Arbeit, Geld, Kapital – Das Corona-Regime und der DGB
„Kein Kampf, nirgends. Nach Corona werden sie uns erzählen, dass „wir alle“ nun eben den Gürtel enger schnallen müssen, um die Folgen der Krise zu bewältigen. Das ist im Grunde das alte Lied, alle Lohnabhängigen kennen die Melodie. (…) Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fordert nun mit Verweis auf Corona, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften „an einem Strang“ ziehen müssen. Vor gut 50 Jahren, 1967, kritisierte der DGB noch die Notstandsgesetzgebung (…) Nun also, 2020, sekundierte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dem Bundesarbeitsminister artig und versichert, sich angesichts der Corona-Krise mit den Arbeitgebern gemeinsam „verantwortungsvoll für das Gemeinwohl“ einsetzen zu wollen. Diese Verantwortung trägt erste Früchte. „Solidarisch ist man nicht alleine“, proklamiert der DGB – und er meint diese Solidarität einzig im Sinne des Gesundheitsregimes, nicht der Arbeit, während im gleichen Atemzug alle Kundgebungen zum 1. Mai abgeblasen wurden: „zuhause bleiben“ lautete das mittlerweile reichlich abgegriffene Credo. Allein bleiben, aber unter Anrufung irgendeiner inhaltsleeren Solidarität. (…) Der DGB schafft sich also selbst ab: kein Kampf, nichts, nirgends. Dabei hat die internationale Arbeitsorganisation ILO schon seit Jahren die – im Vergleich zu Produktivität und Unternehmenserlösen – niedrigen deutschen Löhne kritisiert. Doch Arbeitsbedingungen, das sind nicht nur Löhne. So wird, wo nun Corona sei Dank weithin die „freiwillige“ gesundheitspolizeiliche Selbstüberwachung akzeptiert ist, als nächstes die automatische soziale Distanzierung als Arbeitsplatzüberwachung kommen (…) Eine ordentliche Grundsicherung wird es im globalen Kapitalismus also nicht geben. Man kann nun das Grundeinkommen als Einstieg in die richtige Richtung nehmen oder fragen, ob es dann nicht logischer ist, gleich mit dem Abwracken des Kapitalismus zu beginnen. Das allerdings wird mit dem DGB schon mal gar nicht zu machen sein…“ Artikel von Gerald Grüneklee vom 1. Mai 2020 – wir danken!
Arbeit, Geld, Kapital – Das Corona-Regime und der DGB
Kein Kampf, nirgends
Nach Corona werden sie uns erzählen, dass „wir alle“ nun eben den Gürtel enger schnallen müssen, um die Folgen der Krise zu bewältigen. Das ist im Grunde das alte Lied, alle Lohnabhängigen kennen die Melodie. Die Metallarbeitgeber etwa forderten dies schon zu Beginn des Jahres, vor Corona. Grund: der Umbau der Automobilindustrie. Nachdem die Konzerne jahrelang Milliardengewinne machten und Entwicklungen verschliefen, sollen „wir“ nun also für ihre Probleme zahlen. Für Probleme, die es vielfach schon vor Corona gab – sie wurden in jüngster Zeit lediglich verschärft. Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fordert nun mit Verweis auf Corona, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften „an einem Strang“ ziehen müssen.
