Arbeitskampf in Europa – die großen Unterschiede Deutschland und Frankreich

Ein eingeschränkter Einfluss der deutschen Gewerkschaften – und ein mächtiger Widerstand in Frankreich. Vergleichende und kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 17.6.2016

Teil: die deutsche Situation

Im Jahr 1986 haben die deutschen Gewerkschaften einen ganz zentralen Kampf um die Tarifautonomie verloren („Kalte Aussperrung“): Der § 116 AFG, der die Folgen von Streiks regelte (finanzielle Ersatzleistungen für Beschäftigte jenseits des direkten Streikgeschehens, die aber von den Auswirkungen eines Streiks betroffen waren) wurde unter der CDU Regierung (Helmut Kohl / Norbert Blüm) abgeschafft. (Vgl.den Abschnitt Änderung des § 116 AFG bei https://de.wikipedia.org/wiki/Aussperrung externer Link)

Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Abschaffung des § 116 AFG für „noch“ verfassungsgemäß.

In einem Gutachten für das Hugo-Sinzheimer-Institut machen nun die Wissenschaftler klar, dass sich die Situation heute – inzwischen – so geändert hat, dass diese Abschaffung – jetzt – verfassungswidrig sein könnte, weil doch die Tarifautonomie beeinträchtigt ist. (http://www.fr-online.de/wirtschaft/ig-metall-wie-die-kraft-der-gewerkschaft-schwindet,1472780,34369814.html externer Link)

  • Die Gewerkschaften (z.B. die große IG Metall) seien heute – ohne sich selbst aufzugeben – nicht mehr in der Lage Lohnerhöhungen durch Flächenstreiks zu erzwingen.
  • Damit habe sich die faktische Situation für die Gewerkschaften so geändert, dass es zu einer Erosion des Streikrechtes gekommen sei – und das Bundesverfassungsgericht – heute – seine Feststellung im Rahmen der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie wohl nicht mehr aufrecht erhalten könne.
  • Der Gesetzgeber müsse also Abhilfe schaffen, um die Tarifautonomie aufrecht zu erhalten.

Wenn die IG Metall nun einen solchen Antrag (Verfassungsbeschwerde o. ä.) an das Bundesverfassunsgericht richtet, kommt dieses Gericht in die Lage die Tarifautonomie grundsätzlich zu erörtern.

Denn auf der anderen Seite kommt mit der Klage der sog. „Spartengewerkschaften“ gegen das Tarifeinheitsgesetz ein weiterer Angriff gegen die Tarifautonomie vor das Bundesverfassungsgericht. Ich kann dazu wiederum nur die engagierten Ausführungen des Gewerkschafters (und nicht als Ministerpräsident des Landes Thüringen) Bodo Ramelow im jüngsten „Grundrechte-Report 2016“ (Seiten 107 ff.) empfehlen: „Einschränkungen eines Notwehrrechtes mit Verfassungsrang (Art. 9. Abs. 3 GG) – Das Tarifeinheitsgesetz“

Die Regelung schwächte die sog. Spartengewerkschaften – damit greift der Gesetzgeber direkt in die verfassungsmäßig garantierte Tarifautonomie ein. Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes räumt das Recht ein, sich in Gewerkschaften zu organisieren, für „jedermann und alle Berufe“ – und nicht nur für diejenigen in der größeren Gewerkschaft oder gar nur in Branchengewerkschaften und nicht mehr in Berufsorganisiationen.

Es gehört ja zum Wesen von Grundrechten, dass sie auch dazu da sind, Minderheiten vor Mehrheiten zu schützen. (Vgl. auch „Einheit per Gesetz? Pro und Contra“ bei (https://www.labournet.de/?p=79826 externer Link)

Die deutschen Gewerkschaften können jetzt also darauf hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht ihre Tarifautonomie – und damit ihre Streikfähigkeit – wieder herstellt, und damit auch die bestehende „Lohnlücke“ (= siehe zweiter Teil) geschlossen werden kann, während die Franzosen dieses Recht haben und es sogar gegen ihre Regierung – also auch politisch – gebrauchen können, wie wir es gerade in Frankreich erleben können. (ohne dass ihre Regierung daran „etwas“ ändern kann)

