[Arbeitsgericht Leipzig ignoriert MigrantInnen im Betrieb] Betriebsversammlungen für alle: Aber wer trägt die Kosten für Übersetzungen?
„In vielen Betrieben arbeiten Kolleg*innen unterschiedlichster Herkunft zusammen. Diese Vielfalt betrifft auch die Sprachen, die im Betrieb gesprochen werden. (…) Ende 2022 forderte der Betriebsrat den Arbeitgeber daher zur Übernahme der Kosten für Simultanübersetzungen und technische Ausrüstung während der für im März 2023 geplanten Betriebsteilversammlungen auf. (…) Die Anträge des Betriebsrates wurden von dem Gericht in erster Instanz zurückgewiesen (Arbeitsgericht Leipzig, AZ 8 BV 56/22). Begründet wurde die Zurückweisung damit, dass der Betriebsrat bei den verlangten Sachmitteln und dem damit resultierenden Kostenaufwand (Simultandolmetscher*innen und technische Ausrüstung) für die Erledigung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht nur die Interessen der Beschäftigten, sondern auch die berechtigten Interessen des Arbeitgebers berücksichtigen muss. (…) Der grundgesetzliche gebotene Schutz vor Diskriminierung scheint für das Arbeitsgericht Leipzig nicht zu diesen Themen zu zählen…“ Beitrag von Kaoutar Charjane und Romin Khan von 13. Juni 2023 in ver.di Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und mehr daraus:
- Weiter im Beitrag von Kaoutar Charjane und Romin Khan von 13. Juni 2023 in ver.di Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik : „… Die Begründung und der Beschluss, der nun in der zweiten Instanz geprüft wird, bedeutet einen Rückschritt im Vergleich zu der bisherigen Rechtsprechung und der damit gekoppelten gesetzlichen Lage. Bislang wurde der Spielraum von Betriebsräten zu dem Thema offengehalten. Es gibt zwar im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) keine gesetzliche Vorschrift, die Arbeitgeber*innen zu einer Verdolmetschung verpflichten (wie es etwa auf europäischer Ebene im Europäische Betriebsräte-Gesetz EBRG und im Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft SEBG geregelt ist), gleichwohl ist der Betriebsrat in Deutschland aber verpflichtet, seine Aufgaben zu erfüllen. Nach § 40 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit § 43 Abs. 1 BetrVG muss der Arbeitgeber erforderliche Sachmittel (Räumlichkeiten und sonstige erforderliche Sachmittel) zur Durchführung einer Betriebsversammlung stellen und die Kosten tragen. (… ) Bei der Durchsetzung dieser Zielsetzung haben Betriebsräte hauptsächlich zwei Möglichkeiten: Einerseits können Betriebsversammlungen mit der Einbeziehung von Dolmetscher*innen so geplant werden, dass die Ablehnung des Arbeitsgebers, die Kosten zu tragen, nicht gerechtfertigt sein kann. Das ist besonders bei Betriebsversammlungen der Fall, in denen über Themen zu personellen Maßnahmen berichtet wird. Außerdem können Betriebsräte durch Umfragen mögliche Überlappungen der im Betrieb gesprochenen Sprachen anfragen, um die Anzahl der zu übersetzenden Sprachen bei Betriebsversammlungen gering zu halten. Andererseits lässt sich nicht umgehen, dass der Anspruch auf Verdolmetschung zunehmend eingeklagt werden sollte, damit eine breite Rechtsprechung entstehen kann, die die Vielfalt der Betriebe abbildet. Dieser Aspekt ist besonders zu beachten, da das Thema vom Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden wurde, obwohl eingewanderte Beschäftigte seit Jahrzehnten eine wesentliche Rolle in den Betrieben spielen. Schließlich sollten Betriebsräte und Belegschaften sich mit dem damit verbundenen allgemein gesellschaftspolitischen Thema beschäftigten, nämlich den strukturellen Barrieren, die geringe Sprachkenntnisse begründen. Kolleg*innen zum Thema zu sensibilisieren, ist eine unabdingbare Aufgabe, die nicht unterschätzt werden darf. Davon ist die Zukunft der Mitbestimmung abhängig.“