Hören wir auf, der Arbeit hinterher zu rennen
„Arbeit für alle zu schaffen, ist ein wichtiges Ziel. Das schaffen wir aber nur, wenn wir die Rahmenbedingungen für die unbezahlte Arbeit verbessern, statt immer bloß der bezahlten hinterher zu rennen. Die Arbeit geht uns nicht aus, aber zumindest die bezahlte Arbeit macht sich rar. Mit der Folge, dass der Sesseltanz um die Arbeit schon bald mehr Ressourcen verschlingt als die (produktive) Arbeit selbst. (…) Das ist grotesk, aber das ist noch nicht alles. Denn dazu kommen noch die psychologischen Kosten. Ein Dossier auf einem Stapel von zehntausenden zu sein, ist hart. Auf engstem Raum neben tausenden Mitbewerbern zu sitzen und knifflige Frage zu lösen, braucht Nerven. Zum zweiten, dritten oder siebten Mal abgelehnt zu werden, kann auch bei robusten Naturen zum Stoff von Albträumen werden. Wenn das so weiter geht, geht eine ganze Generation vor die Hunde. Es muss dringend etwas geschehen. (…) Schlecht bezahlte, unregelmäßige Arbeit mit langen Arbeitswegen kann die Menschen erst recht in die Isolation treiben und die letzten familiären und nachbarschaftlichen Verbindungen kappen. In der Tat ist dieser Prozess schon weit fortgeschritten. Unser gesellschaftliches Leben ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr vom Arbeitsmarkt organisiert oder vielmehr desorganisiert worden. Arbeitskräfte werden ohne Rücksicht auf das gesellschaftliche Leben dort und dann eingesetzt, wo sie am meisten Geld generieren. (…) Doch bevor der Staat die direkte Arbeit monetarisiert, sollte er erst die Rahmenbedingungen wiederherstellen, unter denen direkte Arbeit gedeiht – in intakten Familien, Nachbarschaften und Vereinen. Genau diese Strukturen sind in den letzten Jahrzehnten durch die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte systematisch zerstört und geschwächt worden. (…) Die Menschen hinter der Arbeit herrennen zu lassen, ist also keine kluge Strategie. Damit kann man im besten Fall den Nachbarn ein wenig bezahlte Arbeit abluchsen, doch insgesamt nimmt damit sowohl die bezahlte als auch vor allem die unbezahlte Arbeit ab. Stattdessen muss man die Arbeit wieder zu den Menschen bringen…“ Artikel von Werner Vontobel vom 19. Juli 2017 bei Makroskop