wieder Banken mit Milliardenbeträgen retten. Und jetzt müssen wir erstaunt mitbekommen, dass in der Finanzkrise die Reichen nicht nur kein Geld verloren haben, sondern die Krise noch einmal eine Beschleuinigung der Umverteilung von unten nach oben bewirkt haben muss – denn die Krise, die seit mehreren Jahren herrscht, dezimiert diese Geldelite „Ganz-Oben“ nicht – nein im Gegenteil sie vergrößert sie. Seit 2009 – dem Beginn dieser Finanzkrise – wurden noch einmal 880 Menschen zu Milliardären.
Und – man höre und staune – in dieser Zeit hat sich ihr Vermögen mehr als verdoppelt: von 3,1 Billionen Dollar auf 6,5 Billionen Dollar. (vgl. „Superreiche kennen keine Krise“: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/volkszaehlung-der-milliardaere-superreiche-kennen-keine-krise-1.1812551 )
Und bei dieser Verdoppelung ihres Vermögens sind die Deutschen ganz vorne mit dabei – trotz der Krise, die jedoch nur für den „kleinen Mann“ so schrecklich ist. (mit steigenden Arbeitslosenzahlen – zwar regional unterschiedlich – und der daraus resultierenden Verarmung der Arbeitslosen.) Deutschland ist als Milliardärsland auch „Spitze“: Mit 148 gibt es in Deutschland so viele Superreiche wie sonst nur in den USA (515) und China (157).
Und für die USA hat Paul Krugman schon einmal den Wandel – weg von einer Demokratie zur Oligarchie der Reichen wahrgenommen. (www.nachdenkseiten.de/?p=21228 ) Und die Verfassungs-Rechtsprechung in den USA zementiert diese Entwicklung nur noch – indem die Obergrenzen für Spenden an Politiker wegen der Begrenzung der Meinungsfreiheit gekippt werden. (http://www.fr-online.de/politik/usa-einfluss-der-lobbyisten-auf-us-politik-steigt,1472596,26741302.html )
Ich stelle mir jetzt den „armen“ Sozialkundelehrer vor, der seinen Schülern beibringen will, was für eine „schöne“ Demokratie wir doch haben, die nur in einer Richtung im Interesse der Reichen noch „marschieren“ kann.
Refeudalisierung unter den Fittichen des Finanzkapitals
Aber vielleicht kann diesem Sozialkunde-Lehrer der Soziologe Sighardt Neckel eine Unterstützung bei der Aufklärung seiner Schüler noch werden – außer natürlich schon Collin Crouch mit „seiner“ Postdemokratie? Denn Sighard Neckel greift zurück auf einen „alten“ Habermas`schen Begriff – damals als Habermas noch Soziologe war – nämlich den Begriff der Refeudalisierung.
Die Oligarchie-Feststellung eines Ökonomen wie Paul Krugman oder die Diagnose des Ökonomen Thomas Piketty, dass wir, was die Ungleichheit betrifft auf feudale Zustände zusteuern (siehe weiter oben noch), kann dann wegen der „gläsernen Wände“ zwischen den im allgemeinen Sinne „Gesellschaftswissenschaften“ – hier als Soziologie oder dort als Ökonomie – wohl eher nicht wahrgenommen werden.
Aber nun von Krugmans-Oligarchie- und Pikettys Feudal-Gesellschfts-Feststellung – ohne diese beiden „Wahrnehmungswelten“ schon vollkomen zur „Deckung zu bringen – wieder zurück zur Neckel`schen Refeudalisierung: Hatte Habermas nämlich nicht in seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ die – damals eben noch unvollendete – These von der „Kolonisierung der Lebenswelt“ entwickelt. Ein Konzept, das ihm dann vollkommen aus dem Blickfeld geriet. (Siehe den Aufsatz von Sighard Neckel, „Refeuda-lisierung“… im Leviathan 1 / 2013, S. 39 bis 56: http://www.fb03.uni-frankfurt.de/45949543/Neckel_Refeudalisierung_Leviathan_1_2013.pdf )
Das Anliegen des Konzeptes der „Refeudalisierung“ stellt Sighard Neckel dann folgendermaßen vor: Mit diesem Beitrag möchte ich meine soziologischen Forschungen der letzten Jahre – die oft disparat erscheinende soziale Probleme behandelten – unter dem Begriff der Refeudalisierung in eine übergeordnete gesellschaftliche Perspektive stellen. So fügt er diese bisherigen Studien zur Erosion des Leistungsprinzips und der Entkoppelung von Leistung und Erfolg in der Verteilung von Status und Einkommen, oder zur Bankenkrise mit der strukturierten Verantwortungslosigkeit im Finanzwesen, sowie der Rückkehr der Klassen in der heutigen Sozialstruktur wie ein Puzzle unter diesem allgemeinen Begriff zusammen, um zu einer Gesamtdiagnose zu gelangen. Und mit dem analytischen Modell der Refeudalisierung versucht er also eine Antwort moderne gesellschaftliche Prozesse und Strukturen zu erläutern. Und so hat Sighard Neckel kürzlich auf einer Tagung des „HIS“ in Hamburg den Begriff der Refeudalisierung auf diese Entwicklung neuer Oligarchien im Finanzmarkt-Kapitalismus umgemünzt. Und mit seinem – inzwischen -starken empirischen Material zeigt er die Entkoppelung des Top-Managements und der Superreichen von den demokratisch legitimierten Einflussystemen nach – und kommt zu dem Schluss, dass die daraus erwachsende „Eigenmächtigkeit“ dieser Superreichen dem der früheren Adelsherren gleiche. Man muss nur hinzufügen – unter einer demokratischen „Maske“.
