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Zeitwohlstand statt Arbeitsfetisch: 25 Jahre Kongress »Anders arbeiten – oder gar nicht?!«
„Rund 300 Menschen kamen 1999 zu einem Kongress in der Berliner Humboldt-Universität zusammen, um über Perspektiven für das Thema Arbeit zu diskutieren. Mit der Bundestagswahl im September 1998 endete die 16-jährige Amtszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), fortan stellten SPD und Bündnis 90/Grüne die Regierung. Aus diesem Anlass lud der politische Förderfonds Netzwerk Selbsthilfe im Herbst 1998 zum Vorbereitungstreffen für einen Kongress zu 100 Tagen rot-grüne Bundesregierung ein. Ich selbst war für die »Contraste – Monatszeitung für Selbstorganisation« dabei. Netzwerk Selbsthilfe war 1978 aus dem legendären Tunix-Kongress an der TU Berlin entstanden, vor allem, um vom Berufsverbot Betroffene bei der Gründung von Kollektivbetrieben zu unterstützen…“ Artikel von Elisabeth Voß vom 19. April 2024 in Neues Deutschland online und mehr daraus sowie ein weiterer von Anne Seeck zum Thema:
- 25 Jahre Kongress »Anders arbeiten – oder gar nicht?!«
Weiter aus dem Artikel von Elisabeth Voß vom 19. April 2024 in Neues Deutschland online : „… Zur Kongressvorbereitung trafen wir uns im »Haus der Demokratie«, dem Sitz der DDR-Bürgerbewegung seit 1990. Von Anfang an gab es die Idee einer breiten Vernetzung, und so kamen Leute aus Erwerbslosengruppen, selbstverwalteten Projekten, verschiedenen Bürger*innen-Initiativen und auch aus Verbänden zusammen. Die Vorbereitungen dauerten länger als geplant und so fand der Kongress mit dem Titel »Anders Arbeiten – oder gar nicht?!« erst im April 1999 statt. (…) Wir setzten auf den »Dritten Sektor«, einen Wirtschaftsbereich für gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten jenseits von Markt und Staat. Unter diesem umstrittenen Begriff verstanden wir genossenschaftliche Ansätze der Arbeiter*innenbewegung und der Gewerkschaften, selbstverwaltete Betriebe und Projekte aus der Alternativ- und Frauenbewegung sowie Bürgerrechtsbewegungen aus Ost und West. (…) In einer »Taz«-Beilage zum »Anders arbeiten«-Kongress bekundeten wir unsere Überzeugung, dass »dieser sogenannte ›3. Sektor‹ ungeahnte Potentiale kreativer Entfaltung und auch Möglichkeiten der Existenzsicherung für Menschen, die gewollt oder ungewollt aus der Erwerbsarbeit herausfallen«, bieten würde. Um ihn auszubauen, forderten wir einen demokratisch ausgestalteten »Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor« (ÖBS), in dem Erwerbslosen eine tariflich entlohnte Tätigkeit angeboten werden sollte. Dabei käme es darauf an, dass diese Arbeit freiwillig sei, also nicht auf Zwangszuweisungen mit Sanktionsdrohung beruhe. Ebenso wichtig wie das »Anders arbeiten« war das »oder gar nicht« im Titel des Kongresses: Jede*r sollte das unabdingbare Recht auf Existenz im Sinne einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben, ohne Arbeitszwang. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) schlug dafür ein bedingungsloses »Existenzgeld für alle hier lebenden Menschen, unabhängig von Nationalität, Alter, Geschlecht« in Höhe von 1500 DM plus Warmmiete vor. Finanziert werden sollte es nach dem »Take Half«-Modell einer 50-prozentigen Einkommensteuer, deren Summe dann gleichmäßig nach Köpfen zu verteilen sei. Eine »Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums« sollte allerdings nach unserer Auffassung nicht nur zwischen »Oben und Unten«, sondern auch zwischen »Nord und Süd« erfolgen. Wir forderten Mittel für Entwicklungspartnerschaften mit dem Süden und eine Reformierung der Entwicklungszusammenarbeit zur »Erleichterung und Entwicklung der Subsistenzökonomie der Länder des Südens«. Finanziert werden sollte das durch »eine zweckgebundene Welthandelssteuer und Tobin-Steuer auf Devisenspekulationen« (eine Finanztransaktionssteuer, Anm. d. Red.). Den ärmsten Ländern des Südens sollten ihre Schulden erlassen werden. (…) 25 Jahre nach dem Kongress haben sich gesellschaftliche Widersprüche und soziale Spaltungen noch weiter verschärft. (…) Armut und Obdachlosigkeit haben in der BRD zugenommen, die gesellschaftliche Kälte und Entsolidarisierung verfestigte sich weiter und zeigt sich aktuell besonders im menschenverachtenden Umgang mit flüchtenden Menschen. Aber auch Arbeitskämpfe und Gründungen von Kollektivbetrieben nehmen wieder zu. Offensichtlich sind nach wie vor grundlegende gesellschaftliche Veränderungen notwendig.“ - Zeitwohlstand statt Arbeitsfetisch: Gegen Erwerbslosigkeit und neoliberale Umstruktierung des Arbeitsmarktes entstand in der Nachwendezeit eine breite Bewegung
