Eine gute Tarifrunde geht mit dem Schrei nach Streikverbot einher – diesmal Öffentlicher Dienst und „überzogene Streikziele“ lt. BDA

Dossier

Hier arbeiten StreikbrecherNachdem Streiks an sieben deutschen Flughäfen in der vergangenen Woche für zahlreiche Ausfälle und Verspätungen sorgten, übt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) scharfe Kritik an der Arbeitsniederlegung. „Ein Streik, der den Flugverkehr in Deutschland zum Erliegen bringt, ist kein Warnstreik mehr“, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). (…) Kampeter geht sogar noch einen Schritt weiter – und würde gerne das Gesetz anfassen. „Dieser Ausstand macht einmal mehr deutlich: Unser Arbeitskampfrecht wird zunehmend unberechenbar“, sagte er. „Gesetzliche Regelungen für den Arbeitskampf sind daher überfällig. Ein Gesetz, das klar macht, dass Arbeitskämpfe Ausnahmen bleiben sollen, kann auch ein Beitrag zur Stärkung der Tarifbindung sein.“…“ Artikel von Johanna Apel vom 22.02.2023 bei RND externer Link („Arbeitgeberverband BDA fordert gesetzliche Regelung für Arbeitskämpfe“) – siehe erste Reaktionen und Hintergründe:

  • Verschärfung des Streikverhinderungsrechts: Jammern und Wehklagen nach Warnstreiks von Ver.di und EVG New
    „Die üblichen Verdächtigen wollen die repressive Rechtsprechung deutscher Arbeitsgerichte nun ergänzen durch reaktionäre Anti-Streik-Gesetze. (…) Folgende Anti-Streik-Maßnahmen stehen zur Debatte: – Notdienstarbeiten, auch Grundversorgung genannt, für die es in Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland bereits entsprechende Gesetze gibt. Die entscheidende Frage scheint zu sein, ob dieser Dienst durch Verhandlungen geregelt wird. Ein deratiges Anti-Streik-Gesetz namens Minimum Services Bill, das in Großbritannien unlängst verabschiedet wurde, gibt der Regierung die Macht einseitig über den Minimalbetrieb zu bestimmen. Im Extremfall kommt dann die Polizei und bringt Dich zum Arbeitsplatz oder in den Knast. – Mehrtägige Ankündigungsfrist, damit die Unternehmen genug Zeit haben Streikbrecher zu organisieren. – Kaum erfüllbare Quoren: So fordert die CDU-Mittelstandsvereinigung ernsthaft, dass 50% aller Beschäftigen an einer Urabstimmung teilnehmen sollten. Wohlgemerkt: aller Beschäftigten, nicht nur der Gewerkschaftsmitglieder. -Verhandlungspflicht: obligatorische Schlichtungsverfahren sollen das Streikgeschehen weitgehend ausbremsen. – Streikverbote in bestimmten Bereichen die bislang Daseinsvorsorge genannt wurden. Seit dem Ukraine-Krieg ist der Terminus »kritische Infrastruktur« in Mode. Auch die 59. Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2023 war angeblich von Streikgeschehen betroffen. Der CDU-Mittelstand sieht die Konferenz nicht als Zusammenkunft von Nato-Falken, Rüstungskonzernen und imperialistischen Geostrateg:innen, sondern offenbar als eine Art humanitäre Einrichtung: »Dort geht es um Leben und Tod für die Menschen in der Ukraine.« CDU-Politikerin und Mittelstandssprecherin Gitta Connemann polemisierte gegen zeitgleiche Streiks: »Putin wird sich freuen.« Alle Wege führen wieder nach Moskau. Wer streikt, fällt der kämpfenden Truppe in den Rücken. Was wollen diese Leute? Im Kern sollen Streiks keine wirtschaftliche Macht entfalten, sondern lediglich Protest sein. Mal ordentlich Dampf ablassen, aber bitte niemandem weh tun. Streik als Inszenierung und Gruppentherapie. Der Streik soll die Produktion nur ein bisschen einschränken, aber niemals komplett lahm legen — und in der nächsten Woche wird nachgearbeitet, was liegen geblieben ist.“ Beitrag von Elmar Wigand vom 19. Mai 2023 bei der Aktion Arbeitsunrecht in Deutschland externer Link