Vor gut 50 Jahren, 1967, kritisierte der DGB noch die Notstandsgesetzgebung, „welche die demokratischen Grundrechte einschränkt und besonders das Versammlungs-, Koalitions- und Streikrecht der Arbeitnehmer und ihrer gewerkschaftlichen Organisationen bedroht“ und „bekräftigte die Entschlossenheit der Gewerkschaften, die Grundrechte und die Prinzipien des Grundgesetzes gegen jeden Angriff zu verteidigen“. Lange her, jedenfalls wollte man sich damals noch nicht umstandslos alle zugestandenen – oder je nach Lesart auch erkämpften – Rechte nehmen lassen. Aber darin, sich seiner eigenen Geschichte zu erinnern, war der DGB ja noch nie besonders gut. Nun also, 2020, sekundierte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dem Bundesarbeitsminister artig und versichert, sich angesichts der Corona-Krise mit den Arbeitgebern gemeinsam „verantwortungsvoll für das Gemeinwohl“ einsetzen zu wollen. Diese Verantwortung trägt erste Früchte. „Solidarisch ist man nicht alleine“, proklamiert der DGB – und er meint diese Solidarität einzig im Sinne des Gesundheitsregimes, nicht der Arbeit, während im gleichen Atemzug alle Kundgebungen zum 1. Mai abgeblasen wurden: „zuhause bleiben“ lautete das mittlerweile reichlich abgegriffene Credo. Allein bleiben, aber unter Anrufung irgendeiner inhaltsleeren Solidarität. Dabei wäre eine wirkliche, globale Solidarität angesichts der nach Corona zu erwartenden Umverteilungen von unten nach oben gerade jetzt besonders nötig. Ist es übertrieben, da mit Blick auf den DGB nun von Verrat zu sprechen? Vermutlich gibt es für diese brave staatsbürgerliche Haltung des DGB irgendwann einen schönen Applaus. Da passt es, dass die IG Metall mitteilte, 2020 keinen Lohnkampf führen zu wollen.
Der DGB schafft sich also selbst ab: kein Kampf, nichts, nirgends. Dabei hat die internationale Arbeitsorganisation ILO schon seit Jahren die – im Vergleich zu Produktivität und Unternehmenserlösen – niedrigen deutschen Löhne kritisiert. Doch Arbeitsbedingungen, das sind nicht nur Löhne. So wird, wo nun Corona sei Dank weithin die „freiwillige“ gesundheitspolizeiliche Selbstüberwachung akzeptiert ist, als nächstes die automatische soziale Distanzierung als Arbeitsplatzüberwachung kommen: im Gewand der Hygiene-Überwachung, zum „Schutz der Mitarbeiter_innen“ natürlich – die nun per Kamera erwischt werden, wenn sie am Arbeitsplatz mal Plaudern. Abstand nicht eingehalten, Alarm ausgelöst, Mitarbeiter_innen verwarnt. Oder versetzt – weil sie sich womöglich zu gut verstehen. Am miesesten wird die Lage für jene werden, die von staatlichen Transferleistungen abhängig sind: in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und höherer staatlicher Ausgaben wird der Druck steigen, jede Arbeit anzunehmen, werden Zwangsmaßnahmen zunehmen, wird das Arbeitslosengeld stagnieren – „wir“ haben ja (seufz, leider, leider) kein Geld…
Dabei: die privaten Geldvermögen würden in der BRD reichen, zehn Jahre lang den gesamten Staatshaushalt zu stemmen. Ziehen wir jene ab, die nur ein kleines Geldvermögen haben und packen etwas drauf für eine zu installierende Vermögenssteuer, so zeigt sich jedenfalls: Geld ist, entgegen dem, was uns immer erzählt wird, mehr als genug da.
