Der 50. Jahrestag des Radikalenerlasses steht bevor – die Zeit ist reif, mehr Demokratie zu wagen!

Dossier

Der 50. Jahrestag des Radikalenerlasses steht bevor – die Zeit ist reif, mehr Demokratie zu wagen!… Zusammen mit seit den 70er Jahren von Berufsverbot Betroffenen bereiten GewerkschafterInnen und AktivistInnen aus der Demokratiebewegung den 50. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses vor und fordern: „Endlich Aufarbeitung, Rehabilitierung und Entschädigung!“ (…) Nicht nur die unmittelbar Betroffenen haben immer noch mit den Auswirkungen zu kämpfen. (…) Es gilt, die ehemaligen Betroffenen zu rehabilitieren und angemessen zu entschädigen, die Auswirkungen des „Radikalenerlasses“ auf die demokratische Kultur wissenschaftlich zu untersuchen, die Rolle des „Verfassungsschutzes“ bei der Bespitzelung der Betroffenen aufzuarbeiten und Konsequenzen zu ziehen. Geplant werden für 2022, das 50. Jahr des „Radikalenerlasses“, bundesweit Aktionen, Ausstellungen, sowie Film- und Kulturveranstaltungen…“ Presseerklärung vom 16.10.2020 externer Link des „Arbeitsausschusses der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Grundrechte“ – siehe dazu:

  • Winfried Kretschmanns Eiertanz um Berufsverbote und Radikalenerlass – und die Stellungnahme der Berufsverbote-Betroffenen
    • „Wer uns m it Nazis in einen Topf schmeißt…“ – Kretschmanns wenig offener Brief zu den Berufsverboten New
      Mit dem sogenannten „Radikalenerlass“ von 1972 wurde bis zuletzt 1991 (Bayern) Bewerber*innen aus dem linken Milieu der Eintritt in den Staatsdienst, sowie bei Post und Bahn verwehrt, was in nahezu allen Fällen auf ein totales Berufsverbot hinauslief. Besonders streng wurde die Forderung, Bewerber*innen für den Staatsdienst müssten die Gewähr bieten, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetztes eintreten, von dem Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU, davor NSDAP Mitgliedsnr. 4.026.789) vertreten. Filbinger musste später wegen des Satzes „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“, bezogen auf seine Tätigkeit als Hitlers eifriger Marinerichter, zurücktreten. Nun hat der derzeitige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne) sich in einem offenen Brief zu den Berufsverboten geäußert. Doch anders als Willi Brandt kann sich Kretschmann auch im Jahr 2023 nicht dazu durchringen, sie insgesamt als Fehler zu bezeichnen und eine Entschuldigung suchen die Betroffenen in dem Brief vergeblich. Stattdessen rechtfertigt Kretschmann die Berufsverbote sogar als Teil einer „wehrhaften Demokratie“. Dass damals wirklich nur die Demokratie in Einzelfällen übereifrig vorwärts verteidigt wurde, kann man aber mit guten Gründen bestreiten. Radio Dreyeckland sprach mit Michael Csaszkóczy. Der Lehrer musste aufgrund einer versuchten Neuauflage des Radikalenerlasses, seine Einstellung gerichtlich erkämpfen. Eine Entschuldigung dafür hat er bisher auch noch nicht gehört. Kretschmann hat immerhin eine wissenschaftliche Untersuchung der Berufsverbote in Auftrag gegeben und Betroffene zu einem Gespräch eingeladen.“ Interview mit Michael Csaszkóczy am 26.01.2023 im Radio Dreyeckland beim Audioportal Freier Radios externer Link Audio Datei
    • Winfried Kretschmanns Eiertanz um Berufsverbote und Radikalenerlass
      Aufarbeitung staatlichen Unrechts oder Vergangenheitsbewältigung eines Ex-Maoisten? Baden-Württembergs Landesvater kann sich in einem offenen Brief nicht entscheiden. DGB fordert Entschädigungen. (…) Die Aufarbeitung der Folgen des Radikalenerlasses von 1972, der in Baden-Württemberg besonders rigide umgesetzt worden war, schien ihn auch deshalb zu überfordern, weil dieser Teil der bundesdeutschen Geschichte auch seinen eigenen Werdegang beeinflusst hatte. (…) Wofür und in wessen Namen sich Kretschmann heute entschuldigen will – für das Land Baden-Württemberg und dessen jahrzehntelange Gesinnungsschnüffelei, oder doch eher für seine eigene Gesinnung in jüngeren Jahren – das scheint er selbst nicht genau gewusst zu haben, als er einen offenen Brief externer Link verfasste, der am Donnerstag auf der Homepage des Staatsministeriums veröffentlicht wurde. Die Anrede lautet jedenfalls „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“. Den staatlichen Umgang mit einem Großteil der Berufsverbotsopfer und das Ausmaß des Generalverdachts bedauert Kretschmann, erklärt sich aber nicht bereit, die Betroffenen, deren berufliche Pläne zum Teil dauerhaft zerstört wurden, zu rehabilitieren. Der Anspruch des Radikalenerlasses, die Idee einer „wehrhaften Demokratie“ sei „eine Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik“ gewesen und „bis heute richtig“, schreibt Kretschmann – und räumt wenig später selbst ein, dass sich dieser Erlass nur in drei Prozent aller Überprüfungsfälle gegen Rechtsextremisten richtete. (…) Übertrieben fand er die Berufsverbotspraxis in manch anderem Fall aber schon. Klar sei, so Kretschmann, der „freiheitlich demokratische Staat“ müsse sich „seiner Feinde erwehren“ – aber eben klug und mit Augenmaß. (…) Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Baden-Württemberg nannte dieses Bedauern am Donnerstag „mehr als flau“ externer Link und forderte auch einen materiellen Ausgleich für Betroffene, die Zeit und Energie in Ausbildungswege gesteckt haben, ohne je davon profitieren zu können (…) Martin Gross, Landesbezirksleiter der Gewerkschaft ver.di, erhofft sich mehr von einem persönlichen Gespräch mit Kretschmann, das für den kommenden Monat vereinbart ist. Es sei aber „schade, dass Kretschmann weiterhin nicht auf Zuschreibungen wie Verblendung, Verirrung oder Demokratiefeinde verzichten kann“, erklärte Gross am Donnerstag. So werde ein falscher Generalverdacht letztlich fortgeführt…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 20. Januar 2023 in Telepolis externer Link
    • Stellungnahme der Berufsverbote-Betroffenen zu Kretschmanns „offenen Brief“
      Die Initiativgruppe begrüßt es, dass Ministerpräsident Kretschmann sich endlich öffentlich äußert zum Thema Umgang mit den Betroffenen des Radikalenerlasses von 1972 in Baden-Württemberg. und gleichzeitig zu einem Gespräch mit Betroffenen einlädt. Damit reagiert der Ministerpräsident auf unsere jahrelangen Bemühungen (…) Der nun vorliegende Offene Brief des Ministerpräsidenten enthält jedoch keine Entschuldigung bei den Betroffenen, keine Rehabilitierung, nicht einmal eine Andeutung des Themas Entschädigung. Er betont im Gegenteil, dass etlichen ganz recht geschehen sei. Im Gegenteil stellt er aber eine unhaltbare Behauptung auf: „Anschuldigungen“ sei damals „nachgegangen“ worden, „wo wirklich belastbare Erkenntnisse über gravierende verfassungsfeindliche Aktivitäten vorlagen. Denn Verfassungsfeinde haben im öffentlichen Dienst – und vor allem auch in seinen erzieherischen und sicherheitsrelevanten Bereichen nichts verloren.“ Mit dieser Formulierung wird der Anschein erweckt, es hätte bei vom damaligen Radikalenerlass-Betroffenen in diesen Bereichen unprofessionelles oder außerdienstliches Fehlverhaltens vorgelegen, einen solchen Fall hat es aber nicht gegeben. Eine solche Spaltung der Betroffenen in „Gute“ und „Böse“ können wir nicht akzeptieren…“ Stellungnahme vom 19.1.2023 externer Link der Initiativgruppe gegen Radikalenerlass und Berufsverbote Baden-Württemberg“
  • 50 Jahre Radikalenerlass: Die Jagd ist nicht vorbei! Audiomitschnitte von 2 Veranstaltungen
    • 50 Jahre Radikalenerlass: Die Jagd ist nicht vorbei!
