Die „Unsterblichkeit“ der Banken
Artikel von Peter Balluff vom Dezember 2012
Als vor wenigen Wochen die Liste der „G-SIB“ (global systemically important bank) veröffentlicht wurde, ging ein Raunen durch den „Blätterwald“, so ähnlich, als würden „wir“ Fußballweltmeister oder Pabst.
Die Deutsche Bank, ein weltweit tätiges Unternehmen gehört zu den, vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht bestimmten, 28 Banken, deren Crash zu weltweiten volkswirtschaftlichen Verwerfungen führen würde. Daher besteht, weiß Gott, kein Grund zum Jubeln, wenn ein Institut in dieser Liste aufgeführt ist. Während die Deutsche Bank global als systemrelevant eingestuft wird, existiert auch auf nationaler Ebene eine Liste mit 36 Banken, darunter die Commerzbank, die DZ Bank und die Landesbanken, bei denen mit erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden gerechnet werden muss, wenn eines dieser Häuser zusammenbricht.
Seit der unkontrollierten Insolvenz von Lehman Brothers sowie dem darauf folgenden Kollaps des Welthandels und weiter Teile der Weltwirtschaft hat sich die internationale Gemeinschaft, insbesondere die G20-Staaten, dazu verpflichtet, ein neues, globales Regelwerk zu schaffen, um die Bedrohung, die von der Schieflage systemrelevanter Finanzinstitute ausgeht, zu begrenzen. Der „Baseler Ausschuss“ (Basel Committee on Banking Supervision – BCBS) hat dazu im Ansatz durchaus vernünftige Vorschläge erarbeitet, die womöglich aber an der Begrenztheit nationalstaatlicher Parlamente scheitern werden (ein Beispiel dazu ist das vom Bundesfinanzminister geforderte „Testament“ für national systemrelevante Banken, das aber keinerlei rechtliche Konsequenzen hat).
Der Vorschlag des BCBS beruht auf 2 Pfeilern:
- „Systemrelevante“ Institute sollten einen deutlich höheren Puffer in Form von Eigenkapital und Liquidität vorhalten, um die Wahrscheinlichkeit, dass Verluste zur Insolvenz eines Finanzinstituts führen, zu verringern.
- Es sollte ein umfassendes internationales Aufsichtsgremium geschaffen werden, das in normalen Zeiten grenzüberschreitende Finanzinstitute effektiv überwacht und darin eingebettet ein grenzüberschreitendes Insolvenzverfahren, um im Notfall eine geordnete Abwicklung und Restrukturierung von systemisch relevanten Instituten zu ermöglichen.
Die Finanzkrise selbst hat zunächst die „too-big-to-fail-Problematik“ („zu groß, um zu scheitern“) weiter verschärft. Die Bilanzsumme der 25 größten Banken weltweit hatte sich über die Jahre 1990 bis 2007 bereits annähernd versechsfacht und bis zum Jahr 2009 versiebenfacht. Die Aktiva der weltweit zehn größten Banken in Relation zur Bilanzsumme der 1.000 größten Banken sind von 14 vH im Jahr 1999 auf 26 vH im Jahr 2009 angewachsen.
Dabei wird diese Aktiva (Darlehen) i. d. R. nur von einem äußerst geringen Eigenkapital „getragen“. Beispiel Deutsche Bank: Bilanzsumme = 2.282 Mrd. Euro, Eigenkapital = 53,1 Mrd. Euro, Eigenkapitalquote = 2,3 vH.
Man stelle sich vor, eine Privatperson möchte mit einem Darlehen von 100.000 Euro ein Haus finanzieren und auf die Frage des Kundenberaters, wie hoch denn das Eigenkapital wäre kommt die Antwort: „2.300 Euro“. Sicherlich müsste man nicht auf die Antwort des Kundenberaters warten.
Es ist davon auszugehen, dass die Eigenkapitalpuffer der systemrelevanten Finanzinstitute auch in Zukunft kaum genügen, um im Krisenfall bedeutende Verluste ohne staatliche Stützung verarbeiten zu können. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.
