[Presseschau] Wirecard, Scholz und Bafin – nicht als Kontrolle, sondern als staatlicher Lobbyist für die heimischen Finanzkonzerne
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 30.7.2020 – wir danken!
Scholz jetzt noch im „Feuer“ der durchgängigen Aufklärung dieses Finanzskandals: Nach dem Grillen im Finanzausschuss muss er erst noch beweisen (https://www.sueddeutsche.de/politik/wirecard-scholz-untersuchungsausschuss-1.4983275 ), ob er jetzt wirklich „an der Spitze der Aufklärung“ stehen wird? Oder ob sich jetzt dann – weil er sich dazu nicht in der Lage sieht – einen Bundestags-Untersuchungs-Ausschuss – unter dem Vorsitz der AfD – an die Tiefe der Aufklärung machen muss. Cerstin Gammelin sieht es jetzt als die Mutprobe für Scholz an: (https://www.sueddeutsche.de/politik/scholz-wirecard-kommentar-1.4982512?reduced=true )
Seit die Münchner Staatsanwaltschaft mutmaßlich bandenmäßigen Betrug konstatiert, wird klar,dass das Versagen mit jahrelangen zementierten bürokratischen Strukturen zu tun hat. Das verweist auf die – inzwischen betriebsblind gewordenen – Strukturen in den Ministerien. Es mag ja sein, dass der Minister diese „Sehschwäche“ mit diesen Strukturen auch nur geerbt hat, aber jetzt kann ein Untersuchungsausschuss nur noch verhindert werden, wenn Scholz selbst jetzt diese „Sehschwäche“ bei den Beamten im eigenen Haus – und bei der Bafin – aufdeckt. Und das geht jetzt nur, wenn Scholz sich an diese gewachsenen Strukturen im eigenen Haus auch traut. (https://www.sueddeutsche.de/politik/scholz-wirecard-kommentar-1.4982512?reduced=true )
Jetzt hat es also Scholz in der Hand – auch ob er sich bei der Wirecard-Aufklärung noch als Herr im eigenen Haus herausstellt – oder dies dann nur noch ein Bundestags-Untersuchungs-Ausschuss unter dem Vorsitz der AfD klären kann.
Zur Übersicht beachte bitte auch die ganze Seite in der „Süddeutschen“: Gesucht wird Jan Marsalek (https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/wirtschaft/gesucht-jan-marsalek-e419694/?reduced=true )
So war der Stand der Dinge schon vor der Sitzung des Finanzausschusses
Sorry, bin ich jetzt etwas vorlaut, wenn ich meine, dass die „Schwarmintelligenz“ der SPD-Mitglieder bei der Ablehnung von Scholz als SPD-Vorsitzenden – ganz im Gegenteil zur „versammelten Journaille“ der für die Wirtschaft zuständigen, gar nicht so „unklug“ war. Heute nun wird Finanzminister Olaf Scholz zusammen mit Wirtschaftsminister Altmaier vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zu Wirecard gegrillt. (https://taz.de/Sondersitzung-zum-Wirecard-Skandal/!5699371/ )
Dennoch meint Carsten Gammelin, dass dieser Termin auch im Blick auf die Bundestagswahl 2021 auch von der SPD als Profilierung genutzt werden wird, um ihren potentiellen Kanzlerkandidaten Scholz aus der Schusslinie zu nehmen. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-olaf-scholz-finanzminister-1.4981280 )
Jedenfalls haben Linke, FDP und Grüne eine ausreichende Mehrheit, um einen Untersuchungsausschuss in Sachen Wirecard durchzusetzen.
Nur wer Ambitionen hat, Teil der nächsten Regierung zu werden, geht mit dieser Frage etwas distanziert um.
Das System einer Finanzaufsicht ist jedenfalls krachend gescheitert (https://www.rnd.de/politik/wirecard-skandal-insolvenz-offenbart-wahres-ende-der-deutschland-ag-EXGXPHY5DBBNVF4OBRLFJYFF64.html ). Diese Fehleranfälligkeit der Aufsicht – ja, hier offenbarte sich das ganze Elend staatlicher Kontrolle über derartige finanzkapitalistische Fehlentwicklungen – war geradezu erschreckend. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-jan-marsalek-verdacht-1.4981278?reduced=true )
So kommt die Expertin für Bilanzfälschung zu der aufschlussreichen Folgerung, beim Wirecard-Skandal haben gleich viele Stellen versagt. (https://taz.de/Bilanzexpertin-ueber-Wirecard-Skandal/!5699372/ )
Und wenn die „Financial Times“ – anders als die deutschen Medien – nicht drangeblieben wäre (https://www.rnd.de/politik/wirecard-skandal-insolvenz-offenbart-wahres-ende-der-deutschland-ag-EXGXPHY5DBBNVF4OBRLFJYFF64.html ), dann wäre Wirecard wohl zusammengekracht, und man hätte sich gewundert, wie das denn sein könnte?