      Audiomitschnitt bei der RLS externer Link Audio Datei der Veranstaltung „Überwachung – Berufsverbote – Angriff auf die Demokratie“ zum 50. Jahrestag des sog. Radikalenerlass. Auf dem Podium diskutierten: Martina Dierßen, Rechtsanwältin, Leiterin der Rechtsabteilung und Justitiarin beim Ver.di Landesbezirk Niedersachsen-Bremen sowie Sebastian Friedrich, Sozialwissenschaftler, Journalist, Fernseh- und Rundfunkautor
    • Aufarbeitung – Entschuldigung – Rehabilitierung – Entschädigung!
      Am 26. Oktober 2022 fand in Stuttgart eine Kundgebung von 60 Personen statt unter dem Motto: „Berufsverbot-Betroffene verlangen Wiedergutmachung. Die Landesregierung kann sich nicht länger drücken!“. Redebeiträge wurden gehalten von Kai Burmeister (DGB-Landesvorsitzender Baden-Württemberg) und den Betroffenen Sigrid Altherr-König (Esslingen) und Martin Hornung (Heidelberg); ferner wurde ein Grußwort der Roten Hilfe verlesen. Siehe den Mitschnitt im Audioportal Freier Radios externer Link Audio Datei von Reden und Liedern der Kundgebung der Initiative gegen Berufsverbote am 26.Okt in Stuttgart in der Nähe des Landtags
  • [18.10.2022 im SWR] Jagd auf Verfassungsfeinde: Der Radikalenerlass und seine Opfer 
    Der Verfassungsschutz hat in den 70er- und 80er-Jahren viele junge Leute politisch durchleuchtet. Rechtsgrundlage dafür war der sogenannte Radikalenerlass. Die Opfer fühlten sich in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit angegriffen, sprachen von Berufsverboten. Auch Winfried Kretschmann, heute Ministerpräsident von Baden-Württemberg, war betroffen. Alle Parteien wollten den Staatsdienst damals vor der rebellischen Jugend und der „Gefahr aus dem Osten“ schützen – auch der damalige Bundeskanzler Willy Brandt. Rückblickend bewertete er den Beschluss als großen Fehler. Doch bis heute zeigt die Politik kaum Interesse an der Aufarbeitung. Ob angehende Lehrer oder Postboten, viele junge Leute hat der Verfassungsschutz in den 70er- und 80er-Jahren politisch durchleuchtet. Grundlage: der sogenannte Radikalenerlass; er hat die Jagd auf Verfassungsfeinde ausgelöst. Die Opfer fühlten sich in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit angegriffen, sprachen von Berufsverboten. Auch Winfried Kretschmann, heute Ministerpräsident von Baden-Württemberg, war betroffen. Alle Parteien wollten den Staatsdienst damals vor der rebellischen Jugend und der „Gefahr aus dem Osten“ schützen. Auch der damalige Bundeskanzler Willy Brandt. Rückblickend bewertete er den Beschluss als großen Fehler. Doch bis heute zeigt die Politik kaum Interesse an der Aufarbeitung. Gleichzeitig ist die Verteidigung unserer Demokratie aktueller denn je.“ Programmhinweis externer Link auf den Film von Hermann G. Abmayr am Dienstag, 18.10.22 (23:30 – 00:15 Uhr, 45 Min.) im SWR Fernsehen
  • Aufarbeitung des Radikalenerlasses: Die von staatlichem Unrecht Betroffenen erwarten Entschädigung – Veranstaltung in Stuttgart am 06. Juli 
    „Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Radikalenerlasses (in Baden-Württemberg „Schiess-Erlass“ genannt) ist abgeschlossen. Die an der Universität Heidelberg erstellte umfangreiche Untersuchung des in Baden-Württemberg „Schiess-Erlass“ genannten Extremistenbeschlusses erscheint dieser Tage als Buch. Das Wissenschaftsministerium hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben. In Baden-Württemberg wurde der Beschluss unter der Federführung des damaligen Innenministers Karl Schiess (CDU) besonders häufig und besonders streng exekutiert. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die überwiegende Zahl vom Schiess-Erlass Betroffenen zu Unrecht vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen worden ist. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Baden-Württemberg und seine Mitgliedsgewerkschaften ver.di und GEW dringen darauf, dass dieses vom Staat begangene Unrecht endlich anerkannt wird und die Betroffenen rehabilitiert und entsprechend entschädigt werden. Sie haben sich deshalb direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewandt. In dem Schreiben heißt es: „Die aufgrund des Extremistenbeschlusses in Baden-Württemberg verhängten Berufsverbote sind ein Unrecht, das nicht mehr gut zu machen ist. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen erwarten, dass das Unrecht zumindest anerkannt wird, dass sie vollständig rehabilitiert werden und dass das Land zu einer materiellen Entschädigung bereit ist. Wir fordern Sie daher auf, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden.“ Der Regierungschef hat sich bisher nicht bei den betroffenen Kolleginnen und Kollegen entschuldigt und sein Zögern mit der noch ausstehenden unabhängigen Aufarbeitung begründet…“ DGB-Pressemitteilung vom 1. Juli 2022 externer Link zum Brief des DGB-Bezirks Baden-Württemberg an Winfried Kretschmann externer Link

    • Hinweis: Der DGB Baden-Württemberg lädt am 06. Juli externer Link um 17:30 Uhr im Willi-Bleicher-Haus in Stuttgart zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Wenn der Dienst verboten wird – Berufsverbote gestern, heute und morgen“ ein.
  • Kein neuer Radikalenerlass und statt dessen Rehabilitierung und Entschädigung der ehemaligen Betroffenen  Betroffene des sogenannten „Radikalenerlasses“ oder „Extremistenbeschlusses“, den Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der damaligen Länder am 28. Januar 1972 in Bonn gefasst hatten, nahmen den 50. Jahrestag dieses Ereignisses zum Anlass für eine Aktionswoche: eine Konferenz und Veranstaltungen in Berlin, eine Mahnwache in Potsdam, Gespräche mit Abgeordneten des Deutschen Bundestags und dem Innenministerium. Einerseits geht es um die Aufarbeitung der Folgen, die der damalige Beschluss im Verantwortungsbereichs des Bundes und der Länder hatte – Stichwort „Berufsverbot “ und Beschädigung der Demokratie -, um die Rehabilitierung und Entschädigung der in den 1970er- und 1980er-Jahren Betroffenen. Andererseits wird entschieden abgelehnt und mit großer Besorgnis wahrgenommen, dass in Brandenburg Innenminister Stübgen (CDU) ein Gesetz ähnlicher Art durch den Landtag beschließen lassen will. Es soll ein sogenannter „Verfassungstreue-Check“ für den öffentlichen Dienst eingeführt werden, bestehend aus einer „Regelanfrage“ beim „Verfassungsschutz“, der – wie damals – die Deutungshoheit haben soll, was unter „Extremisten“ eigentlich zu verstehen sei…“ Pressemitteilung vom 20.05.2022  vom Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und zur Verteidigung demokratischer Rechte
  • Online-Veranstaltung von Roten Hilfe am 18.2.22: 50 Jahre Radikalenerlass – Weg mit Berufsverboten & Klassenjustiz! 
