Mythos wilder Streik + Illegalität. Neue Debatte zum Grundrecht auf Streik am Bsp. Gorillas

Dossier

"Für ein umfassendes Streikrecht" (Foto: Martin Bechert, wir danken!)

Kundgebung der UnterstützerInnen der Gorillas Workers vor dem Arbeitsgericht in Berlin am 6.4.22, Foto: Martin Bechert, wir danken!

Das deutsche Streikrecht ist extrem restriktiv. Gemessen an seiner Streikkultur ist Deutschland im internationalen Vergleich ein Entwicklungsland. Nach der deutschen Rechtsprechung sind „wilde Streiks“ — Arbeitsniederlegeungen ohne Gewerkschaften — in Deutschland verboten. Doch die Europäische Sozialcharta (ESC) erlaubt solche Arbeitsniederlegungen. Die ESC ist ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, das die Bundesrepublik 1964 ratifiziert hat. Auch sonst schränkt die Rechtsprechung in Deutschland das Menschenrecht auf Streik massiv ein. (…) Eines ist jedenfalls sicher: Ein besseres Streikrecht werden wir nicht durch den Gesetzgeber bekommen. Da das Streikrecht in Deutschland Richterrecht ist, gibt es keinen anderen Weg als die herrschende Rechtsprechung durch gezielte Grenzüberschreitung heraus zu fordern und zu verändern…“ Einladung bei Arbeitsunrecht zum Vortrag von Benedikt Hopmann am Freitag, 30. Juli 2021 externer Link, siehe zur Debatte anlässlich der Gorillas-Streiks:

  • Rider des ehemaligen Lieferdienstes Gorillas kämpfen für ein besseres Streikrecht und ziehen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte New
    „… 2021 streikten Rider des ehemaligen Lieferdienstes Gorillas ohne Gewerkschaft unter anderem für gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Ihnen wurde gekündigt, weil sie trotz Aufforderung ihre Arbeit nicht wieder aufnahmen. Duygu, Fernando und Ronnie Tito klagten bisher erfolglos gegen ihre Kündigungen. Nun haben sie Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGfMR) in Strasbourg eingereicht.
    Der Europäische Gerichtshof, der auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention entscheidet, stellte zwar inzwischen fest, dass verbandsfreie Streiks nicht durch diese Konvention geschützt werden. Dennoch sind die Beschwerden nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Denn der Streik wurde zwar ohne Unterstützung einer Gewerkschaft geführt, nicht aber ohne jede Koalition. Die Gorillas-Rider hatten sich zur Vorbereitung ihres Streiks zusammengeschlossen, um alles Notwendige zu besprechen und vorzubereiten. Welche Voraussetzungen muss eine solche Koalition erfüllen, um zum Streik berechtigt zu sein? Darüber hat der EGfMR noch nicht entschieden. (…) Der Streik der Rider 2021 hatte jedoch nie das Ziel, einen Tarifvertrag abzuschließen; die Geschäftsleitung hätte gleichen Lohn für gleiche Arbeit auch ohne Tarifvertrag zahlen können.
    Die Beschwerde der Rider will das Recht, Tarifverträge mit den Vertretern des Kapitals abzuschließen, weiter den Gewerkschaften vorbehalten, nicht aber das Recht zum Streik. Die drei Rider haben dabei den Europäischen Ausschuss für soziale Rechte (EASR) auf ihrer Seite, der die Einhaltung des Streikrechts nach der Europäischen Sozialcharta überwacht. Der EASR stellte wiederholt fest, »dass das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt«. (…)
    Ein Erfolg der Rider würde sich auch auf das hierzulande restriktiv gehaltene Recht zum politischen Streik auswirken. Weil auch er kein Hilfsinstrument zur Durchsetzung von Tarifverträgen ist, soll auch er verboten sein. Das Recht zum Streik darf nicht länger auf diese Hilfsfunktion beschränkt werden. (…)
    Es ist unstreitig, dass den Gewerkschaften Parteipolitik verwehrt ist, nicht aber Politik. Zur Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder müssen sie Einfluss auf die Sozialpolitik nehmen, auf die Wirtschafts-, die Friedens- und Umweltpolitik. Aber dabei sollen sie auf ihr wichtigstes Mittel, sich Gehör zu verschaffen, den Streik, verzichten. Nicht einmal Proteststreiks gegen die Morde 2020 in Hanau sollen erlaubt sein. Es ist ein Armutszeugnis sondergleichen, dass in den Gewerkschaften über diese Entmündigung kaum diskutiert wird.
    Die Diskussion wäre ein erster wichtiger Schritt zur Überwindung dieser Entmündigung. Weitere Schritte sollten folgen. Denn wie auch immer die Beschwerde der Rider in Strasbourg ausgehen wird, eines kann schon jetzt gesagt werden: Nur wenn es mehr politische Streiks und – wo die Gewerkschaften nicht können oder nicht wollen – mehr Streiks ohne Gewerkschaften gibt, kann das Streikrecht besser werden
    .“ Artikel von Benedikt Hopmann in der jungen Welt vom 19.12.2024 externer Link („Streikrecht vor Gericht“) – die Beschwerden wurden Ende November in Straßburg eingereicht
  • [»Streikrevue 73/93/23« der Rosa-Luxemburg-Stiftung] Wilder Streik! Hungerstreik! Megastreik! Über getrenntes Erinnern und gemeinsame Erfahrungen
    Wenn wir etwas Revue passieren lassen, dann lassen wir es in Gedanken noch einmal an uns vorbeiziehen. Wir erinnern uns intensiv. Ein solches intensives Erinnern wollen wir mit dem Projekt «Streikrevue 73/93/23» initiieren. Zwei Streik-Jubiläen, aber zwei weitgehend getrennte Gedenken: Sowohl die migrantischen Streiks in der BRD im Jahre 1973 als auch die Kämpfe ostdeutscher Arbeiter*innen von 1993 jährten sich im Sommer 2023. Erinnert wurde auf ganz verschiedene Weise und ohne offensichtlich wechselseitigen Bezug. Genau das wollen wir mit diesem Projekt thematisieren: Haben diese Streiks etwas miteinander zu tun, außer, dass es sich um Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit handelt? Welche Gruppen haben hier gekämpft, was sind Unterschiede, was sind Ähnlichkeiten, was sind Kontinuitäten? Welche Bezüge lassen sich zwischen den Streikjahren 1973/1993/2023 herstellen und was bedeuten solche Bezüge politisch in der Gegenwart?…“ Artikel von Massimo Perinelli, Felix Axster, Pablo Dominguez Andersen vom 30.11.2023 externer Link bei der RLS samt Videos, siehe auch:

  • Recht und Würde. Der Kampf migrantischer Arbeiter in Deutschland. Eine politliterarische Untersuchung der wilden Streiks von Ford bis Gorillas 
    „… Da sie nur Gäste waren, war von vornherein ausgeschlossen, sie als Gleiche zu behandeln. Mit der Vorsilbe »Gast« konnte die Bundesrepublik wahre Wunder bewirken. Denn als »Gäste« stellten sie keine Bedrohung für den nationalen Konsens dar. Sie kamen in gewisser Weise einfach nicht vor. Die Sprache zu lernen, war nicht vorgesehen: In der Fabrik war Deutsch nicht nötig. Man verständigte sich untereinander auf Türkisch. Für die »Gast«-Arbeiter war das »Du musst« und »Ihr müsst« des deutschen Vorarbeiters die einzige deutsche Wendung, die sie kannten. Sie verkörperte die Realität ihrer absoluten sozialen Isolation. »Es wurden Arbeiter gerufen, doch kamen Menschen an.« Diese Aussage klingt sehr bitter. Was aber passierte, wird durch sie nicht einmal vollständig erfasst. Denn in Wirklichkeit waren es nicht Arbeiter, die Deutschland forderte, sondern moderne Sklaven. (…) Daher waren Streiks für die Gastarbeiter auch eine Möglichkeit, ihre Identität als Arbeiter zu behaupten. Sie waren ein Mittel, die Türschwelle zu überschreiten, die Grenze zwischen ihrem »Deutschland« und dem anderen Deutschland einzureißen. Streiks bedeuteten »Entgastifizierung« – Integration in ihrer schönsten Form. (…) Die Tatsache, dass der Streik mit der Besetzung der Fabrik einherging, hatte das Kapital zur Weißglut getrieben. Die Arbeiter besetzten nicht nur die Fabrik, sie brachen auch das Schweigen, beendeten ihre Unsichtbarkeit, machten deutlich, dass sie mehr waren als auf ihre bloße Arbeitskraft reduzierte Körper. Und noch etwas: Die Besetzung demonstrierte zugleich die Abwesenheit der Gewerkschaft und des Betriebsrats. (…)
    Die Gerichte schienen sich der transformativen Kraft von Streiks bewusster zu sein als die Gewerkschaften. Denn die deutsche Auslegung des Streikrechts untergräbt bis heute erfolgreich die Selbstorganisationspraktiken der Arbeiter und Angestellten, und macht die schärfste Waffe der Arbeiter gegen das Kapital, die Arbeitsniederlegung, stumpf.
    Die gleiche Argumentation wie 1973 bei Ford durften sich die Streikenden 2021 beim Lieferdienst Gorillas anhören, diesmal aus dem Munde von Verdi-Bundesbeamtensekretär Andreas Splanemann. Der Ford-Streik und der Gorillas-Streik haben viele Gemeinsamkeiten: Sie litten beide unter der geltenden Rechtsprechung. Das Verbot des illegalen Streiks half, sie zu isolieren und zu kriminalisieren. Auch wenn es den Anschein hat, dass sich seit 1973 viel verändert hat, ist sich doch manches gleich geblieben.