Über das Grundeinkommen
Die Corona-Krise zeigt, wie verletzlich nicht nur Risikogruppen sind (in medizinischer Sicht), sondern große Teile der Weltbevölkerung (in finanzieller Sicht). Forderungen nach einem lebenslangen Grundeinkommen gewinnen dadurch eine neue Aktualität, und Spanien schickt sich nun an, ein solches Grundeinkommen umzusetzen. Der DGB ist gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen – aus falschen Gründen. Denn der DGB steht immer noch auf der Grundlage eines Rechtes auf Arbeit, von dem schon Paul Lafargue vor bald 150 Jahren wusste, dass dieses im Kapitalismus letztlich ein Recht auf Ausbeutung darstellt. So sieht er beim bedingungslosen Grundeinkommen vollends seine Felle davonschwimmen – wenn man nicht mehr vom Arbeitszwang abhängig ist, warum sollte man sich noch für eine Gewerkschaft engagieren? Es gibt jedoch eine ernstzunehmendere Kritik an diesem Grundeinkommen, wenn doch unterdessen der Rahmen von Staat und Kapital bleibt, wie er ist: es müsste ja ein ordentliches Grundeinkommen geben, damit dieses auch wirklich seinen Namen verdient. Aber das kostet, und woher soll das Geld dann kommen, da man Konzerne und Gutverdienende doch nicht belasten will? Nein, vermutlich wird die Höhe eben so sein, dass die Menschen befriedet werden, nicht mehr aufbegehren. Denn sie sollen ja weiterarbeiten, es muss also weiterhin einen Anreiz geben, der bei „zu viel“ Grundeinkommen womöglich entfiele. Mit dieser Denkweise offenbaren Staat und Wirtschaft dann auch immer, was sie sonst nie sagen würden: das kein Mensch freiwillig arbeitet, wenigstens nicht für jemanden anderes, der ihm einen Gutteil der Früchte seiner Arbeit gleich wieder wegnimmt. Nix da mit „Sinnstiftung“ und was da noch so Tolles aufgeboten wird, um Arbeit als was ganz Grandioses darzustellen. Man muss Menschen also erpressen, damit sie arbeiten, und dies funktioniert – und wird auch weiterhin so funktionieren: über Geld. Insofern wird ein bedingungsloses Grundeinkommen nur ein bisschen den Arbeitszwang mildern und prekäre Lebenslagen abfedern. Individuell kann das eine ganze Menge bedeuten. Doch eigentlich müsste man das Grundeinkommen eher Schweigegeld nennen. Eine ordentliche Grundsicherung wird es im globalen Kapitalismus also nicht geben. Man kann nun das Grundeinkommen als Einstieg in die richtige Richtung nehmen oder fragen, ob es dann nicht logischer ist, gleich mit dem Abwracken des Kapitalismus zu beginnen. Das allerdings wird mit dem DGB schon mal gar nicht zu machen sein.
Kapitalismus abwracken
Ja, der Kapitalismus gehört abgewrackt. Nie im letzten halben Jahrhundert waren die Chancen dafür, objektiv betrachtet, so gut wie heute – wenn, ja wenn es noch eine Bewegung gäbe, die derlei Anliegen endlich einmal angeht. Ja, klar, es gab beispielsweise auch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/ 2008. Doch dort wurden keine Toten beklagt. Offiziell zumindest. Niemand zählte die Suizide der aus ihren Immobilien vertriebenen Menschen, die Hungertoten aufgrund der wirtschaftlichen Krisenfolgen in den Ländern des Südens. Und als „systemrelevant“ wurden einzig die Banken markiert, denen, ohne dafür irgendwelche Bedingungen zu stellen, mit gigantischen Summen geholfen wurde. Konsequenzen wurden 2007/ 2008 nicht gezogen – die Banken können wirtschaften wie gehabt, die Immobilienblase wächst weiter. Selbst die minimalen Restriktionen, die es etwa im Finanzsystem der USA für ein paar Jahre nach 2008 gab, wurden schrittweise wieder abgeschafft. Nun aber, im Zeichen von Corona, kommen ein paar Dinge in Bewegung. So werden Schnellkredite an mittelständische Betriebe ausgeschüttet. Selbst einstige Wirtschaftsliberale rufen nach staatlichen Interventionen. Der DGB – nun, er gibt sich mit den Brosamen zufrieden, ist jetzt ganz zufrieden mit dem erhöhten Kurzarbeitsgeld. Der DGB könnte ja gegen die Widersinnigkeit protestieren, dass Menschen, denen ständig die Notwendigkeit sozialer Distanz vorgehalten wird, überhaupt zur Arbeit gehen müssen. Stattdessen begnügt er sich damit, Tipps für den Arbeitsschutz im Betrieb zu geben.