    „… Am 28. Januar 2022 jährt sich zum 50. Mal die Verabschiedung des Radikalenerlasses. Unter Vorsitz von Willy Brandt verabschiedeten die Ministerpräsidenten der Länder einen Beschluss, der die Behörden anwies, den Öffentlichen Dienst von so genannten Verfassungsfeinden zu säubern. Betroffen waren Postbot*innen, Lokführer*innen, Verwaltungsbeamt*innen und viele andere. Millionen geheimdienstlicher Überprüfungen, Zehntausende von Verhören und weit über 1500 vollstreckte Berufsverbote waren die Folge. Das Material lieferte der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS). Um die so genannten Regelanfragen zu allen Anwärter*innen zu bewältigen, wurde der VS zu einem gigantischen und nahezu unkontrollierbaren Apparat aufgebläht. Als gesetzliche Grundlage griffen die Regierenden auf die „Gewährbieteklausel“ des deutschen Beamtenrechts zurück, die aus dem nationalsozialistischen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom Mai 1933 stammt. Das Ziel aller Aktivitäten gegen alte und neue Berufsverbote muss deswegen auch die Abschaffung der gesetzlichen Grundlagen für diese Form der Repression sein. Bis heute kämpfen zahlreiche Betroffene um Rehabilitierung und Entschädigung, bis heute kommen neue Fälle dazu. Dazu diskutieren: Lothar Letsche aus Tübingen wollte Gymnasiallehrer werden und erhielt 1977 dafür Berufs- und Ausbildungsverbot. Er arbeitete danach als Verlagsredakteur für Schulbücher und war ab 1981 wissenschaftlicher Angestellter am Deutschen Institut für Fernstudien in Tübingen. Dort wurde er auf Befehl des Wissenschaftsministeriums am letzten Tag der Probezeit gekündigt. Er gewann den Prozess, wurde Betriebsratsmitglied und arbeitete bis zur Rente am Institut. Seit 2001 betreut er die Homepage berufsverbote.de, die der Dokumentation und Solidarität unter den Betroffenen dient. Silvia Gingold aus Kassel erhielt 1975 Berufsverbot als Lehrerin, weil sie Mitglied in der DKP war. Da das Verwaltungsgericht die Begründung für „nicht ausreichend“ erklärte, musste sie ab 1976 in den Schuldienst eingestellt werden, allerdings nur als Angestellte. Auf Grund ihrer antifaschistischen und friedenspolitischen Aktivitäten überwacht der Inlandsgeheimdienst „Verfassungschutz“ sie bis heute, wogegen sie Klage vor Gericht erhoben hat. Michael Csaszkóczy, Realschullehrer aus Heidelberg, wurde auf Grund seines antifaschistischen Engagements 2003 in Baden-Württemberg und 2005 in Hessen nicht eingestellt. Nach breiter Protestbewegung und Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim musste er 2007 in den Schuldienst übernommen und teilweise entschädigt werden. Auch er hat von 2012 bis 2016 gegen seine andauernde Überwachung durch den „Verfassungsschutz“ geklagt…“ Veranstaltungshinweis der Roten Hilfe e.V. vom 6. Februar 2022 externer Link am 18. Februar/18.00-19.30 Uhr
  • 50 Jahre Radikalenerlass und die späte Einsicht der Gewerkschaften: Ver.di und GEW zeigen sich inzwischen solidarisch mit Betroffenen, haben aber erst in den letzten Jahren systematisch mit der Aufarbeitung ihrer Unvereinbarkeitsbeschlüsse begonnen 
    „… Eigentlich wollte die Bundesverwaltung der Gewerkschaft ver.di zum Jahrestag des Radikalenerlasses mit einer Veranstaltung und einer Aktionswoche daran erinnern, dass die Betroffenen immer noch auf ihre Rehabilitierung warten und zum Teil mit Armutsrenten leben müssen. Diese Aktionswoche wurde wegen der Einschränkungen durch die Corona-Regeln nun bewusst ins Vorfeld des 23. Mai gelegt, an dem 1949 das Grundgesetz in Kraft getreten ist.
    Dass eine große Gewerkschaft sich solidarisch mit den Betroffenen verhält, war lange Zeit nicht selbstverständlich: 1973 hatten DGB-Gewerkschaften Unvereinbarkeitsbeschlüsse gefasst externer Link, die sich am Radikalenerlass orientierten. Menschen, die mutmaßlich extremistischen Gruppen angehörten, wurden daraufhin ausgeschlossen oder gar nicht erst aufgenommen.
    Obwohl die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in den folgenden Jahrzehnten nicht immer gleich rigide umgesetzt wurden und viele aktive Gewerkschaftsmitglieder ohnehin dagegen waren, kam es erst 2019 beim 5. Bundeskongress von ver.di zu einem Beschluss externer Link, in dem sich die Gewerkschaft bei den Ausgeschlossenen entschuldigte.
    „Ver.di bedauert die Übernahme der Unvereinbarkeitsbeschlüsse des DGB vom 3. Oktober 1973 in die Satzungen der Gründungsorganisationen von ver.di.“ Die Gewerkschaft entschuldigte sich bei allen Mitgliedern, die auf dieser Grundlage in den Jahren nach 1973 aus den ver.di-Quellgewerkschaften ausgeschlossen wurden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hamburg verschickte inzwischen Entschuldigungsschreiben und bot den damals Ausgeschlossenen eine „Anerkennungspauschale“ sowie eine kostenfreie Mitgliedschaft an.
    Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern forderte am Donnerstag ausdrücklich deren Rehabilitierung externer Link [siehe auch hier unten]. Ihnen seien „Berufs- und Lebensperspektiven genommen und das Vertrauen in die Demokratie sowie in den Rechtsstaat massiv beschädigt“ worden, erklärte sie.“ Artikel von Claudia Wangerin vom 28. Januar 2022 in Telepolis externer Link – siehe dazu unsere Rubrik: Politik » Gewerkschaften » Selbstverständnis und Strategie » Ausschlussverfahren
  • 50. Jahrestag des Radikalenerlasses am 28. Januar 2022
    Der Aufruf „50 Jahre Berufsverbote – Demokratische Grundrechte verteidigen!“, unter den aus diesem Anlass aktuell Unterschriften gesammelt werden, wurde erstunterzeichnet von 81 bekannten Persönlichkeiten aus Gewerkschaften, Politik, Medien, Wissenschaft und Kunst: von den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaften DGB, GEW, ver.di und IG Metall über (Ex)-Politiker bzw. Prominente wie Gernot Erler, Hinrich Enderlein, Janine Wissler, Bodo Ramelow, den Professoren Wolfgang Däubler, Georg Fülberth-Sperling und Norman Paech bis zu Künstler*innen wie Esther Bejarano, Hannes Wader, Emil Mangelsdorff, Volker Pispers und Max Uthoff sowie von sechs Vertreter*innen der Betroffenen. Diese Unterschriften werden Ende Januar an die neue Bundesregierung übergeben.
    Unerwartete und erschreckende Aktualität erhält der Aufruf durch den Koalitionsvertrag. Darin wird 09unter anderem verkündet, die neue Regierung wolle „Verfassungsfeinde schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen“, wobei in altbewährter Form die Gleichsetzung aller sogenannten Extremisten vorgenommen wird. (…)
    Am 28. Januar 2022 enden die drei Aktionstage der bundesweiten Berufsverbote-Initiativen in Berlin mit einer öffentlichen Veranstaltung in der ver.di-Bundesverwaltung. Ab 18 Uhr wird dort (je nach Coronalage) die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin sprechen, gefolgt von Grußworten der stellvertretenden ver.di-Bundesvorsitzenden Andrea Kocsis, der GEW-Vorsitzenden Maike Finnern und von ehemaligen Betroffenen. Musikalische Beiträge von „EWO2“ und „Die Grenzgänger“ zum Kampf gegen Berufsverbote und zur Geschichte der Solidaritätsbewegung runden den Abend ab…“ Infos der Initiative (per e-mail), siehe alle Infos zu den „Feierlichkeiten“ mit vielen weiteren Terminen auch danach und umfangreichen Pressespiegel auf der Aktionsseite: http://www.berufsverbote.de/ externer Link
  • [Rote Hilfe] 50 Jahre Radikalenerlass: Entschädigung für alle Betroffenen und Schluss mit Berufsverboten!