Die mächtige Beutegemeinschaft der „Ein Prozent“ der Reichsten, die eine millionenschwere „Vermögensverteidigungsindustrie“ aus Anwälten und Lobbyisten unterhält, um möglichst keine Steuern zu zahlen – das „darf“ doch der „kleine Mann“. Und so wird dieser Klüngel durch einen „Ringtausch von Begünstigungen“ (Frage: hat Peer Steinbrück mit seinem speziellen Management der Finanzmärkte nach 2005 in der damaligen großen Koalition auch dazu gehört – oder bemüht sich Sigmar Gabriel mit seiner einseitigen Belastung des „normalen“ Verbrauchers in der Energiewende doch wenigsten von diesem „Klüngel“ der gesellschaftsbestimmenden Superreichen anerkannt zu werden?), die vollkommen unabhängig von Produktivität und gesellschaftlicher Nützlichkeit einfach nur immer reicher werde – selbst in der Krise!
Und dennoch kein Echo in den Medien
Angesichts dieser starken Argumentation-„Front“ steht man verwundert da, weil das Echo in unseren – angeblich doch -demokratischen Medien bei einem Befund, der stark die Mehrheit in unserer – angeblich demokratischen – Gesellschaft nicht nur angeht, sondern viele auch noch massiv beeinträchtigt, gar nicht vorhanden ist – ja, fast völlig ausbleibt. (http://www.gegenblende.de/21-2013/++co++ede53b1e-c3ad-11e2-ad87-52540066f352 )
Gibt es also irgendein „Gängelband“ an dem unsere Medien entlanglaufen und die Öffentlichkeit so wahrhaft „hinter`s Licht führen“? Kann uns die Elite(forschung) eine Auskunft geben: warum Ungleichheit kein Thema ist (sein darf)? Wir können dazu ein neues Heft zu diesem Thema „abklopfen“: Michael Hartmann zu den deutschen Eliten: Die wahre Parallelgesellschaft
Auf die Frage, ob die sozialen Unterschiede in Deutschland gerechtfertigt sind, antworten stets ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung, dass die Unterschiede nicht gerechtfertigt seine, jedoch bei den Eliten sieht das Bild ganz anders aus: Nur 43 Prozent der Elitaangehörigen teilen in dieser Frage die Einschätzung der breiten Bevölkerung. (https://www.bpb.de/apuz/181764/deutsche-eliten-die-wahre-parallelgesellschaft ) Also unsere Eliten finden die Ungleichheit schon einmal kein Thema – für sich – aber muss es deshalb auch kein Thema für unsere Gesellschaft sein?
Nun zu dieser Parallelgesellschaft von oben hat „ApUZ“ (Beilage zum „Parlament“) ein ganzes Heft („Oben“) veröffentlicht. (https://www.bpb.de/apuz/181762/oben ) Nehmen wir uns also noch weitere Beiträge zur Präzisierung unseres Anliegens vor, ob und wie „unsere“ demokratische Öffentlichkeit „hinter`s Licht geführt“ wird.
Ohne alle damit „vollständig“ beurteilen zu wollen, greife ich mir zunächst einmal Jens Becker mit seinem Beitrag „Reichtum in Deutschland und den USA“ heraus, der angesichts der in unserer Gesellschaft vorhanden „pluralen“ Vorstellungen von Reichtum feststellen muss, dass materieller Reichtum in unsere Bevölkerung nicht per se infrage gestellt wird.
