Herausforderungen für eine außerparlamentarische Opposition (APO) – in dieser Ära der GroKo: Entscheidende Woche für die Börsensteuer und ein erneuter Kampf um den Freihandel – und was noch fehlt!
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 23.2.2014
Zunächst dürfte eine derartige Herausforderung bestimmt durch die gerade aktuelle Lage in einer Durchsetzung der – Finanztransaktionssteuer genannten Spekulationssteuer sein (1.) – aber dann im weiteren auch noch die Opposition gegen das Transatlantische Freihandels-Abkommen (TTIP oder TAFTA) umfassen (2.) – nur dann entsteht die drängende Frage nach dem, was noch fehlt – sozusagen die Defizite in der Krisenüberwindungs-Debatte (3.)!
1.) Entscheidende Woche für die Finanztransaktionssteuer
Eigentlich ist sich die Politik einig: Die Finanztransaktionssteuer soll kommen, die Börsen bändigen und Milliarden bringen. Doch es könnte sein, dass die Pläne diese Woche nicht überleben. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanztransaktionsteuer-entscheidende-woche-fuer-die-boersensteuer-1.1890911 )
Ach, unsere politische Elite will nun auch „endgültig“ demonstrieren, wie sie am Gängelband der Finanzindustrie hängt. Bisher konnte sie ja noch immer sagen, „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“. Jetzt aber wird klar, dass sie es doch endgültig nicht „dürfen“. Es müsste für Europa eben doch noch ein Roosevelt her, der „Klar Schiff“ gegenüber der Finanzindustrie schon 1932 / 1933 mit dem Glas Steagall Act machte. (http://de.wikipedia.org/wiki/Glass-steagall_Act = man muss nur dort „Suche nach Glass Steagall Act in anderen Artikeln“ anklicken, dann kommt ihr zu der deutschen Version!)
Damit war die Dominanz der (spekulativen) Finanzindustrie erst einmal gebrochen. Aber zunächst fordern einmal über 300 Organisationen eine umfassende Finanztransaktionssteuer noch (http://www.attac.de/presse/detailansicht/news/ueber-300-organisationen-fordern-umfassende-finanztransaktionssteuer/?cHash=160426cde11cc498599df869b9 ).
Es wird sich weisen, inwieweit dieser politische Druck in der Konstellation der Großen Koalition noch Durchschlagskraft besitzen wird und auch der deutschen Regierung ein Einknicken oder „Zurück“ dieses Mal – wie bisher – nicht „erlaubt“?
Jedenfalls springen anlässlich des deutsch-französischen Gipfels am Mttwoch, 19. Februar 2014, ihnen auch noch einmal Europa-Abgeordnete mit Udo Bullmann (SPD) zur Seite. (http://www.spd-europa.de/sites/default/files/article_pdf/Verschleppung-der-Spekulationssteuer-ist-neuer-Betrug-an-den-Buergern-Europas–1392217197.pdf )
Dies war noch besser und ausführlicher formuliert auch als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau am 19.2. zu lesen – allerdings zusammen auch mit weiteren europäischen Abgeordenten aus Österreich, Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien. Nur der deutsch-französische Gipfel, der wieder einmal begleitet war von großen Hoffnungen, scheiterte dennoch wieder einmal dabei, eine gemeinsame Erklärung zur Finanztransaktionssteuer abzugeben – denn schon eine Einigung zwischen Frankreich und Deutschland ist derzeit nicht möglich. (www.nachdenkseiten.de/?p=20805#h04 )
Dabei sollte ein Modell der gestuften Einführung einen Ausweg aus der Hängepartie bieten. Danach soll die Steuer zunächst auf Aktien, dann auf Anleihen und später auf Derivate ausgedehnt werden. Eine solche Stufenlösung ist nicht per se schlecht – sie könnte jedoch zu einem Spiel mit dem Feuer der Vergeblichkeit werden. Diese gestufte Einführung ist nämlich heikel, wenn nicht von vorneherein verbindlich die Einführung verbindlich und mit vertretbaren Fristen geregelt ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die weiteren Schritte auf den St.-Nimmerleinstag fallen werden, ganz im Sinne der französischen Regierung, die zugunsten ihrer Banken die Derivate fast vollständig von der Steuer ausnehmen will. Dann bliebe erstens die Wirkung der Steuer reichlich eingeschränkt, denn gerade spekulative und riskante Finanzgeschäfte, die die Krise anheitzen, werden meist mit Hilfe der Derivate getätigt. Und zweitens würde auch noch das Aufkommen (siehe schon Attac – wenn auch die Größenordnung der Einnahmen sehr unterschiedlich sind) ziemlich bescheiden ausfallen, denn von dem von der Kommission geschätzten Aufkommen von 34 Milliarden Euro entfallen allein 21 Milliarden auf die Transaktionen mit Derivaten. So könnte der Stufenplan das bisherige Spiel der Politik, die Finanztransaktionssteuer zu versprechen, um sie im Interesse der Finanzindustrie dann doch nie einzuführen, weiter und immer weiter geführt werden – sehr zum Frust der Bürger, die hier endlich „Nägeln mit Kopfen“ gemacht sehen wollen.
