[Buch] Solidarität – Kooperation – Konflikt. Migrantische Organisierungen und Gewerkschaften in den 1970/80er Jahren

[Buch] Solidarität – Kooperation – Konflikt. Migrantische Organisierungen und Gewerkschaften in den 1970/80er JahrenDie Geschichte der Arbeitsmigration in der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt von Auseinandersetzungen: um mehr Rechte und bessere Arbeitsbedingungen, gegen Rassismus und Erwerbslosigkeit. Es gab Momente von Solidarität, Konflikt und Kooperation mit den deutschen Gewerkschaften. Die sprachen sich einerseits politisch gegen Einwanderung aus, andererseits setzten sie sich immer wieder für die Belange von Kolleg*innen ohne deutschen Pass ein. Und die Migrant*innen forderten selbst, dass ihre Lage in Betrieb und Gesellschaft Teil der gewerkschaftlichen Agenda sein sollte. Wie haben sich migrantische und gewerkschaftliche Mobilisierungen in den 1970/80er Jahren gegenseitig beeinflusst? Sechs detaillierte Studien geben Einblicke in lokale Auseinandersetzungen um Arbeitszeitverkürzung, Betriebsschließungen, gewerkschaftliche Mitbestimmung, Beratungs- und Begegnungsarbeit im Stadtteil, rassistische Morde und kommunales Wahlrecht. Interviews mit Protagonist*innen in Stuttgart und Hamburg werden ergänzt durch vielfältiges Archivmaterial. Die Autorinnen erweitern mit diesem Buch die Geschichtsschreibung zu Gewerkschaften um den Blickwinkel der Migration und ergänzen die bisherige Forschung zu Migration und Gewerkschaften um den Fokus auf die turbulenten 1980er Jahre. Damit liefern sie zugleich Anregungen für aktuelle und künftige Zusammenschlüsse, die für eine »Gesellschaft der Vielen« eintreten.“ Umschlagtext des VSA-Verlags zum Buch von Anne Lisa Carstensen, Sabine Hess, Lisa Riedner und Helen Schwenken – siehe mehr Informationen und einen Buchauszug:

  • [Buchauszug] Für die 35-Stunden-Woche – gegen Rassismus? New
    „… 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich – so lautete die Forderung von IG Metall und IG Druck und Papier während der Tarifauseinandersetzungen von 1984. Der etwa siebenwöchige „Metallerstreik“ war einer der längsten und kämpferischsten der Nachkriegszeit. Bundesweit streikten 57.500 Metallarbeiter:innen – etwa 42.000 allein bei Daimler (Stand 23.5.1984; vgl. Stuttgarter Zeitung 1984), wo sich der tägliche Produktionsausfall auf etwa 600 Nutzfahrzeuge, 2.200 PKWs und einen Umsatzausfall von 120 Millionen DM täglich summierte (vgl. FAZ 1984). Im Bezirk Stuttgart, der im Zentrum der Auseinandersetzungen stand, streikten mehr als 30.000 Metaller:innen. Noch mehr Beschäftigte der Metallbranche waren von Aussperrungen betroffen: Etwa 543.000 wurden von ihren Arbeitgeber:innen ohne Lohnfortzahlung freigestellt (vgl. Weisser 1984: 92). Ziel des Streiks war die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden, um so gegen Arbeitslosigkeit vorzugehen und die Lebensqualität der Beschäftigten zu verbessern. Im Hintergrund stand die Verringerung der gesellschaftlich benötigten Arbeitszeit durch den technischen Fortschritt und die Verdichtung der Arbeit. (…) Die Auseinandersetzungen wurden und werden in der Regel als gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung wahrgenommen und nicht als migrantisch oder antirassistisch. Die Arbeitszeitverkürzung wurde schließlich für alle gefordert, unabhängig von Staatsbürgerschaft und Migrationsgeschichte. Trotzdem erklärte ein kurdischer Streikposten aus Stuttgart im Jahr 1984 in einem Interview: „Wer für die 35 Stunden argumentiert, damit nicht durch die Automation immer mehr arbeitslos werden, der kann eigentlich nicht gleichzeitig den Ausländern die Schuld für die Arbeitslosigkeit in die Schuhe schieben. So war die Diskussion um die 35 Stunden immer zugleich eine Diskussion gegen die Ausländerfeindlichkeit. – Eigentlich die erste große Kampagne der Gewerkschaft gegen Rassismus!“ (Speidel 1984: 95). (…) Der Arbeitskampf fand zudem in Zeiten eines zunehmend öffentlich – auch gewaltvoll – ausgetragenen Rassismus statt. (…) Diese rassistische Hochkonjunktur blieb aber nicht unerwidert. Auch die antirassistische Bewegung wuchs und differenzierte sich entlang verschiedener Problemdefinitionen, Organisierungsformen und unterschiedlicher Aktionsansätze aus (vgl. Räthzel 2012; Bojadžijev 2008). Gleichzeitig zum Streik fand zum Beispiel ein bundesweiter Marsch gegen Rassismus statt. Dabei bezogen sich Teile der Bewegung explizit auf die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Sie versuchten, die Gemeinsamkeit antirassistischer und klassenpolitischer Kämpfe in den Vordergrund zu stellen. Vor diesem Hintergrund und anknüpfend an die Worte des kurdischen Stuttgarter Streikpostens, die Ausgangspunkt für diese Fallstudie waren, stellt sich die Frage: Handelte es sich bei dem Metallerstreik von 1984 tatsächlich um den ersten großen Kampf der Gewerkschaften gegen Rassismus?“ Buchauszug im MiGAZIN am 3. Juni 2022 externer Link aus „Solidarität – Kooperation – Konflikt. Migrantische Organisierungen und Gewerkschaften in den 1970/80er Jahren“ von Anne Lisa Carstensen, Sabine Hess, Lisa Riedner, Helen Schwenken
  • [Buch] Solidarität – Kooperation – Konflikt. Migrantische Organisierungen und Gewerkschaften in den 1970/80er Jahren
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