„… bei Jörg Hofmann“: Wie ein Arbeitgeber und ein Gewerkschaftler an dem Thema vorbeireden
Anmerkungen von Heiner Flassbeck zu einer Diskussion mit Jörg Hofmann (IG Metall) und Ulrich Grillo (BDI): „… Erst bestreitet der Chef der IG-Metall den unbestreitbaren Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen vehement, dann benutzt er ihn, ohne dazwischen wenigstens eine Sekunde nachzudenken. Das ist offenbar höhere Tariflogik, die normale Menschen nicht durchschauen können. (…) Lieber Jörg Hofmann, ich weiß, es ist schwer, zwischen europäischer Lohnentwicklung und den Wirkungen dieser europäischen Politik auf die deutschen Preise und die deutschen Reallöhne zu unterscheiden. (…) Der große Erfolg der deutschen Gewerkschaften liegt folglich daran, dass es auch weiterhin einen engen Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen gibt…“ Beitrag von Heiner Flassbeck vom 1. Juni 2016 bei Makroskop – wir sehen uns umgekehrt jedoch verpflichtet daraufhin zuweisen, dass es einen „Linken“ gab, der diesen Zusammenhang von Lohnhöhe und Preisen bestritt – er hieß Karl Marx… Dazu gibt es allerdings eine anderslautende Leserzuschrift und eine von Armin Kammrad
Besteht doch ein enger Zusammenhang zwischen Preisen und Arbeitslöhnen?
Zumindest geht Flassbeck davon aus, dass „es auch weiterhin einen engen Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen gibt“, worin für ihn der „große Erfolg der deutschen Gewerkschaften liegt“ (vgl. „… bei Jörg Hofmann“ in diesem Dossier). Dass die Labournet-Redaktion zumindest darauf hinwies, dass Marx dies anders sah, fand ich eigentlich naheliegend und auch wichtig. Überrascht hat mich, dass ein Leser diesen Hinweis moniert (vgl. Beitrag unten ) und sich dabei auch noch auf „Lohn, Preis, Profit“ beruft. Dies erscheint mir nicht nachvollbeziehbar, besteht Marx‘ Intension dort doch genau darin, dass Dogma „Die Warenpreise werden bestimmt oder geregelt durch die Arbeitslöhne.“ zu widerlegen (MEW Bd. 16, S.119). Denn, so Marx: „Auf seinen abstraktesten Ausdruck gebracht, läuft das Dogma, daß »der Arbeitslohn die Warenpreise bestimmt«, darauf hinaus, daß »Wert durch Wert bestimmt ist«, und diese Tautologie bedeutet, daß wir in Wirklichkeit überhaupt nichts über den Wert wissen“ (a.a.O. S.121). Und diese Tautologie überwindet Flassbeck nicht, weil er das Marx’che Verständnis vom Wert ignoriert – trotz des Hinweises von Marx: „Ihr wärt sehr auf dem Holzweg, falls ihr glaubtet, daß der Wert der Arbeit oder jeder beliebigen andern Ware in letzter Instanz durch Angebot und Nachfrage festgestellt werde.“ (a.a.O., S.119) Man mag nun Marx zustimmen oder nicht – nur bleibt mit schleierhaft, wie man hier Flassbeck und Marx in einem Atemzug nennen kann (vgl. Leserzuschrift).
Ich will die Gelegenheit auch nutzen, um auf einen sehr entscheidenden Schwachpunkt von Flassbecks Verständnis vom gewerkschaftlichen Erfolg (vgl. oben) hinzuweisen. Letztlich verbleibt er mit seinem Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen im Rahmen der kapitalistischen Ökonomie. Dies muss man nicht unbedingt als Kritik auffassen, kommen auch von dort oft interessante Hinweise und Analysen. Allerdings klafft zwischen dem, was Marx unter gewerkschaftlichen Erfolg versteht und was Flassbeck als Erfolg betrachtet eine große Lücke. Denn für Marx war klar: „Gleichzeitig, und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen“ (a.a.O., S. 152). Flassbeck verbleibt mit seiner Logik bei den Gewerkschaften „als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals“ (a.a.O. S.152) und hantiert hier – so Daniel – in einem angeblich „verteilungsneutralen Spielraum“. Die folgende Schlussfolgerung von Marx scheint mir jedoch nicht nur für Flassbeck nichts zu sein, worüber man sich mal Gedanken machen sollte: „Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“ (a.a.O.) Wäre es nicht wirklich mal ein großer Erfolg, wenn die Gewerkschaften wenigstens das Lohnsystem verbal in Frage stellen würden?
Armin Kammrad, 9. Juni 2016
Leserzuschrift vom 6.6.2016
„Eigentlich keine große Sache, da ich aber als Gewerkschafter und Marxist in der IGM aktiv bin ist mir der Hinweis doch wichtig, dass Marx in Lohn, Preis, Profit den Zusammenhang und die Sinnhaftigkeit gewerkschaftlicher Kämpfe folgendermaßen darstellt:
In allen Fällen, die ich einer Betrachtung unterzogen habe – und sie machen 99 vom Hundert aus -, habt ihr gesehn, daß ein Ringen um Lohnsteigerung nur als Nachspiel vorhergehender Veränderungen vor sich geht und das notwendige Ergebnis ist von vorhergehenden Veränderungen im Umfang der Produktion, der Produktivkraft der Arbeit, des Werts der Arbeit, des Werts des Geldes, der Dauer oder der Intensität der ausgepreßten Arbeit, der Fluktuationen der Marktpreise, abhängend von den Fluktuationen von Nachfrage und Zufuhr und übereinstimmend mit den verschiednen Phasen des industriellen Zyklus – kurz, als Abwehraktion der Arbeit gegen die vorhergehende Aktion des Kapitals. Indem ihr das Ringen um eine Lohnsteigerung unabhängig von allen diesen Umständen nehmt, indem ihr nur auf die Lohnänderungen achtet und alle andern Veränderungen, aus denen sie hervorgehn, außer acht laßt, geht ihr von einer falschen Voraussetzung aus, um zu falschen Schlußfolgerungen zu kommen. (Kapitel 13, letzter Absatz. Das ganze Kapital handelt von den Möglichkeiten durch Lohnkämpfe Verbesserungen zu erreichen)
Soll heißen in 99 von 100 Fällen hat Flassbeck Recht, denn die falsche Schlussfolgerung ist zu denken, dass Lohnkämpfe dauerhaft umverteilen könnten.
Wenn die Lohnstückkosten (verteilungsneutraler Spielraum wird ausgeschöpft) gleich bleiben, können die Löhne unendlich steigen ohne Preissteigerung. Sobald die Lohnstückkosten allerdings steigen, wird keine Umverteilung stattfinden, sondern die Preise steigen. Mehr als der verteilungsneutrale Spielraum schlägt sich in den Preisen nieder sowohl bei Flassbeck als auch bei Marx. Eine anderweitige Darstellung ist mir auch aus dem Kapital nicht bekannt.“
Leserzuschrift vom 6.6.2016 – wir danken und nehmen gerne weitere Kommentare entgegen!