    In einem Zustand, in dem schon das Menschsein schmerzhaft genug ist, machen Schwierigkeiten wie Wohnungsnot, Aufenthaltsangst, Sprachbarrieren, fehlende Zugehörigkeit usw. die Last der Migranten noch schwerer und ihr Leben entbehrungsreicher. In den vergangenen Jahrzehnten hat Deutschland seine Lektion gut gelernt und es geschafft, eine harmonischere Gastarbeitergesellschaft zu schaffen, oder anders gesagt: Deutschland hat die Täuschung so weit gemeistert, dass die Enttäuschung im Namen der sogenannten Freiheiten aufgeschoben wird. (…)
    Der »Gastarbeiter 2.0« ist nicht hier, um Deutschland zu entwickeln oder irgendwelchen Jobs nachzugehen, die die »Biodeutschen «nicht machen wollen, sondern um seinen Lebensstil zu ändern – so denkt er zumindest: Er geht zur Schule, besucht Clubs, reist, entflieht der politischen Repression in seinem Land, findet ihre und seine sexuelle Identität. Und er putzt die Häuser und Wohnungen der Anderen. Er geht von Tür zu Tür und liefert Lebensmittel und Verpflegung aus. Er fährt mit dem Fahrrad durch die ganze Stadt, aber er ist gewünscht und für niemanden eine Last. Er spricht nicht so gut Deutsch, aber er wird nur von Behördenmitarbeitern und Supermarktangestellten gedemütigt, in seiner Komfortzone spricht er zum Beispiel ausgezeichnet Englisch, Französisch oder Spanisch. Er freundet sich in seiner Freizeit mitunter sogar mit »Biodeutschen« an. Aber die Mauer, die früher Gastarbeiter und Deutsche trennte, hat sich nicht einfach in Luft aufgelöst, sie hat die Körper umgeben. Man spürt es, wenn man näherkommt. Die Zivilgesellschaft ist auf Individuen reduziert und die Integration erneut verschoben worden. Es gibt nicht mehr mein Deutschland und dein Deutschland: Es gibt unzählige atomisierte Deutschlands.
    Der »Gastarbeiter 2.0« ist nicht in einem Zimmer mit sechs Personen untergebracht; er wechselt alle zwei bis drei Monate das Zimmer, ohne einen Vertrag zu haben. Er hat keine Besitztümer. Er mag es nicht, sich zu binden. Er ist kein Arbeiter, er ist Lehrer, Arzt, Ingenieur … Er arbeitet nur vorübergehend in einem anderen »Job«, bis er seine Deutschprüfung bestanden hat und in seinen eigentlichen Beruf, den er womöglich schon wieder verlernt hat, zurückkehren kann. Bis dahin kann er mit befristeten Jobs das Spiel des Überlebens in der Probezeit weiterspielen. Da es in der Regel nicht möglich ist, viele Jahre lang am selben Arbeitsplatz zu bleiben – Startups sind nicht wie Fabriken, sie können jederzeit geöffnet oder geschlossen werden –, ergibt es wenig Sinn, in die Gewerkschaft einzutreten. Die Gewerkschaft drängt ihn auch nicht dazu, Mitglied zu werden. Er wird ohnehin in ein paar Jahren in ein anderes Land gehen. Oder wenn er mit einem Working-Holiday-Visa gekommen ist, wird er nur sechs Monate lang eine billige Arbeitskraft sein und obendrein noch Urlaub haben. Es gibt keinen Grund, sich zu organisieren.
    Inmitten dieser ziemlich »wilden« Lebensweise konnte der»Gastarbeiter 2.0« trotzdem streiken. Denn egal, wie unpolitisch er ist, er hat den Mut, für die Menschenwürde einzutreten, wenn sie bedroht ist. Doch kaum versucht er das, erhält er einen Brief, wie ihn das Ford-Management 1973 an die Arbeiter geschickt hatte. »Liebe Mitarbeiter, der Aufruhr, den einige linksradikale Gruppen an unserem Arbeitsplatz zu verursachen versuchen …«. So zerreißt die Realität das Gewebe der Illusion. Auch fünfzig Jahre später ist der Gastarbeiter, wenn er den Status quo bedroht, noch immer »linksradikal«. Aber das ist durchaus etwas, auf das wir stolz sein können.
    Die Gorillas-Streiks, die ich mitorganisiert habe, haben erneut die Frage aufgeworfen, wie mit dem deutschen Streikrecht umzugehen ist, das vor allem die Aktionsmöglichkeiten von Arbeitsmigranten und prekär Beschäftigten einschränkt…“ Artikel von Duygu Kaya in der jungen Welt vom 24.08.2023 externer Link – insgesamt sehr lesenswert. Duygu Kaya, geboren in der Türkei, lebt seit 2018 in Berlin. Die studierte Filmwissenschaftlerin und Englischlehrerin war Teil der Betriebsgruppe »Gorillas Workers’ Collective« und Mitorganisatorin des Streiks beim dem Lieferunternehmen. Sie kämpft für die Legalisierung des politischen und verbandsfreien Streiks. Siehe auch:

  • Das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperdey: Den Unternehmern treu ergeben
    Hans Carl Nipperdey, führender Arbeitsrechtler in der NS-Zeit, von 1954 bis 1963 Präsident des Bundesarbeitsgerichts, hat das restriktive deutsche Arbeitsrecht bis heute geprägt: Politische Streiks sind verboten, Beschäftigte zur Treue verpflichtet und Whistleblower nahezu ungeschützt.
    In der Weimarer Republik noch nationalliberal, verfasste Nipperdey unterm Hakenkreuz zusammen mit Alfred Hueck das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“. Es beseitigte die Reste des Weimarer Arbeitsrechts, verankerte das „Führerprinzip“ in den Betrieben und bestimmte Arbeitnehmer als „Gefolgsleute“. In der Bundesrepublik reüssierte Nipperdey zuerst als SPD-Mitglied, wechselte dann ins Arbeitgeberlager. Seine aus der NS-Zeit transformierten ideologischen Grundsätze von Unternehmen als Betriebsgemeinschaften und von der Fürsorge- und Treuepflicht von Unternehmern und Beschäftigen sind bis heute maßgeblich. Sie führten u.a. auch dazu, dass Deutschland die Whistleblower-Richtlinie der EU bis 2021 nicht umgesetzt hat.“ Feature von Peter Kessen vom 25.04.2023 im Deutschlandfunk externer Link Audio Datei mit weiteren Informationen (eine Wiederholung vom 14.12.2021)

  • »Jede Arbeitsniederlegung wird argwöhnisch beäugt«. Restriktives Streikrecht in der BRD hat direkte Auswirkungen auf widerständige Gorillas-Beschäftigte 
    Im Interview von Henning von Stoltzenberg in der jungen Welt vom 28.7.2022 externer Link erläutert der Arbeitsrechtler Patrick Fütterer seine rechtpolitische Sicht auf das Streikrecht: „… Die Gorillas-Beschäftigten sind häufig befristet beschäftigt, die Fluktuation unter ihnen ist hoch, zudem sprechen die Rider viele unterschiedliche Sprachen. Deshalb hat sich bislang keine gewerkschaftliche Organisation entwickelt. Die Arbeitsniederlegungen erfolgten ad hoc, um die unzumutbaren Zustände im Betrieb, beispielsweise beim Arbeitsschutz und bei der Arbeitszeit, zu bekämpfen. Allerdings sind diese sogenannten wilden Streiks nach deutschem Recht rechtswidrig. Dies führt angesichts der mehr als berechtigten Forderungen der Rider zu arbeitsgerichtlichen Urteilen, die schwer vermittelbar sind. (…) Auffällig ist, dass die 19. Kammer [des Berliner Arbeitsgerichts] die zugunsten der Rider entschieden hat, offen dafür ist, das überkommene deutsche Streikrecht einer europarechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Demgegenüber hat die 20. Kammer das Verbot des sogenannten wilden Streiks vehement verteidigt. (…) Das Streikrecht wird in Deutschland durch die Rechtsprechung seit den 1950er Jahren als Annex der Tarifautonomie verstanden. Ein Streik ist nur rechtmäßig, wenn er dem Abschluss eines Tarifvertrages dient und eine tariffähige Gewerkschaft zu ihm aufruft. Demgegenüber ist das Streikrecht beispielsweise in Frankreich oder in Italien viel umfassender gewährleistet. Das wiederum hat Niederschlag in der Europäischen Sozialcharta gefunden. Dort wird das Streikrecht nicht nur zum Abschluss von Tarifverträgen garantiert, sondern den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern selbst – und nicht nur den Gewerkschaften – bei Interessenkonflikten eingeräumt. Eine europarechtskonforme Ausgestaltung des hiesigen Streikrechts bedeutet nicht nur die Legalisierung von Streiks, die nicht von Gewerkschaften getragen werden, sondern auch von Streiks gegen Werksschließungen, Privatisierungen oder etwa Rentenkürzungen. (…) Es gibt hier keinen Sanktionsmechanismus. Den internationalen Kontrollgremien bleibt nur die Möglichkeit, die BRD in ihren Berichten zu kritisieren. Dies ist in der Vergangenheit auch geschehen…“
  • Das Streikrecht auf der Suche nach einer neuen Wirklichkeit 
    „… Tatsächlich war die Aktionsform des „Flashmob“, die Anlass zu dem BAG-Urteil von 2009 gegeben hatte, Ergebnis einer schon lang andauernden und keineswegs abgeschlossenen gewerkschaftlichen Suche nach Kampf­mitteln, mit denen noch wirk­samer Druck ausgeübt werden kann. Hintergrund war eine Aktion der Gewerkschaft Verdi aus dem Jahr 2007, als diese große Schwierig­keiten hatte, im Einzelhandel so zu mobilisieren, dass die Arbeitgeber an den Verhandlungstisch gebracht werden konnten. Verdi rief deshalb 40 bis 50 Kreuzberger und Friedrichshainer Anwohner*innen per SMS zur Teilnahme an einer Aktion auf, die einen Berliner Supermarkt durch abgebrochene Einkaufsversuche faktisch blockierte. In dem Urteil, das die BAG-Entscheidung zum Flashmob verfassungsrechtlich bestätigte, brachte das BVerfG dann gut auf den Punkt, welche Aspekte aus rechtlicher Sicht das „Atypische“ dieser Arbeitskampfform ausmachten: Der typische Arbeitskampf (= Streik) wird durch die betroffenen Arbeit­nehmer*innen selbst durchgeführt; diese enthalten dem Arbeitgeber ihre Arbeits­kraft vor und erhalten für diese Zeit kein Entgelt (sondern allenfalls Streikgeld von der Gewerkschaft). Der Streik enthalte so ein „Element unmittelbarer Selbstschädigung der Teilnehmenden in Form des Verlustes des Arbeitsentgelts“, das „einen (eigen-)verantwortlichen Umgang mit dem Arbeitskampfmittel fördern“ könne. Atypisch ist also vor allem die Beteiligung von Dritten, von nicht unmittelbar Betroffenen. Dadurch könne das Geschehen auch leichter „außer Kontrolle geraten, weil das Verhalten Dritter weniger beeinflussbar ist“. Das BVerfG kommuniziert hier relativ deutlich, weshalb Arbeitskämpfe der Autonomie und Experimentierphantasie der Koalitionen überlassen bleiben können, unter welchen Bedingungen also die richterliche Kontrolle zurücktreten kann.
