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7 Thesen zu den Aufgaben einer offensiven Gewerkschaftspolitik in der IG Metall
Dossier
„Offensive Gewerkschaftspolitik nimmt den Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit zum Ausgangspunkt. Bei allen Veränderungen innerhalb der Arbeitsgesellschaft müssen die Beschäftigten und die Erwerbslosen auch heute von ihrer Arbeitskraft leben und haben keine Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel. (…) Offensive Gewerkschaftspolitik muss ein gesellschaftspolitisches Mandat für sich reklamieren und in der konkreten Politik umsetzen. Dies beinhaltet zum einen die öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung um Sozial- und Steuerpolitik; zum anderen auch in Zusammenarbeit mit DGB und anderen Gewerkschaften im Widerstand gegen kapitalistische Strukturen den Kampf um den Erhalt und den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur (…) Es besteht die Gefahr, dass die IG Metall die Realität anders beschreibt, als sie von einem Großteil ihrer Mitglieder wahrgenommen wird und sich hierdurch von ihrer Mitgliedschaft entfernt. Letztlich kann dies zur Rechtfertigung von Verhältnissen führen, die nicht im Interesse der Mitglieder der IG Metall liegen…“ Aus der Vorbemerkung zu 7 Thesen eines Kreises von Hauptamtlichen und Bevollmächtigten zu den Bereichen Antirassismus; Für eine sozialökologische Wirtschafts- und Strukturpolitik; Steuer- und Sozialpolitik; Friedenspolitik; Tarif- und Betriebspolitik; Organisationspolitik; Bündnis- und Lobbypolitik – wir nehmen gerne Kommentare zu den Thesen entgegen, es wäre eine überfällige Diskussion. Die Thesen bildeten die inhaltliche Grundlage eines (ersten?) Treffens von etwa 100 Gewerkschaftsfunktionären am Samstag,21.10.2017 in Kassel, siehe dazu:
- Auch das kleinere Übel ist ein Übel!
„»Verglichen mit Jamaika ergeben sich aus den Groko-Sondierungsgesprächen Anknüpfungspunkte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.« So oder ähnlich lassen sich führende Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter über die Regierungsbildung ein. (…) Aber was bedeutet eine solche Positionierung im gesamtgesellschaftlichen Kontext? Im Vorwort der 7 Thesen für eine offensive Gewerkschaftspolitik formulierten wir: »Die IG Metall muss ihre Durchsetzungsmöglichkeiten und Grenzen realistisch einschätzen und beschreiben. Tut sie dies nicht, und stellt sie ihre Kraft überhöht dar, muss sie Verantwortung für gesellschaftliche Verhältnisse übernehmen, deren Gestaltung sie nur unzureichend beeinflussen kann. Es besteht die Gefahr, dass die IG Metall die Realität anders beschreibt, als sie von einem Großteil ihrer Mitglieder wahrgenommen wird und sich hierdurch von ihrer Mitgliedschaft entfernt. Letztlich kann dies zur Rechtfertigung von Verhältnissen führen, die nicht im Interesse der Mitglieder der IG Metall liegen.« Dieser Fall droht nun genau einzutreten. In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, Gewerkschaften setzen sich für eine große Koalition ein und damit werden sie in die Verantwortung für die Ergebnisse für diese Koalition genommen. Diese Ergebnisse aber werden – trotz einzelner sinnvoller Verbesserungen – den Anforderungen in keiner Weise gerecht. (…) Aus gewerkschaftlicher Sicht sollten wir uns daher nicht für die Bildung einer großen Koalition oder auch einer wie auch immer gearteten anderen Konstellation aussprechen, sondern inhaltliche Anforderungen an die Regierungsbildung stellen. Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaften, Politikberater der SPD zu sein.“ Beitrag vom Vorbereitungskreis Offensive Gewerkschaftspolitik vom 19. Januar 2018 bei sozialismus.de , siehe zum Hintergrund unser Dossier Offener Brief: Wieder weniger Gewerkschafter – Unterstützung für Große Koalition
- »Damit die Sonne wieder scheint«. Interview von Otto König mit Heidi Scharf und Günter Hoetzl
