Betriebsratswahl 2022
Dossier
„Vom 1. März bis zum 31. Mai 2022 finden in ganz Deutschland Betriebsratswahlen statt. In zehntausenden Betrieben wählen die Beschäftigten ihre Vertreterinnen und Vertreter in den Betriebsrat. Der Betriebsrat vertritt die Interessen der Arbeitnehmer*innen gegenüber Arbeitgebern – und sorgt für Mitbestimmung und Demokratie im Betrieb. Betriebsräte werden mindestens alle vier Jahre neu gewählt. Ein Großteil der Betriebe wählt zwischen März und Mai. Hier finden Sie alle Informationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) rund um die Betriebsratswahl 2022…“ So der DGB auf seiner Sonderseite zur Betriebsratswahl 2022 . Siehe diejenige von ver.di und der IG Metall und auch Kurzinformation zur Betriebsratswahl in deutscher, tschechischer und polnischer Sprache beim DGB Sachsen und hier weitere dazu (sowie leider unser Dossier AfD & Co: Nach den Köpfen nun auch in Betriebe und Betriebsräte?!):
- ArbG Braunschweig bestätigt erfolgreiche Anfechtung: Betriebsratswahl im VW-Stammwerk Wolfsburg ist unwirksam
„… Das Arbeitsgericht (ArbG) Braunschweig hat nach Beschwerden einiger Teilnehmer Mängel im Ablauf der letzten Betriebsratswahl im VW-Stammwerk Wolfsburg festgestellt und diese vorerst für unwirksam erklärt. „Die Anfechtung der Wahl war erfolgreich“, teilte das Gericht auf Anfrage mit. Aus der Abstimmung im März war die Liste der IG Metall mit Betriebsratschefin Daniela Cavallo mit großem Abstand als Siegerin hervorgegangen. Manche Mitglieder alternativer Listen sahen aber Unregelmäßigkeiten etwa im Umgang mit Wahlplakaten. Wie ein Gerichtssprecher am Mittwoch sagte, wurde von insgesamt neun Antragstellern auch der Umgang mit der Briefwahl moniert. So sei etwa gegen den Vorrang der Präsenzwahl vor der Briefwahl verstoßen worden, hieß es. (…) Der Betriebsrat sprach von einer aus seiner Sicht überraschenden Entscheidung, die man zur Kenntnis genommen habe. Die schriftliche Begründung müsse noch im Detail abgewartet werden. „Unabhängig davon ist aber bereits klar: Der Betriebsrat wird in die nächste Instanz gehen, um die aktuelle Entscheidung durch das Landesarbeitsgericht überprüfen zu lassen“, hieß es. Der neu gewählte Betriebsrat bleibe bis auf Weiteres im Amt. Man halte die von dem Gericht genannten Gründe, weshalb die Abstimmung anfechtbar sein soll, für nicht überzeugend. Cavallo war für die bei Volkswagen traditionell einflussreiche IG Metall erstmals offiziell als Betriebsrats-Spitzenkandidatin im Hauptwerk angetreten, nachdem die Gremien sie 2021 zunächst nur vorläufig und intern zur Nachfolgerin von Bernd Osterloh bestimmt hatten. Nach der Auszählung meldete die Gewerkschaft einen Anteil von 85,5 Prozent. Nächststärkste Kraft wurde nach Betriebsratsangaben „Die Andere Liste“ mit dem örtlichen Ex-IG-Metall-Chef Frank Patta. Cavallo sitzt außerdem im Präsidium des VW-Aufsichtsrats, wo alle grundsätzlichen Entscheidungen zur Unternehmensstrategie fallen.“ Meldung vom 13. Juli 2022 von und bei Legal Tribune online , siehe die PM vom 14.7.2022 beim Arbeitsgericht Braunschweig - Mit List(en) und Tücke: Betriebsratswahlen bei Amazon 2022 – Streiksolibündnis Leipzig und Vertrauensleute geben einen Überblick
Artikel von Streiksolibündnis Leipzig erschienen im express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit – 7-8/22, siehe weitere Informationen zu den Wahlen bei Amazon im Dossier - Betriebsratswahl 2022-Hochrechnung: „Team IG Metall“ gewinnt deutlich bei der Betriebsratswahl
„76 Prozent der Betriebsratsmandate gehen an das „Team IG Metall“ – mehr als bei der letzten Wahl 2018 (71 Prozent). 38 Prozent neue Betriebsräte sind dabei. Und sie sind im Schnitt jünger und weiblicher. Das zeigt die bisherige Auszählung in 58 Prozent der Betriebe. Bei den Betriebsratswahlen 2022 zeichnet sich ein deutlicher Zugewinn für die IG Metall ab: Fast 76 der Betriebsratsmandate gehen an das „Team IG Metall“ – 5 Prozent mehr als bei der letzten BR-Wahl 2018. Das zeigt eine erste Hochrechnung nach Auszählung der Stimmen in 5717 Betrieben (58 Prozent aller Betriebe im Betreuungsbereich der IG Metall) und 45.000 von insgesamt etwas über 50.000 Mandaten. Zulegen konnte die IG Metall besonders in den kleineren Betrieben, jedoch auch bei Großbetrieben wie Ford, VW und Opel, obwohl oft deutlich mehr Listen antraten als 2018. (…) Die rechtsgerichtete Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“ (ZA) hat ihr selbsterklärtes Ziel, der IG Metall Stimmen abzujagen, klar verfehlt. Nachdem ZA 2018 lediglich 19 von über 50801 Mandaten holen konnte, hat ZA nach der bisherigen Hochrechnung noch weiter verloren. In Leipzig etwa halbierten sich die ZA-Mandate bei BMW von 4 auf 2 und bei Porsche von 2 auf 1…“ Meldung der IG Metall vom 5. Juli 2022 - Erfolg der IG Metall-Liste bei SAP SE zur Betriebsratswahl 2022: Fuß in der Tür der digitalen Revolution