So stimmen 82 Prozent der Befragten der Aussage zu,“es ist gut, dass jeder die Freiheit hat, selbst reich zu werden.“ Dennoch glauben nur 15 Prozent der Befragten, dass Reichtum sich zum Wohle der Gesellschaft auswirke. (http://www.bpb.de/apuz/181773/reichtum-in-deutschland-und-den-usa ) Die Ambivalenz in der Diskussion um den Fussball-Manager Uli Hoeneß gibt uns davon einen vielsagenden Eindruck.
Deshalb können wir an dieser Stelle schon festhalten, dass es wohl gelungen ist, dass die Bevölkerung den Reichtum nicht als ein politisch zu behandelndes wichtiges Thema für ihre eigene Zukunft ansieht – gegen all die genannten Fakten, wie „gleichere“ Gesellschaften für alle ein zufriedeneres Leben hervorrufen.
Und diesen empirischen Befund einer Situation, die man auch überschreiben könnte, „Der Klassenkampf fällt erst einmal aus“, kann Klaus Dörre, von der Universität Jena noch einmal zuspitzen. Er stellt nämlich bei seinen umfangreichen Betriebsbefragungen fest, dass wir bei den Beschäftigten auf ein politisches Paradox stoßen: eine kapitalistisch-kritische Grundüberzeugung geht nämlich mit einer hohen betrieblichen Loyalität einher. Unter dem Strich kommt bei diesem Paradoxon dann auch noch raus, dass die Zustimmung zum Unternehemen immer stärker sei als die zu den auch formulierten Gerechtigkeitsmodellen.
Statt einer politischen Solidarität aus Einsicht zeigten diese Leute dann auch eher eine „exklusive Solidarität gegen unten“ (Anmerkung: eine phantastische „Grundlage“ für die Merkel`sche Politik des „Chacun sa merde“ – vgl. dazu noch einmal den Abschnitt „Merkel weiß um die Befindlichkeit der Bundesbürger – und spielt mit ihnen“ auf der Seite 5 f. bei https://www.labournet.de/?p=55249) Bestandssicherung geht klar über Klassenstandpunkt. (Diese Aussagen von Klaus Dörre wurden der „Süddeutschen“ zu der schon erwähnten Tagung des „HIS“ über die „Zukunft der Ungleichheit“ entnommen – Zu den Publikationen von Klaus Dörre über Prekarisierung usw. sie die Veröffentlichnungen http://www.soziologie.uni-jena.de/LSDoerre_Publikationen.html )
Als Kommentierung dieses soziologischen Befundes kann ich mich dann nur noch dem früheren SPD-Politiker Othmar Schreiner anschließen: Othmas Schreiner („Die Gerechtigkeitslücke“) einer der letzten aufrechten Sozialpolitiker der SPD und Hartz-Gegner kommentierte diesen Trend beim Erscheinen des Bandes von Wilhelm Heitmeyer „Über die deutschen Zustände“ nach der Hartz-Arbeitsmarkt-Reform, wo eine starke Tendenz zur Abwertung von Arbeitslosen wahrgenommen wurde, auch nur kurz und bündig so: Mit den Hartz-Arbeitsmarkt-Reformen haben wir doch eine enorme Abwertung dieser Ergebnisse des unsozialen Arbeitsmarktes – eben der Arbeitslosigkeit – vorgenommen. Es ist doch kein Wunder, wenn die Leute diese „Vorgaben“ der Politik jetzt für sich „internalisieren“.
Aber ein weiterer Beitrag von Georgina Murray „We are the 1 %: Über globale Finanzeliten“ bringt unsere Frage, doch noch weiter auf den Punkt, d.h. wer hat die Macht, eine solche Diskussion über Reichtum und Ungleichheit zu verhindern: Die Macht von diesen 0,1 Prozent ist, so die These von Murray, durch ihren Besitz definiert und dadurch dass sie die Produktionsmittel, das heißt Arbeits- und Betriebsmittel steuern.
Murray entwickelt anhand von Zahlen die zunehmende Bedeutung des Finanzkapitals, die sich eindeutig seit den 70-er Jahren verschoben hat.
Zum Beispiel: Richten wir den Blick darauf, wie Vermögenswerte in Finanzinstrumente verpackt werden, indem wir beispielsweise die Verteilung der Beteiligung an Finanzkapital in den USA untersuchen, so zeigt sich, dass 2009 und 2010 der Aktienbesitz an diesen Firmen in Form von Finanzkapital auf 66 Prozent gestiegen ist. Der mittlere Aktienanteil betrug in beiden Jahren 49 Prozent, zweieinhalb mehr als 1974. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass seit 1974 immer mehr Vermögenswerte in Finanzinstrumente verwandelt wurden.