Wie war das noch mit dem Finanzkapitalismus?
Greifen wir in dieser Situation doch noch einmal zurück auf die politisch geschaffene Konstellation des Finanzkapitalismus wie sie uns Stephan Schulmeister systematisch erklärt: „Im Strudel der Deregulierungen“ (http://boeckler.de/45592_45620.htm )
Wem diese so stark eingedampfte Darstellung noch nicht ausreicht, sondern sich die dafür nötige Zeit nehmen will, kann den Überblick zu „Realkapitalismus und Finanzkapitalismus – zwei Spielanordnungen und zwei Phasen des langen Zyklus“ auch noch entdecken (http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Real-_Finanzkapitalismus_11_13.pdf )
Kein Wunder, dass Stephan Schulmeister auch der von den Wissenschaftlern war, der sich am systematischten nicht nur für die Finanztransaktionssteuer eingesetzt hat, sondern auch am umfassendsten ihre Bedeutung für den Wechsel zum Realkapitalismus analytisch ausgebreitet hatte. (http://archiv.labournet.de/diskussion/wipo/finanz/fts_bahl.html)
Schau`n wir einmal, wie stark diese Erkenntnisse doch noch in dieser heißen Phase um die FTS zum Tragen kommen werden -oder doch die Finanzlobby die Oberhand behalten wird gegen jede noch so realistische „Aufklärung“. Gerade diese Studien belegen auch das „Unwesen“ der Derivate, die jetzt ausgenommen werden sollen. Und ein Ausklammern gerade der Derivate würde für die Finanzmarkt-Regulierung wohl noch mehr bedeuten als „nur“ die 60 Prozent Einnahme-Verlust, die Attac jetzt in seinem Protest so in den Vordergrund schiebt.
Besonderes Gewicht erhält diese „Einschränkung“ auch noch durch die neuen Analysen des IWF, dass gerade die „Geldschwemme“ eine wichtige Ursache für die Eurokrise ist. Dies wird jetzt zu recht als eine Ohrfeige für die bisherigen „Euro-Retter“ bezeichnet. (www.nachdenkseiten.de/?p=20637#h06 oder auch http://lostineu.eu/ohrfeige-fuer-die-euroretter/ )
Zunächst würde damit auch ein „Pfeiler“ für die Finanzierung des DGB-Marshall-Planes entfallen
Zwei Finanzierungspfeiler sollen die „Architektur“ für den aus der Euro-Krise führenden Marshall-Plan des DGB stützen: die Staatsanleihen, die ja in Deutschland auch noch besonders günstig sind – und eben die Finanztransaktionssteuer (http://www.dgb.de/themen/++co++985b632e-407e-11e2-b652-00188b4dc422 )
Der Reichtum soll so einerseits durch die FTS „etwas“ in seiner vor allem spekulativen Funktion unschädlich gemacht werden und gleichzeitig ihm andere – als spekulative – Anlagemöglichkeiten geboten werden. (www.nachdenkseiten.de/?p=20656#h09 )
2.) Freihandelsabkommen USA-Europa und die EBI „Right2Water“
Wir bekommen jetzt die EU als recht „doppelgesichtige“ Institution in den Blick: Einerseits begrüßt die EU-Kommission die „Graswurzel“-Aktivisten von der EU-Bürger-Initiative (EBI) Right2Water und freut sich über den Besuch der Privatisierungsgegner (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-buergerinitiative-rightwater-eu-freut-sich-ueber-besuch-von-privatiserungsgegnern-1.1891448 ).