„In der Nacht des 5. April 2022 türmte der Wahlvorstand der SAP SE zur Betriebsratswahl die Stimmzettel der 13 konkurrierenden Listen in der Kantine der Zentrale in Walldorf nebeneinander auf. Die Kandidat*innen bangten um die Höhe ihres Stapels. Niemand hatte eine realistische Prognose zum Abschneiden der jeweiligen Listen. Nur in einem Punkt waren sich viele am Wahltag einig: Die IG Metall-Liste Pro Mitbestimmung würde gut abschneiden…“ Artikel von Türker Baloglu vom 30. Juni 2022 bei sozialismus.de - Die unterschätzten Wahlen, Teil II: Wasserstandsmeldungen aus ausgewählten Betrieben
„Im express 5/2022 haben wir begonnen, die ersten Ergebnisse und Einschätzungen zu den laufenden Betriebsratswahlen zu veröffentlichen. Nach und nach erreichen uns mehr Ergebnisse und Einschätzungen, die wir an dieser Stelle dokumentieren. Fortsetzung folgt… (…) Die Betriebsratswahlen in der Fleischindustrie hatten ganz besondere Vorzeichen (…) Für viele Gremien, vor allem an Schlachthöfen, bedeutet die größere Belegschaft eine deutliche Vergrößerung des Gremiums und die Chance auf mehrere freigestellte BR-Mitglieder. Für die anstehenden Aufgaben, v.a. die Interessenwahrnehmung für multilinguale Belegschaften, ist dieser Zuwachs an personellen Ressourcen auch dringend nötig. In einigen Fleischkonzernen wird jetzt die Gründung von Europäischen Betriebsräten angegangen, so bei Tönnies und Vion. Es liegen uns noch nicht alle Wahlergebnisse vor, aber hier eine erste Bilanz: In den Betrieben, in denen ehemalige Werkvertragsbeschäftigte sich als Kandidat:innen haben aufstellen lassen (mit eigener Liste oder auf der »etablierten BR-Liste«), wurden sie oftmals auch gewählt. Allerdings gab es auch Versuche der Unternehmen, bewusst die ehemaligen Vorgesetzten/Vorarbeiter:innen aus den Werkvertragsfirmen in die Betriebsräte zu bekommen…“ Beitrag von Johannes Specht und der Redaktion express in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 6/2022 - Betriebsratswahlen im IG Metall Bezirk Mitte – eine vorläufige Bilanz: »Wirkmächtigkeit« auf dem Prüfstand
„… Der Bezirk ist geprägt von der Automobil- und Zulieferindustrie, gefolgt vom Maschinenbau und der Stahlindustrie. Die Optikindustrie ist stark vertreten in Ost-Thüringen. Ein Branchenmix, der den Bezirk im Rahmen der Transformation vor besondere Herausforderungen stellt (IGM 2021, S. 9). Eine starke betriebliche Mitbestimmung, gewerkschaftliche Betriebsstrukturen wie Vertrauenskörper und Aktivenkreise sind demnach notwendig, um die sozial-ökologische Transformation im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. Der Bezirk Mitte hatte bereits im Herbst 2021 ein bezirksinternes strategisches Projekt mit der Bezeichnung »Wirkmächtigkeit 2024« gestartet. Im Frühjahr 2022 fanden erste Workshops und Arbeitsgruppen dazu statt. Dieses Vorhaben umfasst die zentralen internen und externen Aspekte gewerkschaftlichen Wirkens. In diversen Settings werden – mit unterschiedlichen Zielgruppen – zentrale Themenschwerpunkte beraten und Rückschlüsse für die Praxis formuliert und umgesetzt…“ Artikel von Dennis Faupel vom 25. Mai 2022 bei sozialismus.de - Die unterschätzten Wahlen. Erste Einschätzungen zu den Betriebsratswahlen 2022
„Die politische Bedeutung von Parlamentswahlen wird oftmals überschätzt. Bei den Betriebsratswahlen ist es umgekehrt: ihre Ergebnisse werden in der Öffentlichkeit nur selten wahrgenommen. Die Betriebsratswahlen werden eher unterschätzt. Nun ist es nicht so, dass das Betriebsverfassungsgesetz den Betriebsrät:innen eine besondere Machtfülle verleiht. Es gibt auch nur in ca. zehn Prozent aller Betriebe Betriebsräte. Sie vertreten aber immerhin (noch) etwa 40 Prozent aller Beschäftigten. Dennoch ist die Existenz von Betriebsräten für die Belegschaften von großer Bedeutung, weil nur unter dieser Voraussetzung Rechte aus dem Betriebsverfas-sungsgesetz überhaupt wahrgenommen werden können. Außerdem sind Betriebsräte für die Gewerkschaften wichtig, weil sie die Organisierung im Betrieb voranbringen können. Erstaunlicherweise nutzen Gewerkschaften jedoch nicht überall die Betriebsratswahlen als aktivierendes, organisierendes Moment. Eine systematische Vor- und Nachbereitung ist keine Selbstverständlichkeit (mehr). Die Rolle von Betriebsräten ist in der Praxis recht unterschiedlich: In kleineren Betrieben und Startups müssen Kolleg:innen – teilweise gegen harten Widerstand der Unternehmen – das Recht auf einen Betriebsrat bzw. eine Betriebsratswahl erst durchsetzen. In größeren Betrieben gibt es oft eine