Ein Stück Arbeitskampf­geschichte: Seit zehn Jahren wehren sich Beschäftigte bei Amazon gegen ihren Arbeitgeber

amazon strikers meetBad Hersfeld und Leipzig im Mai 2013: Von hier gingen die Bilder von Streikenden vor den riesigen grauen Amazon-Distributionshallen durch die Medien. Es waren die ersten Streikaktivitäten in der Unternehmensgeschichte von Amazon überhaupt, getragen von Beschäftigten an den beiden Standorten und ihrer Gewerkschaft ver.di. Zehn Jahre später ist das Unternehmen nicht mehr dasselbe und der Konflikt noch immer nicht befriedet. An zahlreichen deutschen sowie international verstreuten Standorten protestieren die Beschäftigten heute regelmäßig gegen das Unternehmen. Was bedeuten die Jahre des intensiven Arbeitskampfes bei Amazon für die Linke? Ein Blick zurück und nach vorn…“ Artikel von Sabrina Apicella am 18. April 2023 im ak 692 externer Link und mehr daraus/dazu:

  • Streiktag bei Amazon in Bad Hersfeld am 26. Mai feiert 10 Jahre Kampf und gedenkt Christian Krähling New
  • Zehn Jahre Arbeitskampf bei Amazon: »We Never Give Up«: Der Kampf geht weiter bis zum Tarifvertrag
    „»We Never Give Up« – Wir geben niemals auf. Unter diesem Motto begehen die Beschäftigten bei Amazon in  diesen Tagen den zehnten Jahrestag des Beginns ihres Arbeitskampfes.
    Am frühen Morgen des 14. Mai 2013, einem Dienstag, hatten insgesamt 1.700 Kolleginnen und Kollegen in Bad Hersfeld und  Leipzig zum ersten Mal die Arbeit niedergelegt, um ihrer Forderung nach Abschluss eines Tarifvertrages Nachdruck zu verleihen.  ver.di fordert vom Konzern die Anerkennung der Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels. Ebenso wie die etwas später hinzugekommene Forderung nach einem Tarifvertrag Gute und Gesunde Arbeit ist dieses Ziel bis heute nicht  erreicht. Doch die Erfolge können sich trotzdem sehen lassen. 2013 hatte der damalige Deutschland-Chef des Onlinehändlers, Ralf  Kleber, ver.di noch vorgeworfen, mit der Tarifforderung »überzogene Erwartungen geschürt« zu haben. Doch seither sah sich  Amazon gezwungen, praktisch jährlich die Einkommen der Beschäftigten zu erhöhen, so dass zumindest die Stundenlöhne nicht  mehr weit von den Tarifgehältern entfernt sind. Das ist das Ergebnis des unermüdlichen Streitens Tausender Kolleginnen und  Kollegen. Seit dem Auftakt vor zehn Jahren gab es für Amazon keine Ruhe mehr…“ Beitrag vom 10. Mai 2023 bei ver.di Handel externer Link
  • Weiter aus dem Artikel von Sabrina Apicella am 18. April 2023 im ak 692 externer Link: „… Diese Dequalifizierung der menschlichen Arbeit, die auf einfachste Tätigkeiten heruntergebrochen wurde, erlaubt zudem den extensiven Einsatz von befristeten und saisonalen Arbeiter*innen, da sie in nur wenigen Stunden eingearbeitet werden müssen. Sie hat aber auch zu einer Diversifizierung der Belegschaften geführt, da Amazon Menschen, egal welches Alters, welches Geschlechts, oder welcher Muttersprache einstellt: Hauptsache, sie machen ihren Job.
