Theresa Tschenker: Politischer Streik ist auch durch das Grundgesetz gedeckt

Promotion von Theresa Tschenker: Politischer Streik. Rechtsgeschichte und Dogmatik des Tarifbezugs und des Verbots des politischen StreiksDer Staat schafft und gestaltet Arbeitsmärkte insbesondere in frauendominierten Branchen. Dennoch dürfen Gewerkschaften den Staat in dieser Funktion nicht mit Forderungen adressieren. Das Verbot des politischen Streiks begründen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft mit dem Tarifbezug. Die Auseinandersetzung von Hans Carl Nipperdey, Ernst Forsthoff und deren Opponent Wolfgang Abendroth anlässlich des Zeitungsstreiks im Jahr 1952 legte den Grundstein für das deutsche Streikrechtsverständnis. Der Tarifbezug und das Verbot des politischen Streiks sind bis heute auf die Argumente Nipperdeys und Forsthoffs zurückzuführen, obwohl sie im Widerspruch zur grundgesetzlichen Dogmatik stehen. Eine vom Tarifbezug unabhängige Begründung des Streikrechts hingegen ist möglich. Der politische Streik kann vor dem Hintergrund völkerrechtsfreundlicher Auslegung des Grundgesetzes rechtmäßig sein. Ansatzpunkte für eine Umsetzung dieser Neukonzeption des Streikrechts finden sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Bundesarbeitsgerichts.“ Klappentext zur Promotion von Theresa Tschenker, siehe diese und ein Interview mit ihr:

  • „Streik für rechtmäßige politische Ziele muss möglich sein“
    „Auch das GG decke den politischen Streik ab“, meint Theresa Tschenker, die ihre Dissertation zum Thema „Politischer Streik“ geschrieben hat, im Interview von Tanja Podolski am 25. Juli 2023 bei LTO externer Link: „Ich begründe das Recht zum politischen Streik rechtshistorisch und auf Basis eines Rechtsvergleichs. Die Überlegung dabei ist folgende: Warum sollten politische Themen beim Streik ausgespart werden, wenn sie doch ganz grundlegend die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Menschen mitbestimmen? (…) Es gibt eine enge Bedingtheit und Verzahnung zwischen den Arbeitsbedingungen und staatlichen Maßnahmen bei vielen Themen. Dennoch gilt in Deutschland derzeit eine Trennung: Streiks für bessere Tarifverträge sind möglich, für die politischen Rahmenbedingungen aber nicht. Darüber habe ich mich gewundert und deshalb gefragt, woher diese Rechtslage stammt. (…) Für die Auslegung spielten die 50er Jahre eine ganz zentrale Rolle. Im Jahr 1952 gab es bundesweit Streiks in der Zeitungsbranche, auf die viele arbeitsgerichtliche Entscheidungen und Gutachten folgten, die das Streikrecht bis heute prägen. (…) Der Meinungskampf, ob dieser Streik rechtmäßig ist, war damals in der Rechtswissenschaft vor allem von drei Gutachten geprägt. Davon hatten die Arbeitgeberverbände zwei in Auftrag gegeben, eines bei Ernst Forsthoff, der ein sehr autoritäres Demokratieverständnis hatte. Seine Grundaussage war, ein politischer Streik sei ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip, weil Bürger:innen nur bei Wahlen Einfluss auf politische Entscheidungen haben sollen. Der zweite Gutachter war Hans Carl Nipperdey, der spätere Präsident des BAG – was die anschließend gleichbleibende Rechtsauffassung erklärt. Auch er sprach sich klar gegen ein solches Recht aus. (…) Die Gegenansicht von Wolfgang Abendroth, der für den DGB das Gutachten verfasst hatte, konnte sich nicht durchsetzen. So etablierte sich in Deutschland ein restriktives Streikrecht. (…) Meine These ist, dass ein politischer Streik auf ein rechtmäßiges politisches Ziel gerichtet sein muss, das einen Bezug zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hat. Es kann also nicht jedes politische Ziel, wie etwa die Änderung des Abtreibungsrechts, auch per Streik verfolgt werden. Themen zur Gestaltung und Finanzierung der Arbeitsmärkte aber sehe ich als erstreikbar an. (…) Das Grundgesetz regelt nur das Recht der Arbeitnehmer:innen, sich zum Kampf für bessere Bedingungen zusammenzuschließen. Das Arbeitskampfrecht ist ausschließlich Richterrecht. (…) Die Änderung der Rechtsprechung würde also ausreichen. (…) Zwar gibt es seit Jahren die Beschlüsse für die Einführung des politischen Streikrechts der Bundeskongresse von GEW, IG BAU, NGG und ver.di, passiert ist da aber noch nicht viel. Aber wer weiß, wie es weitergeht. Ver.di und Fridaysforfuture haben eine diesjährige Tarifrunde auf den Tag des Klimastreiks gelegt, vielleicht gibt es ja so weitreichende Annährungen von Gewerkschaften und Klimaaktivist:innen, dass die Debatte neuen Aufwind erfährt. Ich bin da optimistisch.“
  • Tschenker, Theresa: Politischer Streik. Rechtsgeschichte und Dogmatik des Tarifbezugs und des Verbots des politischen Streiks
    Abhandlungen zum deutschen und internationalen Arbeits- und Sozialrecht (ADIA), Band 12, 2023. 358 S., 109,90 €, ISBN 978-3-428-18950-2 Infos beim Verlag Duncker & Humblot externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=213938
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