    Diese Begründung zeigt gleichzeitig auf, wo die Herausforderungen für das Arbeits­kampf­recht in den kommenden Jahren liegen dürften. Denn gerade in Bereichen, die durch prekäre Arbeitsbedingungen geprägt sind, kann die Einbeziehung von Öffentlichkeit neue Arbeits­kampfformen prägen. Dies gilt umso mehr, wenn das deutsche Arbeitskampfrecht seine enge Verklammerung mit der Tarifautonomie langsam lockern sollte. Aus Sicht des europäischen Rechts ist dies seit langem erforderlich, und das BAG stellte deshalb schon 2002 die ausschließliche Beschränkung des Streikrechts auf Kämpfe für tarifliche Ziele in Frage.  Dennoch hält sich bis heute ein noch von Nipperdey überliefertes Verständnis des „Politischen“ als einem Gegensatz zum Kampf für bessere Arbeitsbedingungen. Gerade in Dienstleistungsbereichen und stark gesetzlich regulierten Branchen wie der Pflegebranche kann aber eine Öffnung des Arbeitskampfrechts für Protest­streiks und ähnliche Aktionen ein wichtiger Schritt zur (Wieder-)Erlangung kollektiver Handlungsfähigkeit sein. Gerade in (nicht zufällig) weiblich geprägten Bereichen der Sorgearbeit oder in migrantisch geprägten Protestmilieus der Plattformarbeit muss das Recht Barrieren abbauen, damit die Tariflandschaft fähig wird, die ganze gesellschaftliche Diversität der Arbeit abzubilden.
    Nimmt man die Erkenntnis der Gerichte ernst, dass das Recht unter geänderten gesellschaftlichen Umständen die Entwicklung neuer Kampfformen anerkennen muss, bedarf es auch aus rechtlicher Sicht einer Reflektion der Rolle der Öffentlichkeit in Arbeitskämpfen. Je stärker die Öffentlichkeit in Auseinandersetzungen einbezogen wird, desto mehr bedarf es der Akteure, die in diesen Prozessen Verantwortung übernehmen, insbesondere dafür, dass Ziele klar kommuniziert werden, die Rechte aller Betroffenen respektiert werden und die Verhältnismäßigkeit gewährleistet bleibt. Dann kann und muss die rechtliche Kontrolle sich zurücknehmen und auf Prozesse gesellschaftlicher Autonomie vertrauen. Um auf diese Herausforderungen vorbereitet zu sein, müssen Gewerkschaften aber in der Lage sein, die Öffentlichkeit in all ihrer Diversität wirksam anzusprechen.“ Artikel von Eva Kocher vom 02.06.2022 im sozialpolitikblog externer Link
  • [2 Interviews mit RA Martin Bechert] »Dort steht: Im Prinzip habt ihr recht«. Arbeitsgerichtsurteil nach Klage eines Kurierfahrers öffnet neue Räume in der Streikrechtsprechung 
    „… Es ist ein ganz wichtiger Meilenstein. Zum ersten Mal bestätigt ein Arbeitsgericht, dass die postfaschistische 50er-Jahre-Streikrechtsprechung nicht mehr angewendet werden kann. Wir sind nun am Anfang von Diskussionen, wie wir das Streikrecht entwickeln wollen, wenn wir ein umfassendes Streikrecht als Menschenrecht für wichtig halten. Der Vorsitzende Richter der 20. Kammer hatte im Prozess der drei Gorillas-Rider Anfang April die Einwendungen über das Streikrecht noch sinngemäß als politisch motivierten Quatsch bezeichnet. Dieses Urteil gibt uns nun recht und sagt: Diese Streikrechtsprechung kann so nicht mehr gelten, denn es gibt mittlerweile Europarecht. Das gibt uns Rückenwind. [Hat das Auswirkungen auf andere Prozesse?] Das Arbeitsgericht hat zunächst bestätigt, dass wir keine linken Spinner sind. Jetzt kann sich eine Änderung der gefestigten Rechtsprechung ergeben. Der Impuls zur Umarbeitung hin zu einem umfassenden Streikrecht kommt von außen, wird nun jedoch von einer Kammer mit einem sehr erfahrenen Vorsitzenden unterstützt. Der Vorsitzende der 20. Kammer hatte in der Verhandlung gesagt, man könne nicht mit einem Federstrich die Rechtsprechung von Jahrzehnten wegwischen. Dieser konservativen Haltung der Arbeitsgerichtsbarkeit können wir jetzt etwas entgegensetzen. Dadurch ergeben sich neue Spielräume in der Rechtsprechung, die es auszufüllen gilt. Mit Verweis auf die Bewertung der 19. Kammer können wir verlangen, dass der Rechtszustand überprüft werden muss. (…) Es ist davon auszugehen, dass Gorillas in Berufung geht. Doch die erste Instanz hat eine Bedeutung, es ist nicht egal, was dort passiert. Dort steht jetzt: Im Prinzip habt ihr Recht. Damit muss sich nun auch die nächste Instanz befassen. Das Urteil wird höchstwahrscheinlich auch im Kündigungsschutzprozess der drei anderen Rider zur Sprache kommen. Sollte das Streikrecht in den Prozessen streitentscheidend sein, könnten die Fälle vor dem Bundesarbeitsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen.“ Interview von David Maiwald in der jungen Welt vom 09.05.2022 Gespräch mit Martin Bechert externer Link, siehe ein weiteres:

    • »Die Legalität des politischen Streiks durchsetzen«. Ein Gespräch mit Benedikt Hopmann, Rechtsanwalt, über das restriktive Streikrecht in Deutschland
      Streiken für den Arbeitskampf. Der Rechtsanwalt Benedikt Hopmann spricht über gekündigte Gorillas-Rider, das restriktive Streikrecht in Deutschland und wie man dagegen angehen kann. (…)
      [Wie ist das Verhältnis des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und der Gewerkschaften allgemein zum restriktiven deutschen Streikrecht?]
      Die Gewerkschaften sind in bestimmten Situationen auf den verbandsfreien Streik geradezu angewiesen. Zurzeit erleben wir zum Beispiel eine erheblich Teuerungsrate. Die Tariflöhne hinken hinterher, die Gewerkschaften sind aber an die Friedenspflicht gebunden. In ­einer solchen Situation kann es immer sein, dass die Beschäftigten auch ohne Aufruf der Gewerkschaften streiken. Zwar können die Gewerkschaften solche Streiks wegen des Haftungsrisikos nicht offiziell unterstützen, aber sie haben schon vor 50 Jahren ganz bewusst erklärt, dass es nicht ihr Aufgabe sei, sich ihre »Positionen durch das Rechtswidrigkeitsurteil des Bundesarbeitsgerichts prägen zu lassen«. Allein mit dieser »Zustandsbeschreibung eroberte sich die IG Metall ein großes Stück Handlungsfreiheit«, schreibt der frühere Justitiar der IG Metall, Michael Kittner, 2005 in seinem Buch »Arbeitskampf«.
      [Haben Gewerkschaften in der Vergangenheit solche verbandsfreien Streiks unterstützt?]