eingespielte professionalisierte Betriebsratspraxis. Auch dort gibt es Konflikte, z.B. über die Aufstellung gewerkschaftlicher Betriebsratslisten, über die Berücksichtigung unterschiedlicher Beschäftigteninteressen, über »Co-Management« oder über abgehobene Betriebsratsgremien. Die turnusmäßigen Betriebsratswahlen werden erst am 31. Mai 2022 abgeschlossen sein. Eine Bewertung der Ergebnisse wird erst danach möglich sein. Aufgrund der angedeuteten unterschiedlichen Formen von Betriebsratspraxis und der lückenhaften Datenlage wird es darauf ankommen, Trends und Ergebnisse im betrieblichen Kontext zu analysieren. Damit beginnen wir in dieser Ausgabe: Wir veröffentlichen einige Berichte über die Betriebsratswahlen in ausgewählten Betrieben…“ Beitrag von Nina Scholz, Stephan Krull, Fritz Hofmann, Tobias Salin und Tim Ackermann aus dem express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit – 5/2022 - Kein Aufstand bei der Betriebsratswahl im VW-Konzern: Solidarität und Sicherheit
„Die IG Metall geht – allen Unkenrufen zum Trotz – gestärkt aus der Betriebsratswahl im VW-Konzern hervor. Mit einer Wahlbeteiligung zwischen 60 und 70% trotz vielwöchiger Kurzarbeit und teils zweijährigem Home-Office in den Büros wurde ein deutlich demokratisches Zeichen gesetzt. Sie lag in etwa auf dem Niveau der vorhergehenden Betriebsratswahl und übersteigt die Wahlbeteiligung bei mancher Landtags- und Kommunalwahl. Entsprechend hoch ist die Legitimation der Betriebsräte. Die IG Metall gewann 349 von 377 Mandaten in den Werken von VW und Audi…“ Artikel von Stephan Krull vom 25. April 2022 bei sozialismus.de - Halbzeit bei Betriebsratswahlen: Beschäftigte stärken IG Metall im Südwesten und im Osten den Rücken
- [IG Metall Baden-Württemberg] Halbzeit bei Betriebsratswahlen: Beschäftigte stärken IG Metall im Südwesten den Rücken
„Die IG Metall Baden-Württemberg zieht ein positives Zwischenfazit der Betriebsratswahlen 2022. In Konzernen wie im Mittelstand ist es gelungen, die Zahl der Mandate stabil zu halten oder zu steigern. Die Wahlen dauern noch bis Ende Mai an, insbesondere in der Fahrzeugindustrie lassen sich aber bereits klare Erfolge ablesen. (…) In der Automobilindustrie, wo die IG Metall traditionell stark vertreten ist, konnte sie etliche Stimmenzuwächse verbuchen: Bei Mercedes-Benz in Sindelfingen kam die IG Metall-Liste auf knapp 80 Prozent der Stimmen und holte 48 der 59 Mandate – zwei mehr als vor vier Jahren. Bei Audi in Neckarsulm gab es ein Plus von 3 Sitzen – mit rund 86 Prozent der Stimmen stellt die IG Metall künftig 37 Vertreterinnen und Vertreter des 41-köpfigen Betriebsrats.
Beim Friedrichshafener Autozulieferer ZF wurden nunmehr zum zweiten Mal zwei Betriebsratsgremien für unterschiedliche Unternehmenssparten gewählt: Im Produktionsbereich holte die IG Metall 28 von 33 Sitzen, im Verwaltungs- und Forschungsbereich 25 von 31. Das entspricht einem Plus von drei beziehungsweise sechs Mandaten gegenüber 2018.
Erfolge auch im Maschinenbau und in der IT-Industrie: Bei Mahle Behr an den Standorten Mühlacker und Vaihingen/Enz gab es nach acht Jahren wieder eine Persönlichkeitswahl, alle 17 Sitze gingen an IG Metall-Mitglieder. Bei Schwäbisch Gmünds größtem Arbeitgeber, dem Lenksystemhersteller Bosch AS, erhielt das Team der IG Metall 21 der 29 Sitze. Der Betriebsrat beim Zulieferer KS Huayu AluTech besteht ebenfalls nur aus IG Metall-Mitgliedern.
Erfolge gibt es auch außerhalb der Autoindustrie: Das Heilbronner Unternehmen Illig Maschinenbau hat ein reines IG Metall-Gremium, der Medizintechnik-Anbieter Aesculap in Tuttlingen ebenfalls. Beim Ventilatorenhersteller ebm-pabst in Mulfingen hat die IG Metall-Liste 34 Prozent der Stimmen bekommen und zieht mit neun Mandaten erstmalig in den 25-köpfigen Betriebsrat ein. Dort will sich die IG Metall-Fraktion, die auch den Vorsitz stellt, unter anderem für die Tarifbindung stark machen. Zwar hat die Wahlbeteiligung – auch eine Folge der Pandemie – tendenziell in vielen Betrieben nachgelassen. Es gibt aber auch Ausnahmen wie bei Rolls Royce Power Systems, wo mit 70 Prozent acht Prozent mehr Beschäftigte zur Urne gingen als vor vier Jahren. Die gemeinsame Liste aus IG Metall und Freier Liste erreichte 74 Prozent der Stimmen und damit 25 der 33 Sitze. (…)
Als ganz wichtigen Erfolg wertet Zitzelsberger, dass Rechtspopulisten wie schon 2018 in Betrieben im Land eine Randerscheinung bleiben. Sie hatten im Vorfeld in großem Stil vor allem bei Autoherstellern digitalen Wahlkampf betrieben und die IG Metall frontal attackiert. Trotzdem haben sie bis heute im Südwesten nur 15 der über 14.500 in IG Metall-Branchen zu vergebenden Mandate gewonnen und es nicht geschafft, in weiteren Betrieben Fuß zu fassen…“ Pressemitteilung vom 11.04.2022 der IG Metall Baden-Württemberg mit keinem Wort zu den Splitter-Listen - Nah an Konflikten. Betriebsratswahlen: Zuwächse für IG Metall im Osten. Rückenwind durch Angleichung bei Wochenarbeitszeit – »weißer Fleck« Tesla in Grünheide