    „… Die ungezählten Betroffenen der 1970er- und 1980er-Jahre fordern bis heute vergeblich Rehabilitierung und Entschädigung. Stattdessen hat die neue Bundesregierung ausgerechnet zum 50. Jahrestag des Radikalenerlasses angekündigt, wieder verstärkt auf die unheilvolle „Gewährbieteklausel“ zurückgreifen zu wollen, um „Verfassungsfeinde schneller aus dem Öffentlichen Dienst zu entfernen“. Begründet wird dies wieder einmal mit der Gefahr eines „Extremismus von links und rechts“. Dass ausgerechnet der mit der rechten Szene eng verbundene Inlandsgeheimdienst erneut mit der Beurteilung der vermuteten „Verfassungstreue“ beauftragt wird, lässt schon jetzt erkennen, gegen wen sich die Jagd auf „Verfassungsfeinde“ erneut richten wird. Hierzu erklärt Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.: „Die Rote Hilfe e. V. erteilt zum 50. Jahrestages des Radikalenerlasses erneut allen Bestrebungen, das antidemokratische Repressionsinstrument der Berufsverbote wiederzubeleben, eine klare Absage. Wir fordern die längst überfällige Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen.Der so genannte Verfassungsschutz muss endlich entmachtet und aufgelöst werden.“ Erklärung vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. vom 27.01.22 externer Link
  • GEW: „Berufsverbote-Opfer endlich rehabilitieren!“
    Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erwartet von den Verantwortlichen in Bund und Ländern die politische und materielle Rehabilitierung der Menschen, die der am 28. Januar 1972 von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und den Länder-Regierungschefs beschlossene „Radikalenerlass“ getroffen hat. Zudem sei eine nachhaltige, wissenschaftlich fundierte Aufklärungsarbeit über diese Zeit und die Folgen des so genannten „Extremistenbeschlusses“ dringend notwendig. „Der ‚Radikalenerlass‘ hat individuelle Grundrechte der Betroffenen verletzt. Bewerberinnen und Bewerber für den öffentlichen Dienst, darunter zahlreiche linke Lehrkräfte, sind teils kollektiv diffamiert und verfolgt worden. So wurden vielen Menschen Berufs- und Lebensperspektiven genommen und das Vertrauen in die Demokratie sowie in den Rechtsstaat massiv beschädigt“, betonte GEW-Vorsitzende Maike Finnern heute in Frankfurt am Main mit Blick auf den 50. Jahrestag des „Radikalenerlasses“ am Freitag. Deshalb unterstütze die Bildungsgewerkschaft die Anliegen der Betroffenen, die Wiedergutmachung fordern. „Die Betroffenen erwarten für das Unrecht, das sie erleben mussten, zu Recht eine Entschuldigung und eine finanzielle Entschädigung.“
    Aktuelle Debatten zeigten, dass die Auseinandersetzung mit diesem Teil verdrängter Geschichte und Gegenwart für politische Bildung, zivilgesellschaftliches Engagement und Demokratieentwicklung eine sehr wichtige Rolle spielt. Deshalb warnte Finnern ausdrücklich davor, Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen und Einstellungen im öffentlichen Dienst von politischen Gesinnungsprüfungen durch Sicherheitsbehörden abhängig zu machen…“ Bildungsgewerkschaft zu „50 Jahre Radikalenerlass“ am 27.01.2022 externer Link
  • 50 Jahre »Radikalenerlass«: Die Jagd ist nicht vorbei
    Im Januar 1972 – zeitgleich zum »Marsch durch die Institutionen« der Neuen Linken – verabschiedete die Koalition von SPD und FDP den »Radikalenerlass«. Die Berufsverbote, praktisch ausschließlich gegen Linke, hatten verheerende Konsequenzen, die bis heute andauern (…) Wie viele Menschen tatsächlich von den Berufsverboten der 1970er und 1980er Jahre betroffen waren, lässt sich also nur schätzen. Die Vielen, die es angesichts drohender Jahre von Verhören und Prozessen vorzogen, sich beruflich anders zu orientieren, sind ohnehin nachträglich nicht mehr zu zählen. Von den Berufsverbote betroffen waren nicht nur Mitglieder der DKP und diverser K-Gruppen, sondern auch andere Linke – bis hin zu der SPD nahen Studierendenverbänden, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) und Gewerkschafter*innen. Verschont von der Verfolgung blieben hingegen Rechte im Staatsdienst – Tausenden von Verfahren gegen Linke stehen ganze fünf gegen Rechte gegenüber. Diese waren überdies teils schlicht Strafverfahren, also Disziplinarverfahren, die mit dem Radikalenerlass wenig zu tun hatten. (…)
    Die Verheerungen, die diese regelrechte Hexenjagd in der politischen Kultur der BRD angerichtet hat, sind bis heute spürbar. Auch jetzige Lehramtsstudierende haben, selbst wenn sie nichts über die Berufsverbote und ihre Geschichte wissen, meist sehr wohl verinnerlicht, dass von deutschen Beamt*innen Konformität und Stromlinienförmigkeit erwartet wird. Es wird unter anderem auch diesem Umstand geschuldet sein, dass der Staat seit 1984 nur noch gelegentlich versucht hat, an die Praxis der Berufsverbote anzuknüpfen – in gewisser Weise hatten diese schlicht ihren Zweck erfüllt. (…) Für die von Berufsverboten Betroffenen der 1970er Jahre geht es allerdings nicht allein um die Heilung seelischer Wunden oder um die massiven Einkommenseinbußen, wegen denen etliche von ihnen mittlerweile in Altersarmut leben. Ihre Verfolgung und Diffamierung dauert vielmehr zum Teil bis heute an. (…)
    Den Verfassungsschutz kümmert diese Gerichtsentscheidung allerdings wenig. Auch in meinem Fall besteht die Behörde trotz der im Nachgang des Urteils erfolgten Verbeamtung auf meiner fortdauernden Beobachtung als Verfassungsfeind und verweigert mir die Einsicht in die gesammelten Daten…“ Artikel von Michael Csaszkóczy vom 21.01.2022 im ND online externer Link – siehe zu ihm u.a. unser Dossier: Michael Csaszkóczy gegen Verfassungsschutz vor Gericht: Klage gegen Bespitzelung
  • Die Zerstörung der Linken. 50 Jahre Berufsverbote: Der »Radikalenerlass« von 1972 unterdrückte eine ganze Generation und vernichtete Hunderte berufliche Existenzen
    „Als der sozialdemokratische Kanzler Willy Brandt und die Innenminister der Länder vor 50 Jahren, am 28. Januar 1972, den sogenannten Radikalenerlass unterschrieben, war das nicht der Beginn, sondern die logische Fortsetzung einer Hetzjagd gegen die politische Linke in der westdeutschen Bundesrepublik. Die reaktionäre Rechte, oft im Verein mit der SPD, hatte sie bereits am 17. August 1956 mit dem Verbot der Kommunistischen Partei (KPD) eröffnet. Während in den ersten 20 Nachkriegsjahren alte Schergen, Handlanger und Schreibtischtäter des Naziregimes problemlos wieder in Regierung und höchste Verwaltungsämter aufstiegen, kam es nach dem KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu rund 200.000 Ermittlungen gegen Mitglieder und Funktionäre der Partei. Der Rechtsanwalt Heinrich Hannover, der später Opfer des Radikalenerlasses verteidigte, beschrieb 2004 in der Zeitschrift Ossietzky die von einer Initiativgruppe in Essen ermittelten 2.364 Verurteilungen als »einen Bruchteil« der in Wahrheit vielen tausend Justizopfer der 50er und 60er Jahre. »Die Frontstellung der ersten Nachkriegsjahre gegen Faschismus, autoritären Staat und Militarismus«, analysierte der niedersächsische Politikwissenschaftler Jürgen Seifert 1977 in seinem Zustandsbericht »Grundgesetz und Restauration«, »wurde ersetzt durch eine Feinderklärung ›gegen links‹. Nach einer Zeit, in der auch Kommunisten in den ersten Landesregierungen Minister stellten, die als Demokraten angesehen wurden, konnte die Frontstellung nur dadurch umgedreht werden, dass die ›Linksextremisten‹ und die ›Rechtsextremisten‹ auf eine Ebene gestellt wurden. Das erfolgte in Form einer ›doppelten Feinderklärung‹.