„… G. H.: Die Thesen haben in erster Linie programmatischen Charakter. Sie beschreiben in Ansätzen, was ist und was unserer Auffassung nach sein sollte. Zur Klärung des Grundverständnisses arbeiten wir in der Vorbemerkung noch einmal die grundlegende Aufgabenstellung der IG Metall als Interessenvertretung der Arbeitnehmer_innen heraus. Basis ist dabei der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Das zieht sich durch alle Thesen von der Gesellschafts- bis hin zur Organisationspolitik. (…) H. S.: Etwas zugespitzter als in den Thesen: Die IG Metall muss sich entscheiden, ob sie Teil des Establishments sein will, oder nicht. (…) G. H.: Die Beteiligung von rund 100 Hauptamtlichen zeigt, dass wir mit unserem Diskussionsangebot einen Nerv getroffen haben. Wir werden nach den Debatten die Thesen bis Ende November weiterentwickeln. Die Teilnehmer_innen haben sich auf ein Netzwerk verständigt, um den Austausch zu verstetigen. Dazu sollen zwei Mal im Jahr Treffen stattfinden. Der nächste Termin ist für den 14. April 2018 angedacht. Diese Treffen stehen für alle Interessierten in der IG Metall offen…“ Aus dem Interview in Sozialismus.de Heft 11-2017, nicht online. Siehe dazu:- Klaus Lang: Anmerkungen zu »Für eine offensive Gewerkschaftspolitik der IG Metall – sieben Thesen«: Zu formelhaft, um provokativ zu sein
„… Bei den genannten Thesen ist die Einfallslosigkeit dieser fast ewig gültigen Formeln Garant für ihre praktische Wirkungslosigkeit. Diese Thesen hätten nahezu unverändert auch vor fünf, zehn, fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahren geschrieben werden können. Mich ärgert das deshalb, weil wir uns in Deutschland und Europa (ich will einmal die globale Perspektive außen vor lassen) in einer bedrückenden, teilweise beängstigenden Situation befinden. Das hat viele Gründe und Ursachen. Daher wäre eine linke Analyse und darauf aufbauende politische Strategie, die auf die realen Gegebenheiten Bezug nimmt und daraus verändernde Kraft entwickelt, dringend notwendig. Der vorliegende Text bietet dafür meines Erachtens keine Grundlage…“ Kommentar von Klaus Lang in Sozialismus.de Heft 11-2017
- Klaus Lang: Anmerkungen zu »Für eine offensive Gewerkschaftspolitik der IG Metall – sieben Thesen«: Zu formelhaft, um provokativ zu sein
- [Interview] Tarifpolitik ist nicht genug
In einem Interview von Ines Wallrodt mit dem IG-Metall-Bevollmächtigten Günter Hoetzl bei neues Deutschland vom 30. Oktober 2017 erläutert Günter Hoetzl die von ihm mitinitiierten Thesen für eine »offensive Gewerkschaftspolitik«: Es muss „eine zentrale Aufgabe einer Gewerkschaft sein, nicht nur Kernfelder zu bedienen wie Tarifpolitik, sondern darüber hinausgehend auch gesellschaftspolitische Themen. Deshalb wollten wir uns den Raum schaffen und haben mit sieben Thesen die Debatte eröffnet. (…) In der Sozialpolitik gibt es große Defizite, zum Beispiel in der Rentenpolitik, in der Frage der Krankenversicherung oder der Berufsunfähigkeit. Hier haben wir wichtige Reformen nicht erreicht. Zugleich hat die IG Metall Gesetze unterstützt, die in die falsche Richtung gehen. Stichwort Stärkung der Betriebsrenten, statt der gesetzlichen Renten. Und sie hat Tarifverträge geschlossen, die Gesetze nicht verbessert haben. Stichwort Leiharbeit. (…) Die IG Metall denkt zu sehr in Richtung von Großkonzernen. (…) Wir wollen die Diskussion natürlich in die IG Metall hineintragen, in die Gremien, zum Gewerkschaftstag. Bislang gibt es eine Website. Anfang nächsten Jahres treffen wir uns wieder und hoffen dann mit mehr und nicht weniger Teilnehmern. Es wäre schön, wenn wir unsere Debatte nicht außerhalb, sondern innerhalb der Organisation weitertreiben können.“
- Zum Vorbereitungskurs Offensive Gewerkschaftspolitik gehören: Wolfgang Räschke, Gerhard Wick, Robert Weißenbrunner, Michael Erhardt, Günter Hoetzl, Axel Gerntke, Roland Hamm, Robert Sadowsky, Christoph Ellinghaus, Sabrina Wirth, Stefan Sachs und Heidi Scharf.
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Metaller diskutieren offensive Gewerkschaftspolitik
Bericht von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 23.10.2017 – wir danken dem Autor!
»Offensive Gewerkschaftspolitik nimmt den Interessengegensatz von Kapital und Arbeit zum Ausgangspunkt.« Mit diesem Satz beginnen sieben Thesen, die derzeit innerhalb der IG Metall kursieren. Sie bildeten die inhaltliche Grundlage eines Treffens von etwa 100 Gewerkschaftsfunktionären am Samstag in Kassel. Diese eint das Bedürfnis, innerhalb der Industriegewerkschaft für einen offensiveren, konfliktorientierteren Kurs einzutreten.
