Gibt es eine Arbeiterbewegung von rechts? Eindrücke einer qualitativen Befragung
„… Im Vergleich zu allen anderen Parteien weist die AfD die größte Einkommensspreizung, aber auch die höchsten Anteile an Arbeitern sowie abhängig Beschäftigten mit einfachen Arbeitstätigkeiten auf. Das Sozialprofil der ebenfalls rechtspopulistischen Pegida-Bewegung, die in Dresden zeitweilig Zehntausende auf die Straße brachte und Ableger in der gesamten Republik hat, wird ebenfalls von Arbeitern und Angestellten mit niedrigen bis mittleren Einkommen geprägt. In Selbstdarstellungen präsentiert sich die Bewegung als Bündnis von Mittelstand und Arbeiterklasse. Ähnlich agiert die AfD, wenn sie die „kleinen Leute“ als wichtige Zielgruppen ihrer Wahlkämpfe adressiert. Mittlerweile geht die populistische Rechte noch einen Schritt weiter. Bei den zurückliegenden Betriebsratswahlen versuchte sie – teils mit oppositionellen Listen, teils mit Infiltrierung von gewerkschaftlichen Listen – betriebliche Positionen zu erringen. Rechtsoppositionelle Listen wie das Zentrum Automobil geben sich im Betrieb globalisierungskritisch und kämpferisch und vermeiden rassistische Töne…“ Aus dem Artikel von Klaus Dörre am 19. Juli 2021 im Gewerkschaftsforum , ursprünglich erschien in Marxistische Blätter, siehe weitere Zitate daraus:
- Weiter im Artikel von Klaus Dörre am 19. Juli 2021 im Gewerkschaftsforum : „… Dass es ein rechtspopulistisches Potential unter Arbeitern und Gewerkschaftern gibt, ist lange bekannt. In der Forschung galt jedoch bisher als gesichert, dass radikal rechte Positionen unter aktiven Gewerkschafter(inne)n auf entschiedene Ablehnung stoßen und mit demokratischer Partizipation wirksam zu bekämpfen sind. Diese Gewissheit kann, so der irritierende Befund einer Studie, die wir 2017 u.a. in einer sächsischen Region durchgeführt haben, nicht mehr uneingeschränkt gelten. Aktive Gewerkschafter/innen, die in ihren Betrieben für steigende Organisationsgrade sorgen, sind teilweise bereit, eigenständig die Busse zu beschaffen, mit denen sie zu Pegida-Demonstrationen fahren. In der Selbstwahrnehmung handelt es sich um einander ergänzende Facetten demokratischen Aufbegehrens – mit der Gewerkschaft in Betrieb und Unternehmen, in der Gesellschaft mit Pegida und der AfD. Auf die Frage, ob Pegida eine Demokratiebewegung sei, antwortet ein sympathisierender Betriebsrat: „Ich denke schon“. Theoretisch könne die Bewegung „jeden ansprechen“; zwar schwebe „ein Nazi-Schatten“ über ihr, doch sie thematisiere, was eigentlich „jeden Normalen betrifft, der in Lohn und Brot steht“. (…) Arbeiterin zu sein bedeutet zum einen, mit einem festen Job und einem halbwegs guten Einkommen alles erreicht zu haben, was man erreichen kann. Mehr geht nicht. Arbeiter zu sein ist zum anderen aber kein Status, auf den man stolz sein könnte. (…) Denn – und das ist neu – in sozialer Nachbarschaft zum Arbeiterdasein lauern Ausgrenzung und Prekarität. Als Arbeiterin oder Arbeiter empfindet man sich möglicherweise als abgewertet, als ungerecht behandelt. Aber man ist dennoch nicht „ganz unten“, man hat noch immer etwas zu verlieren und man kennt andere, denen es, sei es berechtigt oder nicht, deutlich schlechter geht. Dieses Grundbewusstsein, auf das wir unabhängig von der politischen Orientierung bei den meisten Befragten treffen, verbindet sich mit einer verborgenen, teilweise auch verdrängten Klassenproblematik. Man betrachtet sich weder als arm, noch als prekär beschäftigt. Dennoch bestimmt das Empfinden permanenter Benachteiligung das Bewusstsein. (…) Das Deutschsein wird zur Chiffre, die den Anspruch auf einen „normalen“ Lohn transportiert. Dieser Anspruch wird jedoch zugleich zu einem exklusiven, weil er eben eine Normalität nur der Deutschen einklagt. Befragte, die so argumentieren, fühlen sich nicht unbedingt abgehängt. Sie wollen „normal“ sein und unternehmen viel, um Normalität zu demonstrieren. Aber sie sind unzufrieden. (…) Auffällig ist, dass gewerkschaftliches Engagement für mehr Verteilungsgerechtigkeit und Plädoyers für Flüchtlingsabwehr und Ausgrenzung nicht als Widerspruch, sondern als unterschiedliche Achsen ein und desselben Verteilungskonflikts begriffen (oben versus unten, innen versus außen) werden. Dabei neigen auch aktive Gewerkschafter und Betriebsräte zu einer Radikalität, die in dieser Eindeutigkeit und Schärfe überrascht. (…) Unsere Untersuchung belegt die Entstehung einer ernst zu nehmenden national-sozialen Gefahr. Tatsächlich existiert in Deutschland der „Saatboden für einen neuen Faschismus“ (Jürgen Habermas). Die völkische Rechte setzt – freilich von inneren Kämpfen begleitet –mehr und mehr auf einen Sozialpopulismus, der es ihr erlaubt, soziale Verwerfungen erfolgreich als Mobilisierungsressource zu nutzen. In unterschiedlichen Ausprägungen findet die von ihr betriebene Ethnisierung des Sozialen Anhänger auch unter gewerkschaftlich Aktiven und Betriebsräten. (…) Längerfristig muss es ein Hauptanliegen von Gewerkschaften sein, jene Kausalmechanismen zu verändern, mit deren Hilfe sich das Alltagsbewusstsein Lohnabhängiger Ungleichheit und Unsicherheit erklärt. (…) Wenn sie dem Vorwurf der Neuen Rechten, Gewerkschaften gehörten zum Establishment, entkräften wollen, müssen die Arbeitnehmerorganisationen wieder stärker zu sozialen Bewegungen werden…“
- Siehe im LabourNet u.a. das Dossier: AfD & Co: Nach den Köpfen nun auch in Betriebe und Betriebsräte?!