      Ja, ein Beispiel: Der Streik zur Durchsetzung der Lohnfortzahlung für Arbeiter 1956/1957 in Schleswig-Holstein hat in der IG Metall bis heute zu Recht einen legendären Ruf. Viel weniger bekannt ist, dass diese sozialpolitische Errungenschaft 1996 durch verbandsfreie Streiks verteidigt wurde. (…) Eine Gewerkschaft muss gegen das geltende Recht zum politischen Streik aufrufen, wie im vergangenen Jahr die Gorillas-Beschäftigten gegen geltendes Recht verstoßen haben. Nur dann können die Gerichte über die Recht­mäßigkeit eines politischen Streiks entscheiden, so wie sie jetzt bei den drei Gorillas-Beschäftigten darüber entscheiden müssen, ob die Rechtsprechung über den verbandsfreien Streik weitergeführt werden soll oder nicht. Wenn wir das Streikrecht verbessern wollen, bleibt kein anderer Weg.
      [Warum fordern Sie nicht eine Reform des Streikrechts?]
      Streikrecht ist Richterrecht, also kann es auch nur durch Richter verbessert werden. Ein neues Gesetz zum Streikrecht wäre viel zu riskant. Die Gefahr einer Verschlechterung wäre viel zu groß. Das Kapital hat zu viel Einfluss in den Parlamenten.
      [Warum scheuen die DGB-Gewerkschaften einen Aufruf zum politischen Streik?]
      Die Gewerkschaften fürchten Schadenersatzforderungen, wenn sie zu ver­botenen Streiks aufrufen. Dieses Risiko besteht ohne Zweifel. Vergessen wird jedoch, dass die Gewerkschaft es in vollem Umfang in der Hand hat, das Ausmaß der Schäden zu bestimmen. Sie entscheidet, wie viele Beschäftigte sie zum politischen Streik aufruft, und damit auch über den Schaden, den Unternehmen gegen die Gewerkschaft geltend machen könnten. Die Gerichte werden viel zu selten mit diesem Thema konfrontiert. Dann bleibt es bei diesem Freiheit und Demokratie hohnsprechenden deutschen Streikrecht...“ Interview von Peter Nowak in der Jungle World vom 05.05.2022 externer Link
  • „Wilder Streik“ ein Kündigungsgrund? Postfaschistische Rechtsprechung zum Streikrecht ist Geschichte
    In das deutsche Streikrecht kommt Bewegung! Das Arbeitsgericht Berlin hält die Kündigung eines Riders der Gorillas wegen der Teilnahme am „wilden“ Streik für unwirksam. In der Entscheidung weist das Gericht darauf hin, dass es keineswegs gesichertes Recht ist, dass mit dem Aufruf zum „wilden“ Streik ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten begangen wird.
    Am 07.03.2022 hat das Arbeitsgericht Berlin – 19 Ca 10127/21 externer Link – entschieden, dass die fristlose Kündigung eines Riders (Lieferfahrers) unwirksam ist. Der Lieferdienst Gorillas hatte den Rider gekündigt. Anfang Oktober 2021 hatte dieser eine Abstimmung über einen Streik initiiert. Nachdem sich die Mehrheit der Arbeitnehmer für einen Streik ausgesprochen hatte, forderte der Rider seine Kollegen auf zu streiken. Diesem Aufruf folgten einige seiner Kollegen. Auch der Rider legte seine Arbeit nieder. Eine Gewerkschaft war an dem Arbeitskampf nicht beteiligt. Deshalb handelte es sich um einen sogenannten „wilden Streik“. (…) Nach einer uralten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus den 50er Jahren externer Link rechtfertigt die Teilnahme an einem sogenannten wilden Streik – jedenfalls nach Abmahnung – den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Die Gorillas haben sich im Verfahren auf diese Rechtsprechung berufen. Das Arbeitsgericht Berlin hat nun im Urteil darauf hingewiesen, dass die Rechtslage keineswegs eindeutig ist. Die alte Rechtsprechung, nach der die Teilnahme an einem „wilden Streik“ einen Kündigungsgrund darstellt, kann nach Auffassung des Gerichts auf die heutige Rechtslage angesichts europarechtlicher Vorschriften nicht mehr ohne weiteres übertragen werden.
    Die Rechtmäßigkeit des „wilden Streiks“ ist eine offene Rechtsfrage
    Das Arbeitsgericht hat im Urteil darauf hingewiesen, dass das deutsche Streikrecht nicht kodifiziert ist und somit auch die propagierte Notwendigkeit, dass ein Streik gewerkschaftlich organisiert sein muss, keine gesetzliche Grundlage hat. Dementsprechend werde in der Literatur die Auffassung vertreten, dass das ganze Spektrum von Handlungsmöglichkeiten des Arbeitskampfes, einschließlich des Rechts zum Streik, nicht nur jeder Gewerkschaft, sondern auch jeder gemeinsam handelnden Arbeitnehmergruppe zustehe. Artikel 28 EU-GRC schütze auch den verbandsfreien, sogenannten „wilden Streik“.“ Beitrag von Rechtsanwalt Martin Bechert vom 30.4.2022 auf der Homepage der Arbeitsrecht-Kanzlei Bechert externer Link (aktualisiert am 1. Mai 2022)
  • »So wirkt die Ausbeutung ›fair‹« – Migrantische Beschäftigte arbeiten häufig unter schlechten Bedingungen. Aber sie wehren sich auch, wie beim Lieferdienst Gorillas
    Im Interview von David Maiwald in der jungen Welt vom 30. April 2022 plädiert Duygu Kaya externer Link, die gegen ihre Kündigung bei Gorillas kämpft, für ein umfassendes Streikrecht: „… Wir migrantischen Beschäftigten sind nicht nur am schlechtesten geschützt, wir sind auch am stärksten abhängig. Wegen prekärer Aufenthaltsbestimmungen arbeiten viele in schlechten Jobs. Und wir brauchen Gewerkschaften, weil es uns das Gesetz verbietet, ohne sie zu streiken. Deswegen müssen wir für unser Recht auf Selbstorganisierung kämpfen. Das geht nur mit verbandsfreien Streiks. Wenn wir das Gesetz verändern, wird es einen großen Teil der Gesellschaft befreien und die Macht wieder in die Hände der Arbeiter legen. (…) Unser Leben entspricht einer Erzählung, die unser Denken und unser Verhalten bestimmt: Die verschärfte Ausbeutung, die wir erleben, erscheint demnach »fair«, denn sie ist Teil des Deals, den wir auf der Suche nach einem besseren Leben eingehen. Mit dieser Erzählung kann alles, was uns passiert, gerechtfertigt werden. Du kannst auf der Arbeit sterben – niemand wird kommen, um die Arbeitsbedingungen zu überprüfen. Während den Bossen das Geld in die Taschen fließt, werden wir beim Schuften zerrieben. Ein Kollege hat nach einem Unfall das Krankenhaus mit schweren Hirnschäden verlassen, doch niemand schaut auf die Arbeitsbedingungen bei Gorillas. Die Migranten werden in Deutschland gebraucht, um die Drecksarbeit zu erledigen, doch ihr Lebensalltag wird unsichtbar gemacht. Das ist besonders problematisch, wenn ihre Arbeitskraft ausgebeutet wird. Das betraf die ersten Generationen sogenannter Gastarbeiter in der Bundesrepublik, und es betrifft heute uns. Die Behörden betrachten uns als Leute, die ohnehin nur temporär im Land sind: Studentenvisa, Arbeitsvisa, Aufenthaltstitel, die an Beschäftigung geknüpft sind – alles zeitlich begrenzte Grundlagen. Unsere Arbeitsverhältnisse sind befristet, so dass wir keine Unterstützung der Gewerkschaften bekommen. (…) Die Gewerkschaften haben sich von der Arbeiterklasse entfremdet. Verdi wollte, dass wir 50 Prozent der Belegschaft organisieren, und dann  die Anerkennung dafür einstreichen. Dann hätten sie das Gewerkschaftslogo auf unsere Broschüren gemacht und Veranstaltungen im Namen von Verdi abgehalten. So funktioniert das aber nicht! Wer hat denn die Kraft, aus dem Stand 50 Prozent der Belegschaft zu organisieren? Viele von uns haben ihre Jobs verloren, weil sie öffentlich gegen die Zustände bei Gorillas aufgetreten sind. Zudem verfolgen viele Beschäftigte hier das Ziel, später Ingenieur, Lehrer oder Arzt zu werden. Wir brauchen aber das Bewusstsein im Betrieb, dass wir zur Arbeiterklasse gehören.“
  • In das deutsche Streikrecht kommt Bewegung! Das Arbeitsgericht Berlin hält die Kündigung eines Riders der Gorillas wegen der Teilnahme am „wilden“ Streik für unwirksam 