Andererseits ist dem zukünftigen DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann (Wahl im Mai 2014) recht zu geben, wenn er mahnt, nun darf dieser Erfolg der Bürgerinitiative Right2Water aber nicht durch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der USA doch wieder durch die Hintertür kassiert werden, weil der Marktzugang für Wasser-Unternehmen dann eben gegen Staaten oder auch die EU durchgesetzt werden kann. (http://www.dgb.de/themen/++co++1f24a7e8-dca2-11e2-8e98-00188b4dc422 )
Zu den Gefahren des Vorhabens dieses Freihandelsabkommens, das eine außerparlamentarische Opposition wie schon ein ähnliches Vorhaben in den 90-er Jahren vom Tisch der doch immer wieder so wirtschaftshörigen Bürokraten fegen müsste, siehe noch einmal ausführlich Rudolf Hickel und Jens Berger (www.nachdenkseiten.de/?p=20685 ). Die Konfliktlinie läuft nicht US-Konzerne gegen Europa, sondern Unternehmen gegen den Verbraucher – sowie TAFTA – Das Kapital gegen den Rest der Welt (www.nachdenkseiten.de/?p=19928#h01 und in der ganzen Entwicklung der Diskussion mit Jens Berger: www.nachdenkseiten.de/?p=16289 , www.nachdenkseiten.de/?p=17671 sowie www.nachdenkseiten.de/?p=20546 – aber wer es besser noch kabarettistisch genießen will, kann es bei „Pelzig hält sich“ mit Peter Bofinger vom 11. Februar sich reinziehen (m. E. nach Sotschi): http://pelzig.zdf.de/ . Und eine gute Zusammenschau zum TAFTA bringt dann auch noch Labournet (https://www.labournet.de/politik/eu-politik/wipo-eu/freihandelsabkommen-mit-den-usa-tafta/)
Kritische Informationen zum TAFTA oder auch TTIP nebst seiner demokratiefeindlichen Tendenz – eben postdemokratisch – gibt es also genügend – bleibt nur die Frage, ob es wieder gelingt – wie schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts – dieses Abkommen in den vor allem kritischen Punkten, die den Konzernen in ihrem Interese ein absolutes Vorrecht vor den demokratischen Staaten einräumen, zu verhindern.
Was beim Wasser möglich war – eine solche Europäische Bürger-Initiative (EBI) – könnte angesichts der „Undurchsichtigkeit“ bei TAFTA schwieriger werden, um zum Erfolg zu verhelfen. Aber vielleicht wollte die EU-Kommission ihre Freude auch deshalb gegenüber „Right2Water“ so offen signalisieren, weil sie meinte, so schnell bremst ihr uns bei anderen von uns geplanten neoliberalen Projekten – gegen euch – doch nicht mehr mit einer EBI aus.
Sind wir mit einer FTS und dem Marshall-Plan in der Euro-Krise schon über den Berg, gar an einem Ende der neoliberalen Hegemonie? Das Import-Defizit und die Verteilungsfrage als Leerstelle (3.)
Es erscheint schon verlockend mit diesen Bausteinen, die noch eine breite politische Unterstützung, auch in den Gewerkschaften haben, eine Krisenüberwindungstrategie anzugehen – und damit eben auch zusammen mit den Gewerkschaften eine politische Mehrheit für einen jetzt gerade möglich erscheinenden Weg aus diesem Krisen-Desaster mit immer weiteren Rekorden an Arbeitslosen und durch die dogmatische Sparpolitik mit der Folge eines weiteren Steigens der Staatsschulden, inbesondere im Süden der Eurozone, aus dem es für diese Länder anscheinend kein Entrinnen geben kann, zu erreichen. Wenn dann noch dem Freihandelsabkommen die demokratiefeindlichen Giftzähne gezogen würden, könnte dann nicht ein Ende der neoliberalen Hegemonie schon als aufgehende Sonne eines neuen wieder keynesianisch-geprägten Zeitalters wie in der Nachkriegsperiode bis Anfang der siebziger Jahre, wo die USA unter Nixon „mutwillig“ zunächst einmal das Bretton-Woods-System bendeten,für uns angezeigt sein?
Es soll nun eine politisch mögliche Koalition in diesen Punkten keineswegs madig gemacht werden – ganz im Gegenteil: Wir wären schon ein ganzes Stück weiter in der Krisenbewältigung – und was jetzt politisch möglich erscheint, sollten wir – auch ganz Pragmatiker – mitzunehmen bereit sein.
