[Buch] Konkurrenz – Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung?

Konkurrenz - Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung? Buch von Jakob Schäfer im Verlag new academic pressWettbewerb beherrscht unser Leben. Nicht nur Wirtschafts­unternehmen agieren unter der Peitsche der Konkurrenz, auch in vielen anderen Bereichen – Schule, Sport usw. – bestimmt Konkurrenz die Art unseres Zusammenlebens. Begründet wird dies gemeinhin mit dem angeblich naturgegebenen Kampf aller gegen alle und dem „angeborenen Egoismus des Menschen“. Doch stimmen diese vermeintlichen Wahrheiten überhaupt? Und vor allem: Was ist die Alternative? Diesen Fragen geht das Buch in fünf Abschnitten nach: Die besondere Bedeutung der Konkurrenz in der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung; Kooperation statt Konkurrenz; Neuere Forschungsergebnisse zur Kooperation in Natur und Gesellschaft; Die Kooperation nach der Überwindung des Kapitalismus; und Auf dem Weg zur kooperativen Lebensweise.“ Klappentext der Neuerscheinung von Jakob Schäfer im Verlag new academic press – siehe mehr Infos zum Buch und als Leseprobe die Einleitung:

  • Jakob Schäfer: Konkurrenz – Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung?
  • Der Autor, Jahrgang 1948, hat jahrzehntelang in der Industrie gearbeitet und ist – neben seiner Mitwirkung in der Klimaschutzbewegung ‒ auch im Rentenalter weiterhin gewerkschaftlich aktiv. Zusammen mit Guenther Sandleben veröffentlichte er 2013 im isp-Verlag Apologie von links. Zur Kritik gängiger linker Krisentheorien. Im Verlag new academic press erschienen 2022 sein Buch Die Warengesellschaft und die Herausforderung der multiplen Krise und 2023 das Buch Mellopolis ’48 – Eine Reportage. Vision einer Gesellschafsordnung nach der Überwindung des Kapitalismus.

 

Einleitung

Angesichts der kombinierten und sich zuspitzenden Krisen der kapitalistischen Gesellschaft ist in der Klimabewegung und darüber hinaus der Wunsch nach einem Systemwechsel weit verbreitet. Der Überwindung des Kapitalismus stehen allerdings bedeutende Hindernisse im Weg, und zwar auf verschiedenen Ebenen:

Erstens herrscht allgemeine Unklarheit darüber, was denn konkret an die Stelle des Kapitalismus treten könnte und sollte. (Auf die reaktionären „Lösungs“vorstellungen gehen wir hier nicht ein, schließlich werden sie die Krise der Menschheit nur verschärfen.)

Zweitens lassen die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts viele Menschen an der Funktionsfähigkeit (aber auch an der Wünschbarkeit) eines nichtkapitalistischen Systems zweifeln. Dazu tragen schließlich auch die Entwicklungen im ehemaligen Ostblock bei.[1] In den Abschnitten IV und V wollen wir aufzeigen, wie denn die Alternative zum Kapitalismus aussehen kann.

Drittens ist für viele Kritiker:innen des Kapitalismus (auch für linke Antikapitalist:innen) unklar, wie denn angesichts der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse eine Gesellschaftsordnung ohne Ausbeutung und Unterdrückung durchzusetzen ist und wer die Kräfte für die Realisierung einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft sein können.

Im Grunde allerdings liegen die Schwierigkeiten, die Mehrheit der Menschen für eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu gewinnen, noch tiefer; denn sie sind größtenteils davon überzeugt, dass der Mensch von Grund auf egoistisch ist, kurz: dass ein friedliches Zusammenleben ohne Ausbeutung und Unterdrückung unmöglich ist. Dies liege an der Natur des Menschen. Begründet wird dies mit eigenen Erfahrungen wie auch mit Behauptungen oft zitierter Autoren (etwa Darwin, Haeckel, Spencer, Dawkins und anderen).

Zentral für die Zählebigkeit dieser Vorstellung ist die Rolle von Wettbewerbsfähigkeit und Wettkampf/Konkurrenz. Dies sind Schlüsselmechanismen, ohne die die kapitalistische Wirtschaft nicht funktionieren kann; gleichzeitig bilden sie die vorherrschenden – oft die alles entscheidenden – Verhaltensmuster des gesellschaftlichen Lebens im Kapitalismus und sind zentrale Instanzen der bürgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Damit sie gut funktionieren, werden diese Muster auf vielfältige Weise ideologisch untermauert: Der Kampf jeder gegen jeden liegt demnach in der Natur des Menschen. Oder wie Thomas Hobbes, einer der wichtigsten Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft, es vorgebetet hat: Der Krieg aller gegen alle (bellum omnium contra omnes) ist der Naturzustand der Menschheit[2].

Zu diesem Leitbild gehört ganz wesentlich die Maxime der privaten Bereicherung – also des Habens statt des Seins[3], was in der Konsequenz auf Kosten der Gemeinschaft geht, in jedem Fall aber auf Kosten des guten Lebens. Das gilt schon dann, wenn wir noch gar nicht auf die Folgen für die Umwelt oder etwa auf das Schüren von Kriegen schauen. Diese Mechanismen sind übrigens nicht erst im Neoliberalismus ein bestimmendes Merkmal des Kapitalismus.[4]

Aus zwei Gründen ist das kapitalistische Menschenbild in weiten Teilen der Bevölkerung so stark verinnerlicht, dass es im Alltag extrem schwierig ist, es zu hinterfragen beziehungsweise sich für eine Alternative stark zu machen. Zum einen ist die Macht der herrschenden Verhältnisse im Alltagsleben – vor allem im Arbeitsleben, im Bildungssektor usw. – so stark und häufig mit unmittelbarem Zwang ausgestattet, dass ein individuelles Aufbegehren in der Regel nur zu Frust oder gar Demoralisierung führt. Zum anderen hinterlässt die gut funktionierende Propaganda der Massenmedien und der staatlichen Instanzen tiefe Spuren im Bewusstsein der Menschen.