  • [VKG] Angriffe auf das Streikrecht zurückweisen 
    „Bereits letzten Sommer hat der damalige Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger anlässlich der Streiks der Hafenarbeiter das Streikrecht angegriffen und einen „nationalen Notstand“ wegen der Energiekrise gefordert. Mitte Februar forderte das Präsidium der Mittelstandsunion von CDU/CSU (Mit) angesichts der Bestreikung deutscher Flughäfen, Arbeitsniederlegungen im Bereich der kritischen Infrastruktur einzuschränken. Demnach dürfe das Streikrecht nicht missbraucht werden, um in »frühem Stadium von Tarifverhandlungen unverhältnismäßigen Druck auszuüben und durch die Einbeziehung kritischer Infrastrukturen schweren Schaden anzurichten«. Die Mit fordert laut dem Beschluss, dass Streiks bei Einrichtungen des Flug-, Bahn- und Schiffsverkehrs sowie der Rettungsdienste und Energie- und Wasserversorgung nur noch nach einem »verbindlich abgeschlossenen Schlichtungsverfahren« möglich sind. Die Arbeitsniederlegungen müssten »mindestens vier Tage vorher angekündigt« werden. Zudem müsse eine »Grundversorgung« aufrechterhalten werden. Anfang März nannte der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter gemeinsame Streikaktionen von Verdi und der Klimaschutzorganisation Fridays for Future (FFF) anlässlich des globalen Klimastreiktag eine „gefährliche Grenzüberschreitung“. Und der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke meinte, dass es „eine gefährliche Vermischung des Arbeitskampfes mit allgemeinpolitischen Forderungen“ sei. Drei Beispiele, die zeigen, sobald in Deutschland gestreikt wird, insbesondere wenn es um Streiks in der Daseinsvorsorge und der Verkehrsinfrastruktur geht, nehmen auch die Angriffe auf das Streikrecht massiv zu. Das hat Gründe. Der Streik drückt den antagonistischen Widerspruch zwischen Arbeiter*innenklasse und Bourgeoisie aus und widerlegt das Märchen von Sozialpartnerschaft und Klassenharmonie im Kapitalismus. Obwohl er als universales Menschenrecht durch UN-Menschenrechtscharta wie auch europäischer Charta der Grundrechte geschützt ist, ist seine Existenz bedroht. Überall dort, wo Ausbeutung verschärft, Profite maximiert oder die Arbeiter*innenklasse niedergedrückt werden sollen, soll das Streikrecht beschnitten oder abgeschafft werden. Aktuell soll das Streikrecht in Britannien noch weiter beschnitten werden, in Frankreich, im Rahmen des Kampfes gegen die „Rentenreform“ von Macron wird von seiner Regierung ebenfalls überlegt, das Streikrecht zu „überarbeiten“, in Polen ist das Streikrecht faktisch inexistent, in der Ukraine wurde es suspendiert, in Italien ist es ebenfalls umkämpft. Die Begleitmusik ist stets identisch: die Wahl zwischen Kanonen oder Butter, nationaler Notstand droht, Kunden in Geiselhaft, Minimalversorgung, Angemessenheit ist zwingend oder der Aufschwung gefährdet. (…) Letztendlich geht es beim Streikrecht um eine gesellschaftliche Machtfrage. Es geht darum, ob wir als Beschäftigte es schaffen, unsere demokratischen Rechte auszuweiten, uns unsere Rechte selbst zu nehmen und entsprechenden politischen Druck zu erzeugen. Das Streikrecht ist im Kapitalismus nur durch seine Anwendung durchzusetzen, nicht durch Verzicht.“ VKG-Stellungnahme vom 7. März 2023 externer Link (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften)