So beschreibt Murray diesen Prozess der Finanzialisierung des Kapitals – mit den Auswirkungen bis ins alltägliche Leben hinein. Dabei gewannen die Finanzmärkte, – institutionen und – eliten größeren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik und die Gesellschaftsformation – und so wurde die Bedeutung des Finanzsektors in Bezug auf den Realsektor verändert oder verstärkt – und das Einkommen aus dem Realsektor in den Finanzsektor verschoben. (Zu einem allgemeinen Überblick über die verschiedenen Phasen des Kapitalismus zwischen Finanz- und Realkapitalismus siehe noch einmal Stephan Schulmeister, „Realkapitalismus und Finanzkapitalismus – zwei „Spielan-ordnungen“ und zwei Phasen des „langen Zyklus“: http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Real-_Finanzkapitalismus_11_13.pdf – oder auch noch „Im Strudel der Deregulierung“: http://boeckler.de/45592_45620.htm )
Die Finanzindustrie hat alles – nicht nur Europa – im Griff
Die transnationale Finanzelite besitzt die finanziellen Mittel – ist gestützt auf lockere transnationale Netzwerke zwischen Staatsapparaten, die diese Kapitalakkumaltion begünstigen und so dazu beitragen, dass diese Macht des einen Prozent erhalten bleibt.
Diese Finanzakteure wehren sich gegen staatliche Eingriffe – es sei denn der Staat (die Staaten) garantieren ihnen ihren Gewinn wie beim TTIP (siehe „Konzerne gegen Staaten und Demokratie“ (http://corporateeurope.org/sites/default/files/konzerne_versus_staaten.pdf sowie „Was kann sich ein Land noch erlauben, ohne verklagt zu werden?“: http://www.zeit.de/2014/10/investitionsschutz-schiedsgericht-icsid-schattenjustiz/seite-5 – oder auch noch einmal die Seite 3 „Freihandelsabkommen USA-Europa…“ bei https://www.labournet.de/?p=53716 – sowie auch die Seite 1 f. dort) – Aber ihre Abwehr konzentriert gerade gegen die staatlichen Eingriffe, wie sie angelehnt an Ideen von John Maynard Keynes zwischen 1945 und 1980 üblich waren, um die Unternehmer an den Produktionskosten zu beteiligen. (zu diesen Phasen siehe noch einmal Stephan Schulmeister (weiter oben)
Und seit dieser Zeit gewinnen Finanzinstitute und ihre unregulierten Märkte immer mehr an Boden – und das Finanzestablishment zielt darauf ab, eine immer noch wichtigere Rolle bei der Kapialakkumaltion zu übernehmen. (http://www.bpb.de/apuz/181768/we-are-the-1-ueber-globale-finanzeliten )
So ist es ihnen gelungen in den USA die geplante „Volcker-Regel“ erst einmal auf 2017 zu verschieben – und in Europa die Finanztransaktionssteuer erst einmal scheitern zu lassen (vgl. auch die Seite 1 f. bei https://www.labournet.de/?p=53716)
So kommt die Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) in einer Studie zu dem Ergebnis, Brüssel – und damit Europa – hat gar keine Chance gegen die Banken (FR vom 9. April 2014 (http://www.fr-online.de/wirtschaft/finanz-lobby-banken-lobby-beherrscht-bruessel,1472780,26796076.html ), sondern die Bankenlobby ist der wahre Herrscher in Europa. So alarmierend ist der Einfluss der Finanzindustrie auf die europäische Politik (siehe den „Report“ von CEO selbst (http://corporateeurope.org/financial-lobby/2014/04/fire-power-financial-lobby )
Es ist also kein Wunder – da diese Einflüsse auf die Politik eigentlich demokratischer Staaten „verdeckt“ bleiben müssen, dass die politische Wissenschaft beim Blick auf die Europawahlen uns vorhält: Durch diese ständig in Europa praktizierte Entpolitisierung der europäischen Integration gewinnen – vor allem rechte – Populisten in Europa an Einfluss – ein recht beunruhigendes Fazit angesichts der Europawahlen am 25. Mai! (http://www.ipg-journal.de:80/schwerpunkt-des-monats/populismus-in-europa-/artikel/detail/populismus-in-europa-338/ )
Schöne Aussichten für Europa, das keine Werte mehr hat – diese existieren allenfalls in den Träumen auf dem Majdan in der Ukraine – sondern nur noch radikale Vorteilsnahme im eigenen nationalen (das Beispiel Deutschland) oder vor allem Vermögenden-Interesse haben.