Ist Ehrgeiz eine Tugend? Philosophische Anmerkungen zur Industriegesellschaft

Effizienz macht hässlich„… In unseren „Arbeitswelten“ ist das, was von mir erwartet wird, als „Professionalität“ meist klar definiert. Unser Verhalten vorsichtig nach diesen Erwartungen auszurichten ist die Voraussetzung jedes erfolgreichen Karriereschritts. Folgen wir diesem Muster des ständigen, mühevollen Erratens fremder Erwartungen, so lenken wir uns damit permanent von unserem eigenen Nachdenken und von unseren eigenen Wertvorstellungen ab. Insoweit wir ehrgeizig sind, verzichten wir darauf, uns an unserer eigenen Beurteilung der Sachverhalte zu orientieren und übernehmen stattdessen tendenziell die Haltung, die wir bei den maßgeblichen anderen vermuten. Ehrgeizig sein bedeutet eine stete innere Verrenkung: Wir kehren ein für andere simuliertes Innenleben nach außen in der Hoffnung, damit „weiterzukommen“. Das ist psychologisch anstrengend, entfremdet uns von den eigenen Gedanken und Werten und ist insofern gerade nicht der berühmte Weg des geringsten Widerstands. Die Krise unseres Wirtschaftssystems verlangt es, überkommene Strukturen infrage zu stellen und wirklich Neues – das heißt dem Establishment Verhasstes – auf den Weg zu bringen. Dazu braucht es Mut zum eigenen Urteil. Darin liegt meines Erachtens der Kern von Moralität: Wir behalten uns aufgrund eigenen Nachdenkens ein Veto gegen das vor, was in unserer Umgebung gesagt und getan wird. Anstatt um des Erfolges willen einfach eifrig (und vor allem für Umstehende bestens sichtbar…) mehr vom Gleichen zu liefern, rafft sich die moralische Person auf, die Dinge selbst zu beurteilen und danach zu handeln. Genau diese Praxis ist das Gegenmittel zum ehrgeizigen Konformismus, der in unseren Karrieren angelegt ist – das Gegenprogramm, mit dem wir unsere Welt verändern können.“ Beitrag von Michael Andrick vom 9. November 2021 bei Telepolis externer Link

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