  • Streiks in Deutschland – bei Post, Bahn und sogar bei den Bierbrauern
    Verdi ruft zu weiteren Warnstreiks auf – droht ein unbefristeter Streik? Und dann ist da noch die Vier-Tage-Woche: Kommt sie bald auch nach Deutschland?“ Erstaunlich solidarischer Beitrag in der heute-show vom 10.03.2023 des ZDF, siehe das Video bei youtube externer Link
  • Genug geklatscht? Auch der Luftfahrtverband will Streiks in kritischer Infrastruktur erschweren und lt. Springer-Welt findet die Mehrheit der Bevölkerung es gut…
    • Insa-Umfrage: Vor allem Unions- und Grünen-Anhänger für Einschränkung des Streikrechts
      Eine Mehrheit der Bundesbürger will, dass Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur an härtere Bedingungen geknüpft oder komplett verboten werden sollen. Dabei wurde auch erfasst, wie Unterstützer der einzelnen Bundestagsparteien dazu stehen. Eine Mehrheit der Bundesbürger spricht sich für eine Einschränkung des Streikrechts im Bereich kritischer Infrastrukturen aus, also beispielsweise bei Bahnen, im Flugverkehr oder bei der Energie- und Wasserversorgung. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage von Insa hervor, die das Marktforschungsinstitut im Auftrag des Wirtschaftsflügels der CDU erhoben hat und die WELT vorab vorliegt. Danach votieren insgesamt und unabhängig von der politischen Präferenz 59 Prozent der Anfang März Befragten dafür, dass Streiks in den genannten Bereichen nur noch nach einem vorangegangenen Schlichtungsverfahren und einer Vorankündigung von mindestens vier Tagen durchgeführt werden dürfen – beziehungsweise durchgängig untersagt sein sollten. (…) „Niemand will Streiks verbieten – in keinem Bereich. Aber bei Energieversorgung, Rettungsdiensten, Bahn oder Flughäfen muss Streik das letzte Mittel sein“, sagt MIT-Chefin Connemann nun. „Die Umfrage zeigt klar: Die Menschen in diesem Land wollen nicht in Mithaftung genommen werden. Bei kritischer Infrastruktur, wo ohne Vorwarnung Abertausende Unbeteiligte betroffen sind, muss für mehr Fairness gesorgt werden. Kritische Infrastrukturen brauchen einen besseren Schutz vor willkürlichen Arbeitsaussetzungen.“…“ Artikel von Nikolaus Doll vom 08.03.2023 in der Welt online externer Link, siehe dazu

      • den Tweet von UFO e.V. am 9. März 2023 externer Link: „Pandemie: Wir stellten fest, Applaus für kritische Infrastruktur reicht nicht. Nun: Applaus für Einschränkung des Streikrechts – einem Grundrecht. Wir nehmen Arbeitnehmer*innen jede Möglichkeit ihre berechtigten Interessen durchzusetzen..“
      • und den Tweet von Vereinigung Cockpit am 9. März 2023 externer Link: „Die Forderungen nach Einschränkungen des #Streikrecht-s seitens der #Arbeitgeber (@DtLuftfahrt & DieBDA) sind ein billiges #Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen und Verdrängen der #Sozialpartnerschaft. Es ist ein Irrweg, zuerst die Sozialpartnerschaft mit Füßen zu treten …“
    • Nach Forderungen des Arbeitgeberverbandes: Auch Luftfahrtverband spricht sich für Begrenzung des Streikrechts aus