2. Teil: Der Widerstand gegen das „Loi travail“ in Frankreich – wer ist der richtige Adressat?

Und jetzt nach dem großen Aktionstag am 14. Juni gegen dieses „Loi travail“ in Frankreich: (https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/politik-arbeitsgesetz_widerstand/am-14-juni-weltweite-solidaritaetsaktionen-mit-dem-widerstand-gegen-das-neue-franzoesische-arbeitsgesetz-auch-in-nrw/)

Ein Dank geht dabei an Ulrike Herrmann – während die hiesigen Medien in Deutschland weiter eingeschworen bleiben auf die „Deutsche ökonomische Schule“ kann Ulrike Herrmann – wieder einmal – diese „ach so schräge“ Denkweise hinter sich lassen und damit den ökonomischen Zusammenhang in der Eurozone wieder von dem Kopf auf die Füße stellen: Frankreichs Sommermärchen wird gestört – Über die Großdemonstrationen gegen die französische Arbeitsmarktreform – denn: die Lösung liegt nicht in Frankreich, sondern in Deutschland (http://www.taz.de/Kommentar-Protest-in-Frankreich/!5309275/ externer Link)

Die Wut der Demonstranten ist verständlich, schreibt Ulrike Herrmann weiter: Es schafft keine zusätzlichen Stellen, wenn man den Kündigungschutz lockert, sondern drückt nur die Löhne.
Die Proteste – in Frankreich – werden aber nichts bringen, denn sie richten sich an die Falschen. Die französischen Gewerkschaften glauben immer noch, dass ihr Gegner die eigene Regierung sei. Doch sie machen es sich zu einfach, wenn sie Präsident Hollande als „Verräter“ abstempeln. Hollande ist – in der Eurozone – nur noch Getriebener.

Die französischen Gewerkschaften sollten lieber gegen Osten blicken – und die Bundesrepublik attackieren. (Vgl.auch „Allein die Deutschen als Problem – und Frankreich im Widerstand“: https://www.labournet.de/?p=98015)

Die Arbeitslosigkeit in Frankreich steigt, weil die Deutschen ihre Arbeitslosigkeit exportiert haben. Das Symbolwort dazu heißt „Agenda 2010“ (worauf die deutsche SPD immer noch so stolz ist): Systematisch wurden die deutschen Reallöhne gedeckelt, um sich – durch diese in einem Währungsverbund noch verbleibende Möglichkeit der „Abwertung“ – Wettbewerbsvorteile zu erschleichen… Durch diese Trickserei hat Deutschland jetzt einen Wettbewerbsvorteil von 20 Prozent erreicht. Hier herrscht Vollbeschäftigung, während in Frankreich 10 Prozent arbeitslos sind.

Die Lösung liegt also nicht in Frankreich, sondern in Deutschland. Hier müssten die Gehälter so lange steigen, bis die Wettbewerbslücke wieder geschlossen ist. (soweit Ulrike Herrmann)(vgl. weiter die Europa-TAZ: http://www.taz.de/!p4617/ externer Link)

Der wissenschaftliche Beirat von Attac erklärt in einem Unterstützungsaufruf zu den Protesten in Frankreich: Die Bundesrepublik Deutschland, die unter Bundeskanzler Schröder (SPD) mit der Agenda 2010 am frühesten mit solchen Reformen begonnen hat, wurde dadurch zum größten Niedriglohnstaat in Europa – was übrigens auch das politische Ziel dieser Agenda war (siehe zunächst http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/Hartz_I-IV_Einfuehrung_groesster_EU-Niedriglohnsektor.pdf externer Link pdf – und weiter noch ausführlich mit Christoph Butterwegge: http://www.nachdenkseiten.de/?p=16494 externer Link) – das schädigt nicht nur die Beschäftigten, die Arbeitslosen und vor allem die Jüngeren – auch – in Deutschland, sondern auch die Volkswirtschaften der anderen EU-Mitgliedstaaten – nicht zuletzt Frankreich. (https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2016/06/fr140616attac.pdf pdf)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=100012
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