    Diese Belegschaften stehen einem Management gegenüber, das einen extrem leistungsbetonten, paternalistischen und hierarchisch-autoritären Führungsstil pflegt. Entsprechend ablehnend agiert das Unternehmen auch gegenüber Gewerkschaften. Mitbestimmungsstrukturen im Betrieb sind wenig ausgeprägt und wenig demokratisch. »Union busting«, also die systematische Behinderung von Gewerkschaftsarbeit durch Einschüchterungsstrategien oder gezieltes Mobbing von Aktiven, ist in vielen Verteilzentren an der Tagesordnung. Und Amazon orientiert sich an niedrigen Löhnen oder (in Ländern wie Italien, wo es hierzu gesetzlich verpflichtet ist) an den niedrigsten Tarifverträgen. (…) Dieses »Prinzip Amazon« sorgte in den vergangenen drei Jahrzehnten für immer mehr Widerstand. Für die Vehemenz und Entschlossenheit, mit der die aktivistischen Kolleg*innen seit Jahren in den Konflikt mit dem Arbeitgeber gehen, verdienen sie großen Respekt. Gerade weil es dem Konzern immer noch gelingt, Teile der Belegschaften in einem »Pro-Amazon-Lager« zu halten und weil ihnen durch die gewerkschaftlichen Aktivitäten erhebliche Nachteile bis hin zu Kündigungen, entstehen können. Dennoch ist es gelungen, Missstände wie der fehlende Tarifvertrag, fehlende Mitbestimmung, Strategien des Union Bustings oder auch die minutiöse Überwachung von Arbeiter*innen öffentlich zu machen. Und es wurden erhebliche Erfolge erzielt: So haben sich die Löhne seit Beginn der Streiks dem Tarifniveau im Einzel- und Versandhandel immer weiter angenähert. An allen größeren Standorten wurden Betriebsräte eingerichtet. Pausenprotokolle und der Countdown-Button auf den Handscannern wurden abgeschafft.
    Die Journalistin Nina Scholz sieht die Amazon-Streiks als Vorbild für moderne gewerkschaftliche Organisierung und internationale Solidarität. Zu Recht, denn hier haben Gewerkschaften auf die Initiative der Beschäftigten hin mit intensiver Organisierungsarbeit reagiert. Aktive aus den jeweiligen Amazon-Standorten beraten sich zudem regelmäßig gemeinsam mit engagierten Gewerkschaftsfunktionär*innen und Unterstützer*innen auf Netzwerktreffen, planen hier weitere Aktionen und fordern die Unterstützung der Gewerkschaft dafür aktiv ein. In Kassel, Leipzig oder Hamburg haben sich außerdem Solibündnisse gegründet.
    Gelebte Solidarität und Vernetzung gibt es zudem schon lange auch international. Allerdings nicht ohne Hindernisse: Allein Europa ist ein Flickenteppich von extrem auseinanderdriftenden Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Amazon für sich zu nutzen weiß. Einheitliche Lohnforderungen werden dadurch verhindert; auch das Arbeits- und Streikrecht unterscheidet sich je nach Standort meist fundamental. Dennoch sind mehrere internationale, vorrangig europäische Netzwerke entstanden, etwa beim Dachverband Uni Global Union oder Amazon Workers International, in denen Amazon-Aktive aus unterschiedlichen Ländern gemeinsam mit Gewerkschaftsfunktionär*innen, unabhängigen Basisgewerkschaften oder linken Aktivist*innen organisiert sind, sich austauschen und gegenseitig unterstützen. (…)
    Sich mit den Amazon-Streiks zu befassen scheint aber auch deshalb geboten, weil ein gigantischer Reorganisierungsprozess im Handel, eine prägende Branche des zeitgenössischen Kapitalismus, längst in vollem Gange ist. In den USA werden diese Debatten von links auch mit Themen wie Degrowth, Commons oder Klimagerechtigkeit verbunden; hier bietet sich die Chance zu einer politischen Intervention, die über die Frage der Arbeitsbedingungen bei einem global agierenden Unternehmen hinausreicht. Es wäre eine Möglichkeit, die Frage zu bearbeiten, wie wir zukünftig, weit über die eigenen Staatengrenzen hinaus, arbeiten und leben wollen, ohne Leistungsdruck, digitale Überwachung und krankmachende Arbeit.“
  • Siehe unter vielen auch: Der Kampf bei Amazon – mehr als nur eine Frage gerechter Entlohnung: Ein Drama in 5 Akten
  • Und für weltweite Beispiele unsere gesamte Rubrik Amazon
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=210981
nach oben