      „… Während viele Kommunen vor den nächsten Streiks stehen, sorgt die derzeitige Streikwelle in Deutschland für heftige Debatten: Nach dem Arbeitgeber-Spitzenverband BDA bringt nun auch der Luftfahrtverband BDL Einschränkungen beim Streikrecht ins Gespräch: In einem Papier, das dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) vorliegt, fordert der BDL unter anderem einen verpflichtenden Schlichtungsversuch. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sehen darin jedoch eher Stimmungsmache als juristische Argumentationen. Den Luftverkehrsunternehmen schwebt vor, dass vor Arbeitsniederlegungen zunächst eine Schlichtung angestrebt wird: Bei der versuchen Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammen mit unparteiischen Schlichtern, eine Einigung in Tarifkonflikten herbeizuführen. Während des Schlichtungsverfahrens dürfe nicht gestreikt werden – und Arbeitskämpfe dürften nur dann eingeleitet werden, wenn die Empfehlung nicht akzeptiert werde, heißt es im BDL-Papier. Auch fordert der BDL Ankündigungsfristen für Streiks sowie Notstandsvereinbarungen, um die „notwendige Grundversorgung der Allgemeinheit“ im Luftverkehr zu gewährleisten. (…) Ob die Arbeitgeber mit ihren – auch vom CDU-Wirtschaftsflügel unterstützten – Forderungen durchkommen, ist indes mehr als zweifelhaft: In der Ampelkoalition stießen sie zuletzt auf keinerlei Gehör. Und womöglich müssten derartige gesetzliche Regelungen auch vom Bundes­verfassungs­gericht überprüft werden: „Eine staatliche Zwangsschlichtung gegen den Willen der Tarifvertragsparteien wäre mit der durch das Grundgesetz geschützten Tarifautonomie nicht vereinbar“, sagte Johanna Wenckebach, Chefjuristin bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dem RND. „Wann geschlichtet wird, regeln Tarifverträge und somit die Tarifvertragsparteien selbst“, erklärte Wenckebach. Sie betonte, dass in Gewerkschaften organisierte Beschäftigte auf Streiks angewiesen seien, um auf Augenhöhe und ohne staatliche Hilfe mit Arbeitgebern verhandeln zu können. In einem Wirtschaftssystem, in dem Arbeitgeber strukturell mehr Macht hätten, sei das für die Tarifautonomie nötig. „Gerade auch die BDA hat doch zuletzt immer wieder betont, wie wichtig die Tarifautonomie ist“, so Wenckebach weiter. (…) Wenckebach glaubt denn auch nicht, dass Kampeters Kritik wie auch die Rufe nach Verschärfungen im Streikrecht juristischen Ursprungs sind: „Es geht um moralischen Druck auf Streikende“, sagte sie – und verwies darauf, dass dies beim Arbeitskämpfen im öffentlichen Dienst häufiger vorkomme als beispielsweise in der Industrie. Ob derartige Attacken Verdi wirklich stören, muss sich noch zeigen. Zumindest bei Beschäftigten kommt der Kurs gut an: Gegenüber „Tablemedia“ verkündete Gewerkschaftschef Frank Werneke jüngst den größten Mitgliederzuwachs seit Gründung der Gewerkschaft.“ Artikel von Johanna Apel und Christoph Höland vom 7. März 2023 beim RND externer Link
  • Ein Freitag für die Verkehrswende sorgt für kreative Weiterbildung zum so restriktiven deutschen Streikrecht…
    „Verdi und Fridays for Future…. ein Freitag für die Verkehrswende (https://taz.de/Klimastreik-global/!5919675/ externer Link) ermöglichen für Deutschland eine kreative Weiterbildung des so restriktiven deutschen Streikrechtes. (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-streikrecht-101.html externer Link)