    In der Entscheidung weist das Gericht darauf hin, dass es keineswegs gesichertes Recht ist, dass mit dem Aufruf zum „wilden“ Streik ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten begangen wird. In dem Urteil heißt es dazu: „Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass das Streikrecht nicht kodifiziert ist und somit auch die propagierte Notwendigkeit, dass ein Streik gewerkschaftlich organisiert sein muss, keine gesetzliche Grundlage hat. Dementsprechend vertritt die Literatur (Däubler/Heuschmidt, Arbeitskampfrecht, Seite 172 Randnummer 51) auch die Auffassung, dass das ganze Spektrum von Handlungsmöglichkeiten, die Artikel 28 EU-GRC eröffnet, jeder Gewerkschaft, aber auch jeder gemeinsam handelnden Arbeitnehmergruppe zustehe. Artikel 28 EU-GRC schütze daher auch den nicht gewerkschaftlichen „wilden“ Streik. Entsprechende Bedenken wurden auch in der Tagespresse geäußert (Tagesspiegel vom 02.10.2021, Seite 8). Mithin ist es keineswegs gesichertes Recht, dass ein Aufruf zu einem sogenannten wilden Streik einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten darstellt. Die Frage, ob die Teilnahme hieran einen Kündigungsgrund darstellt, stellt sich somit heute grundlegend anders als vor dem Inkrafttreten der Europäischen Grundrechtecharter (vergleiche zur früheren Rechtslage Lorenz, AiB 1998, 655).“ Bericht des RA Martin Bechert vom 28.4.2022 externer Link, siehe auch

    • Tweet von Martin Bechert am 28.4.2022 externer Link: „YEAH! #Arbeitsgericht Berlin hält die Kündigung von #Gorillas Rider wegen Teilnahme am“wilden #Streik “ für unwirksam. Es ist kein gesichertes Recht, dass mit dem Aufruf zum „wilden Streik“ ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten begangen wird
    • Punktsieg für Rider. Gorillas: Gericht erklärt Kündigung wegen Aufrufs zu verbandsfreien Streiks für unwirksam
      Spontane Arbeitskämpfe – es regt sich was in der Bundesrepublik. Das Arbeitsgericht in der Hauptstadt hat erstmals eine Kündigung wegen der Teilnahme an sogenannten wilden, also verbandsfreien Streiks für unwirksam erklärt. Wie Rechtsanwalt Martin Bechert am Donnerstag gegenüber junge Welt mitteilte, erklärte die 19. Kammer des Arbeitsgerichts Berlin die Kündigung eines Kurierfahrers des Lieferdienstes Gorillas wegen der Teilnahme an verbandsfreien Streiks für unwirksam. Es sei »keineswegs gesichertes Recht, dass ein Aufruf zu einem sogenannten wilden Streik einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten darstellt«, heißt es in der Urteilsbegründung vom 19. April, die dieser Zeitung vorliegt. Der Fahrer hatte im Oktober mit anderen Ridern gegen die schlechten Jobbedingungen bei Gorillas gestreikt und war daraufhin vom Unternehmen mit dem Hinweis, verbandsfreie Streiks seien illegal, fristlos entlassen worden. Der Fahrer hatte vor dem Arbeitsgericht gegen die ausgesprochene Kündigung geklagt. Das nun ergangene Urteil mache deutlich, »dass wir eine neue, höchstrichterliche Bewertung des Streikrechts brauchen«, sagte Anwalt Bechert am Donnerstag im Gespräch mit junge Welt. Denn: Das Verbot verbandsfreier und politischer Streiks in der BRD geht auf ein Gutachten des Arbeitsrechtlers mit Nazivergangenheit, Hans Carl Nipperdey, zurück…“ Artikel von David Maiwald in der jungen Welt vom 29.04.2022 externer Link
  • [Arbeitsgericht Berlin] Kündigungen von Kurierfahrern wegen Teilnahme an „wildem“ Streik wirksam 
    Das Arbeitsgericht Berlin hat die Kündigungsschutzklagen von drei Fahrradkurierfahrerinnen und -fahrern abgewiesen, denen aufgrund ihrer Teilnahme an einem wilden – also nicht von einer Gewerkschaft organisierten – Streik gekündigt worden war. Das Gericht hat in zwei Fällen die außerordentlichen, fristlosen Kündigungen für wirksam erachtet. Im dritten Fall hat es festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht fristlos, sondern nach Ablauf einer Zwei-Wochen-Frist geendet hat.
    Die Arbeitgeberin hatte den klagenden Parteien vorgeworfen, sich an einem viertägigen Streik beteiligt zu haben. Der Streik wurde von Mitarbeitenden des Fahrradkurierdienstes organisiert, unter anderem um pünktliche Bezahlung sowie die Ausstattung mit Regenkleidung zu erreichen. Die Arbeitgeberin hatte die Teilnehmenden des Streiks mehrfach aufgefordert, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Als diese sich weigerten, kündigte sie die Arbeitsverhältnisse außerordentlich und fristlos.
    Die Kurierfahrerinnen und -fahrer sind der Auffassung, dass auch die Teilnahme an einem verbandsfreien Streik eine zulässige Rechtsausübung darstelle, und berufen sich unter anderem auf die Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG). Die Koalitionsfreiheit schütze auch Arbeitskampfmaßnahmen, die nicht den Abschluss eines Tarifvertrages zum Ziel hätten und deshalb auch nicht gewerkschaftlich organisiert sein müssten.
    Das Gericht erachtete zwei der außerordentlichen Kündigungen für wirksam. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass die Teilnahme an einem Streik nur dann rechtmäßig sei, wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen werde…“ Pressemitteilung vom 06.04.2022 vom Arbeitsgericht Berlin externer Link zu Urteilen vom 06.04.2022, Aktenzeichen 20 Ca 10257/21, 20 Ca 10258/21 und 20 Ca 10259/21 – alle Beteiligten wollen notfalls bis zum EuGH. Siehe dazu:

    • Verhandlungsauftakt gegen Gorillas: Das Verfahren gegen den Lieferdienstanbieter schürt Hoffnungen auf ein neues Streikrecht
      „»Wir führen diesen Prozess für die Freiheit der migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter«, sagt Duygu Kaya am Mittwoch zu »nd«. Die gebürtige Türkin ist eine der drei ehemaligen Beschäftigten des Lieferdienstes Gorillas, die eine Kündigungsschutzklage gegen ihren alten Arbeitgeber eingereicht haben. Kurz vor Prozessbeginn hat sie sich mit Unterstützerinnen und Unterstützern vor dem Berliner Arbeitsgericht versammelt. (…) »Vielen Menschen ist überhaupt nicht bewusst, wie repressiv und rückständig das deutsche Streikrecht ist«, sagt Anwalt Benedikt Hopmann, der die drei ehemaligen Gorillas-Beschäftigten vor Gericht vertritt. Ziel der Klage sei schlichtweg, das Streikrecht in Einklang mit dem europäischen Sozialstaat und dem Völkerrecht zu bringen. »Wir wollen, dass dieser Prozess eine gesellschaftliche Diskussion lostritt und dafür sorgt, dass das Streikrecht in Deutschland endlich als Grundrecht wahrgenommen wird.« Hopmann sieht sich am Beginn eines langen Weges. Bei einem Urteil zugunsten der ehemaligen Beschäftigten rechnet er mit Widerstand von der Gegenseite. »Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, die sich uns bieten. Das kann auch bedeuten, dass wir irgendwann vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem europäischen Gerichtshof in Straßburg landen«, sagt er gegenüber »nd«. (…) Das Urteil im Gorillas-Prozess wird ebenfalls für Donnerstag erwartet. Eine Erklärung von Duygu Kaya hat das Gericht laut Anwalt Benedikt Hopmann unterbunden. »Ich dachte eigentlich, man hätte Anspruch auf rechtliches Gehör«, sagt er nach der Verhandlung zu »nd«. »Das ist unglaublich.«“ Artikel von Patrick Volknant vom 06.04.2022 im ND online externer Link
    • Gorillas-Lieferdienst: Klassenkampf im Gerichtssaal
      Für die Betroffenen war die gestrige Verhandlung nur eine Etappe auf dem Weg zum Europäischen Gerichtshof…“ Beitrag von Peter Nowak vom 7. April 2022 in Telepolis externer Link
    • Pressespiegel vom 7. April 2022 bei widerstaendig.de externer Link zum Gorillas-Prozess 1. Instanz
    • Zur Demo vor dem Gericht und den Hintergründen siehe unser Dossier: [Q-commerce] Schneller, als die Eiscreme schmilzt: Lieferservice Gorillas
  • [online-Veranstaltungsreihe am 20., 24., 25.1.2022] Relevanz und Legalität „Wilder“ Streiks und feministischer Streiks 
    Theresa Tschenker, akademische Mitarbeiterin (Viadrina), Professorin Dr. Eva Kocher (Viadrina), Professor Dr. Wolfgang Däubler (Uni Bremen) und Dr. Johanna Wenckebach (Hugo Sinzheimer Institut) diskutieren am 20.01. Vorveranstaltung ab 19:00 vom arbeitskreis kritischer jurist*innen der HU (akj HU) – Prof. Dr. Wolfgang Däubler mit einer Einführung zu Streiks, „Wilden“ Streiks und kollektiver Zurückbehaltung. Die weiteren Veranstaltungen und Infos:

    • 24.01. Vorveranstaltung ab 18:00 der kritischen Jurist*innen der Viadrina (KJ* Viadrina) – Theresa Tschenker und Prof. Dr. Eva Kocher mit einer Einführung zu Streiks und feministischen Streiks
    • 25.01. Hauptveranstaltung 17:00 bis 20:00 – Dr. Johanna Wenckebach (Moderation), Theresa Tschenker, Prof. Dr. Eva Kocher und Prof. Dr. Wolfgang Däubler zu „Wilden“ Streiks, feministischen Streiks und kollektiver Zurückbehaltung
    • Organisiert von Studierenden der HU, dem akj HU und den KJ* Viadrina
    • Die Veranstaltungen finden online statt externer Link, dazugehörige Links werden dort noch veröffentlicht.
