Machtkampf. Streikrecht. Solidarität
Beitrag aus der gerade in Druck gehenden Streikzeitung – JA zum GDL-Arbeitskampf – NEIN zum Tarifeinheitsgesetz – Nr. 6 vom Mai 2015
Wir erleben in diesen Tagen bei der Bahn einen Machtkampf, dessen Ausgang das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, Reich und Arm, Regierung und Bevölkerung auf lange Zeit bestimmen kann. Bei dem ein Sieg des Bahnvorstands vor allem ein Sieg von Kapital und Kabinett wäre. Was konkretisiert wird mit einem massiven Angriff auf das Recht auf freie gewerkschaftliche Organisierung und damit das Streikrecht.
Es ist der neunte Streik, den die GDL in dieser seit elf Monaten andauernden Tarifauseinandersetzung führt. Es gab in dem ungewöhnlich langen Zeitraum kaum echte Verhandlungen über die substantiellen Forderungen der GDL. Es lässt sich belegen, dass die Deutsche Bahn AG bewusst die GDL hinhält, immer neue Streiks provoziert und sich dies enorm viel kosten lässt (bislang rund 300 Millionen Euro – wesentlich mehr, als eine Erfüllung aller GDL-Forderungen kosten würde). Es wurde dokumentiert, dass es enge Verbindungen gibt zwischen dem Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, Werner Bayreuther, und einem strikt gewerkschaftsfeindlichen Institut in Zürich, dem Schranner Negotiation Institute. Dessen Credo: „Deutschland leidet an seiner Kompromißkultur. Auch in den Konzernen.“ (Spiegel 13/2015; siehe STREIKZEITUNG Nr. 4).
All das unterstützt die These, dass hier keine normale Tarifauseinandersetzung, sondern ein Machtkampf stattfindet. Provokateur und Eskalierender ist dabei die Bundesregierung, sind Merkel-Gabriel-Nahles. Diese bereiten seit einem Jahr und damit parallel zur dramatischen Tarifrunde das „Tarifeinheitsgesetz“ vor. Dessen Zielsetzung besteht darin, kämpferische Gewerkschaften wie die GDL existenziell zu bedrohen. Die Bundesregierung kontrolliert das Unternehmen Deutsche Bahn AG in vollem Umfang – als Alleineigentümer und über den IM Ronald Pofalla, den Ex-Kanzleramtsminister, der seit Januar 2015 an der Seite Grubes die Politik verzahnt. Bahnpolitik ist Bundespolitik. Und die Politik der großen Koalition mit dem Tarifeinheitsgesetz ist Politik im Interesse der Konzerne und Banken. Diese haben das Projekt „Tarifeinheitsgesetz“ 2010 auf den Weg gebracht, gemeinsam mit einem DGB, dessen Führung hier als Sherpa der Konzerne agiert.
Soweit so klar. Scheinbar. Denn das Bild, das in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, ist ein anderes. Das gibt es die streikgeile GDL. An deren Spitze steht ein uneinsichtiger Gewerkschaftsboss. Diese „lähmen die Republik“. Die Uneinsichtig-Streikwütigen wollen auch noch Hunderttausenden den Pfingsturlaub vermasseln. Der Gegenspieler Deutsche Bahn AG hingegen wird repräsentiert durch eine verhuschte Gestalt namens Ulrich Weber, dessen Schmierenkomödien-Auftritt immer in dem Satz gipfelt: „Ich bin vollkommen ratlos – wo wir doch gerade einen Millimeter vor einer Einigung standen…“ Ab und an sieht man noch Herrn Grube hinter einer Hecke hervorlugen, die Stirn in Sorgenfalten, von „der Verantwortung der Tarifparteien“ brabbelnd.
Aber hallo! Wo sind wir bloß? Grube-Weber stehen mit dem Konzern DB AG doch für eine Politik, die typisch ist für unsere Zeit, in der die Reichen sich fast alles nehmen und den weniger Begüterten fast alles verwehren.
Das sieht aus wie folgt: Die DB lässt die Infrastruktur verfallen. Sie hängt Jahr um Jahr neue Städte vom Fernverkehr ab (im Dezember 2014 Trier und Chemnitz). Sie hat allein seit 2001 die Sitzplatzkapazität im Personenfernverkehr um 32 Prozent abgebaut. Sie lässt in den neuen Zügen die Beinfreiheit auf Billigflieger-Niveau reduzieren. Sie lässt Tausende Bahnhöfe zu Pisskultur verfallen. Sie realisiert mit „Stuttgart 21“ ein Projekt, das die Kapazität eines Großstadtbahnhofs um 30 Prozent reduziert. (Übrigens: Nur der GDL-Vertreter stimmte im März 2013 im Aufsichtsrat gegen die Mehrausgaben von 2 Milliarden Euro für S21; Arbeitgeber und EVG stimmten zu 100 Prozent dafür!) Und da diese Politik der Zerstörung von Schienenverkehr derart anstrengend ist, genehmigte sich der Bahnvorstand 2014 die Erhöhung der Vorstandsvergütung um 68 Prozent.*)
Und was sagt dieser Vorstand im Arbeitskampf mit der GDL? Deren Forderungen seien „nicht bezahlbar“. Der Arbeitskampf sei „unverhältnismäßig“. Und was sagt die Bundesregierung als Vertreterin des Eigentümers? Zunehmend wird unterstellt, der Streik sei „politisch“ und damit möglicherweise illegal. In Erwägung gezogen wird ein neuer Gang vor Gerichte, um ein Streikverbot durchzusetzen. Doch ein Eingehen auf die Forderungen der GDL, „ein vernünftiges Angebot“, wie von FDP-Vize Kubicki gefordert – das ist nicht in Sicht. Kabinett und Kapital wollen den Machkampf. Und nun ein Totstreiken der GDL. DGB-Spitze und EVG spielen dabei ein Spiel mit, das sich gegen die gesamte Gewerkschaftsbewegung richtet.
Wir appellieren an alle Gewerkschaftsmitglieder und an alle Menschen demokratischer Gesinnung: Praktiziert breite Solidarität an der Seite der GDL! Engagiert Euch, um einen flächendeckenden Kahlschlag demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte zu verhindern!
*) Laut Geschäftsbericht 2014 erhielten die acht Vorstandsmitglieder der DB AG im Jahr 2014 10,4 Millionen Euro an direkten Vergütungen und zusätzlich 3,7 Millionen Euro an Rückstellungen für deren Pensionen, zusammen 14,1 Millionen Euro. Im Jahr zuvor waren es noch gesamt 9,6 Millionen Euro. Das ist eine satte Steigerung um 68 Prozent. Ausführlich siehe: Alternativer Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG 2014, Lunapark21 Extra 11, Mai 2015.
Zur Streikzeitung und Bestellung siehe Politik » Gewerkschaften » Gewerkschaften in Deutschland » EVG und GDL » Dossier: STREIKZEITUNG: JA zum GDL-Arbeitskampf – NEIN zum Tarifeinheitsgesetz