„Es war ein Zwischenfazit, der Trend ist eindeutig: Das Gros der Mandate bei den seit Anfang März und noch bis Ende Mai laufenden Wahlen zu Betriebsräten (BR) entfalle auf Metaller, stellte Birgit Dietze am Montag vormittag erleichtert fest. »Voten, die uns sehr stärken.« Die Bezirksleiterin der IG Metall (IGM) Berlin, Brandenburg, Sachsen hatte in die traditionsreiche, mit zahlreichen Messingelementen verzierte Verwaltungsstelle der IGM nach Berlin-Kreuzberg geladen: hybride Pressekonferenz (PK). (…) Zuspruch von Beschäftigten hat auch Köhler im Leipziger BMW-Standort gespürt. 34 von 35 Betriebsratsposten gingen demnach an IGM-Vertreter, sagte der BR-Chef auf der PK…“ Artikel von Oliver Rast in der jungen Welt vom 12.04.2022
- [IG Metall Baden-Württemberg] Halbzeit bei Betriebsratswahlen: Beschäftigte stärken IG Metall im Südwesten den Rücken
- Betriebsratswahlen: „Team IG Metall“ hat Einbußen bei Porsche
„Drei Jahre nach dem Abgang des früheren Betriebsratschefs Uwe Hück bringen die Betriebsratswahlen bei Porsche in Zuffenhausen einige Neuerungen – vor allem mehr interne Konkurrenz für die dominante IG Metall…“ Artikel von Matthias Schiermeyer vom 24.03.2022 in der Stuttgarter Zeitung - Zerbröseln verhindern! Betriebsratswahlen 2022: Erste Ergebnisse in der Automobilindustrie
„… IG Metall zerbröselt sich: Die Prozentanteile für die IG-Metall-Mandate sind zwar weiterhin auf hohem Niveau – meist zwischen 70 und 90 Prozent, außer in den fast reinen Angestelltenbetrieben wie Daimler Trucks AG (52 Prozent) und Mercedes Benz Zentrale (46 Prozent) – den zwei Betrieben, in die sich die Daimler Zentrale aufgeteilt hat. Aber: Bereits 2018 zeichnete sich ein Trend ab, dass in etlichen Betrieben mehrere Listen mit IGM-Mitgliedern auftauchten, die nicht von der IGM anerkannt waren. Dieser Trend hat sich jetzt verstärkt. Das krasseste Beispiel ist sicher Daimler Rastatt. Dort sind 14 Listen angetreten, acht davon haben kein Mandat erhalten. Von den sechs erfolgreichen Listen sind alle außer den drei Zentrumsbetriebsräten IGM-Mitglieder – also 32 von 35. Die von der IGM unterstützte Liste „Wir sind Rastatt“ hat allerdings nur 20 Mandate bekommen. Ähnliche Zersplitterungen finden sich u.a. bei einzelnen Porsche-, VW-, Bosch-Betrieben sowie anderen Daimler-Standorten. Für die vielen Listen mit IGM-Mitgliedern gibt es unterschiedliche Gründe. Von persönlichen (schwierige Zusammenarbeit mit Einzelnen, schlechter Listenplatz), Unmut über undemokratisches Verhalten von Betriebsratsfürsten, Auseinanderleben durch viel „Online-Betriebsrat-Arbeit“ bis zu anderen politische Zielsetzungen. Sie sind Ausdruck dessen, dass der Klassengegner aus den Augen verloren wird, kaum oder keine gemeinsamen Kämpfe geführt werden, keine Ziele und Visionen im Vordergrund der Arbeit stehen, demokratische Prozesse in Betriebsratsgremien nicht praktiziert werden und Solidarität für viele zum Fremdwort geworden ist. Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung, schwächt die IG Metall und damit die gesamte Gewerkschaftsbewegung und stärkt das Kapital und seine Durchsetzungsmacht…“ Beitrag von Christa Hourani vom 24. März 2022 im Blog der UZ - Bosch in Feuerbach: Betriebsrat Karsten vom Bruch: Klar gewählt – trotz Kündigung
„Der gekündigte Bosch-Ingenieur Karsten vom Bruch kommt bei den Betriebsratswahlen am Standort Feuerbach auf 630 Stimmen. Dennoch geht es am Freitag vor dem Landesarbeitsgericht um seine berufliche Zukunft.
Der gekündigte Bosch-Betriebsrat Karsten vom Bruch hat trotz eines seit Jahren währenden Arbeitsgerichtsstreits eine hohe Zustimmung bei den Betriebsratswahlen am Standort Feuerbach erhalten. Als einziger Kandidat auf seiner Liste „Team Fairplay“ kam er auf 630 Stimmen, die für ihn Platz acht von 39 bedeuten. 2018 war er – damals bei einer Persönlichkeitswahl – auf Platz 28 gelandet. Diesmal standen allerdings insgesamt fünf Listen zur Wahl. Letztlich kam die Offene Liste der IG Metall auf 33 Sitze bei 4934 Stimmen, die „Perspektive für Feuerbach“ auf drei Mandate (535), die „Feuerbacher Offensive“ auf zwei Sitze (334), während die Liste „Mittendrin“ (99) leer ausging. Weil das „Team Fairplay“ lediglich aus vom Bruch bestand, musste es gemäß den Wahlregeln zwei der ihm zunächst zustehenden drei Sitze an die IG-Metall-Liste abgeben. Die Beteiligung der 12 976 Wahlberechtigten lag bei 51 Prozent – eine Steigerung um fast neun Prozent.