Und so kommt Anja Krüger zu dem Ergebnis – wegen der fehlenden Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal – Finanzminister Scholz gibt ein verheerendes Bild ab. (https://taz.de/Konsequenzen-aus-dem-Wirecard-Skandal/!5699274/ )
Aber vielleicht sollte man den Stab jetzt nicht voreilig über diesem so wenig erkennenden Unglücksraben Olaf Scholz brechen, bevor er heute sich erklärt hat. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-olaf-scholz-finanzminister-1.4981280 )
Und vielleicht hat der bisher so gläubige – an die wunderbare Steuerung durch die Märkte – Finanzminister ja inzwischen ein Konzept zur „Entmächtigung derFinanzmärkte“ durch ausreichende Kontrolle? Und könnte sich etwas zur „Entmächtigung“ (Schulmeister) dieser Art des Finanzsystems jetzt etwas tun?
Es bleibt also zunächst dabei: Jetzt ist die Politik zur Aufarbeitung der so ekklatant mangelhaften Kontrolle gefordert: (https://taz.de/Mutmasslicher-Bilanzbetrug-bei-Wirecard/!5691125/ )
Es gab also eine so „schöne“ Demonstration des neoliberalen Grundsatzes für die freiesten aller Märkte, die Finanzmärkte (https://www.freitag.de/autoren/pep/die-finanzmaerkte-entmachten ), die in dieser Krise jetzt doch einmal ent“mächtigt“ gehören. Warum das sein muss, wird uns bei Wirecard vorgeführt, wo schon seit 2014 betrogen wurde – und die deutschen Medien es zunächst „lustig“ weiter feierten… (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-news-1.4954711?reduced=true ) … ja, auch noch keinen Skandal daran erblicken konnten, dass die Bafin noch im April 2019 zwar die erste große Strafanzeige lostrat, aber keineswegs gegen Wirecard, sondern vor allem gegen zwei Journalisten der Financial Times.
Und so stehen erst jetzt Bafin und die Finanzaufsicht am Pranger (https://www.nzz.ch/wirtschaft/wirecard-jetzt-sind-bafin-und-bilanzpolizei-am-pranger-ld.1563815 ) Und so geraten diese Aufseher ohne Zähne unter Beschuss… (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/wirecard-bilanzskandal-bafin-und-ey-unter-beschuss-16829166.html )
Ein weiterer Faktor dieses Finanzdesasters sind die Privatanleger, die Wirecard gerne hochgejubelt hatten – und nun vor dem Ruin stehen (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-aktie-anleger-1.4955926?reduced=true )
Und bei der Kontrolle sollten die Wirtschaftsprüfer eine wichtige Rolle spielen, der sie aber – aus welchen Gründen auch immer? – keineswegs gerecht wurden – oder gar werden konnten. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirtschaftspruefer-wirecard-ey-1.4955932?reduced=true )
Zu recht wird jetzt angenommen, dass der Fehler im „System“ dieser Wirtschaftsprüfungen liegt (https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/nach-wirecard-insolvenz-finanzaufsicht-bafin-in-der-kritik-a-b9a36764-eaa5-42c7-a271-cd87e1a81824 ) Und daher die Regeln für die Wirtschaftsprüfung nachgebessert werden müssen. (https://sven-giegold.de/en/liberals-and-greens-call-for-wp-reform/ )
Das führt zu der Frage, haben die Prüfer einfach geschlampt – oder konnten sie ihrer Aufgabe gar nicht gerecht werden, weil ihnen die Handhabe dazu einfach fehlte. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-ey-wirtschaftspruefer-pruefer-1.4955930?reduced=true , einen Überblick gibt auch noch einmal die Seite 3 der Süddeutschen vom 3. Juli: „Catch me if you can“: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-jan-marsalek-1.4954525?reduced=true oder insgesamt die Artikel bei Klaus Ott: https://www.sueddeutsche.de/autoren/klaus-ott-1.1143380 – aber auf Twitter geht es erst einmal richtig rund!: https://twitter.com/search?q=%23BaFin )
Wirecard gerade noch der Liebling der Finanzmärkte steht jetzt ganz plötzlich vor der Pleite. (https://www.sueddeutsche.de/politik/wirtschaftsskandal-wirecard-steht-vor-der-pleite-1.4947907?reduced=true )
Auch wenn das Urteil bezüglich der an diesem Skandal beteiligten Aufsicht (Ernst & Young (EY), Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BAFin) anscheinend hier jetzt etwas etwas milder ausfällt, dabei haben die Entwicklungen, die zu diesem Skandal geführt haben, enorme Zweifel an der Wirksamkeit der bestehenden Kontrollmechanismen hervorgebracht haben. (https://sven-giegold.de/liberale-und-gruene-fordern-wp-reform/ )
Erst nachdem die „Financial Times“ einiges aufgedeckt und ins Rollen gebracht hatte, begannen die für die Aufsicht bestimmet Institutionen doch dann langsam anzufangen genauer hinzugucken. (Vgl. in der Süddeutschen die Seite Drei am 26. Juni 2020: Das Kartenhaus: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-insolvenz-1.4947332?reduced=true )
Nur eine Finanzdienstleistungsaufsicht sollte sich nicht – schon wieder nach der Finanzkrise – derart leicht hinters Licht führen lassen, ohne dass der Finanzstandort Deutschland nachhaltig Schaden erleidet. Auch wenn die Presse (Financial Times mit dem FT-Reporter Dan McCrum) schon deutlich den Verdacht des „Kartenhauses Wirecard“ (vgl. z. B. https://www.ft.com/content/19c6be2a-ee67-11e9-bfa4-b25f11f42901 ) geäußert hatte, stellte sich die deutsche Finanzaufsicht zunächst weiterhin blöd. (https://taz.de/Mutmasslicher-Bilanzbetrug-bei-Wirecard/!5691125/ – sowie noch https://taz.de/Wirecard-Chef-festgenommen/!5696823/ )
Klaus Ott kommt dann wenigstens doch in einem Kommentar klar zur Sache: Wirecard ist eine Pleite für alle.