Der BCBS hat in seinem neuen Regelwerk eine qualitative und quantitative Straffung der Eigenkapitalanforderungen vorgeschlagen, die bis 2019 umgesetzt werden sollen. Insgesamt soll dann ein Eigenkapital in Höhe von 15,5 vH in Relation zur risikogewichteten Aktiva gehalten werden. Das soll für international und zu einem späteren Zeitpunkt auch für national tätige Institute gelten. Die Auswirkungen auf die Kreditvergabe und damit auf das Bruttoinlandsprodukt sind marginal und können daher vernachlässigt werden.
Dies scheint noch alles relativ unproblematisch zu sein. Schwieriger wird es schon, wenn in diesem Zusammenhang über einen europäischen Restrukturierungsfonds geredet wird, in den alle global tätigen systemrelevanten Banken einzahlen müssten. Über das Volumen darf spekuliert werden, angesichts von gemachten Erfahren dürfte er sich aber im höheren 3-stelligen Mrd. Euro Bereich bewegen. Damit würde an erster Stelle die Finanzindustrie selbst an den Abwicklungskosten bei Insolvenz eines Finanzinstituts beteiligt werden. Sollte dieser Fonds nicht ausreichen, so müsste in einem zweiten Schritt ein allgemeiner, nationaler, Fonds der öffentlichen Hand in Anspruch genommen werden. Um ein solches System einzuführen, müssten sich jedoch die nationalen Parlamente auf eine global tätige Behörde verständigen, die die Interessenkonflikte der nationalen Aufsichtsbehörden löst und das Koordinationsproblem überwindet. Darüber hinaus sollte sie in die Lage versetzt werden, die im Krisenfall notwendigen schnellen Entscheidungen zu treffen. Dazu bedarf es entsprechender Befugnisse, einem klaren Mandat und einem robusten Regelwerk, das zwischen den EU-Mitgliedsstaaten rechtlich verbindlich verankert werden muss.
Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht hat aus den Erfahrungen der jüngsten Finanzkrise Empfehlungen für den Umgang mit grenzüberschreitend tätigen Finanzinstituten abgeleitet. Grundsätzlich wäre es im Rahmen eines universellen Ansatzes erforderlich, dass ein Finanzinstitut mit seinen grenzüberschreitenden Verflechtungen als Einheit angesehen wird, die im Fall des Zusammenbruchs von einer einzigen (supranationalen) Aufsichtsbehörde aufgefangen und restrukturiert wird. In der jüngsten Krise standen vielen Ländern jedoch nur nationale Lösungen zur Verfügung, weshalb sie auf eine Strategie zurück griffen, bei der die inländischen Gläubiger bevorzugt behandelt und die ausländischen Einheiten des Instituts den ausländischen Behörden überlassen wurden.
Soweit die Theorie, jetzt die Praxis.
Hier schlagen nun die „Eitelkeit“ der Politik und die „Macht der Bankvorstände“ voll durch.
Keine Bundeskanzlerin und kein Finanzminister, auch mit Zustimmung der Opposition, will und kann es sich erlauben, eine Bank abzuwickeln, d. h. in eine geordnete Insolvenz zu überführen. Stattdessen wird sie als „systemrelevant“ definiert und mit Mrd. Euro am Leben gehalten (siehe Hypo Real Estate, Aareal und die Landesbanken), ohne dass eine Sinnhaftigkeit zu erkennen wäre („implizierte Staatsgarantie“). Der, von der Bundesregierung aufgelegte Bankenrettungsfonds SoFFin („Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“) wird in 2012 vermutlich ein Defizit von 3 Milliarden Euro ausweisen. Grund dafür sind vor allem neue Abschreibungen bei der Bad Bank der WestLB. Im vergangenen Jahr hat der Sonderfonds noch mehr als 13 Mrd. Euro Defizit ausgewiesen, insgesamt hat der Fonds seit Gründung Ende 2008 damit rund 25 Mrd. Euro Verlust eingefahren.
Es ist davon auszugehen, dass ein effektives, gfs. noch grenzüberschreitendes, Insolvenzrecht für „systemrelevante“ Finanzinstitute in sehr, sehr weiter Ferne liegen dürfte.