Auch deutsche Gewerkschaften schweigen so gerne zum Lohndumping aus Deutschland
Es fehlen nur weiter zentrale Elemente zur wirklichen Krisenüberwindung – auch wenn die Gewerkschaften, gerade über Lohndumping und Hartz IV so gerne schweigen, so bleibt dieser gesamte Komplex der – vor allem konsumtiven – Nachfrage mit ihren auch gewaltigen Dimensionen bisher „außen“ vor – und es bleibt der für die Krisenüberwindung auch notwendige Vorstoß zu einem weiteren Kern des ökonomischen Krisenproblems einfach weiterhin „unerledigt“.
Es ist wahrscheinlich notwendig dies noch einmal im Zusammenhang darzustellen, um nicht bei dem zum deutschen Heldentum hochstilisierten Exportüberschuss wieder einmal ganz isoliert hängen zu bleiben.
Jens Berger geht dem schon auf den Grund, indem er ausführt:Wenn ein Land permanent mehr Güter aus- als einführt, muss es über kurz oder lang den Ländern, die diese Güter kaufen, Geld leihen. Die deutschen Unternehmen haben Auslandsforderungen in Höhe von 722 Milliarden Euro, die deutschen Banken sitzen sogar auf Auslandsforderungen in Höhe von fast zwei Billionen. So gesehen ist die Exportwelt-meisterschaft gleich ein doppelter Pyrrhussieg: Die (deutschen) Arbeitnehmer bezahlen ihn, indem sie vergleichsweise niedrige Löhne erhalten, während die Unternehmen und Banken immer mehr Forderungen aufbauen, deren Begleichung alles andere als sicher ist. (www.nachdenkseiten.de/?p=19396 )
Wie unsicher das sein kann, macht uns konkreter gefasst schon Michael Fischer klar, indem er ausführt, dass die Deutschen beim Auslandsvermögen schon einen Verlust von 269 Milliarden Euro bzw. nach den Berechnungen des DIW von 600 Milliarden Euro zu verbuchen haben. Eigentlich kein Pappenstiel! Und weit entfernt von seriösem Wirtschaften, das eigentlich auch die Kanzlerin mit ihrem so plakativen Hinweis auf die „schwäbische Hausfrau“ zu ihrem bedeutendsten Ziel erklärt. Und nun brökelt auch diese Fassade noch – und niemend will es wahrhaben. (Vgl. Deutschlands Exporterfolge und seine problematischen Importdefizite: Ein Verteilungsproblem – auf der Seite 2: http://www.gegenblende.de/++co++1aed7666-8e61-11e3-8839-52540066f352 – oder auch www.nachdenkseiten.de/?p=20606#h04 )
Für Michael Fischer sind diese Exportüberschüsse auch ein Export von Arbeitslosigkeit: Ein beträchtlicher Teil inländischer Beschäftigung wird durch die Nachfrage aus dem Ausland gespeist, ohne dass selbst eine entsprechende Nachfrage im Ausland entfaltet wird. Deshalb geht er mit Jens Berger auch konform, dass wir zur Klarstellung doch viel besser von einem Import-Defizit sprechen sollten (S.2)
Und immer mehr können sich schon mit dieser begrifflichen Klarstellung anfreunden, dass es notwendigerweise – auch wenn solche Zusammenhänge in die so simpel gestrickte neoliberale Denke anscheindend Schwierigkeiten haben, Eingang zu finden – sich um Import-Defizite handeln muss – einfach wenn man sauber bilanzieren kann. (www.nachdenkseiten.de/?p=19269#h06 . Vergleiche dazu auch noch einmal: „Der ökonomische Autist Deutschland, gedanklich abgeschottet gegen internationale Zusammenhänge – jetzt anlässlich der Kritik des Exportüberschusses“ = S. 1 f. bei www.labournet.de/?p=49102)
Und so bleiben wir erst einmal weiter in diesem doppelten Pyrrhus-Sieg mit den autistisch-ignoranten Deutschen hängen – unfähig die ökonomischen Verhältnisse klar zu benennen.
Ein Ausweg nur über die Verteilungsfrage – Kein Ausklammern der „konsumtiven Frage
Und einen Ausweg sieht gerade Michael Fischer auch wieder nur durch eine Hinwendung auf die Verteilungsfrage, die genau durch das Lohndumping in Deutschland herbeigeführt wurde. (S. 2 und 3) Für ihn bedeutet daher der Vorschlag von höheren Investitionen (siehe Marshall-Plan) eine gute Idee – nur eben langfristig ohne eine Thematisierung der Verteilungsfrage – und damit auch der Löhne – mit Mängeln behaftet. Deutschland konsumiert, importiert und investiert im Inland eben deutlich weniger als es sich leisten könnte – und für Europa in einer gemeinsamen Währungszone auch sollte. Defizite aber können eben nur abgebaut werden, wenn auch die Überschüsse abgebaut werden.
