Der „soziale Frieden“ in Deutschland bröckelt. Gewerkschaften in ungewohnter Rolle

2014 und 2015 gab es in der Bundesrepublik eine erhebliche Zunahme von Streiks in ganz unterschiedlichen Branchen. Schon jetzt hat es im Jahr 2015 mehr Streiktage gegeben, als im ganzen Jahr 2014 – das allerdings besonders streikarm war, aber auch als im ganzen Jahr 2013. Bei der Post waren 32.000 Beschäftigte annähernd vier Wochen involviert, bei den Erzieherinnen 23.000 volle vier Wochen, die vorangegangenen Warnstreiks nicht mit eingerechnet. Die Verteilungskämpfe sind auch hierzulande heftiger geworden. In manchen Bereichen gibt es Bestrebungen der Gewerkschaften, in die Offensive zu kommen, in anderen wehren sie sich gegen die Angriffe des Kapitals um Schlimmeres zu verhindern. Eine wichtige Rolle spielen die Angriffe der Geschäftsleitungen ehemals staatlicher Unternehmen im Zuge der Privatisierungen und ihrer Folgen. Die wichtigsten Kämpfe und deren Ergebnisse bzw. Zwischenergebnisse – denn längst nicht alle sind abgeschlossen – sollen im Folgenden eingeschätzt werden…“ Artikel von Helmut Born aus der Soz Nr. 07/2015 externer Link. Siehe daraus:

  • Darin insbesonere zur Post: „… Ende Mai/Anfang Juni kam es zu einer größeren Warnstreikwelle, die den Postvorstand zu ernsthaften Verhandlungen bringen sollte. Der lehnte aber sogar auch das Angebot von ver.di ab, praktisch auf alle Forderungen zu verzichten, wenn er bereit wäre, die Delivery-Beschäftigten nach dem für die Post geltenden Tarifvertrag zu bezahlen. Daraufhin erklärte die ver.di-Fachbereichsleiterin Andrea Koscis die Verhandlungen für gescheitert und rief einen unbefristeten Streik ab dem 10. Juni aus. Bei alldem waren die Mitglieder so gut wie nicht beteiligt. Weder gab es Diskussionsmöglichkeiten, noch wurde überhaupt eine Urabstimmung organisiert. Die ganze Angelegenheit war in der Hand von wenigen meist hauptamtlichen Funktionären, entweder von ver.di oder aus den betrieblichen Gremien. Und so lief der Streik auch ab. Die Mitglieder mussten sich alle drei Tage in den örtlichen Streiklokalen blicken lassen, um sich einzutragen. Danach konnten sie zumeist wieder nach Hause fahren, um sich nach drei weiteren Tagen wieder in die Streikliste einzutragen. (…) Wenn wir den Verlauf der angeführten Konflikte Revue passieren lassen, dann fällt auf, dass das schlechte Ergebnis bei der Post unmittelbar damit zusammenhängt, wie sehr dort alles von wenigen Verantwortlichen von oben gesteuert worden ist. Es gab keine Beteiligung der Mitglieder an den Entscheidungen und ihr Aktivitätsgrad wurde bewusst niedrig gehalten…“
  • Und grundsätzlich: „… Eine aktive Basis, die sich nicht von oben herab regieren und leithammeln lässt, ist dafür entscheidend wichtig. Dass dieses Modell auch in Zukunft erfolgreicher sein wird als das bei der Post oder in den Industriegewerkschaften, dürfte wohl unbestreitbar sein. Wir brauchen daher Gewerkschaftsführungen, die die Basis in jeder Hinsicht zu einer aktiven Kampfführung ermutigt und über die grundlegenden Entscheidungen diskutieren lässt und das letzte Wort gibt. Innergewerkschaftliche Demokratie und aktive Kampfführung sind ganz wichtige Bestandteile der Orientierung, die die gewerkschaftliche Linke als Alternative zur Sozialpartnerschaft und zur Selbstherrlichkeit von Leithammeln vorschlägt.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=83167
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