„Vom Ende der 1990er bis in die Mitte der 2000er Jahre bestand in der Bundesrepublik eine sehr hohe Erwerbslosigkeit. Ich erlebte damals selbst, wie auch verstärkt arbeitskritische Debatten geführt wurden. Diese scheinen heute – in Zeiten des sogenannten Fachkräftemangels – vergessen zu sein, obwohl viele Menschen von ihrer Lohnarbeit erschöpft sind. Ich habe zwei Leben. Als der Staat begann, Akten über mich als eine für den Produktionsprozess »überflüssige« Person anzulegen, baute ich mir eine Parallelwelt auf. In diesem anderen Leben jenseits der Lohnarbeit versuchte ich, nach meinen Bedürfnissen und Fähigkeiten tätig zu sein und konnte meine Zeit durch meine zumeist ehrenamtlichen Aktivitäten sinnvoll nutzen. (…) Einige von uns ließen sich in ihrer politischen Tätigkeit von der Schrift »Recht auf Faulheit« des französischen Sozialisten Paul Lafargue aus dem Jahr 1880 inspirieren, in der er sich kritisch mit der 1848 aufkommenden Forderung nach einem »Recht auf Arbeit« auseinandersetzte. Die Arbeiterklasse sei von einer rasenden Arbeitssucht beherrscht, heißt es dort. Auch das »Manifest gegen die Arbeit« der Gruppe Krisis, veröffentlicht 1999, war für uns bedeutend. Es beginnt mit den provozierenden Worten: »Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft – der Leichnam der Arbeit.« Im Rahmen einer Veranstaltung der »Hängematten« gründete sich damals die kleine Gruppe »Feierabend«, benannt nach dem gleichnamigen Buch, das im Jahr 1999 von der Gruppe Krisis veröffentlicht wurde. Darin arbeitet der Autor Götz Eisenberg die bürgerliche Herkunft der hohen Wertschätzung der Arbeit heraus. Während die Menschen anfangs noch vor den Verhaltenszumutungen der Lohnarbeit geflohen seien, werde Arbeitslosigkeit in der Folge eines langen »Dressurprozesses« durch die kapitalistischen Verhältnisse schließlich als sozialer Tod erlebt. Eine weitere Organisierung zum Thema Lohnarbeitskritik waren die »Glücklichen Arbeitslosen« die sich im August 1996 im Berliner Prater gegründet hatten. Unter anderem initiierten sie »Spaziergänge«, verstanden als kollektives Herumstreifen, und veröffentlichten das »Manifest der Glücklichen Arbeitslosen«, was eine gewisse Berühmtheit erlangte. Die Gruppe betrachtete es als ihre »altruistische Pflicht«, die »Mangelware Arbeit« denen zu überlassen, die sie partout wollten, aber selbst darauf zu verzichten. Die Aktivist*innen hatten viel Zeit, brauchten aber auch Geld als Voraussetzung für ein behagliches soziales Leben, wie sie in ihrem 2002 veröffentlichten Buch »Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche« feststellen. So hielt durch die schreibmächtigen »Glücklichen Arbeitslosen« endlich wieder die Kritik der Arbeit Einzug in linke Debatten. (…) Natürlich geht es für alle diejenigen ohne Lohnarbeit – und zunehmend auch für Beschäftigte – weiterhin auch um die existenzielle Frage: Wovon leben, wie überleben? Der Staat sorgt dafür, dass diese Menschen in einer Krisensituation gehalten werden: durch Schikanen der Ämter, einen niedrig gehaltenen Regelsatz für das »Existenzminimum« sowie Sanktionen beim Bürgergeld und die Stigmatisierung von Erwerbslosen in der Öffentlichkeit. Praktisch gelebte Lohnarbeitskritik ist daher nur sehr schwierig umzusetzen. Der erwähnte Fachkräftemangel, der übrigens auch durch niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen ausgelöst wurde, setzt Menschen moralisch unter Druck, sich dem kapitalistischen Arbeitsregime zu unterwerfen. Dabei wollen viele einfach von der Produktionsmaschinerie in Ruhe gelassen werden – in einer Zeit oft sinnlosen Produktivitäts- und Konsumwahns. Und gerade wenn sich die Bedingungen immer weiter verschlechtern, bleibt die Aufgabe dieselbe, die wir schon in den 90ern formuliert haben: Wir müssen weg vom Zwang zur Lohnarbeit, von den vielen »Bullshit«- und Billig-Jobs hin zu einer anderen, besseren Welt ohne Profitmaximierung und Wachstumslogik. Das Motto lautet: Zeitwohlstand für alle!“ Artikel von Anne Seeck vom 19. April 2024 in Neues Deutschland online
Siehe dazu:
Im LabourNet-Archiv u.a.:
- Plattform: Für eine andere Arbeit.Die Plattform der BAG-Erwerbslose, Bundesarbeitsgemeinschaft unabhängiger Erwerbsloseninitiativen und Kontaktadressen
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Gesellschaftlicher Fortschritt heute heißt Aufhebung der Arbeit. Ein Referat, gehalten von Lothar Galow-Bergemann am 10.Mai in Stuttgart zur Diskussionsveranstaltung „Hat die Arbeit Zukunft?“
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Konkrete Utopie jenseits der Arbeit?
Im Geschwindigkeitsrausch einer globalisierten und tendenziell totalen Warengesellschaft verbreitet sich eine bedrückende Mußelosigkeit, während „Muße“ immer weniger erreichbar erscheint, weder als Frucht von (Erwerbs)Arbeit, noch von Erwerbslosigkeit. Im Folgenden wird diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen „Muße“ zur Grundlage für eine konkrete Utopie (im Blochschen Sinne) jenseits von Arbeit werden kann. Artikel von Anneliese Braun, veröffentlicht in Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Heft 38, Juni 1999 - Die Rubrik Zeit statt Konsum – Arbeitsverweigerung