Ein weiterer Ansatz wäre die Einführung eines Trennbankensystems als Regulierungsinstrument. Mit dieser Aufteilung der Bankgeschäfte sollen diejenigen Geschäftsbereiche isoliert werden, deren Fortbestand lebensnotwendig für die Volkswirtschaft und die privaten Bankkunden im Besonderen ist. Es könnte eine Aufteilung in „verpflichtende“, „erlaubte“ und „verbotene“ Dienstleistungen erfolgen.
- Verpflichtende = Einlagen von Privatanlegern und Kontokorrentkredite an Privatanleger sowie mittlere Unternehmen
- Erlaubte = Kredite, Handels- und Projektfinanzierung sowie (Projekt-) Beratung für nicht-finanzielle Kunden
- Verbotene = Handel und Emission von Derivaten, Schuldverschreibungen, vermögensbesicherten Wertpapieren oder Beteiligungspapieren
Kaum war dieser Gedanke in die Presse gelangt, haben Pressesprecher der Großbanken dagegen Front gemacht. Ihr Argument: Alle Geschäfte müssen zum „Wohle“ der Volkswirtschaft erlaubt sein. Was verschleiert wurde: Ohne die „Zockergeschäfte“ mit Derivaten und Schuldverschreibung sind Eigenkapitalrentabilitätsquoten von 25 vH nicht erreichbar.
Trotzdem, man soll es nicht verschweigen, gibt es bei diesem Thema „klein(st)e“ Fortschritte. Nach monatelangen Verhandlungen haben sich die EU-Finanzminister auf eine neue Bankenaufsicht verständigt. Diese Bankenaufsicht soll bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt sein und Geldhäuser mit einer Bilanzsumme von mehr als 30 Mrd. Euro oder einer Bilanzsumme von mehr als 20 vH der Wirtschaftskraft ihres Heimatlandes kontrollieren. Die anderen Banken verbleiben unter nationaler Aufsicht.
Die neue Bankenaufsicht ist eine Voraussetzung dafür, dass angeschlagene Banken direkte Finanzspritzen aus dem Rettungsfonds ESM („Europäischer Stabilitätsmechanismus“) erhalten. Der Fonds wird mit einem eingezahlten Kapital von 80 Mrd. Euro und einem abrufbaren Kapital von 620 Mrd. Euro, bestückt. Die „systemrelevanten“ Banken müssen nicht einzahlen, im Krisenfall gehen alle Zahlungen zu Lasten der Steuerzahler. Deutschland ist an diesem Fonds mit insgesamt 190 Mrd. Euro beteiligt. Nach wie vor sind die Steuerzahler die „Geisel“ der großen Finanzinstitute (Zitat: Sachverständigenrat Jahresgutachten 2011/12).
Und abschließend sei noch auf die Drucksache 17/10974 verwiesen, die im Bundestag zur Beschlussfassung vorliegt. Hierbei geht es auf mehr als 150 Seiten um Änderungen im Kreditwesengesetz (KWG), damit dieses an europäische Regelungen angepasst werden kann.
Es ist nicht davon aus zu gehen, dass diese Änderungen die parlamentarischen Hürden noch vor der nächsten Bundestagswahl im September 2013 nehmen werden.
Das Fazit ist demzufolge ernüchternd:
- die Macht der „systemrelevanten“ Banken ist ungebrochen
- Fehlentwicklungen im Bankengeschäft können nicht im Vorfeld verhindert werden
- Eine Insolvenz eines Finanzinstituts, so es „systemrelevant“ ist, ist ausgeschlossen
- Kleinere Institute werden sich mit größeren Instituten zusammenschließen müssen (vor allem Volksbanken und Sparkassen), um die zusätzlichen Prüfungskosten nach dem geänderten KWG zu „stemmen.“ So entstehen dann, zumindest national, neue „systemrelevante“ Banken.
Für 2013 wird ein DAX von über 8.000 Punkten prognostiziert. Eine neue „Blase“ wird produziert. Alle „Experten“ verkünden, dass sich 2002 und 2007 nicht wiederholen wird. Der Glaube stirbt zuletzt.