Dabei hatten schon 2009 – zur Zeit der Finanzkrise – die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages als eine Ursache der Bankenkrise (https://www.bundestag.de/resource/blob/409652/69ed4dc7fa37c7fa3158d8b5ce274584/wd-4-075-09-pdf-data.pdf ) „die mangelnde Übersicht der Behörden über das Zusammenspiel der Finanzakteure ausgemacht“ (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-insolvenz-kommentar-1.4947377?reduced=true )
Auch wenn der jetzige Finanzminister Scholz jetzt schnell klären will, welche Vorschriften geändert werden müssen, wäre er es eigentlich den Bürgern schon längst schuldig gewesen, frühzeitig für eine strenge d.h. effektive Aufsicht zu sorgen. Das jedoch hatten sie – unter dem Druck der Finanzlobby? – nie getan.
Und bei diesem Versagen der Politik über eine effektive Aufsicht über die Finanzmärkte müssen dann – sozusagen wenn es kracht – immer die Staatsanwaltschaften, den Dreck dieses Politikversagens abräumen. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-insolvenz-kommentar-1.4947377?reduced=true )
Nur wenn das offensichtlich so ist, stellt sich die Frage, wozu brauchen wir eine Politik, die „eigentlich“ derartiges Versagen durch eine wirksame aufsichtliche Vorsorge verhindern sollte? Ob das also jetzt auch noch den Olaf Scholz „am Rande“ streift“
Kollektive Ignoranz der Finanzelite gefährdet den Standort Deutschland: Das Beispiel Wirecard (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-skandal-kommentar-1.4943938?reduced=true ) Deshalb fordert Ulrike Herrmann: Dieser Skandal muss Konsequenzen haben. Bei Wirecard sind Milliarden verschwunden – dieser Bilanzbetrug war nur möglich, weil alle Aufsichtsorgane versagt haben. (https://taz.de/Mutmasslicher-Bilanzbetrug-bei-Wirecard/!5691125/ )
Durch diese beispiellose Schlamperei wurde dieser große Finanzskandal möglich. Die Prüfgesellschaft Ernst & Young wollte offenbar nur bequem ihre Honorare kassieren, und die staatliche Finanzaufsicht Bafin gab sich kritiklos dem Glauben hin, dass jetzt in Deutschland ein führender Finanzdienstleister entsteht und auf den Milliardenverlusten bleiben jetzt die Banken und Aktionäre sitzen, die darauf vertraut haben, dass die Wirecard-Aktivitäten von den Wirtschaftsprüfern und der Bafin sorgsam kontrolliert werden. (https://taz.de/Wirecard-Chef-festgenommen/!5696823/ )
War es also diese Finanzindustrie, die zu den Geburtshelfer der „Fake-News“ wurden? Die Wut auf diese Prüfkonzerne ist jetzt so groß, dass es zu ungewöhnlichen Allianzen kam: Im EU-Parlament fordern jetzt Grüne und Liberale gemeinsam, das korrupte Geschäftsmodell der Prüfgesellschaften zu reformieren. (https://sven-giegold.de/liberale-und-gruene-fordern-wp-reform/ )
Und in diesem „Spiel“ um eine angebliche Kontrolle hatte sich die Bafin nicht als Kontrolle, sondern als staatlicher Lobbyist für die heimischen Finanzkonzerne „geoutet“, indem sie zwei Journalisten der Financial Times bei der Münchner Staatsanwaltschaft angezeigt hatte, weil diese schon früh über den möglichen Bilanzbetrug bei Wirecard berichtet hatten. (https://taz.de/Mutmasslicher-Bilanzbetrug-bei-Wirecard/!5691125/ )
Dagegen werden die Geisterkonten bei Wirecard über mehr als 2 Milliarden Euro wohl überhaupt nicht existieren. (https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/zahlungsdienstleister-die-fuenf-lehren-aus-den-geisterkonten-bei-wirecard/25937908.html )
Und so wird auch auf den Prüfer eine Prozesswelle zurollen (https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/bilanzskandal-auf-wirecard-pruefer-ey-rollt-eine-prozesswelle-zu/25938764.html ).