Vom Bruchs Kandidatur auf der Offenen Liste der IG Metall war Anfang Dezember am Streit über seine Platzierung gescheitert, so dass er mit der eigenen Liste antrat. Um für sich zu werben, erhielt er einen begrenzten Zugang zum Werksgelände, zu einem Büro und internen Kommunikationskanälen…“ Artikel von Matthias Schiermeyer vom 20.03.2022 in der Stuttgarter Zeitung online (kostenpflichtig) – siehe zum Hintergrund unser Dossier: Unruhe bei Bosch in Feuerbach: Betriebsrat fristlos gefeuert - Betriebsratswahl im VW-Werk Wolfsburg: IG Metall holt 85,5 Prozent
„Die IG Metall hat die Betriebsratswahl im Volkswagen-Stammwerk wie erwartet mit einem starken Ergebnis für sich entschieden. Die Liste 4 der IG Metall mit Daniela Cavallo an der Spitze holte 85,5 Prozent der Stimmen. Im Vergleich mit der vorherigen Betriebsratswahl 2018 sind das praktisch keine Verluste (2018: 85,85 Prozent). Mit diesem Ergebnis kommt die IG Metall-Fraktion auf 66 der insgesamt 73 Betriebsratsmandate. Die Wahlbeteiligung bleibt mit 59,25 Prozent stabil (2018: 59,43 Prozent). Aufgrund der Pandemie und Kurzarbeit lief die Abstimmung über die Zusammensetzung der Belegschaftsvertretung in den vergangenen Tagen größtenteils per Briefwahl. (…) Die übrigen Ergebnisse lauten: Die Unabhängigen 0,7 Prozent; Wir für Euch 2,3 Prozent; Mensch sein bei Volkswagen – Werte leben 0,4 Prozent; Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) 1,3 Prozent; Die Alternative 2,5 Prozent; MIG 18 1,2 Prozent sowie Die Andere Liste mit 6,1 Prozent…“ Meldung vom 18.03.2022 bei IG Metall bei Volkswagen - Bei Daimler Untertürkheim Michael Clauss (Alternative) stellv. BR-Vorsitzender, Zentrum holt 7 Sitze
Siehe für die Ergebnisse an den Daimler-Standorten IG Metall @ Daimler . In Untertürkheim wurde Michael Clauss (Alternative) zum stellv. BR-Vorsitzenden gewählt, siehe das Wahlergebnis (Zentrum: 15,8% = 7 Sitze) - Krach bei VW. BR-Wahlen beim Autobauer: IG Metall bekommt Konkurrenz von oppositionellen Gewerkschaftern [Ergebnisse im Laufe des 18.3.]
„Bei Volkswagen in Wolfsburg wird ein neuer Betriebsrat gewählt. Bis Freitag haben die rund 67.000 Beschäftigten Zeit, ihre Stimme abzugeben. Doch der sieggewohnten Gewerkschaft IG Metall droht Ungemach: Auf sieben Listen treten Konkurrenten gegen sie an, darunter auch oppositionelle Gewerkschafter. Frank Patta ist einer von ihnen. Er gilt als prominentester Herausforderer der amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden Daniela Cavallo. Bis 2012 war er IG-Metall-Chef in Wolfsburg und diente danach Cavallos Vorgänger Bernd Osterloh sechs Jahre lang als Generalsekretär. 2014 zog er selbst in den Betriebsrat ein. Mit »Die andere Liste«, die er anführt, will Patta nun Cavallo Stimmen abjagen. Alle 15 Kandidaten der Liste sind Mitglieder der IG Metall.
Der Betriebsratsspitze um Cavallo wirft Patta vor, den Kontakt zur Basis verloren zu haben. »Der Betriebsrat hat sich in den letzten zehn Jahren immer mehr von der Belegschaft entfernt«, hatte er im Dezember laut Automobilwoche gesagt. Außerdem sei immer mehr Macht vom Betriebsrat auf dessen Leitung verlagert worden. Das will Patta ändern: »Wir müssen wegkommen von der Betriebsratsmonarchie, bei der Entscheidungen im kleinen Kreis fallen.« Und dafür brauche es mehr Nähe zur Belegschaft und weniger zum Konzernvorstand. Mit dieser Haltung gelte Patta in der Gewerkschaft als Abtrünniger, berichtete nun das Handelsblatt am Montag. Er unterlaufe die Solidarität der Beschäftigtenvertretung, erklärte dem Bericht zufolge die Gewerkschaft. Die Opposition sei auf einem »Egotrip«, ihr gehe es nur um die Posten.
Ob das die wirkliche Motivation ist, lässt sich nicht überprüfen; aber Patta steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch die Liste »Wir für euch« (WFE) hat zwei bisherige IG-Metall-Betriebsräte an ihrer Spitze – und die werfen der Betriebsratsspitze ebenfalls Intransparenz vor. Nur der engste Führungszirkel fälle Entscheidungen, die der Betriebsrat dann nur noch abnicke, so der Vorwurf. Mit neun Mitgliedern will WFE nun auch dagegenhalten…“ Artikel von Bernd Müller in der jungen Welt vom 15.03.2022 – die IG Metall bei Volkswagen meldet an 18.3.2022 : Die Wahllokale sind geschlossen – ab jetzt werden die Stimmen ausgezählt. Das Ergebnis kommt im Laufe des Tages. - Mehr Demokratie im Betrieb. Warum die laufenden Betriebsratswahlen für die Klimawende und gegen Rechts entscheidend sind „… Eine hohe Wahlbeteiligung würde nicht nur die Legitimation der Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten steigern, sondern wäre in Zeiten von Demokratieentleerung und autoritärer Regression auch ein Signal für beteiligungsorientierte Zukunftsgestaltung. Die Leipziger Autoritarismus-Studien haben wiederholt auf den Zusammenhang von betrieblicher, gesellschaftlicher und politischer Demokratieentwicklung hingewiesen. Die rechtliche Landschaft ist zerklüftet. Für privatwirtschaftliche Betriebe regelt das Betriebsverfassungsgesetz die betriebliche Mitbestimmung. Im öffentlichen Dienst steckt das Personalvertretungsgesetz den Rahmen ab, in kirchlichen Betrieben gibt es »Mitarbeitervertretungen«, in sogenannten Tendenzbetrieben wie Zeitungsverlagen sind die Rechte des Betriebsrats eingeschränkt. Dass der Fortschritt eine Schnecke ist, zeigt sich gerade hier. (…)
Gegenwärtig gibt es nur in neun Prozent aller Betriebe, in denen ein Betriebsrat zulässig wäre, tatsächlich ein solches Gremium. Die Zahl ist leicht rückläufig; vor 20 Jahren waren es zwölf Prozent. Insgesamt arbeiten in der deutschen Privatwirtschaft rund 42 Prozent der Beschäftigten im Westen und 35 Prozent im Osten in Betrieben mit Betriebsrat. (…)
Zu den Ursachen des Rückgangs zählt, dass durch den Strukturwandel in klassischen Branchen wie der Stahl- und Werftindustrie Standorte geschlossen, Arbeitsplätze abgebaut wurden, und sich infolgedessen die Zahl der Betriebsräte verringert hat, während gleichzeitig Tech-Konzerne häufig sowohl Mitbestimmung als auch Tarifbindung bekämpfen. Fälle von Union Busting, d.h. Bekämpfung von Betriebsratsgründungen und gewerkschaftlicher Organisierung wie z.B. beim Lieferdienst Gorillas, der online-Bank N26 oder dem Autovermieter Sixt, tragen mit zur Unterminierung und Schwächung betrieblicher Interessenvertretung bei. Und es gibt Investoren wie Elon Musk, der Mitbestimmung und Gewerkschaften für Teufelszeug hält. (…)