    Die Arbeitgeber (BDA) sehen darin eine „gefährliche Grenzüberschreitung“ des deutschen Streikrechtes – damit beschäftigt sich Detlef Esslinger sehr sachlich und im einzelnen, schon weil es in Deutschland – anders als in Frankreich – kein allgemeines Streikrecht für jeden einzelnen gibt. (https://www.sueddeutsche.de/meinung/streik-warnstreik-fridays-for-future-verdi-gewerkschaft-gemeinsamer-aktionstag-mitbestimmung-christine-behle-bundesvereinigung-der-deutschen-arbeitgeberverbaende-1.5762303?reduced=true externer Link)
    Jedoch nach dieser sorgfältigen Abwägung sieht Esllinger gerade so etwas Entstehen wie die Kunst des Streiks. Und so achtet Verdi peinlich genau darauf, dass ihre Äußerungen sich auf das Ergebnis dieses Streikes beziehen und strikt mit den laufenden Tarifverhandlungen begründet werden. Aber die Tatsache, dass aus dem Arbeitgeberlager niemand auf die Idee kommt eine einstweilige Verfügung gegen eine Grenzüberschreitung anzustreben, macht schon deutlich, dass es die nicht gibt. Wer aber gegen die angebliche Grenzüberschreitung nicht vorgeht, hat damit auch schon seine Behauptung selbst dementiert, dass diese Zusammenarbeit von Verdi und Fridays for Futuere eine Grenzüberschreitung unseres Streikrechtes ist. (https://www.sueddeutsche.de/meinung/streik-warnstreik-fridays-for-future-verdi-gewerkschaft-gemeinsamer-aktionstag-mitbestimmung-christine-behle-bundesvereinigung-der-deutschen-arbeitgeberverbaende-1.5762303?reduced=true externer Link)
    Das Grundgesetz eröffnet eben jedem die Möglichkeit für seine Interessen zu fechten – auch wenn er mit den Möglichkeiten dafür kreativ umgeht. (https://taz.de/Klimastreik-global/!5919675/ externer Link) Und so kommt es, dass die Gewerkschaft Verdi und die soziale Bewegung „Fridays for Futire“, die gerade an 250 Orten für ihren Globalen Klimastreik eintreten, für jeweils ihre gemeinsamen Ziele am gleichen Tag eintreten können – schon um mehr Aufmerksamkeit für die Ziele von beiden zu erreichen. (https://taz.de/Verdi-und-Fridays-for-Future/!5919631/ externer Link)
    So gehen diese beiden Organisation eben kreativ damit um, für diese Ziele – verschieden – einzutreten: Deshalb klingt es aus den Reihen von Verdi eben so, diese Unterfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. So erklärt Detlef Esslinger eben, dass unser Grundgesetz jedem Klimaschützer – oder eben auch Gewerkschafter die Möglichkeit hat, für die Durchsetzung seiner Interessen kreativ einzutreten. (https://taz.de/Verdi-und-Fridays-for-Future/!5919631/ externer Link).“ Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 4.3.2023 – wir danken!
  • [Politischer Streik in Deutschland? Her damit!] »Gefährliche Grenzüberschreitung«: Arbeitgeber werfen ver.di rechtswidrigen Ausstand zum Klimastreik vor 
    An diesem Freitag fallen Streiks der Gewerkschaft Ver.di mit Klimademos zusammen. Die Arbeitgeber kritisieren das Vorhaben scharf. Arbeitskämpfe dürften mit allgemeinpolitischen Zielen nicht vermischt werden. Deutschlands Arbeitgeber haben die geplanten Warnstreiks der Gewerkschaft Ver.di im Nahverkehr am Tag des Klimastreiks von Fridays for Future scharf kritisiert. »Die Ankündigung von Ver.di, gemeinsam mit der Organisation Fridays for Future den Verkehr in weiten Teilen Deutschlands lahmzulegen und zu blockieren, ist eine gefährliche Grenzüberschreitung«, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter. (…)Politische oder auch nur quasi politische Streiks seien in Deutschland schlicht rechtswidrig. Kampeter forderte den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) auf, »sich von dieser Grenzüberschreitung zu distanzieren«…“ Agenturmeldung vom 03.03.2023 im Spiegel online externer Link, siehe auch:

    • Siehe zum Grund der Aufregung unser Dossier: Betriebsräte der ÖPNV-Unternehmen für den Ausbau des Nahverkehrs für die Verkehrswende – zusammen mit der Klimabewegung
    • Der Streik als Feindbild
      „… So sind die Gewerkschaften in der paradoxen Situation, den Kampf gegen den Effizienzdruck zu führen inmitten von Systemen, die jeden Reibungsverlust zum Problem anderer Leute machen. Statt die zusammengesparte Pflege oder den ruinierten Nahverkehr zu kritisieren, fällt die Wut auf die Wenigen, die dem Zusammensparen entgegentreten. Die durch Einsparungen entzogene Lebensqualität erzeugt keinen Protest; die durch Streik kurzfristig irritierte Lebensqualität erntet hingegen geballte Wut. Gegen Einsparungen finden sich keine Argumente, Effizienz ist Selbstzweck; gegen Streik hingegen immer. Die zunehmende Unkommunizierbarkeit von Streiks innerhalb solcher Logiken wird über kurz oder lang zur kompletten Diskreditierung gewerkschaftlicher Organisation führen. Die Arbeitgeberverbände müssen oft nur mehr Stichworte liefern; was fällt, soll man stoßen. Mehr noch: Die Gewerkschaften haben es versäumt, sich als breite gesellschaftliche Kraft einzubringen, bewegen sich dort, wo Mitgliedschaften nicht vererbt werden, schon außerhalb der Alltagskultur. Sie tauchen nur noch als das auf, wozu man sie gemacht hat: als Katastrophe.“ Kommentar von Leo Fischer vom 03.03.2023 im ND online externer Link
    • Zusammen mehr für alle rausholen
      Die kommenden Wochen werden für die deutsche Gewerkschaftsbewegung entscheidend sein. Sie braucht breite Unterstützung. Denn die gewerkschaftsfeindliche Propagandamaschine läuft schon heiß. (…) Nachdem die Inflation jahrelang auf einem niedrigen Stand verharrte und die Tarifverhandlungen entsprechend zaghaft geführt wurden, organisieren sich derzeit Zehntausende Beschäftigte, um ihre Kaufkraft zu erhalten. Ob sich die harte Gewerkschaftsarbeit von Tausenden aktiven Gewerkschafterinnen auszahlt, hängt dabei wesentlich von den politischen Entscheidungsträgern ab. Bei Bahn und Post ist der deutsche Staat Hauptanteilseigner. In der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes sitzen Nancy Faeser für den Bund und Karin Welge, SPD Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, persönlich am Verhandlungstisch für die Arbeitgeberseite. (…) Die Beteiligung an den Warnstreiks bei der Post und im öffentlichen Dienst haben in den letzten Wochen gezeigt, dass immer mehr Beschäftigte, insbesondere aus den unteren Einkommensgruppen, genug haben. Einen politisch gewollten Reallohnverlust wollen sie nicht hinnehmen. Die Streikbereitschaft – das hat der Stärketest der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gezeigt – ist so groß wie seit Jahren nicht mehr. Mehr als 300.000 Beschäftigte haben sich mit ihrer Unterschrift hinter die Forderung gestellt. Unter ihnen befinden sich eine Vielzahl der Müllwerker in Deutschland. Wenn sie kein zufriedenstellendes Angebot erhalten, könnten demnächst viele Mülleimer überlaufen.
