Kann denn streiken Sünde sein?
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 18.10.2014
„Ist Ihr Ärger über den Streik gerecht?“ von Stephan Hebel: Wenn die einen Arbeitnehmer den anderen den Arbeitnehmern mit ihrem Tarifkampf die Erholung stehlen, hört bei ihnen das Verständnis auf. Ungerecht allerdings wäre es, den Ärger deshalb allein gegen die Streikenden der GDL zu richten. Dagegen sprechen vier Gründe -, die gerade gewerkschaftspolitisch von hoher Bedeutung sind – Es folgen die vier Gründe… (http://www.fr-online.de/wirtschaft/bahn-streik-der-gdl-ist-ihr-aerger-ueber-den-streik-gerecht-,1472780,28767998.html )
Ja, sie haben allen Grund, sich zu ärgern, wenn ihnen der Streik die Urlaubsreise verdirbt. Aber sie sollten Ihren Ärger dann auch gerecht verteilen.
Ein wenig noch zum Kontext dieser Streikeinschränkungs-Diskussion – die Eurozone.
Um wieder zu einem Mehr an Gemeinsamkeit der Arbeitnehmer – nicht über staatlichen “Ausschluss” von einzelnen Gewerkschaften durch ein Gesetz der großen Koalition – eine wesentliche Ursache der Streikbewegung der GDL – wäre ein Blick in die anderen Länder Europas hilfreich. Dort steht z.B. wie in Frankreich das Streikrecht dem “einzelnen” Arbeitnehmer zu, was anscheinend den Respekt der anderen Arbeitnehmer für dessen Anliegen recht deutlich erhöht.
Zwar hat das gewerkschaftliche Institut WSI sich dieses Auseinanderdriftens der Löhne auf Grund des Streikrechtes schon einmal angenommen mit dem Schwerpunkt “Streik und sozialer Protest” (http://www.boeckler.de/wsimit_2014_05_editorial.pdf )
Ja, es gilt die gewerkschaftlichen Streikprozesse zu “Kontextualisieren”, denn wie wir in Analogie es schon vom dem großen Alexis de Toqueville (“Der alte Staat und die Revolution”) gelernt haben, kann man die deutschen Gewerkschaften als Organisation – jetzt eben unter dem gemeinsamen Dache des Euro als gemeinsamer Währung – nicht verstehen, wenn man nicht die französischen, italienischen, griechischen Gewerkschaften auch versteht. (vgl.auch “Einen Generalstreik in Europa auch für Deutschland”…. (http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/erfahrung/polstreik_bahl2.html oder auch www.nachdenkseiten.de/?p=15052#h06 )
Wie merkte Ulrike Herrmann einmal so treffend an, das Lohndumping aus Deutschland mit der Durchsetzung des größten Niedriglohnsektors aus Deutschland, um zur Rolle des Exportweltmeisters zu gelangen, bekam unter der rot-grünen Regierung Schröder erst dadurch seinen Sinn, dass der Euro eingeführt war – vorher wäre es relativ unbedeutend geblieben, weil die “Anderen” diesem Druck durch Auf- oder Abwertung sich hätten entziehen können. (siehe dazu auch weiter “Tarifbindung in Deutschland – wo ist sie geblieben?” (http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarifpolitik/tarifbindung_bahl.html oder auch http://www.nachdenkseiten.de/?p=14931#h12 )
Dabei hatte der Verdi-Chef Frank Bsirske schon einmal im Jahre 2010 das Problem eines Generalstreiks in einem Protestherbst aufgeworfen. (vgl. “Exportüberschuss und ein politischer Streik für Deutschland – dringend erforderlich”: http://archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/erfahrung/polstreik_bahl.html – dort wird nicht nur auf das deutsche Modell des Exportüberschusses auf der Basis von Lohndumping eingegangen, sondern auch die deutsche Streikfähigkeit auf den Prüfstand gestellt anhand der Fakten der Lohnkosten in Deutschland)
Wenn die deutschen (DGB-)Gewerkschaften sich jetzt mit Hilfe der Großen Koalition sich auf den Weg begeben, die selbstbestimmte und eigenverantwortliche Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften durch eine restriktive Gesetzgebung zur Tarifeinheit durch die Große Koalition der staatlichen Obrigkeit “anzuvertrauen”, könnten sie schnell zur “Selbstaufgabe” einer gewerkschaftlichen Durchsetzungsmacht gelangen, wie schon am Ende der “Weimarer Zeit” die Gewerkschaften zum durchsetzungsunfähigen Bittsteller degenerierten – auf die politisch-staatliche Gnade angewiesen. – (vgl. Volker Bahl, “Lohnverhandlungssystem der Weimarer Republik”: http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1978/1978-07-a-397.pdf )
Und zu der jetzt aktuellen Diskussion in den deutschen Gewerkschaften muss die Frage aufgeworfen werden, ob die deutschen Gewerkschaften, die ihnen durch das Lohndumping zugewiesene Rolle im neoliberalen “Setting” beibehalten? Oder gelingt es doch noch zur in einer gemeinsamen Währungsunion erforderlichen Lohnkoordination unter den europäischen Gewerkschaften vorzudringen? (siehe dazu auf den Seiten 2, 3 sowie 4 bei https://www.labournet.de/?p=58853)
Jedenfalls hatten die Kollegen schon einmal auf ihrem DGB-Kongress in diesem Jahre 2014 der Versuchung wiederstanden, diese angebliche “Stärkung” der DGB-Gewerkschaften durch eine politisch-oktroyierte “Tarifeinheit” als sinnvoll anzusehen (vgl. die Seite 4 in der Mitte im letzten Labournet-Link)
Die “Spaltung” der Gewerkschaftsbewegung in DGB-Gewerkschaften und “andere” konnte so wenigstens verhindert werden. (siehe dazu “Ein deutscher Streik – und gibt es ein Recht darauf?” (https://www.labournet.de/?p=56495)
Siehe zum Hintergrund im LabourNet Germany GDL Tarifrunde bei der Deutschen Bahn 2014