Ein echte Gesundung der Wirtschaft kann eben nicht nur durch eine staatlich initiierte Investitionsföderung angegangen werden, sondern muss auch „konsumtive Frage“ angehen – und damit die Schieflage der Einkommensverhältnisse vor allem auch und erst einmal gerade in Deutschland angehen, anstatt das Lohn-Niveau über einen Wettbewerbspakt a la Merkel weiter in den anderen Ländern noch tiefer zu drücken.
Um es noch einmal festzuhalten, nationale Wettbewerbsfähig-keit kann in einer gemeinsamen Währungsunion – da das Mittel der Auf- oder Abwertung wegfällt – nur über die Löhne hergestellt werden. Deshalb – so stellt Ulrike Herrmann fest – ist es kein Zufall, dass Deutschland mit seinem Lohndumping – mit dem „größten Niedriglohnsektor für Europa“ unter Kanzler Schröder – erst begonnen hat, als der Euro eingeführt war. Vorher hätte es keinen Sinn gehabt. Deshalb sind die Deutschen angesichts ihrer auch schon vorher dominanten ökonomischen Stellung in Europa realitätsblind, wenn sie Deutschland als Vorbild für Europa preisen. (vgl. den Abschnitt „Und dieser Exportwahn wird mit Lohndumping bei den Deutschen „bezahlt“ auf der Seite 8 bei https://www.labournet.de/?p=45417)
Und der Fall Frankreich, erklärt Ulrike Herrmann noch ist besonders tragisch, weil sich das Land mustergültig verhalten hat. Gerade Frankreich hat sich an die Spielregeln – in einer gemeinsamen Währungszone – gehalten, die alle Eurostaaten befolgen müssten. Doch nun müssen die Franzosen erleben, das sie gegen die Deutschen nicht mehr wettbewerbsfähig sind, die ihre Löhne systematisch nach unten gedrückt haben. (vgl. Ulrike Herrmann „Die vier Krisen des Euro“ in der Monde Diplomatique (www.nachdenkseiten.de/?p=18615#h05 )
Mit der Verteilungsfrage rückt das uralte Menschenrecht der Gleichheit in den politischen Vordergrund
Über die auch von den Menschen in Europa sicher gut zu verstehende Hinwendung zur Frage der Gleichheit kann die Krisenüberwindung nicht nur für ökonomische Fachleute zum „ökonomisch-technischen“ Problem werden, sondern kann auch die Herzen der Menschen erfassen. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bringt das kurz und bündig mit „Der Preis der Ungleichheit – oder wie die Spaltung unserer Gesellschaft die Zukunft ruiniert“ auf den angemessenen Begriff. (vgl. die Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=50518 vom 3.1.14) Und die internationale Organisation Oxfam schildert diese schädliche Entwicklung der Ungleichheit in dieser neoliberalen Ära auch gleich noch weltweit. (www.nachdenkseiten.de/?p=19985#h01 ) Einen Vorstoß zum Kern des ökonomischen Krisenproblems – dieser ungleichen Verteilung – gibt es jedoch bisher nicht. (vgl. auch Seite 7 bei https://www.labournet.de/?p=52278 vom 4.2.14)
Der Wirtschaftswissenschaftler von der Uni Duisburg, Till van Treeck, spitzt das noch auf die Frage zu: „Wie stark eine steigende Einkommensungleichheit eine hinreichende Güternachfrage gewährleisten kann“ Und für die in Deutschland inzwischen so ausgeuferte Entwicklung zur Ungleichheit sieht er die Hartz-Reformen als wesentlichen Faktor. (noch einmal die Seite 3 f. bei https://www.labournet.de/?p=50518)
Und nach wie vor gibt es – auch in Deutschland – dafür keine Verbesserungen, sondern die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt hoch – wie gleich zwei Studien belegen. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einkommensstudien-von-diw-und-wsi-reiche-bleiben-reich-arme-bleiben-arm-1.1818115 ) So bedauert das WSI in seinem letzten Verteilungsbericht: „Trendwende noch nicht erreicht“ (http://www.boeckler.de/wsi_6420.htm?produkt=HBS-005436 ) und das DIW muss gegen die Verlautbarungen der Bundesregierung auch noch in das gleiche Horn stoßen. (www.nachdenkseiten.de/?p=19247#h17 )
Dennoch bleibt Frankreich „selbstvergessen“ dieser deutschen Polarisierungs-Denke verhaftet – und gerät politisch ins Abseits durch die verlorengegebene Gleichheit. (vgl. die Seite 5 bei https://www.labournet.de/?p=51131 vom 17.1.14)
Selbstvergessen muss man für Frankreich deshalb sagen, weil schon Jean-Jacques Rousseau, dieser „Ghostwriter“ für die französiche Revolution, und nach ihm diese Revolution selbst sahen die Gleichheit als ein wichtiges gesellschaftliches „Movens“ an. (vgl. dazu die Seite 1 https://www.labournet.de/?p=50518)
Dennoch weiter sinkende Löhne aus Deutschland
Gerade aktuell wirft man den Blick die Einkommensentwicklung – die neue Statistik legt es nahe – und muss wiederum feststellen, die Reallöhne sinken weiter. So schreibt Stephan Kaufmann am 21.2.2014: Deutschland gilt als Konjunkturlokomotive Europas. Dennoch wollen die hiesigen Bürger nicht so richtig konsumieren. Woran liegt das? An den sinkenden Reallöhnen!