Während die Kapitalseite besser ohne eigensinnige Betriebsräte leben kann, gibt es aus der Perspektive der abhängig Beschäftigten gute Gründe, die Mitbestimmungsstrukturen zu stärken. Das Betriebsverfassungsgesetz muss auf den Prüfstand. Digitalisierung, Globalisierung und Transformation brauchen neue Antworten. Betriebsräte sind mit extrem gestiegenen Anforderungen konfrontiert: gefragt beim ökologischen Umbau der Unternehmen, bei der Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz und Industrie 4.0 oder aktuell bei der Regulierung von Homeoffice…“ Artikel von Richard Detje und Otto König in der Zeitschrift Luxemburg vom März 2022 - Work-Watch Kampagne zu den BR-Wahlen 22
„An sozialen Medien kommt heute niemand mehr vorbei. Warum sollen wir sie nicht besser nutzen, um gegen Bossing, Betriebsratsmobbing und Union Busting mobil zu machen? Wir haben die aktuelle Periode der turnusmäßigen Betriebsratswahlen in diesem Frühjahr zum Anlass genommen, mit sogenannten „Memes“ und Kurztexten bei Twitter, Facebook und Instagram auf unsere gemeinsamen Anliegen aufmerksam zu machen. Mindestens einmal pro Woche werden wir neue Texte und Memes präsentieren…“ Die Kampagne bei Work-Watch - Betriebsratswahlen: Mitbestimmen statt Befehle empfangen
„Die Betriebsratswahlen am 1. März stellen einen Generationenwechsel von Räten mit linkem Selbstverständnis hin zu einer jungen Generation mit mehr kämpferischer Einstellung nach den Erfahrungen der Wende dar. Aber auch rechte Kandidaten drängen in die Betriebsräte – und der IG Metall droht bei Tesla eine symbolische Schlappe bei den Betriebsratswahlen…“ Umfangreiches Feature von Caspar Dohmen vom 26.02.2022 beim Deutschlandfunk – auch als Audio (18:26) und mit umfangreichen Ausführungen zu den Wahlen bei Tesla - [VKG] Betriebsratswahlen nutzen für Verankerung klassenkämpferischer Positionen
„Vom 1. März bis zum 31. Mai 2022 finden in zehntausenden Betrieben in ganz Deutschland Betriebsratswahlen statt. (…) Wir müssen uns dafür einsetzen, dass es wieder in mehr Betrieben starke Interessensvertretungen gibt, kämpferische Kolleg*innen gewählt werden, die kein Co-Management betreiben und wieder mehr Belegschaften über Betriebsratsarbeit abgesichert werden. Die Betriebsräte sind ein Kind der Novemberrevolution von 1918 in Deutschland. Die Rätebewegung in Deutschland hatte die Abschaffung des Kapitalismus und eine sozialistische Demokratie zum Ziel. Sie sah die Aufgabe der Räte nicht nur in der „Mitbestimmung“, sondern darin, die Wirtschaft auf Basis des Gemeineigentums sowie das gesellschaftliche Leben demokratisch zu organisieren. Die heutigen Rechte der Betriebsräte sind wesentlich beschränkter und stehen unter dem „Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit und der Ordnung im Betrieb“. Aber selbst das ist vielen Unternehmen ein Dorn im Auge. Von Seiten des Kapitals haben die Angriffe auf die Interessensvertretungen stark zugenommen, sei es gegen Betriebsratsgründungen, gegen bestehende Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten ebenso wie gegen eine kämpferische Betriebsratspolitik oder sich wehrende Belegschaften. Betriebsrats-Mobbing muss bekämpft werden, sonst führt es zu Einschüchterungen von Aktiven und hinterlässt resignierte Belegschaften. Gerade im Vorfeld der Betriebsratswahlen gilt es, allen Angriffen des Kapitals entschlossen entgegen zu treten und Betriebsratswahlen tatkräftig zu unterstützen. (…) Es ist oft enttäuschend, was Betriebsräte tun. Oder was sie nicht tun, obwohl sie es sollten. Deshalb überlegen manche, es selbst zu versuchen, es besser zu machen. Diese Gelegenheit bietet sich bei den anstehenden Betriebsratswahlen. (…) In harten Zeiten oder gegen schwere Angriffe (…) sind Maßnahmen gefordert, die über die gesetzlichen Rechte hinausgehen. Darf man das? Man muss es! Alle Rechte, die Betriebsräte heute haben, gibt es nur, weil gewerkschaftlich Aktive zu früheren Zeiten sich Rechte genommen haben. Sie haben gestreikt, auch wenn das verboten war. Die meisten Rechte für Betriebsräte wurden im Zuge der November-Revolution 1918 eingeführt bzw. nach dem Ende des Faschismus 1945. Seitdem gibt es Stillstand und Rückschritt. Wir müssen wieder stärker werden, um die Rechte für Betriebsräte zu verbessern…“ Aufruf der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) vom 11. Februar 2022 - Wolfsburg: Schmutzige Betriebsratswahl bei VW
„Bei VW werden im Rahmen des Wahlkampfes für die turnusmäßigen Betriebsratsneuwahlen im Frühjahr 2022 Aushänge konkurrierender Listen abgerissen oder mit eigenen Plakaten überklebt. Das berichten gleich mehrere Listen. Die Vorwürfe, man mag es kaum glauben, richten sich gegen die dominierende IG-Metall-Liste. Mit deren Arbeit im Betriebsrat scheinen Viele unzufrieden zu sein. Deshalb treten IG-Metall-Mitglieder, die zum Teil auch schon Betriebsratsmitglieder sind, mit mehreren eigenen Listen zur Wahl an.Und stellen sich sogegen die bisherigen Mehrheitsverhältnisse. Ein Sprecher beschwert sich, dass die IG Metall angeblich zwischen 800 000 und einer Million Euro in den Wahlkampf stecken soll, kleinere Listen ihren Wahlkampf jedoch aus eigener Tasche finanzieren. Die IG-Metall freilich weist die Vorwürfe zurück…“ Aus arbeitsunrecht FM 2/22: Union Busting-News mit Jessica Reisner vom 3. Februar 2022 - Ende der Alleinherrschaft? Der IG Metall droht in der Autobranche eine Zersplitterung der Betriebsräte — analog zur Parteienlandschaft
„Seit Jahrzehnten dominiert die IG Metall in den Betriebsräten der Automobilindustrie nach Belieben. Doch mit dem rasanten Wandel in der Branche geraten auch die traditionellen Kräfteverhältnisse innerhalb der Arbeitnehmervertretung in Bewegung. Es habe eine Zersplitterung analog zum politischen Parteiensystem begonnen, heißt es aus Betriebsräten in ganz Deutschland. Äußerlich gibt sich die Gewerkschaft gelassen, hinter den Kulissen ist sie längst im Kampfmodus und macht den Revolutionären das Leben schwer.