Ansonsten geschieht durchaus Wunderliches. Staaten schenken den Menschen Geld (z.B. in den USA, weitaus größere Geschenke freilich gehen dort auch weiterhin an die großen Unternehmen). Banken werden verpflichtet, zinslose Kredite an diejenigen zu vergeben, die sich die Mieten nicht leisten können (z.B. in Spanien). Freilich, nötig wäre ein Mieterlass, nicht die Verschiebung der Bezahlung. In Argentinien werden Kündigungen, Mieterhöhungen und Zwangsräumungen für einige Monate ausgesetzt. Stromversorger werden in Deutschland nun zur weiteren Belieferung verpflichtet, auch wenn die Bezieher_innen die Rechnung nicht bezahlen können. Wo es die Spiele fürs Volk schon nicht mehr gibt, soll zumindest Brot da sein, wenigstens in den Staaten, die sich dies noch leisten können. Die globale Standortkonkurrenz der Staaten, die da auf dem Rücken insbesondere der materiell schlechter gestellten Bevölkerungsschichten ausgetragen wird – in Staaten, die schlechtere Bedingungen haben, werden die Menschen nun noch weiter abgehängt -, sie ist indessen kein DGB-Thema. Internationale Solidarität? Pustekuchen. Einem kämpferischen Gewerkschaftsbündnis könnten sich derzeit durchaus Handlungsspielräume eröffnen, indem das Staatshandeln hinterfragt, kritisiert und mit weitergehenden Forderungen konfrontiert würde. Aber das wäre derzeit wohl „unsolidarisch“? Der DGB ist, wie sich dieser Tage wieder einmal in aller Deutlichkeit zeigt, von der Sozialpartnerschafts-Ideologie völlig korrumpiert.
Was derzeit staatlicherseits geschieht, geschieht um das herrschende Falsche noch irgendwie zu retten – den wachstumsbasierten Kapitalismus. Selbst ein Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist im April 2020 mit durchaus selbstkritischen Tönen zu hören, indem er über Corona hinaus noch weitere Problemfelder benennt: „„Noch immer ist nicht nur die Pandemie das größte Problem, sondern der Klimawandel, der Verlust an Artenvielfalt – all die Schäden, die wir Menschen und vor allem wir Europäer durch Übermaß der Natur antun“. Schäuble weiter: „Hoffentlich werden uns nicht wieder nur Abwrackprämien einfallen, die es der Industrie ermöglichen, weiter zu machen wie bisher“. Schäuble meint dies natürlich nicht kapitalismuskritisch, er will die Koexistenz von Staat und Kapital absichern. Schäuble will den Staat vor Überforderung und die Wirtschaft – die ihre Geschäftsmodelle überdenken soll, ohne ihre Prinzipien über Bord zu werfen – vor Bankrott retten. Der Gegensatz von Wirtschaft und Staat, den manche Soziolog_innen und Politolog_innen insbesondere beim Neoliberalismus herbeiphantasieren, er existiert ohnehin nicht. Also: Kapitalismus abwracken – und die autoritäre staatliche Gesundheitsdiktatur gleich dazu. Es wurde so vieles abgesagt in den letzten Wochen. Vor allem viele Dinge, die Spaß machen. Warum nicht gleich die ganze Misere grundsätzlicher angehen und die Dinge, die wirklich Ärger machen, abschaffen?
Gerald Grüneklee, 1. Mai 2020
Anmerkung: diese Vorveröffentlichung ist ein für diesen Abdruck leicht verändertes Kapitel aus dem Buch „Corona und die Demokratie – Eine linke Kritik“ (weitere Autoren: Clemens, Heni, Peter Nowak). Diese erste dezidiert linke Kritik zum gesellschaftlich-politischen Umgang mit dem Coronavirus im deutschsprachigen Raum wird ca. am 18. Mai in der Edition Critic erscheinen (ISBN 978-3-946193-33-3)