Gewerkschaften globalisieren?
„Wo man hinkommt, wird über Globalisierung gesprochen. Im gewerkschaftlichen Feld ergibt sich daraus fast zwangsläufig die Schlussfolgerung: »ArbeiterInnen müssen sich global organisieren!«, »Gewerkschaften müssen sich internationalisieren!« Ich will nicht behaupten, dies seien nicht zentrale Elemente einer lebendigen Gewerkschaftspolitik, um der entfesselten Macht des globalen Kapitals etwas entgegenzusetzen. Ich denke aber doch, dass unsere Antworten etwas komplexer sein müssten als ein simples ›Wir müssen uns globalisieren‹. Kompliziert wird die Lage unter anderem durch die Frage der Geographie…“ Artikel von Anrew Herod in der Zeitschrift LuXemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis Heft 3-4/2013
- Aus dem Text: „… Von der Geographie der Arbeit können wir lernen, warum Raum und Ort wichtig sind, um zu verstehen, warum ArbeiterInnen tun, was sie tun, wenn sie Strategien zur Verbesserung ihres Lebens entwickeln. Raum und Ort bilden nicht einfach nur den Hintergrund ökonomischer und politischer Kämpfe oder die Bühne, auf der diese stattfinden. Sie sind vielmehr deren zentraler Bestandteil. Die Geographie des Kapitalismus hat beispielsweise konkrete Auswirkungen auf das Leben von ArbeiterInnen. Die Art und Weise, wie Kapitalisten sich diese ökonomische Landschaft des Kapitalismus wünschen – nämlich als Landschaft der Rentabilität statt der Nicht-Rentabilität –, wird tendenziell nicht den Vorstellungen der ArbeiterInnen entsprechen, da diese Rentabilität möglicherweise auf Arbeitslosigkeit beruht. Aber auch unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten können voneinander abweichende Vorstellungen davon haben, wie die ökonomische Geographie des Kapitalismus gestaltet sein sollte: ArbeiterInnen einer Community sind möglicherweise daran interessiert, dass bei ihnen investiert wird und dadurch (so hoffen sie) Arbeitsplätze geschaffen werden; diese Investitionen wiederum können zu Lasten von Beschäftigten in anderen Communities gehen, deren Werk wegen der räumlichen Neuverteilung des Firmenkapitals vielleicht geschlossen wird. Unterschiedliche soziale Akteure – verschiedene Segmente des Kapitals sowie unterschiedliche Gruppen von ArbeiterInnen – können also konfligierende Interessen hinsichtlich der Frage vertreten, wie die Geographie des Kapitalismus strukturiert sein soll. Und dies wiederum beeinflusst die Verhaltensweisen der jeweiligen Akteure. (…) Eine geographische Perspektive ist außerdem deshalb wichtig, weil Kämpfe an einem Ort dramatische Konsequenzen haben können für Beschäftigte, die hunderte oder tausende von Kilometern weit entfernt sind. (…) Ist also transnationale Organisierung eine notwendige Voraussetzung für Erfolg? Die kurze Antwort auf diese Frage lautet nein. Sicherlich ist es oft nötig, Solidarität zwischen ArbeiterInnen über nationale Grenzen hinweg aufzubauen, um transnational organisierten Unternehmen erfolgreich etwas entgegenzusetzen. (…) Trotz des Erfolges dieser und vieler ähnlicher Kampagnen ist es jedoch in bestimmten Fällen nicht nur nicht notwendig, eine transnationale Kampagne zu entwickeln, sondern kann sogar kontraproduktiv sein, weil möglicherweise Ressourcen gebunden werden, die anderswo gebraucht werden. (…) Ist transnationale Organisierung immer fortschrittlich? Auch hier ist die Antwort nein. Entgegen einer häufigen Vermutung zeigt eine Analyse transnationaler Organisierung aus geographischer Perspektive, dass dies nicht immer der Fall ist. Ausschlaggebend ist, ob ArbeiterInnen sich über den Raum hinweg zusammenschließen, um Klasseninteressen voranzutreiben oder ob sie ihre jeweiligen ›geographischen Interessen‹, also ihre Interessen gemäß einer örtlich gebundenen Perspektive verfolgen…“