« In der Praxis hieß das, dass die Bundesregierung unter dem Katholiken Konrad Adenauer bereits im September 1950 beschlossen hatte, die Unterstützung kommunistischer Organisationen mit der Arbeit in der neofaschistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) »gleichwertig« zu beurteilen, wie Seifert anmerkt: »Damit wurde die Alternative Abschaffung oder Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise ersetzt durch eine einprägsame, typisch deutsche Mystifizierung – der Staat müsse sich nach ›links‹ und ›rechts‹ in gleicher Weise verteidigen (…) Bei jeder doppelten Feinderklärung gibt es Finten und in der Regel einen Hauptfeind. Es kommt deshalb darauf an, zu erkennen: Welche Feinderklärung dient nur der politischen Abgrenzung oder Absicherung – wer aber ist der Hauptfeind, der ›wirkliche Feind‹.« In der Ära Adenauer waren, unverkennbar, die Kommunisten der von Seifert sogenannte »Hauptfeind«. (…) Im Laufe von knapp 20 Jahren wurden rund 3,5 Millionen Menschen überprüft, 1.250 als »linksextrem« eingestufte Lehrkräfte nicht eingestellt und schätzungsweise 260 Personen entlassen.“ Artikel von Hansgeorg Hermann in der jungen Welt vom 22. Januar 2022 externer Link
  • Hinhalten, verurteilen, aussortieren: Verfolgung Andersdenkender in der BRD
    Ein gnadenloses Regime gegen vermeintliche Feinde der sogenannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung im öffentlichen Dienst führten vor allem Bundesländer, in denen Ministerpräsidenten der CDU oder, wie in Bayern, der CSU verdächtige Bewerber oft Jahre hinhalten, vor Verwaltungsgerichte zerren und am Ende aussortieren ließen. Wie zum Beispiel in Niedersachsen. Dort hatte Ernst Albrecht – Vater der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen – 1976 vermutlich durch Stimmenkauf die SPD/FDP-Koalitionsregierung gestürzt und sich selbst zum Ministerpräsidenten wählen lassen.
    Für Aufmerksamkeit im benachbarten Ausland sorgte er in seiner bis 1990 dauernden Amtszeit nicht nur mit seinem scharfen Vorgehen gegen den hoch angesehenen hannoverschen Hochschullehrer Peter Brückner, sondern zunächst mit der Auswahl seiner Minister und der Besetzung der Fraktionsführung im Landtag. (…) Dafür, dass Professor Brückner aus dem Hochschuldienst ausgeschlossen wurde, sorgte Albrecht – wie Zeitungen in Hannover seinerzeit berichteten – höchstpersönlich. Zum Verhängnis wurde dem beliebten Lehrer, dass er glaubte, das Recht der Meinungsfreiheit gelte unter dem CDU-Chef auch im Zusammenhang mit den gewaltsamen Aktivitäten der Rote Armee Fraktion (RAF), deren bleierne Zeit passenderweise mit dem Radikalenerlass zusammenfiel. Brückner hatte einen Text des anonymen Pamphletschreibers »Mescalero« aus Göttingen veröffentlicht und seinen Studenten zur Diskussion gestellt, in dem der Autor den Mord an dem damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback – auch er ein ehemaliger Nazi – mit »nicht verhehlter« (…) Weniger spektakulär, aber den Lebenslauf eines anständigen Menschen bestimmend, war der Fall des ehemaligen Verwaltungsbeamten auf Probe, Gerd-Rolf Rosenberger…“ Artikel von Hansgeorg Hermann in der jungen Welt vom 22. Januar 2022 externer Link
  • Dossier der Rosa Luxemburg Stiftung: Der Radikalenbeschluss wird 50
    „…Was oft als Radikalenerlass bezeichnet wird, war nicht wirklich ein Erlass, sondern ein Beschluss, den Bundeskanzler Willy Brandt und die Regierungschefs der Länder am 28. Januar 1972 in Bonn fassten. Am Vortag hatten die Innenminister getagt und vorgeschlagen, dass die Öffentlichkeit an den Inhalt der Beamtengesetze des Bundes und der Länder erinnert werden sollte, denen zufolge «in das Beamtenverhältnis nur berufen werden» dürfe, «wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.» Ebendies taten Brandt und die anderen Regierungschefs dann auch. Außerdem proklamierten sie, dass ein «Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt», nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt werde und dass die Mitgliedschaft in einer Organisation, «die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt», im Regelfall ebenfalls zur Ablehnung führe. Offen blieb dabei, welche Aktivitäten und Organisationen als «verfassungsfeindlich» anzusehen waren und wie man die «rechts- und linksradikalen Personen» identifizieren sollte, gegen deren Beschäftigung sich der Beschluss wandte. Allerdings wurde schnell klar, dass der Verfassungsschutz das entscheidende Wort mitzureden hatte. (…) Die anhaltende Ungleichbehandlung von Linken und Rechten im öffentlichen Dienst ist einer der Gründe dafür, warum der Radikalenbeschluss mit der Zeit immer mehr auch jenseits der Betroffenen und der linken Flügel der sozialliberalen Koalition in die Kritik geriet. Willy Brandt gab 1976 sogar zu, dass es sich um einen «Fehler» gehandelt habe und zählte zu jenen Sozialdemokraten, die auf eine «Liberalisierung» der Radikalenpolitik eintraten. Tatsächlich stellten die Regierungen mit SPD-Beteiligung die obligatorische Regelanfrage beim Verfassungsschutz 1979 ein. (…) Wie viele Studien der letzten Jahre zeigen, haben diese institutionell integrierten Rechten die Bonner Demokratie auf vielfache Weise nationalistischer, rassistischer, antisemitischer und negationistischer gemacht, ohne dass ein Beschluss dagegen gefasst worden wäre – im Gegenteil: Dieser «kurze Marsch durch die Institutionen» (Jean Améry) der Nazibeamten wurde durch die Beamtengesetzte, auf die sich der Radikalenbeschluss bezog, befördert in der Hoffnung, so die Loyalität der früheren Nazis zu gewinnen. Die jungen Linken dagegen, die in den 1970er und 1980er Jahren abgelehnt oder entlassen wurden, zählten viertens – auch dies wird in der historischen Rückschau immer deutlicher – in der Regel zu jenen Westdeutschen, die die Demokratisierung und Liberalisierung der Bundesrepublik wenn nicht vorangetrieben, so zumindest nicht behindert haben…“ Beitrag von Dominik Rigoll vom 12. Januar 2022 im Dossier der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link
  • »Diese Erfahrung treibt mich an«: Die Sammelwut des Verfassungsschutzes zeigt, dass der »Radikalenerlass« von 1972 bis heute nachwirkt