    • Siehe die mehrsprachigen Flyer auf dem Twitter-Accont von akj hu berlin externer Link
  • Gorillas im Arbeitskampf: Arbeitsaktivismus in Zeiten der Plattformarbeit 
    „… Die (befristet angestellten) Arbeitnehmer:innen haben sich im „Gorillas Workers Collective“ und über soziale Medien organisiert. Die Streiks sind zuletzt effektiver geworden und erfassen regelmäßig mehr als nur ein Lager. Nachdem der Arbeitgeber lange versucht hatte, die Streiks auszusitzen, hat er nun (mehr als 300) fristlose Kündigungen ausgesprochen. In der Medienberichterstattung heißt es dazu: Auch wenn die Kündigungen vielleicht voreilig und deshalb unwirksam sein mögen, waren die Streikaktionen als solche als #wildeStreiks (der Hashtag wird von den Streikenden selbst verwendet) nach deutschem Recht rechtswidrig und deshalb durchaus geeignet, einen Kündigungsgrund abzugeben. Um diese arbeitskampf- und damit auch verfassungsrechtliche Frage soll es hier gehen: Konnten sich die Streikenden auf ihr Streikrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen, oder haben sie mangels eines solchen Rechts ihre Vertragspflichten verletzt? Weil Gorillas zum großen Bereich der digitalen Plattformarbeit gehört, eignet sich der Fall gleichzeitig dazu, das Arbeitskampfrecht auf die Frage hin abzuklopfen, ob es für solche „modernen“ oder jedenfalls neuen Konstellationen von Erwerbsarbeit eigentlich gut konstruiert ist. (…) Für die rechtliche Prüfung einer Arbeitskampfmaßnahme bedeutet dies: Voraus­setzungen der Rechtmäßigkeit sind im Wesentlichen, dass die Arbeitskampfmaßnahme von einer Gewerkschaft getragen wird und dass sie den Abschluss eines Tarifvertrags zum Ziel hat. Genau diese beiden Anforderungen sind es, an denen nun die Rechtmäßigkeit der Streiks bei Gorillas scheitern könnte. Wobei: Um einen „wilden Streik“ ohne gewerkschaftlichen Aufruf handelt es sich bei Gorillas vielleicht gar nicht. Soweit dies aus Twitter (@gorillasworkers) und anderen Medien geschlossen werden kann, wurde er durch eine Arbeitnehmer:innenvereinigung, das Gorillas Workers Collective (GWC), organisiert. Diese gehört zwar nicht einer der in Deutschland verbreiteten Gewerkschaftsbünde (DGB, CGB oder DBB Beamtenbund und Tarifunion) an. Aber das spielt ja rechtlich genauso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass man im GWC auf Englisch kommuniziert. Allerdings unterscheidet sich das GWC noch auf andere Weise von dem, was die Arbeitsgerichte sich unter einer Organisation vorstellen, die zum Arbeitskampf aufrufen dürfte. (…) Der ersten Anforderung mangelnder „Überbetrieblichkeit“ lässt sich noch leicht begegnen; Über­betrieblichkeit ist lediglich ein Indiz dafür, ob eine Arbeitnehmer:innenorganisation von der Arbeitgeberseite unabhängig ist. Und daran, dass auch das Gorillas Worker Collective (GWC) hinreichend unabhängig von seiner Gegenseite ist, dürfe wohl kaum ein Zweifel bestehen. (…) Im Zweifel, d.h. solange keine konkreten Anhaltspunkte dagegen sprechen, muss zunächst davon ausgegangen werden, dass auch nicht-hierarchische kollektive Strukturen eine Selbstbindung an Entscheidungen organisieren können. (…) Für die Rechtmäßigkeit dieses Arbeitskampfs ist insofern entscheidend, ob die enge Verknüpfung von Tarifautonomie und Arbeitskampf, wie sie im deutschen Recht seit den 1970er Jahren statuiert wird, rechtlich haltbar, angemessen und völkerrechtskonform ist. (…) Aber was wäre gewonnen, wenn man Streikbewegungen wie die des Gorillas Workers Collective ohne weiteres als zulässig anerkennen würde? Die Macht von Arbeitnehmer:innen würde damit per se eher nicht gestärkt, solange nicht gewährleistet ist, dass aus einem solchen Arbeitskampf auch nachhaltige Ergebnisse entstehen. Das „herkömmliche“ deutsche Tarif­vertrags­system, kombiniert mit der Interessenvertretung durch Betriebsräte, bietet zwar keine Basis für Revolutionen, aber relativ differenzierte Reaktionsmöglichkeiten gegen unfaire Bezahlung oder fehlende Arbeitssicherheit. Erst die wechselseitige Integration des Protest-Aktivismus und der strukturierten Gewerkschaftsarbeit würde die Chancen des neuen Arbeitsaktivismus realisieren helfen. Das deutsche Gewerkschaftssystem hat sich in der Vergangenheit durchaus bereits als integrationsfähig bewiesen. (…)Im aktuellen Konflikt bei Gorillas rät die Gewerkschaft verdi vor allem zur Gründung eines Betriebs­rats; sie hat sich nicht bereit gezeigt, den Streik zu übernehmen. Das hat wohl nicht nur damit zu tun, dass viele der Fragen, um die es den Riders jetzt geht, sich mit Hilfe eines Betriebsrats deutlich besser bearbeiten ließen als im Rahmen von Tarifverhandlungen. Es hat sicher auch etwas mit dem Haftungsrisiko zu tun, das die Gewerkschaft mit dem Streik übernehmen würde…“ Artikel von Eva Kocher vom 21 Oktober 2021 beim Verfassungsblog externer Link, Dr. Eva Kocher ist Professorin für Bürgerliches Recht, europäisches und deutsches Arbeitsrecht sowie Zivilverfahrensrecht an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).
  • Gericht muss entscheiden: Wird Gorillas-Streik zum Präzedenzfall? 
    Seit Monaten setzen sich Fahrradkuriere vom Lieferdienst Gorillas für bessere Arbeitsbedingungen ein. Nun hat das Berliner Start-up den Streikenden gekündigt. Ist das rechtens? Auch heute demonstrieren Gorillas-Beschäftigte in Berlin. Und das, obwohl das Unternehmen gut zwei Dutzend Fahrern wegen Streiks gekündigt hat. Die Begründung des Berliner Start-ups: Unangekündigte und nicht gewerkschaftlich getragene Streiks seien „rechtlich unzulässig“. Nach Ansicht der Gewerkschaft ver.di ist es politisch „eine Sauerei“, dass das Unternehmen nun gerade die Mitarbeiter entlasse, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzten. „Doch arbeitsrechtlich dürfte das Unternehmen die besseren Karten haben“, so der Pressesprecher des ver.di-Landesverbandes Berlin-Brandenburg, Andreas Splanemann. Nach deutschem Recht ist ein sogenannter „wilder“ Streik ein Kündigungsgrund. (…) Das Unternehmen erklärt schriftlich: „Nach intensiven Abwägungen sehen wir uns gezwungen, diesen rechtlichen Rahmen nun durchzusetzen. Das bedeutet, dass wir das Arbeitsverhältnis mit denjenigen MitarbeiterInnen beenden, die sich aktiv an den nicht genehmigten Streiks beteiligt, den Betrieb durch ihr Verhalten behindert und ihre KollegInnen damit gefährdet haben.“ Laut Gorillas wurden auch Notausgänge blockiert. (…) Ein Problem ist aus Sicht von ver.di, dass bei den Online-Lieferdiensten aktuell sehr wenige Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert sind. „Wären die Streikenden in der Gewerkschaft, hätten sie jetzt nicht das Problem mit der Kündigung“, so der ver.di-Sprecher. (…) Als nächstes dürfte sich das Berliner Arbeitsgericht mit dem Fall beschäftigen, glaubt der Fachanwalt für Arbeitsrecht Stephan Vielmeier von der Münchner Kanzlei „Vielmeier Rieble“. Er geht davon aus, dass einzelne Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht einreichen werden. Aus Sicht des Juristen ist es eine spannende und strittige Frage, ob sich das Gericht in diesem Fall auf die europäische Grundlage berufen und damit pro Arbeitnehmer entscheiden wird. Die Europäische Sozialcharta – ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen – sieht einen Streik als Individualrecht an. Dieser Rechtsauffassung folgend, dürften einzelne Arbeitnehmer auch ohne Gewerkschaft die Arbeit zum Streik niederlegen. Sollte das Gericht sich auf die Europäische Sozialcharta berufen, wäre damit nicht nur ein Präzedenzfall geschaffen. Aus Sicht des Arbeitsrechtlers könnte das Urteil auch die Rolle der Gewerkschaften schwächen…“ Beitrag von Bianca Von der Au vom 06.10.2021 bei tagesschau.de externer Link – der zitierte Arbeitsrechtler ist von einer Arbeitgeber-freundlichen Kanzlei!