VW-Betriebsratswahlen in Wolfsburg versprachen in der Vergangenheit nicht die geringste Spannung. Ein überwältigender Sieg der IG-Metall-Liste war so gewiss wie die Top-Verkaufszahlen für den Golf. Längst gehört die Dominanz der größten Gewerkschaft der Welt zur Volkswagen-Kultur. Wie selbstverständlich agieren die Arbeitnehmervertreter als Co-Manager, diskutieren auf Augenhöhe über Milliardeninvestitionen und entscheiden über das Schicksal von Vorständen.
Doch mit dem rasanten Wandel in der Automobilbranche geraten augenscheinlich auch die gesetzten Kräfteverhältnisse innerhalb der Arbeitnehmervertretung in Bewegung. Mit Sorge beobachtet die IG-Metall-Führung aus der Frankfurter Zentrale eine spürbare Erosion der Macht. Nicht nur in Wolfsburg. „Die IG Metall bleibt bei den Herstellern auf absehbare Zeit stärkste Kraft“, sagt ein hochrangiger Funktionär. „Aber wir erleben derzeit den Beginn einer Zersplitterung analog zum politischen Parteiensystem.“ Schon bald werde die IG Metall mancherorts gezwungen sein, Koalitionen mit Konkurrenzlisten zu bilden, heißt es aus so manchem Unternehmen. Es wäre das Ende der Alleinherrschaft. Dabei gibt es nicht den einen Feind, gegen den sich die IG Metall behaupten muss. Während bei Volkswagen prominente Betriebsräte die Seiten gewechselt und sich gegen die „Metaller-Monarchie“ gewandt haben, scharen bei Daimler und Porsche rechtspopulistische Gruppierungen immer mehr Mitarbeiter um sich. Business Insider dokumentiert, wie die Gegenbewegungen an Fahrt aufnehmen und mit welchen Methoden die IG Metall das eigene System zu verteidigen versucht. (…)
Nach Informationen von Business Insider kämpfen 2022 insgesamt acht Listen um die Gunst der Belegschaft. Brisant: Darunter ausgeschiedene IG-Metall-Größen, die sich von der mächtigen Gewerkschaft und dem System in Wolfsburg abgewendet haben. In ihren Augen haben Gewerkschaft und Betriebsrat nicht das Beste für die VW-Belegschaft herausgeholt. (…) Am Fließband wagten sie in den vergangenen Monaten die Herausforderer der IG Metall aus der Deckung. Zunächst Frank Patta, ehemaliger Geschäftsführer der IG Metall in Wolfsburg und einer der prominentesten VW-Betriebsräte. (…) Dramatischer inszenierten die langjährigen Bereichsbetriebsräte Norbert Lem und Michael Maginski ihren Angriff auf die IG Metall. In Briefen an die VW-Eigentümer kritisierten sie den „rufschädigenden und Aktienkurs-beeinflussenden Irrweg des aktuellen Betriebsrates“. (…)
Während die Arbeitnehmervertretung in Wolfsburg äußerlich noch betont gelassen auf die Kritik reagiert und die Demokratie hervorhebt, schießt die Gewerkschaft im Hintergrund mit allen Mitteln gegen die Revolutionäre. Das bekamen auch Lem und Maginski zu spüren. Als sie sich im Oktober nicht dazu bekennen wollten, bei der kommenden Betriebsratswahl erneut auf der IG-Metall-Liste anzutreten, entfernte die Gewerkschaft sie kurzerhand aus der Fraktion, warf sie aus ihren Büros und teilte der Belegschaft mit, dass die beiden gewählten Arbeitnehmervertreter den Status als Bereichsbetriebsräte verloren hätten. Nichts Schriftliches habe es zu alldem gegeben, sagen die Betroffenen. (…)
Große Hoffnung machen sich die Herausforderer dem Vernehmen nach, bisherige Nichtwähler auf ihre Seite ziehen zu können. Rund 40 Prozent der Belegschaft ging 2018 nicht zur Betriebsratswahl. Mit neuen Angeboten zu Ausbildung und Arbeitsplatzsicherheit sollen sie im Frühjahr an die Urnen gelockt werden. Andere brisante Themen, wie der überproportional hohe Anteil von IG-Metall-Betriebsräten mit italienischen Wurzeln, sorgen zwar intern für Diskussionen, dürften aber keine Rolle spielen. Zu groß ist die Befürchtung mit rechtsextremen Strömungen in anderen Betriebsräten der Republik verglichen zu werden. (…)
Bei den vergangenen Wahlen traten etwa in Sindelfingen sieben Listen an, die CGM, die Unabhängigen, Freie Betriebsräte, die „Basis“, das Zentrum Automobil und die IG-Metall. Letztere holte deutlich über 70 Prozent der Stimmen. Nicht in allen Werken gibt es Listenwahl, in einigen gibt es Personenwahl – die der IG-Metall eher zugutekommt, weil ihre Kandidaten bekannter sind in der Belegschaft. Intern rechnet man damit, dass die vielen Listen bei dieser Wahl wahrscheinlich mehr Stimmen bekommen werden. (…)
In Zuffenhausen [Porsche] finden die Arbeitnehmervertreter deutlichere Worte für die Aussichten bei der anstehenden Wahl. Man rechnet mit bis zu acht Listen, die antreten werden. Die Metaller gehen davon aus, dass sie nach der Wahl wahrscheinlich werden koalieren müssen, mit einer der anderen Listen. Die absolute Mehrheit wird man wohl nicht halten können. Eine Zäsur für die Gewerkschaft...“ Artikel von Philip Kaleta, und Jan C. Wehmeyer vom 4.12.2021 bei Businessinsider - Betriebsratswahlen 2022: Alle Macht den Räten? Wahlen ändern nichts?