    Die Lehrerin Silvia Gingold blickt im Interview von Markus Bernhardt in der jungen Welt vom 11. Januar 2022 externer Link auf ihre Erfahrungen mit dem Berufverbot in den 1970er Jahren zurück: „Meine politischen Mitstreiterinnen und Mitstreiter und ich befürchteten, dass mit dem »Radikalenerlass« in erster Linie Marxisten, Mitglieder der DKP und anderer linker Organisationen getroffen werden sollten. Es hat dann jedoch unsere Vorstellungskraft übertroffen, dass die massenhafte Überwachung und Bespitzelung von Menschen, die irgendwann einmal durch ihre kritische Haltung gegenüber gesellschaftlichen Missständen aufgefallen sind, ein solches Ausmaß annehmen würde. Der Geist der 68er-Bewegung, Fragen nach der Nazivergangenheit von Politikern, Juristen, Lehrern und Hochschullehrern sowie zunehmende kapitalismuskritische und marxistische Ideen angesichts der ökonomischen Krise wurden als »verfassungsfeindlich« kriminalisiert, junge Menschen wurden eingeschüchtert, um demokratisches Engagement zu verhindern. (…) Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Kassel, das mich in meinem Prozess gegen das Land Hessen 1977 zur »Verfassungsfeindin« stempelte und mir meine Eignung als Beamtin verweigerte, beruhte auf der Prognose eines möglichen verfassungswidrigen Verhaltens allein aufgrund meiner Zugehörigkeit zur DKP, die als »verfassungsfeindlich« eingestuft wurde. Eine solche Prognose durch Gerichte galt für viele vom Berufsverbot Betroffene, teilweise von Richtern, die schon während der Nazizeit Urteile gegen Kommunistinnen und Kommunisten und andere Gegner des Naziregimes fällten. (…) Die meisten jungen Menschen wissen nichts über die Repressionen der 70er Jahre. Wir wollen, dass die Berufsverbote öffentlich als Unrecht anerkannt, die Unrechtsurteile aufgehoben, wir rehabilitiert und entschädigt werden. In diesem 50. Jahr seit dem »Radikalenerlass« werden wir unsere Forderungen an Politikerinnen und Politiker herantragen, mit ihnen Gespräche führen und die gesammelten Unterschriften, die von einer großen Unterstützung unserer Forderungen zeugen, an Regierungsverantwortliche übergeben.“
  • [ARD am 17.1.22] Jagd auf Verfassungsfeinde. Der Radikalenerlass und seine Opfer
    • »Manche Betroffene sind bis heute traumatisiert«. Über 50 Jahre »Radikalenerlass«, den Antikommunismus in der BRD und die Hoffnung der Opfer
      Im Interview von Markus Bernhardt in der jungen Welt vom 8. Januar 2022 externer Link erläutert Hermann Georg Abmayr, warum er über die Opfer des »Radikalenerlasses« einen Dokumentarfilm gedreht hat, der am 17. Januar unter dem Titel »Jagd auf Verfassungsfeinde – Der Radikalenerlass und seine Opfer« beim ARD ausgestrahlt wird: „…Der sogenannte Radikalenerlass gehört zu den Tabuthemen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Die Jagd auf Verfassungsfeinde nahm teilweise inquisitorische Formen an. Dies traf vor allem die Generationen, die in den 70er und 80er Jahren erwachsen wurden. Viele haben sich deshalb vom Staat abgewandt. Ich meine, dass es an der Zeit ist, dieses dunkle Kapitel aufzuarbeiten und daraus zu lernen. Denn der Beschluss von 1972 hat das politische Klima vergiftet, und er hat zumindest Teile der protestierenden Jugend aus der Debatte um die Zukunft des Landes, um die Zukunft Europas und der Welt ausgeschlossen, und er hat sie damit weiter radikalisiert. Wir haben nach 1989 zu Recht viele dunkle Kapitel der DDR-Geschichte aufgearbeitet, aber oft so getan, als sei im Westen alles superdemokratisch gelaufen. Das ging mir gegen den Strich. Ich hatte das Thema deshalb in der ARD schon vor zehn Jahren vorgeschlagen. Damals ohne Erfolg. Jetzt, 50 Jahre nach dem Erlass, hat der Saarländische Rundfunk (SR) zugegriffen und ARD-Chefs haben zugestimmt. (…) Ich würde gerne auf eine Erinnerung eingehen, die ich in der Dokumentation nicht zeigen konnte. Ich habe einen Lehrer kennengelernt, der als junger Mann aus dem Schuldienst entlassen worden war. Er hat später einen anderen Beruf ergriffen und war darin durchaus erfolgreich. Aber als er über seine Berufsverbotsgeschichte berichtet hatte, kamen ihm die Tränen. Denn es war immer sein Ziel, junge Leute zu unterrichten. Das war so etwas wie seine Berufung. Der Fall hat mich sehr beeindruckt und betroffen gemacht. So tief können diese Verletzungen sitzen und so lange nachwirken. Manche der Betroffenen sind bis heute in der einen oder anderen Form traumatisiert. Viele geben den damals herrschenden politischen Parteien die Schuld. Andere aber auch ihren linken Organisationen, von denen sie sich verheizt fühlen. Nicht wenige mussten sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Und sie wagen es auch heute noch nicht, vor die Kamera zu gehen und ihren Fall öffentlich zu machen…“ Siehe:
    • Ob angehende Lehrer oder Postboten, viele junge Leute hat der Verfassungsschutz in den 70er- und 80er-Jahren politisch durchleuchtet. Grundlage: der sogenannte Radikalenerlass; er hat die Jagd auf Verfassungsfeinde ausgelöst. Die Opfer fühlten sich in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit angegriffen, sprachen von Berufsverboten. Auch Winfried Kretschmann, heute Ministerpräsident von Baden-Württemberg, war betroffen. Alle Parteien wollten den Staatsdienst damals vor der rebellischen Jugend und der „Gefahr aus dem Osten“ schützen. Auch der damalige Bundeskanzler Willy Brand. Rückblickend bewertete er den Beschluss als großen Fehler. Doch bis heute zeigt die Politik kaum Interesse an der Aufarbeitung. Gleichzeitig ist die Verteidigung unserer Demokratie aktueller denn je.“ Hinweis auf den Dokumentarfilm von Hermann G. Abmayr in der ARD externer Link am Montag, 17. Januar 2022 um 23.20 Uhr (Länge: 45 Minuten)
    • Siehe vorab das Video des Beitrags externer Link in der Reihe „Geschichte im Ersten“
  • Wie die rechts orientierte Justiz Verfassungstreue prüft
    Von einem besonders kritikwürdigen Aspekt im Zusammenhang mit Radikalenerlassen berichtete Dr. Joachim Wagner am 6. Januar 2022 bei LTO externer Link – allerdings ohne Kritik: Der rechtsextreme AfD-Politiker Jens Maier darf wieder Richter sein (nur nicht an einem Gericht seiner Wahl). So entschied jüngst das sächsische Justizministerium aufgrund Maiers Wiedereinstellungsantrag. Meiers Personalakte sei wieder sauber, „nachdem ein Verweis aus einem Disziplinarverfahren nach zwei Jahren gelöscht worden ist.“ Aber was ist mit Meiers Gesinnung? „Er selbst hat sich einmal als „kleiner Höcke“ bezeichnet. 2019 wurde er wegen eines Tweets, in dem er Noah Becker, ältester Sohn von Tennislegende Boris Becker, rassistisch beleidigte, zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Wahlkampf 2017 hat er im Brauhaus Watzke vor der „Herstellung von Mischvölkern“ gewarnt und den „Schuldkult“ für „endgültig“ beendet erklärt und sagte über die NPD, diese sei „die einzige Partei […], die immer geschlossen zu Deutschland gestanden hat“. Ebenfalls bei LTO beschäftigten sich bereits am 12. April 2019 Pia Lorenz und Dr. Markus Sehl externer Link mit der Frage: „Wie die Justiz Verfassungstreue prüft“ anlässlich des Staatsanwaltes Martin Zschächner, zu dem ein Anwalt, der nach eigenen Angaben mit Zschächner in Heidelberg studiert hat, anmerkte: „Wir nannten ihn nur den ‚Jura-Nazi‘. Wer hat denn den zum Staatsdienst zugelassen. Jemanden, der nur 50% so links ist wie der rechts, würde man nie einstellen.