  • Legal, illegal – legitim. Die andauernden »wilden« Streiks beim Lieferdienst Gorillas haben die Diskussion um das Streikrecht neu entfacht 
    „… Die Arbeiter*innen um das Gorillas Workers Collective (GWC) fordern den in Deutschland eingeübten sozialpartnerschaftlichen Umgang mit dem Arbeitskampfrecht radikal heraus. Immer wieder treten sie spontan in den Ausstand für Forderungen nach sicherer Beschäftigung, höheren Löhnen und gesunden Arbeitsbedingungen, ohne dafür eine Gewerkschaft um Erlaubnis zu bitten. Diese Streikerfahrungen meist junger Beschäftigter erinnern an den bekannten Spruch »Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat’s einfach gemacht.« Die andauernde »wilde« Streikbewegung hat die Diskussion um das Streikrecht neu entfacht. Gewerkschaftsaktive, die seit Jahren um eine kämpferische Erneuerung der schwerfälligen DGB-Organisationen ringen, hoffen berechtigterweise, den Impuls nutzen und diese Praxis verbreitern zu können. Andersherum können sie, die den Kampf in den und um die Einheitsgewerkschaften immer als alternativlos gesehen haben, auch ihre Erfahrungen beisteuern, um den Ridern, die mitten im Kampf stehen und erst mal ein durchaus berechtigtes Misstrauen gegenüber sozialpartnerschaftlichen Großorganisationen hegen, zu helfen, eine offensive Orientierung auf ebendiese zu finden. (…) Nach herrschender Rechtsauffassung mögen die genannten Streiks für den Arbeits- und Gesundheitsschutz »illegal« gewesen sein, weil sie weder auf einen Tarifvertrag zielten noch ihnen ein Streik­aufruf einer verhandlungsmächtigen Gewerkschaft vorausging. Beispielhaft für die Gewerkschaftsbewegung ist jedoch die Haltung des GWC, um ihr Recht kämpfen zu wollen. (…) Ob ein spontaner verbandsfreier Streik wie bei Gorillas gewonnen oder verloren wird und ob er somit Spielräume zur weiteren Organisierung öffnet, hängt indes nicht nur von einer oberflächlich betrachteten Legalität ab. Besonders in Bereichen, in denen eine große öffentliche Aufmerksamkeit besteht, kann die Frage der Legitimität ein weitaus größeres Gewicht erlangen. (…) Die »Emotionalität« des Themas Gesundheit am Arbeitsplatz ergibt sich daraus, dass es die Betroffenen unmittelbar in ihrem persönlichen Wohlbefinden betrifft. Ein nachlässiges oder gar schädigendes Verhalten des Arbeitgebers, der offen seine Profitabilität über die Gesundheit der Beschäftigten stellt, kann leicht skandalisiert werden. Die Beschäftigten könnten auf große Anteilnahme der Bevölkerung hoffen. Dass sich der Klassenkampf bei Gorillas in diese Richtung entwickelte, hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Handelnden unbelastet von Vorstellungen über »Legalität« und »Tariffähigkeit« sind, welche deutsche Gewerkschaften manchmal handlungsunfähig machen. (…) Im Vergleich zu der Handlungsfähigkeit der Rider in Situationen einer akuten Gefahr tritt die Misere der deutschen Gewerkschaftsbewegung noch deutlicher hervor. So stellt der Arbeitswissenschaftler Wolfgang Hien fest, dass »eine breite gewerkschaftliche Bewegung für einen partizipativen und effektiven Gesundheitsschutz« in der Corona-Krise ausgeblieben sei. Erst recht gab es hierzulande keine Streiks dafür, eine zeitweilige Schließung der Betriebe zum Zweck des Gesundheitsschutzes von unten zu erzwingen. (…) Man wolle die Unterstützung der Gewerkschaften, aber nicht, dass sie die Regeln bestimmen. »Wir sind diejenigen, die im Unternehmen arbeiten. Wir wissen, wie die Bedingungen dort aussehen. Das ist so eine Sache in Deutschland: Wir haben das Gefühl, dass die Gewerkschaften den ganzen Prozess übernehmen werden, wenn wir uns zu sehr in ihnen verstricken.« Zunächst muss festgehalten werden, dass die Beschäftigten sich mit dem GWC eine basisdemokratische Organisationsform geschaffen haben, die ihren Bedürfnissen unmittelbar entspricht und die ihnen ermöglicht hat, eine Machtposition gegenüber dem Management aufzubauen. Das ist sehr viel wert. Die Skepsis einiger GWC-Aktiver gegenüber den Hierarchien der großen Gewerkschaften basiert auf realen Erfahrungen der Arbeiter*innenklasse und ist berechtigt. (…) Dennoch sind Gewerkschaften als Gegenmacht ein unverzichtbares Mittel zum Machtaufbau der Arbeiter*innenklasse, zumal wenn – wie im Fall von Gorillas – die Chance besteht, das Element der Gegenmacht gegenüber dem Element des Ordnungsfaktors unheimlich stark zu gestalten.“ Artikel von Christoph Wälz am 17. August 2021 im ak 673 externer Link (Vorsitzender des GEW-Bezirksverbands Berlin-Pankow)
  • Ein heißer Herbst gegen das postfaschistische Streikrecht? 
    Immer wieder betonen Arbeitgeber:innen, aber auch Gewerkschaftssekretär:innen, dass wilde und politische Streiks in Deutschland illegal seien. Im Wesentlichen stützen sie sich auf Urteile eines Nazi-Richters aus den 50er Jahren. Doch im bevorstehenden heißen Streik-Herbst besteht die Möglichkeit, das Recht auf Streik auszuweiten. (…) Der Kampf gegen das restriktive deutsche Streikrecht findet also nicht nur vor Gerichten, sondern auch innerhalb der Gewerkschaften statt – aber vor allem auf der Straße. Die DGB-Gewerkschaften können nur demokratisiert werden, wenn sich eine demokratische Streikkultur entwickelt, die Streikversammlungen als höchstes Gremium eines Arbeitskampfes etabliert. Und um einen Präzedenzfall zu schaffen, der das Verbot von politischen und verbandsfreien Streiks kippt, braucht es politische und wilde Streiks. Wir stehen vor einem heißen Herbst, der möglicherweise auch zu einer Ausweitung des Streikrechtes führen könnte. Der wilde und immer politischer werdende Arbeitskampf von Gorillas ist noch lange nicht befriedet und fordert auch zunehmend die Gewerkschaften ver.di und NGG heraus. In Berlin wird es wahrscheinlich vor den Wahlen im September zu Streiks in den Krankenhäusern kommen und auch die Eisenbahner:innen-Gewerkschaft GDL bereitet einen Erzwingungsstreik noch vor den Bundestagswahlen vor. Gut möglich ist, dass der Bahnvorstand den Streik mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes verbieten möchte. (…) Ohne eine solche Offensive werden sich die Machtpositionen nicht verschieben lassen. Eine große gemeinsame Streikbewegung von Bahn, Krankenhäusern, Einzelhandel und Gorillas vor der Wahlen, die auch politische Forderungen aufstellt, könnte die Kräfteverhältnisse im Klassenkampf und damit auch Machtpositionen wirklich ein Stück weit verschieben.“ Beitrag von Simon Zamora Martin vom 3.8.2021 bei Klasse gegen Klasse externer Link bezogen auf den Vortrag von Benno Hopmann
  • Scharfe Waffe. Darf man verbandsfrei, oder darf man nicht? Über das Kampfmittel des »wilden« Streiks und das Menschenrecht auf Arbeitsniederlegung 
    „… Als Folge der Novemberrevolution erhielt das Streikrecht erstmals Verfassungsrang. Und mit kaum geändertem Wortlaut wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Koalitionsfreiheit in das Grundgesetz aufgenommen. Der erste Satz des Artikels 9 Absatz 3 Grundgesetz lautet: »Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und alle Berufe gewährleistet.« Im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung 1968 wurde auf Druck der Gewerkschaften in einem dritten Satz auch der Arbeitskampf ausdrücklich durch das Grundgesetz geschützt. Diese grundrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit ist ein sogenanntes Doppelgrundrecht: Es schützt sowohl den einzelnen Arbeiter, wenn er sich organisieren, zusammenschließen und gegen die Machtpositionen der Unternehmer angehen will, als auch den Bestand und die Betätigung der Koalitionen selbst, zum Beispiel der Gewerkschaften. Das Grundgesetz spricht nicht von Gewerkschaften, sondern allgemeiner von »Vereinigungen«. Das Bundesverfassungsgericht verwendet in seinen Entscheidungen ebenfalls nicht den Begriff Gewerkschaften, sondern den Begriff Koalitionen. Der Wortlaut »Vereinigungen« lässt sehr wohl zu, darunter auch Zusammenschlüsse zu fassen, die nur zum Zweck eines Streiks gebildet werden, um bestimmten Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das ist, was die Beschäftigten des Lieferdienstes Gorillas gemacht haben. Solche Zusammenschlüsse werden auch Ad-hoc-Koalitionen genannt. Diese Streiks werden manchmal »wilde« Streiks genannt. Wir wollen sie verbandsfreie Streiks nennen und damit andeuten, dass die Gewerkschaft nicht dazu aufruft und sie auch nicht nachträglich übernimmt. (…) Mögen solche Ad-hoc-Koalitionen für eine bestimmte Dauer und aus einem bestimmten Anlass auch »Gewerkschaften« genannt werden, sie sind es nicht in dem Sinne, dass sie Tarifverträge abschließen könnten. »Ad-hoc-Koalitionen« sollen streiken können, um ein Unternehmen zum Beispiel zur Ausgabe eines Diensthandys für jeden Rider zu zwingen – nicht im Sinne eines Tarifvertrags, aber im Sinne einer Absprache. Das wäre der Weg, um ein völkerrechskonformes Streikrecht in Deutschland durchzusetzen. (…) Wichtig ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in der er für die Rechtmäßigkeit eines Streiks einer kroatischen Ärztegewerkschaft ohne weitere Begründung hat ausreichen lassen, dass eine hilfsweise erhobene Tarifforderung auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet war, während die beiden Hauptforderungen offensichtlich rechtswidrig waren. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet genau andersherum: Ist auch nur eine Forderung nicht zulässig, ist der ganze Streik unzulässig. Das Verbot des verbandsfreien Streiks richtet sich am Ende gegen die Gewerkschaften selbst. (…) Was das Streikrecht angeht, haben inzwischen fast alle Gewerkschaften Beschlüsse gefasst, in denen das politische Streikrecht gefordert wird. Doch es wird kaum die Frage diskutiert, wie diese Forderung durchgesetzt werden kann. Es ist den wenigsten bewusst, dass sich diese Forderungen nicht an den Gesetzgeber richten können, weil das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem schlechteren Recht führen würde. Da sind sich wohl alle gewerkschaftlich orientierten Juristen einig. Daher bleibt nur der Versuch, ein besseres Recht über die Rechtsprechung durchzusetzen. Das verlangt aber als ersten Schritt den gezielten und kalkulierten Rechtsbruch…“ Artikel von Benedikt Hopmann in der jungen Welt vom 03.08.2021 externer Link – die gekürzte Fassung des Referats »Mythos wilder Streik und Illegalität. Zum Grundrecht auf Streik« von Benedikt Hopmann, gehalten bei einer von der »Aktion Arbeitsunrecht« organisierten Veranstaltung am 30. Juli in Berlin.