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Gewerkschafter zusammenkommen, die politische Grundüberzeugungen teilen. Oder vielmehr: Es sollte nichts Ungewöhnliches sein. In der IG Metall ist es das aber – zumindest, wenn es sich nicht um sozialdemokratisch orientierte Zusammenschlüsse handelt. Innerhalb des IG-Metall-Apparats dürfte die von 26 hauptamtlichen Funktionären unterzeichnete Einladung nach Kassel daher wohl für einigen Wirbel gesorgt haben.
Dort ging es durchaus um eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Gewerkschaftspolitik. So kritisieren die Autoren des Thesenpapiers zum Beispiel die Praxis, gesetzliche Standards mit Hilfe von Tarifverträgen zu untergraben: »Tarifpolitik hat (…) die Aufgabe, vorhandene gesetzliche Regelungen zu verbessern, nicht aber, tarifdispositive Regelungen, wie sie im Arbeitszeitgesetz oder auch im sogenannten Betriebsrentenstärkungsgesetz enthalten bzw. geplant sind, durch Tarifverträge zu verschlechtern.« Dies ist etwa im Bereich der Leiharbeit geschehen, die nicht explizit erwähnt wird. Auch dort hat die IG Metall dabei geholfen, gesetzliche Regelungen zu verschlechtern (siehe u. a. jW vom 20. April).
Die linken Gewerkschafter, die keineswegs alle der Partei Die Linke angehören, monieren des weiteren, dass die friedenspolitische Debatte in der IG Metall in den Hintergrund getreten sei. »Friedenspolitische Vorstellungen spielen gegenüber Beschäftigungsinteressen innerhalb der Rüstungsindustrie nur eine untergeordnete Rolle. Von Rüstungskonversion ist kaum noch die Rede.« Die Gewerkschaften müssten sich klar gegen Waffenproduktion und Rüstungsexporte positionieren und sich für Konversionsprogramme einsetzen, »die die Beschäftigungsinteressen der Betroffenen berücksichtigen und eine humane Entwicklung ermöglichen«.
Organisationspolitisch mahnen die linken Funktionäre ebenfalls Veränderungen an. So habe es zwar seine Berechtigung, dass die IG Metall die Mitgliedergewinnung in den vergangenen Jahren immer stärker ins Zentrum gerückt habe. Schließlich habe eine mitgliederschwache Organisation wenig politische Kraft. Dennoch müsse in dieser Frage das Verhältnis von Mittel und Zweck in den richtigen Zusammenhang gestellt werden. »Die Mitgliederentwicklung ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Ziel, die Interessen der Beschäftigten wirksamer durchzusetzen«, heißt es in dem Papier. Projekte und Strukturen in den Geschäftsstellen dürften »nicht nur an betriebswirtschaftlichen Kriterien gemessen werden, sondern auch an ihrer gesellschaftspolitischen Funktion«.
Für eine Politisierung treten die Autoren in der Bildungsarbeit ein, die gesellschaftspolitische Fragen und den Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit stärker thematisieren müsse. Gewerkschaftliche Bildungsarbeit dürfe sich »nicht auf die Weiterbildung der Betriebsräte reduzieren, sondern muss – auch wenn dies kostenintensiv ist – die Vertrauensleutearbeit mit hoher Priorität behandeln.« Auch sonst halten die Autoren die Stärkung gewerkschaftlicher Strukturen im Betrieb für entscheidend.
Eine weitere Forderung ist, dass die IG Metall »wieder Sammelpunkt des gesellschaftlichen Widerstands« wird und sich nicht auf Lobbyarbeit in Parlamenten und Ministerien beschränkt. Es gelte, »gesellschaftliche Bewegungen aufzugreifen und im Bündnis mit allen, die am Erhalt und Ausbau des Sozialstaates interessiert sind, öffentlichkeitswirksam zu agieren«. Dabei müsse auch der Deutsche Gewerkschaftsbund eine größere Rolle spielen. Es gelte, den Dachverband der Gewerkschaften politisch und finanziell zu stärkten, heißt es in dem Papier. Selbst das ist in der IG Metall wahrscheinlich nicht die Mehrheitsposition.
Fazit: Es gibt viel Diskussionsbedarf. Und die Linken im IG-Metall-Apparat wollen in diese Debatten gemeinsam einsteigen. Womöglich wird es in Europas größter Industriegewerkschaft jetzt wieder etwas lebendiger.