„“Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten.” Dieser Spruch war Ende der 1980er Jahre auf WG-Kühlschränken, Häuser- und Toilettenwänden zu lesen. Was heute als abgedroschene Phrase gelten darf und spätestens seit den erdrutschartigen Erfolgen der AfD selbst von eingefleischten Anarch@s überdacht werden musste, kommentierte vor allem den fabelhaften Aufstieg der Grünen seit 1980 bei gleichzeitigem Niedergang ihrer Glaubwürdigkeit. Der Spruch bezog sich auch generell auf Parlamentswahlen in westlichen Industrienationen. Betriebsräte hatte damals wie heute niemand als Faktor auf dem Schirm. Sie galten bestenfalls als langweilig, bürokratisch, verfilzt… Doch das sollten wir überdenken! Die nächsten Betriebsratswahlen stehen vom 1. März bis 31. Mai 2022 an. Betriebsratsgründungen können zwar jederzeit erfolgen, existierende Gremien wählen alle vier Jahre bundesweit in diesem Zeitfenster. Jetzt sollten Wahllisten vorbereitet werden. (…) Die radikale Linke der 1970er Jahre hat Betriebsräte zu großen Teilen abgelehnt und oft aus guten Gründen und schlechten Erfahrungen regelrecht verabscheut. In einem Nachruf auf den jüngst verstorbenen Wortführer des Kölner Ford-Streiks 1973, Baha Targün,lesen wir, warum. Denn der Ford-Betriebsrat beteiligte sich federführend an der Niederschlagung des “Türken-Streiks”: “Mit Gebrüll stürmte die Polizei den Betrieb. Mit dabei: Werkschutz, angeheuerte rechtsradikale Schläger, Gewerkschaftsfunktionäre, Meister, Vorarbeiter. BahaTargün wurde schwer verletzt. Die Werksleitung bedankte sich nach dem Streik öffentlich für den ‘persönlichen Einsatz der Betriebsräte unter der Führung des Betriebsratsvorsitzenden’.”
Die Betriebsratsfürsten der Großkonzerne waren Teil eines fest verwobenen Filzes aus SPD-Apparastschiks, Gewerkschaftsbonzen, Seitenwechslern aus den Gewerkschaften ins Management, Aufsichtsratspöstchen, fetten Abfindungen, Vergünstigungen wie Dienstwagen und Lustreisen, vermutlich auch inklusive knallharter Bestechung und Korruption. Rund um Betriebsräte hat sich eine regelrechte Industrie aus Anwält:innen und Schulungsunternehmen gebildet. Betriebsräte lassen sich regelmäßig in 4-Sterne-Sporthotels schulen, all-inclusive versteht sich. Das alles war richtig und ist es zum Teil immer noch. Zuletzt hat etwa der Prozess um massive Betriebsratsbegünstigung, Korruption und Veruntreuung bei VW, der leider mit Freisprüchen für das Management endete, für schlechte Presse von Betriebsräten gesorgt. Und dieser Prozess zeigt nur die Spitze eines Eisbergs, der immer noch ziemlich massiv ist. Allerdings haben sich sich die Vorzeichen geändert. Der Eisberg schmilzt. Und wird vom Management in den vergangenen 40 Jahren gezielt abgeschmolzen. (…)
Wenn wir von direkter Demokratie sprechen, dann sind die bunten, alternativen Listen, die ab den 1970er Jahren zu Betriebsratswahlen antraten – und in denen sich jene Radikalinskis sammelten, die damals routinemäßig wegen “Unvereinbarkeit” aus DGB-Gewerkschaften ausgeschlossenen wurden – sogar Vorboten der Grün-Alternativen Listen auf kommunaler Ebene gewesen. Und sie enthalten Restbestände und deutliche Spurenelemente der gescheiterten sozialistischen deutschen Räterepublik von 1918. Wenn diese Wahlen unwichtig wären, würden sie nicht so massiv behindert.
Für Betriebsräte gilt also der Umkehrschluss der alten Sponti-Weisheit. Daraus folgt der Appell sich jetzt ernsthaft Gedanken über eine Kandidatur und eine Wahlliste zu machen. Diese kann unabhängig, bunt und alternativ sein oder in enger Abstimmung mit einer Gewerkschaft und ihrem Vertrauensleute-Körper aufgestellt werden. Was besser ist, muss im konkreten Fall abgewogen und entschieden werden.“ Artikel von Elmar Wigand vom 14. Oktober 2021 im Lower Class Magazine
Siehe zuletzt das Dossier zur Betriebsratswahl 2018 und das Dossier: AfD & Co: Nach den Köpfen nun auch in Betriebe und Betriebsräte?!, das auch 2022 fortgeführt wird