  • Video des Vortrags von RA Benedikt Hopmann zum Mythos „wilder“ Streik und 2 Berichte
    • Mythos „wilder“ Streik + Illegalität. Zum Grundrecht auf Streik
      Sind verbandsfreie Streiks wirklich illegal? Wir meinen: Deutsche Rechtsprechung widerspricht Europäischer Sozialcharta. Vortrag von RA Benedikt Hopmann: Durch die Aktivitäten der Gorillas Workers in Berlin geht das Gespenst des „wilden“ Streiks plötzlich wieder in Deutschland um. Die Wirtschaftspresse überschlug sich im Sommer 2021 förmlich, prompt wurde Arbeitsminister Heil aktiv. Denn wilde Streiks gelten als Seismograf für bevorstehende Unruhen.“ Video der Live-Übertragung am 30.07.2021 im youtube-Kanal von arbeitsunrecht FM externer Link – siehe 2 Berichte:
    • Streik ohne Blaupause. Anwalt stärkt Beschäftigten des Lieferdienstes Gorillas bei Arbeitskampf juristisch den Rücken
      „»Nach der Europäischen Sozialcharta, der Deutschland im Bereich des Streikrechts vollumfänglich zugestimmt hat, sind verbandsfreie Streiks sehr wohl legal!« Das sagt der Berliner Rechtsanwalt Benedikt Hopmann, eine Arbeitsrechtsspezialist. Anlass für seine Worte sind die aktuellen Arbeitskämpfe beim Lebensmittel-Bringdienst Gorillas. Am Freitagabend war er von dem Verein »Aktion gegen Arbeitsunrecht« eingeladen worden, um in einem juristisch-politischen Vortrag per Livestream seine Expertise darzulegen. Laut Hopmann nimmt die Europäische Sozialcharta (ESC), die Koalitionsfreiheit der Beschäftigten zum Ausgangspunkt für Streiks und Arbeitskämpfe. Sie beschränke sich keineswegs nur auf Gewerkschaften. »Es geht in der ESC nicht allein um das Recht der Gewerkschaften, Arbeitskämpfe mit dem Ziel durchzuführen, einen Tarifvertrag abzuschließen, sondern auch um das Recht von Zusammenschlüssen von Beschäftigten eines Betriebs, die sich auch ad-hoc und spontan zusammenfinden können, um ihre Forderungen durchzusetzen, die auch nicht im Sinne eines Tarifvertrags sein müssen«, erläutert Hopmann. Dass die Bundesrepublik und das Bundesarbeitsgericht nicht auf dieser Grundlage handeln und lediglich Arbeitsniederlegungen anerkennen, die von Gewerkschaften mit dem Ziel ausgehen, Tarifverträge zu verhandeln, sei seiner Einschätzung nach ein Skandal und »ein andauernder Bruch des Völkerrechts.« Er hoffe, dass der Europäische Gerichtshof in Straßburg in absehbarer Zeit ein Machtwort in Sachen verbandsfreier Streiks spricht. (…) »Dass ihr eure Rechte wahrnehmt, ist eine starke Sache, da ihr kein Streikgeld bekommt«, sagt Hopmann in Richtung der Gorillas-Rider. Für zukünftige Streikaktionen empfiehlt der Experte den Beschäftigten zwei Dinge. Erstens: eine Vermittlerperson zu benennen, die auf den Chef zugeht. Zweitens: mindestens eine Forderung zu erheben, die nicht auf eine Änderung des Vertragsverhältnisses abzielt. Das könnte etwa die Forderung nach einem Diensttelefon sein, so Hopmann. Für »wilde«, verbandsfreie Streik, gebe es keine Blaupause und keinen rechtlichen Ablaufplan. »Aber es lohnt sich, weiterzukämpfen.«“ Artikel von Maximilian Breitensträter vom 01.08.2021 im ND online externer Link
    • Rechtsbruch mit Macht. Berlin: Veranstaltung über Legitimität »wilder Streiks«. Anwalt Hopmann verweist auf Sozialcharta
      Die Feststellung ist eindeutig: Deutschlands sehr restriktives Streikrecht stehe im Widerspruch zu fundamentalen Menschenrechten, betonte Arbeitsrechtler und Anwalt Benedikt Hopmann am Freitag im Stadtteilladen »Kommune 65« im Berliner Wedding. Eingeladen zum juristischen Fachvortrag hatte die Initiative »Aktion Arbeitsunrecht« – der Titel: »Mythos wilder Streik und Illegalität. Zum Grundrecht auf Streik«. (…) Hopmann spricht in diesem Kontext lieber von »verbandsfreien Streiks«, die in der jungen BRD vom ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes (BAG), Hans Carl Nipperdey, für illegal erklärt worden waren. »In der Weimarer Republik und selbst im Kaiserreich war das Streikrecht nicht abhängig von einem Gewerkschaftsverband«, bemerkte der Anwalt. Erst unter Nipperdey kam gewissermaßen die Wende. Dieser machte bereits unter den Nazis Karriere. Sein »Durchbruch« gelang ihm als einer der Verfasser der »nationalsozialistischen Arbeitsgesetzgebung«. Im Arbeitsordnungsgesetz wurde das Führerprinzip in den Betrieben durchgesetzt. In seiner späteren Funktion als BAG-Präsident fixierte er mit seinen arbeitsgerichtlichen Urteilen bis heute gültige Grundpfeiler des Streikrechtes in der BRD, wie etwa das Verbot von »wilden« Streiks. Seine Argumentation: Es bräuchte eine Stelle, die gewährleistet, dass Streiks nur in einem vertretbaren Rahmen durchgeführt werden, meinte er. Das könnten Nipperdey zufolge keine freien Zusammenschlüsse von Arbeiterinnen und Arbeitern sein, sondern nur Gewerkschaften mit ihren tarifierbaren Forderungen. Also Forderungen, die nach Ansicht der Gerichte in einem Tarifvertrag zwischen Gewerkschaft und Kapitalseite vereinbart werden können – und die die heilige unternehmerische Freiheit nicht einschränken. »Nipperdey empfahl sich für den Posten als BAG-Präsidenten mit einem Gutachten, das er 1953 für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände über die Zeitungsstreiks von 1952 schrieb«, erklärte Hopmann. Damals legten in der BRD die Drucker aus Protest gegen das neue Betriebsverfassungsgesetz für zwei Tage die Arbeit nieder. Auf Grundlage von Nipperdeys Gutachten verboten die meisten Landesarbeitsgerichte den politischen Streik und verdonnerten die Gewerkschaften zu Millionenstrafen. Eine finale Entscheidung vom BAG oder Verfassungsgericht zum politischen Streik gibt es jedoch bis heute nicht. (…) Hopmann ist sich sicher, dass das Verbot von politischen und verbandsfreien Streiks juristisch gekippt werden kann. Spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch dazu bräuchte es einen Präzedenzfall. Um diesen nicht zu schaffen, käme es gerade bei solcherlei Arbeitsniederlegungen – wie vergangenes Jahr gegen den Naziterroranschlag in Hanau oder im Kontext des Klimastreiks – zu auffällig wenig Repressionen. Eine juristische Feststellung, dass die Einschränkungen im deutschen Streikrecht völkerrechtswidrig sind, ist laut Hopmann wichtig, um besser für solche Streiks mobilisieren zu können…“ Artikel von Simon Zamora Martin in der jungen Welt vom 02.08.2021 externer Link
  • ab 19.00 Uhr im Stadtteilladen Kommune65, Buttmannstr. 1 A, 13357 Berlin
  • Im Stadtteilladen können vor Ort — aufgrund von Corona-Bestimmungen — nur 20 Personen teilnehmen. Wir bieten interessierten Gewerkschaftern, Juristen und Publizist_innen an, der Veranstaltung  per Zoom-Webinar beizuwohnen. Dafür bitten wir um Anmeldung unter kontakt(a)arbeitsunrecht.de. Alle Interessierten können dem Vortrag per Live-Stream frei im Netz folgen: https://arbeitsunrecht.de/FM externer Link
  • Siehe zum aktuellen Hintergrund unser Dossier: [Q-commerce] Schneller, als die Eiscreme schmilzt: Lieferservice Gorillas
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=191981
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