Der strukturell und langfristig schwache Lohntrend in Deutschland ist noch nicht gebrochen. Hinter ihm stehen die bekannten Faktoren: Deregulierung des Arbeitsmarktes (erg.: mit dem größten „Niedriglohnsektor Europas“), Zunahme sogenannter atypischer Beschäftigungsformen wie Teilzeit (damit die sinkende Arbeitszeit pro Beschäftigten = bei ziemlich gleichbleibendem Gesamt-Arbeitsvolumen wird das lediglich zu einer Umverteilung auf mehr Beschäftigte), die schwächere Signalwirkung von Tarifabschlüssen auf den Sektor der nicht-tarifgebundenen Unternehmen (eine Umschreibung für die systematische Auflösung des Flächentarifvertrages, der für immer weniger Beschäftigte zur Geltung kommt, und damit eine allgemeine Lohngestaltung hinfällig werden lässt, was das Ziel der Politik auch war – und wohl bleibt), der Verweis auf die harte Kostenkonkurrenz auf dem Weltmarkt – schließlich bleibt die deutsche Wirtschaft ja weitgehend abhängig von ihren Exporterfolgen.
So liegen die realen Netto-Löhne je Arbeitnehmer noch immer unter dem Niveau von vor 20 Jahren. Diese mageren Lohnsteigerungen haben Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur. Ein 8.50 Euro Mindestlohn kann diesen Trend nicht brechen. (soweit die aktuelle Analyse von Stephan Kaufmann – mit ein paar erklärenden eigenen Anmerkungen noch) (http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/einkommen-deutschlands-sinkende-loehne,10808230,26299620.html )
Angesichts dieser klaren Analyse erscheint es dann ziemlich gewagt, dass der deutsche Wirtschaftsminister, Sigmar Gabriel (SPD) vor diesem Hintergrund auf die Binnennachfrage für Deutschland setzt (http://www.wirtschaftundgesellschaft.de/2014/02/sinkende-reallohne-und-fallende-erzeugerpreise-in-deutschland/ )
Aber mit dieser Blindheit für ökonomische Realitäten ist nicht nur der deutsche Wirtschaftsminister geschlagen, auch für Frankreich und den französischen Staatspräsidenten gibt es dieses Lohndumping aus Deutschland unter dem Dach der gemeinsamen Währung, wo als die letzte „Stellschraube“ für den nationalen Wettbewerb „gegeneinander“ eben nur noch die Löhne bleiben, einfach nicht – zum eigenen Schaden. (Vgl. die Seite 5 unten bei https://www.labournet.de/?p=52278 vom 4.2.14) Und so muss es weiter bei der Eskalation der sozialen Probleme bleiben (ebendort Seite 7 unten)
Auswegslos erscheint die Situation dann aber vor allem deshalb, wenn auch renommierte Kritik in Frankreich in dieser Beziehung so unzureichend bleibt. (siehe die Seite 4 bei https://www.labournet.de/?p=51131 vom 17.1.14)
So bleibt uns dann – zugegeben etwas hilflos – nur noch – mit Steffen Lehndorff – die Feststellung: „Und dann treibt in dieser – jetzt eben – Konkurrenz-Union ausgerechnet die stärkste Volkswirtschaft – die deutsche – als einzige die durchschnittlichen Löhne im eigenen Land in den Sinkflug, produziert damit wirtschaftliche Ungleichgewichte und pustet mit den dabei entstandenen Gewinnen Blasen in anderen Ländern auf. Wenn die größte Volkswirtschaft in einer Währungsunion „Profitieren, ohne zu investieren“ zu ihrem Geschäftsmodell macht, fliegt das – angeblich – gemeinsame Projekt früher oder später allen Beteiligten um die Ohren.“ (siehe in der Mitte der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=53329) Hier will diese außerparlamentarische „Koalition“ für den Marshallplan und die Finanztransaktionssteuer doch auch schon einmal ansetzen.
