Aktuelle Forderungen nach Einschränkung des Streikrechts: eine Entgegnung in empirischer Perspektive
„… Der vorliegende WISO-Diskurs hat den Anspruch, auf empirischer Basis zu klären, ob Arbeitskämpfe tatsächlich häufiger stattfinden, weil nun nicht nur Industrie-, sondern auch Berufsgewerkschaften Kollektivverhandlungen führen. Der Autor Berndt Keller hat dafür nicht nur die etablierten Indikatoren betrachtet, sondern seine Analyse um eine realistische Einschätzung der Konsequenzen erweitert. Er zeigt, wieso aktuelle Forderungen nach Einschränkung des Streikrechts, wie etwa vom Wissenschaftlichen Beirat beim Verkehrsminister formuliert, nicht zu rechtfertigen sind. Streiks sind nicht nur das notwendige Korrelat der Tarifautonomie, sondern auch Ausdruck des grundgesetzlich verankerten Rechts der Koalitionsfreiheit, welches prinzipiell jeder Koalition von Arbeitnehmer_innen und damit auch Spartengewerkschaften zur Vermittlung und Durchsetzung ihrer Interessen zusteht…“ Studie von Berndt Keller als WISO-Diskurs 15/2016 bei der FES . Siehe dazu den Kommentar von Volker Bahl vom 29.8.2016:
Lohnfindung in Europa muss für eine gemeinsame Währungszone bei einer Diskussion über das Streikrecht auf den Prüfstand
Eine in sich „geschlossene“ Argumentation für das Streikrecht von Bernd Keller verdient Aufmerksamkeit. Jedoch habe ich noch Lust es im größeren Kontext der politischen Vorhaben auch der großen Koalition noch ein wenig zu „kommentieren“: So habe ich eigentlich weniger an dieser Darstellung der Streikrechtseinschränkungen und ihrer Bewertung zu kritisieren, als dass Bernd Keller just die von der großen Koalition in Angriff genommen Einschränkungen – so ganz nebenbei als seien sie nicht auch diskussionswert – durchgehen lässt: „Aktuelle Forderungen nach Einschränkung des Streikrechtes“ von Bernd Keller (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/12704.pdf )
Dabei gilt es die Lohnfindung – und mit ihr das Streikrecht auch „europaweit“ – gerade für die Euro-Zone – auf den Prüfstand zu stellen. In einer gemeinsamen Währungszone nämlich bleibt den jeweiligen nationalen Volkswirtschaften (und damit den jeweiligen nationalen Regierungen) unter dem gemeinsamen Dach einer Währung nur die Möglichkeit über Lohndumping die verlorengegangene Abwertung zu ersetzen. (Vgl. dazu „Arbeitskampf in Europa – die großen Unterschiede Deutschland und Frankreich“, Teil 1: Die deutsche Situation und Teil 2: Die aktuelle französische Lage bei https://www.labournet.de/?p=100012 – vom 20. Juni 2016)
Darf es deshalb überhaupt eine „Tarif-Einheit“ per Gesetz geben, ohne die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie zu gefährden? (https://www.labournet.de/?p=79826 vom 6. Mai 2015) Bodo Ramelow (jetzt MP von Thüringen) meint in dem aktuellen „Grundrechte-Report von 2016“ dies mit einem klaren „Nein“ beantworten zu können.
Es ist ärgerlich, dass Bernd Keller – als doch kritischer Sozialwissenschaftler bekannt – die Kritik am politisch großkoalitionär durchgesetzten „Tarifeinheitsgesetz“ nicht erwähnt – und dabei hat diese ja – mit Wolfgang Däubler als juristischen Sachverständigen – einen breiten Raum eingenommen: So wurde schon dieses Gesetz als „verfasungswidrig“ eingestuft. (= nicht erst die darüber hinausgehenden Vorstellungen, die Bernd Keller dann kritisch würdigt)(http://www.deutschlandradiokultur.de/konkurrenz-unter-gewerkschaften-verfassungswidrig-und.1008.de.html?dram:article_id=305827 )
Und dem sollte man auch nicht dadurch ausweichen, dass man sich auf die Empirie der Arbeitskämpfe beruft, denn diese Kritik gilt ja darum umsomehr – finde wenigstens ich.
Aber diese ganze breite politische Diskussion wurde durch „Auslassung“ ganz einfach – groß-koalitionär-konform umschifft (http://blog.beck.de/2015/05/11/expertenanh-rung-zum-geplanten-tarifeinheitsgesetz ).
Und es gab auch noch eine große Experten-Anhörung im Bundestag, wo dies auch ein wichtiger Punkt war (https://www.bundestag.de/blob/364850/ac1343545b15f33e1fc621f0da6da258/stellungnahmen-data.pdf ) – und man braucht ja die Linke nicht zu lieben, so kann man dennoch – auch in einem Gutachten für eine SPD-nahe Stiftung (wenigstens im Literaturverzeichnis) – erwähnen, dass der bekannte Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler – außer seinem Beitrag in der Bundestagsanhörung – auch dazu ein Gutachten noch für die Bundestagsfraktion der „Linken“ mit diesem Tenor ausgearbeitet hatte, das über Klaus Ernst (MdB) eingesehen werden kann (http://www.mdb-klaus-ernst.de/2015/01/15/463152/ ).
So bleibt uns jetzt also nur die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht – wo allerdings diese Empirie der Streiks wieder nützlich werden kann.
Kommentar von Volker Bahl vom 29.8.2016