      Die gewerkschaftsfeindliche Propagandamaschine läuft derweil schon langsam warm. Während in der verarbeitenden Industrie bei starken Arbeitskämpfen das Schreckgespenst der Standortsicherung durch die Presse geistert, wird bei den Dienstleistungsberufen, die nirgendwohin abwandern können, die Legende der Lohn-Preis-Spirale heraufbeschworen. Zudem werden Patienten, Kindergartenkinder, berufstätige Eltern, Fahrgäste oder Flugreisende instrumentalisiert und als Leidtragende von »geldgierigen Gewerkschaftsbonzen« dargestellt. Gerade wenn sich Arbeitskämpfe in die Länge ziehen und von den Medien hauptsächlich die Angebote der Arbeitgeberseite aufgegriffen werden, die so kompliziert sind, dass man einen Statistikkurs besucht haben muss, um zu verstehen, dass sie einen Reallohnverlust bedeuten, verfangen solche Narrative innerhalb der Bevölkerung. (…) Entscheiden sich Arbeitgeber und Politik dafür, Streiks medial und rechtlich die Legitimation abzusprechen und in den Verhandlungen auf eine Zermürbungsstrategie zu setzen, wird sich zeigen müssen, wie viel Durchhaltevermögen die Streikenden haben und wie solidarisch sich die Betroffenen der Streiks verhalten…“ Artikel von Max van Kaldenkerken vom 02. März 2023 in Jacobin.de externer Link
  • „Finger weg“: Verdi und DGB weisen Forderungen nach begrenztem Streikrecht scharf zurück 
    „… Während in Deutschland eine neue Streikwelle droht, verhärten sich die Fronten zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite. Der Arbeitgeberverband BDA will nun sogar in das Streikrecht eingreifen. Angesichts der Arbeitsniederlegung an den Flughäfen in der vergangenen Woche hatte Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter von „überzogenen Streikzielen“ geredet. Das Arbeitskampfrecht werde zunehmend unberechenbar, so Kampeter. Eine „gesetzliche Regelung“ sei überfällig. Kampeter legte am Mittwoch nach – und erklärte, was dem Arbeitgeberverband vorschwebt. Besonders wichtig für eine gesetzliche Präzisierung des Arbeitskampfrechts seien Ankündigungsfristen bei Arbeitskampfmaßnahmen, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Wichtig sei auch die gesetzliche Verpflichtung einer Schlichtung vor Einleitung eines Arbeitskampfes. „Ebenso gehört dazu eine Klarstellung der zulässigen Mittel des Arbeitskampfs“, so Kampeter weiter. Gesetzlich solle verankert werden, dass Streik – aber auch die sogenannte Aussperrung – immer „nur das letzte Mittel in einer Tarifauseinandersetzung“ sein dürften. (…) „Unverhältnismäßige“ Streikmaßnahmen – dazu gehören aus BDA-Sicht die Warnstreiks an den Flughäfen oder die umfassenden Streiks, die bei der Post drohen – passen laut Kampeter nicht in die Zeit. „Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor existenziellen Herausforderungen durch die Energiekrise“, sagt er. „Das Weiterlaufen des öffentlichen Lebens ist ein Gebot der Stunde.“ Jüngste Ankündigungen von Verdi sehe der BDA höchst kritisch und in großer Sorge. (…) „Der Vorstoß der CDU-Mittelstandsunion und nun auch der BDA kommt alles andere als überraschend“, kommentiert der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke den BDA-Vorschlag. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Arbeitgeber und ihre Unterstützer in der Union mit der Forderung kommen, das Streikrecht zu beschneiden.“ Die Forderung sei so abwegig wie irreführend: „Seit jeher bieten wir in besonders sensiblen Bereichen wie etwa Krankenhäusern oder in der vergangenen Woche an einigen Flughäfen den Abschluss von Notdienstvereinbarungen an, um einen Mindestbetrieb sicherzustellen“, sagte Werneke dem RND. (…) Dort wo das nicht zustande komme, scheitere es an den Arbeitgebern. „Um das klar zu sagen: Die Möglichkeit zu streiken ist für abhängig Beschäftigte der einzige Weg, ihre Interessen wirkungsvoll durchzusetzen“, so Werneke weiter. Werde ihnen dieses Recht genommen, „verkommen Tarifverhandlungen zu kollektiver Bettelei.“ Das möge aus der BDA-Perspektive vielleicht erstrebenswert sein, meint der Verdi-Chef. Aus Sicht der Beschäftigten sei das hingegen nicht akzeptabel. „Das Streikrecht hat Verfassungsrang in Deutschland“, sagte Werneke. „Es beschneiden zu wollen ist ein Angriff auf das Grundgesetz. Deshalb: Hände weg vom Streikrecht!“…“ Artikel von Johanna Apel vom 23. Februar 2023 beim RND externer Link mit weiteren Ausführungen der GewerkschaftsvertreterInnen

Siehe für frühere Angriffe einige von vielen:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=209198
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