Selbstaufgabe der Gewerkschaften durch „Verzicht“ auf eine allgemeine Lohngestaltung – Gewerkschaften neoliberal und national gegeneinander ausgespielt?
Nur als Ergebnis muss man feststellen, dass bei der weiterhin vorhandenen Abschottung von den realen Zusammenhängen – gerade in einer Währungszone – werden die europäischen Gewerkschaften weiterhin Gefahr laufen, neoliberal gegeneinander ausgespielt zu werden – anstatt „gemeinsam“ zu einer Lohn- und Sozial-Koordinierung voranzukommen.
Es ist an dieser Stelle angebracht noch einmal einen Blick zurück zu werfen auf die vielgerühmte Nachkriegszeit mit ihrer wesentlich größeren Gleichheit einer Mittelschichtsgesellschaft.
Nehmen wir zum Beispiel – nachdem wir uns schon mit Joseph Stiglitz beschäftigt hatten – den Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman aus den USA, der sein Motivation als Ökonom so begründet: „Erst jetzt im Rückblick erscheint die politische und wirtschaftliche Umwelt meiner Jugend (Jahrgang 1953) als ein verlorenes Paradies, als ein außergewöhnlicher Abschnitt in der Geschichte unseres Landes.
Das Amerika der Nachkriegszeit war vor allem eine Mittelschichtsgesellschaft. Der starke Lohnanstieg, der mit dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, hatte Millionen von Amerikanern, darunter auch meine Eltern, aus städtischen Elendsviertel und ländlicher Armut befreit und ihnen ein Leben mit Hausbesitz und beispiellosem Komfort ermöglicht. Die Reichen hatten dagegen an Boden verloren: Sie waren wenig und gemessen an der wohlhabenden Mitte, nicht gar so reich. Die Armen waren zahlreicher als die Reichen, aber sie waren immer noch eine relativ kleine Minderheit. Die Folge war ein bemerkenswerter Eindruck von wirtschaftlicher Gemeinsamkeit. (vgl. die Seite 1 f. Paul Krugman, „Nach Bush“)Wie das genauer auch in den USA aussah schildert er unter dem Titel „Die Große Kompression“ (siehe die Seiten 45 ff.) Und zu dieser Phaseneinteilung siehe auch noch einmal Stephan Schulmeister in seinem Essay weiter oben (siehe den Abschnitt „Wie war das noch mit dem Finanzkapitalismus“). Für all diese Autoren spielen die Gewerkschaften in diesem Prozess hin zu größerer Gleichheit auch eine ganz wichtige – wenn nicht zentrale – Rolle.
Aber was sind Gewerkschaften? Nehmen wir einmal dazu eine rechtliche Klarstellung durch das Bundesarbeitsgerichtes aus dem Jahre 1984 – ja in Deutschland spielt die „Verrechtlichung“ eine besondere und immer wieder herausragende Rolle: „Lohnverhandlungen ohne Recht zum Streik sind nicht mehr als kollektives Betteln“ (vgl. auch (http://www.vkl.de/tarif_gegengewicht.shtml )
Schon mit der Aufhebung des § 116 AFG sollten die Gewerkschaften in ihrer Streikfähigkeit – übrigens damals durch den Bundesarbeitsminister Norbert Blüm – beeinträchtigt werden. (siehe den letzten Link)
Die Devise „Tarifautonomie braucht starke Gewerkschaften“ bekam so ihre ersten Risse.
Mit dem Vereinigungsprozess und vor allem der Hartz-Gesetzgebung erhielt die Forderung nach starken Gewerkschaften ihre entscheidenden Schläge – um nicht zu sagen, sie wurden in ihrer bedeutenden Funktion demontiert.