“ Wie wahr, wie wahr. Lorenz und Sehl merken dazu jedoch an: „Aber nach jetzigem Kenntnisstand gibt es nichts, was einen Eintritt in den Staatsdienst hätte verhindern müssen.“ Weil er eben rechts und nicht links orientiert war? Nein. Zumindest nach Lorenz und Sehl soll viel mehr gelten: „Nach ständiger Rechtsprechung gibt es zwischen der Mitgliedschaft in einer Partei und verfassungstreuem Verhalten, das von allen Beamten, Richtern und Soldaten als sogenannte ständige Dienstpflicht erwartet wird, keinen Zusammenhang. Und zwar auch dann nicht, wenn die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt oder vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Sondern erst dann, wenn sie verboten würde. Zu diesem Ergebnis kommt aktuell auch das Bundesinnenministerium (BMI). Die „reine Zugehörigkeit“ eines Beamten zu einer Partei sei „beamtenrechtlich ohne Relevanz“, heißt es laut übereinstimmenden Medienberichten als Ergebnis einer „vertieften Prüfung“, die Seehofer im Februar eingeleitet hatte. (…) Seit den achtziger Jahren hat die beamtenrechtliche Rechtsprechung klare Grundsätze aufgestellt: Der Eintritt in das Beamtenverhältnis kann einem Bewerber erst verwehrt werden, wenn er aus seiner verfassungsfeindlichen politischen Überzeugung Folgerungen zieht – für die Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten.“ Warum diese Grenzziehung beim verfassungsfeindlichen Jens Maier nicht gelten soll, bleibt ein offenes Geheimnis des sächsischen Justizministeriums. Kein Geheimnis ist jedoch die staatliche Verharmlosung rechter Ideologie in den eigenen Reihen und die Verteuflung verfassungskonformer Anschauungen, bloß weil sie dem Verfassungsschutz zu links erscheinen. Das hat auch sehr bedenkliche praktische Konsequenzen: Rechte Richter und Staatanwälte wird man so eher im Rechtstreit antreffen, als links orientierte. Kein Wunder also, dass es bei dem Kampf gegen rechte Strömungen im Staatsdienst nichts so recht weitergeht. Verheerend kann die rechte Gesinnung von Staatsanwaltschaft und Richter auch bei Ermittlungsverfahren und Prozessen sein, bei denen es um Straftaten von Beamten (z.B. Polizei) geht.“ Beitrag von Armin Kammrad vom 8. Januar 2022 – wir danken

  • Jagd auf Linke. Der Radikalenerlass verbaute Tausenden jungen Menschen den Berufseinstieg. Es gab rund 3,5 Millionen Anfragen beim Verfassungsschutz
    Das Problem mit den Berufsverboten, die Deutschland ab 1970 ein Jahrzehnt beschäftigen sollten, fängt beim Verfassungsschutz (VS) an, hört dort aber nicht auf. Wenn der Inlandsgeheimdienst beurteilen soll, wer überwacht gehört, wer sich rechtfertigen muss, wem Zugänge zu bestimmten Berufen verwehrt werden – dann ist klar, dass es Probleme gibt. Wie sollte man auf eine valide Einschätzung der Behörde vertrauen, die nicht erst in jüngster Zeit durch Skandale wie Lauschangriffe auf Politiker*innen und Aktivist*innen geprägt ist, sondern auch den NSU unterstützte, Anis Amri gewähren ließ und Hans-Georg Maaßen als Chef tolerierte?
    In den 70er Jahren verbaute die Einschätzung des Verfassungsschutzes Tausenden jungen Menschen den Berufseinstieg und zerstörte Karrieren. Dabei muss man den VS in diesem Fall fast schon etwas entlasten, denn er folgte einer politischen Anweisung, dem „Radikalenerlass“. Also einem Einstellungsverbot für Bewerber, die sich in vermeintlich extremistischen Organisationen engagierten, auf Stellen für Angestellte im öffentlichen Dienst oder Beamt*innen. (…) Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Schul- und andere Behörden linke Lehrer*innen, Zugfahrer*innen und Postbot*innen so sehr fürchteten – oder hassten – dass sie sie aus dem Staatsdienst fernhalten wollten? (…) Die intransparenten Kriterien, nach denen aussortiert wurde, führten auch bei nicht politisch organisierten jungen Menschen zu weitreichenden Einschüchterungen. (…) Dass Universitäten leichtfertig Geburts- und Meldedaten ihrer Studierenden herausgaben, entsetzte die Bürger*innen ebenso wie dass sie nicht wussten, was der Staat über sie wusste. In der Bevölkerung wuchs ein gesundes Misstrauen gegen den VS. Die Einführung des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste im Jahr 1978 ist auf dieses gewachsene kritische Bewusstsein zurückzuführen…“ Artikel von Katharina Schipkowski vom 26.12.2021 in der taz online externer Link
  • Erzwungenes Wohlverhalten. Heidelberg: Kundgebung von Berufsverbotsbetroffenen. Rehabilitierung gefordert 
    Wenige Monate vor dem 50. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses haben Mitglieder der baden-württembergischen Initiativgruppe gegen die Berufsverbote zu einer Kundgebung in der Rhein-Neckar-Region aufgerufen. Etwa 100 Menschen kamen am Donnerstag abend zum Treffpunkt vor der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg. Zu Beginn versammelten sich mehrere von Berufsverboten Betroffene vor dem Eingang mit einem Transparent mit der Aufschrift: »Aufarbeitung! Entschuldigung! Rehabilitierung! Entschädigung!« DGB, VVN-BdA, die Partei Die Linke, SPD, Jusos und die Grün-Alternative-Liste im Gemeinderat unterstützten die Veranstaltung. Von DGB, GEW, Verdi und IG Metall gab es Grußworte. Die Grünen hatten zuvor offiziell erklärt: »Wir sind als Organisation bei der Kundgebung nicht dabei« – passend zum »Ampel«-Sondierungspapier, in dem Linke mit Rassisten und Nazis gleichgesetzt werden. Bisher haben vier Landtage Beschlüsse gegen den Unrechtserlass gefasst; in Baden-Württemberg blockiert der grüne Ministerpräsident Kretschmann. (…) Michael Csaszkóczy wies am Donnerstag darauf hin, dass die gesetzlichen Grundlagen der Berufsverbote, »Treuepflicht« und »Gewährbieteklausel« bis heute existieren, was zu Unterordnung und Anpassung führe. Dieses Erbe aus der Nazizeit müsse gestrichen werden. Dafür sollten sich alle demokratischen Bewegungen zusammenschließen. Der Vorstand der verfassten Studierendenschaft der PH hat im Anschluss an die Kundgebung Mitglieder der Initiativgruppe zu einer Diskussion eingeladen.“ Bericht von Martin Hornung, Heidelberg, in der jungen Welt vom 30.10.2021 externer Link

  • Ergebnisse der bundesweiten Konferenz zur Vorbereitung des 50. Jahrestag Radikalenerlasses 
    Aus der ganzen Bundesrepublik – zusammen mit einer großen Zahl von virtuell Teilnehmenden – hatten sich am 2.und 3. Juni ehemals Betroffene des Radikalenerlasses in den ver.di-Höfen in Hannover versammelt. Eingeladen hatte der Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote, als Kooperationspartner traten dankenswerterweise das Bildungswerk ver.di Niedersachsen, die GEW Niedersachsen und die Rosa-Luxemburg-Stiftung e.V. auf. Zahlreiche Initiativen aus den (ehemals westdeutschen) Bundesländern waren vertreten.