Nun konnte das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2010 dann endgültig festhalten, dass das „Königsinstrument“ der deutschen Lohnfindung, der Flächentarifvertrag sein allgemeines Ende gefunden habe. (vgl. „Endgültiges Ende einer sehr erfolgreichen Gewerkschafts-Ära in Deutschland – jetzt nur gerichtlich „beglaubigt“: http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/tarifeinh_bahl.html) So gilt eben bei uns in Deutschland der Flächentarifvertrag nur noch für jeden zweiten (http://idw-online.de:80/de/news480824 )
So konnten wir auch in Deutschland eine Polarisierung der Einkommen in Augenschein nehmen – und zusehen wie die Mittelschicht verliert (www.nachdenkseiten.de/?p=5906#h01 )
Um noch einmal auf die oben genannten ersten Schritte zur Finanztransaktionssteuer und dem Marshall-Plan zurückzukommen: es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir damit schon ein Stückchen aus dieser immer noch weiter laufenden Spirale nach unten rauskommen könnten. Nur die Gewerkschaften als eigenständige Lohnmacht – früher sagte man in Gewerkschaftskreisen auch oft „eigene Kraft“ dafür – bleiben weiter nach dem „Basta-Verdikt“ von Kanzler Schröder und seinem „größten Niedriglohnsektor Europas“ eingeschränkt, wie wir ja ausführlich sehen konnten.
Es könnte ja sein, dass die Gewerkschaften dennoch die „strategische“ Absicht haben, mit solchen ersten Schritten aus dieser zumindest auch selbstverschuldeten Unmündigkeit heraus wieder zu einer „erwachsenen“ Gewerkschaft werden wollen.
Ein solche weiterreichende Gewerkschafts-Perspektive erscheint jedoch, wenn man das aktuelle gewerkschaftliche Handeln betrachtet, recht unwahrscheinlich, da sie jetzt auch noch die große Koalition – man könnte auch sagen „hinterrücks“ – dazu nutzen wollen, das Streikrecht von kleinen Konkurrenzgewerkschaften einzuschränken. (vgl. den allerletzten Absatz auf der Seite 7 f. bei https://www.labournet.de/?p=52278)
Dieser Schritt selber gegenüber der Politik, die einem ja mit den Arbeitsmarktreformen schon so übel für eine Lohnge-staltung mitgespielt hatte, die Hand zur Beschränkung der Gewerkschaftsrechte zu reichen, erscheint schon als besondere Chuzpe.
Dabei ging die Initiative sogar von den Gewerkschaften selber aus. (vgl. insbesondere ab dem Abschnitt „Die gemeinsame Initiative von DGB und BDA zur Schaffung einer neuen Form von Tarifeinheit“ auf der Seite 1 ganz unten bei (http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/dgbbda_bahl.html)
Ausgangspunkt: Das Totschweigen und Tabuisieren einer totalen Niederlage – der Arbeitsmarkt-Deregulierung durch die Hartz-Gesetze
In diesem Netz von innergewerkschaftlichen Intrigen und Austricksen haben sich die deutschen Gewerkschaften jedoch selbst gefangen – indem sie die Arbeitsmarkt-Reformen als Ursache ihrer so verheerenden Niederlage für eine allgemeine Lohngestaltung nie mehr politisch thematisiert haben – und sie damit als Faktum des neoliberalen „Angriffes“ einfach hingenommen haben.
Wir haben hier gesehen, wie klar bei uns kritische Geister, die sich nicht durch den so vorherrschenden neoliberalen Mainstream und dessen Aversion gegen Gewerkschaften als wichtige Botschaft haben das Hirn vernebeln lassen, in den Hartz-Reformen den zentralen Grund für das Lohndumping und damit die schwachen deutschen Gewerkschaften sehen. Und die Gewerkschaften verhalten sich zu diesem Befund mit einer „Vogel-Strauss-Politik“ – einfach den Kopf in den Sand stecken – und sich eben mit den Folgen möglichst „bequem“ noch abfinden.
Es sei mir nachgesehen, wenn ich hier die Analogie aus einem bekannten Comic hinzufüge. Bei Asterix, dem kleinen tapferen Gallier finden wir die Stelle, dass er einen Tobsuchtsanfall bekommt, als jemand Alesia, jene Schlacht in der die Gallier (Kelten) unter ihrem Führer Vercingetorix (52 v.Chr.) von Cäsar vernichtend – und endgültig – geschlagen wurden, nur erwähnt. Er schreit förmlich: „Sprich mir nicht von Alesia“. – Ähnlich kommen mir die deutschen Gewerkschaften heute vor, die durch die „Basta“-Politik ihrer Kernfunktion einer allgemeinen Lohngestaltung beraubt wurden, und nun sich das Tabu auferlegt haben, nie mehr über „Hartz-Reformen“ zu reden.