    Auftakt der Konferenz bildete am Mittwochabend ein Vortrag von Dr. Rolf Gössner, Jurist und Publizist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte. Gössner, selbst betroffen von über 40jähriger Bespitzelung durch den „Verfassungsschutz“, sprach über das Thema: „Verfassungsschutz“ als Fremdkörper in der Demokratie? Geschichte, Praktiken und Skandale eines ideologischen Inlandsgeheimdienstes“. Er berichtete zunächst von seiner juristischen Gegenwehr gegen die jahrzehntelange Bespitzelung. Im Dezember 2020 hatte das Bundesverwaltungsgericht in letzter Instanz festgestellt, dass seine Beobachtung von Anfang an rechtswidrig und „in handgreiflicher Weise unangemessen“ war, so dass nun alle über ihn gesammelten Daten zu löschen sind.
    Auf der Grundlage von Gössners Analyse, zusammen mit den eigenen Erfahrungen der Berufsverbotebetroffenen, fordert die Konferenz u.A. erneut die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes.
    Ein Teil der am Donnerstag folgenden Konferenz widmete sich noch einmal diesem Thema. In einem Vortrag wurde die Möglichkeit vorgestellt, bei den Verfassungsschutzbehörden ein sogenanntes Auskunftsersuchen zu stellen. Die Behörden sind dann verpflichtet, eine Zusammenfassung der gesammelten Daten an die beobachtete Person herauszugeben. Es wurden auch einige Beispiele von solchen Antworten verschiedener Landesämter für Verfassungsschutz präsentiert – so z.B. der Fall des langjährigen Tübinger Stadtrates Gerhard Bialas, der wegen seiner DKP-Mitgliedschaft seit nunmehr 70 Jahren vom baden-württembergischen Verfassungsschutz beobachtet wird. Ihm wurde sogar der Besuch einer Trauerfeier für einen verstorbenen Genossen vorgeworfen. Weitere Beispiele zeigten, wie erschreckend niedrig die Schwelle ist, um als Linke*r als potentieller Verfassungsfeind zu gelten, der beobachtet werden müsse: Besuche von Weihnachtsfeiern antifaschistischer Gruppen, die Kandidatur für das Studierendenparlament auf einer laut Verfassungsschutz „extremistisch beeinflussten“ Liste oder das Anmelden einer Versammlung für die Organisation „Seebrücke“ zur Evakuierung von europäischen Flüchtlingslagern während der Corona-Pandemie reichten, um ins Visier der Überwacher zu geraten. Bei erneuter Einführung einer Regelanfrage vor Einstellung in den öffentlichen Dienst könnten diese Informationen wieder für neue Berufsverbote genutzt werden.
    Diese Beispiele sorgten dafür, dass viele der Teilnehmenden motiviert wurden, ihr Recht auf Auskunft wahrzunehmen und eine Löschung durchzusetzen. Auf der Website www.datenschmutz.de befinet sich ein Generator zur einfachen Erstellung von Auskunftsersuchen…“ Aus der Presseerklärung vom 7.6.2021 (per e-mail) zur bundesweiten Konferenz der Betroffenen des Radikalenerlasses von 1972 in Hannover zur Vorbereitung des 50. Jahrestages in Berlin
  • Dokumentation der Konferenz der Initiative gegen die Berufsverbote am 2.Juni in Hannover: 1972 – 2022: 50 Jahre Berufsverbote Demokratische Grundrechte verteidigen! 
    Das Audioportal Freier Radios dokumentiert den Vortrag von Rolf Gössner und Diskussionsbeiträge zur Forderung Abschaffung des „Verfassungsschutzes“ als Text und Audiodatei externer Link Audio Datei
  • Aufruf von Betroffenen des „Radikalenerlasses“ an die Politik: „Beenden Sie die Berufsverbotepolitik endlich offiziell! Start einer bundesweiten Unterschriftensammlung in Vorbereitung des 50. Jahrestages im Januar 2022 
    Der 50. Jahrestag des Radikalenerlasses steht bevor – die Zeit ist reif, mehr Demokratie zu wagen!Aktuell fällt im Zusammenhang mit den Einschränkungen im Rahmen der derzeitigen Covid-19-Maßnahmen der Begriff des Berufsverbots. Und in der Tat ist es für Hunderttausende Menschen derzeit eine große Belastung, dass sie in ihrem Beruf nicht arbeiten können. Das sorgt für Unsicherheit und Existenzängste, selbst wenn es staatliche Unterstützungsmaßnahmen gibt – die aber nicht alle erhalten und die hinten und vorne nicht ausreichen. Die Berufsverbote der 70er und 80er Jahre für Tausende Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiteten oder sich dafür bewarben, hatten einen völlig anderen Hintergrund. (…) Der „Radikalenerlass“ vom 28. Januar 1972 externer Link von Kanzler Willy Brandt (den Brandt später selbst als seinen größten politischen Irrtum bezeichnete) und den Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer hatte schwere Folgen für die Betroffenen: Viele verloren ihre Arbeit oder wurden gar nicht erst eingestellt, allein deshalb, weil sie sich beispielsweise gegen Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam oder das Wiedererstarken alter Nazis engagiert und damit ihre im Grundgesetz garantierten Grundrechte wahrgenommen haben. Nie wurde den Betroffenen eine konkrete Dienstpflichtverletzung vorgeworfen, sondern es ging meist um die Mitgliedschaft in legalen linken Parteien und Organisationen, oder um Kandidaturen für Parlamente. Eine besonders üble Rolle dabei spielte der sogenannte Verfassungsschutz, der alle, die auch nur nach fortschrittlichen Einstellungen rochen, ausschnüffelte und die so gesammelten „Erkenntnisse“ an die Dienststellen weiterleitete. Dort saßen dann Beamtinnen und Beamte, die mit einem obrigkeitsstaatlichen Weltbild für Entlassungen und Nichteinstellungen sorgten. Die Hoffnung vieler damals Betroffener vor Gericht Recht zu bekommen, wurde nicht selten deshalb enttäuscht, weil an den Richtertischen Menschen saßen, die ihren ersten Amtseid auf Hitler geleistet hatten; Willi Geiger, ehemals Nazistaatsanwalt, war 26 Jahre lang Bundesverfassungsrichter. Finanzielle Hilfen vom Staat erhielten die vom Berufsverbot Betroffenen nicht; sogar um Arbeitslosenunterstützung mussten sie kämpfen. Für viele sind die Folgen bis heute gravierend. Viele sind gesundheitlich angeschlagen und die Pensionen oder Renten sind mehr als bescheiden…“ Presseerklärung vom 21. Januar 2021 ehemaliger Betroffener des Radikalenerlasses externer Link zum Aufruf und Unterschriftenaktion externer Link : „… Die nationale und internationale Solidaritätsbewegung, alle Menschen, die sich an diesem Kampf beteiligt haben, die Gewerkschaften und alle Initiativen gegen Berufsverbote haben sich um die Demokratie verdient gemacht. Ihre politische und materielle Unterstützung werden wir weiterhin brauchen. Es ist an der Zeit, den „Radikalenerlass“ generell und bundesweit offiziell aufzuheben, alle Betroffenen voll umfänglich zu rehabilitieren und zu entschädigen, die Folgen der Berufsverbote und ihre Auswirkungen auf die demokratische Kultur wissenschaftlich aufzuarbeiten…“
  • Siehe für nähere Informationen www.berufsverbote.de externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179724
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