Die Vorstellung der Unvermeidbarkeit von Konkurrenz (sowie des persönlichen Konkurrenzverhaltens) und gleichzeitig die permanente Propagierung von Wettkampf im Sport, im Berufsleben usw. basiert auf vier Mythen. Alfie Kohn[5] fasst sie sinngemäß so zusammen:

  1. Wettkampf (Konkurrenz) ist ein unumgänglicher (nicht zu verhindernder) Bestandteil der menschlichen Natur.
  2. Konkurrenz motiviert uns, unser Bestes zu geben. Ohne Konkurrenz wären wir nicht produktiv.
  3. Nur mit Wettkampf können wir eine gute Zeit haben (uns vergnügen). Deshalb müssen Spiele grundsätzlich Wettbewerbscharakter haben.
  4. Der Wettkampf bildet den Charakter und ist gut für das Selbstvertrauen.

Oliver Heuler schreibt: „Kein Teil unseres Lebens kann dem Zwang entgehen, uns selbst und andere in Rangfolgen zu bringen. So ist der berühmte Ausspruch von Vince Lombardi »Gewinnen ist nicht alles, es ist das Einzige«, nicht nur ein Ausdruck eines fanatischen Football-Coaches, er ist der kulturelle Imperativ.“[6]

Aus der bestehenden Wirtschaftsordnung ergibt sich die Wettbewerbsmaxime, die (systembedingt) den ökonomischen Egoismus fördert, der bis tief ins Privatleben hineinwirkt und auch Lebensbereiche erfasst, die – selbst mittelbar – mit wirtschaftlichem Gewinnstreben nichts zu tun haben. Und da die Konkurrenz das alles entscheidende Moment für das Funktionieren des Kapitalismus ist, hat sie auch für das internationale Geschehen (Geopolitik) ihre Folgen. Internationale Konkurrenz der Konzerne und ihre Auswirkungen – etwa das Gegeneinander-Ausspielen von Belegschaften in der Standortkonkurrenz – sind genauso weitreichend wie die Aushöhlung sozialer Sicherungssysteme in der Konkurrenz der „Wettbewerbsstaaten“.[7]

Ein weiterer Faktor für die ideologische Macht der kapitalistischen Existenzweise liegt darin, dass es nicht einfach ist, den konkreten Funktionsmechanismus der kapitalistischen Produktionsweise und die Reichweite seiner Mechanismen zu erfassen.

Diese komplexe Lage macht es sinnvoll, im ersten Teil dieser Schrift zu erläutern, warum die kapitalistische Gesellschaftsordnung für das Leben der Menschen und das Schicksal der Menschheit insgesamt schädlich ist. Sodann wollen wir relativ ausführlich die weithin ignorierten (auch vielen Linken unbekannten) neueren Forschungsergebnisse verschiedener Wissenschaftszweige darstellen. Seit Jahrzehnten und ganz besonders seit den 1980er Jahren sind in einschlägigen wissenschaftlichen Fachbüchern und -zeitschriften unzählige Untersuchungen veröffentlicht worden, die die Mythen des angeborenen Egoismus und der Unvermeidbarkeit des Kampfs jedeR gegen jedeN sowie der Nützlichkeit der Konkurrenz widerlegen. Angesichts der Interessenlage der Herrschenden ist es allerdings kein Wunder, dass die populärwissenschaftlichen Zusammenfassungen dieser Erkenntnisse in den großen Medien kaum eine bis gar keine Rolle spielen. So bleiben selbst die etwas bekannteren populärwissenschaftlichen Bücher (etwa von Rutger Bregman[8]) ohne Folgen für den öffentlichen Diskurs. Deswegen wollen wir einiges von dem zusammenfassen, was die Forschungen der letzten Jahrzehnte auf den Gebieten der Biologie, Evolution, Neurobiologie, Sozialpsychologie und Spieltheorie zutage gefördert haben. Zwei Fakten springen dabei besonders ins Auge:

Erstens: Es ist frappierend, wie diese verschiedenen Wissenschaftszweige in Sachen Kooperation unabhängig voneinander zu Ergebnissen gelangen, die die Schlussfolgerungen in den jeweils anderen Zweigen stützen (bzw. bestätigen).

Zweitens: Im Grunde kommen diese Ergebnisse zu recht ähnlichen Schlüssen, wie sie Kropotkin[9] bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts präsentiert hatte.

Eine wesentliche Besonderheit darf allerdings nicht übersehen werden: Die Erklärung, was die Gründe dafür sind, dass die offensichtlich überlegene Kooperation nicht als die vorherrschende Existenzweise in der Gesellschaft durchgesetzt wurde, bleibt bei den neueren Forschungen vollkommen unterbelichtet. Manche Autoren ergehen sich sogar in widersprüchliche Deutungsversuche. In der vorliegenden Schrift gehen wir auch dieser Frage nach und wagen eine Erklärung für das Manko der diversen Untersuchungen.

Anmerkungen:

[1] Auf die seinerzeit (in den frühen 1920er Jahren) vorhandenen Möglichkeiten der Realisierung eines wirklichen Sozialismus und auf die Gründe für das Entstehen der stalinistischen Diktatur können wir in dieser Schrift nicht näher eingehen. Zur Analyse der Entwicklungsgeschichte der Sowjetunion verweisen wir an dieser Stelle auf die Bibliographie, und zwar unter den Autoren Arz / Sauer, Dahmer, Mandel und Trotzki.

[2] Zunächst formulierte Hobbes seine Theorie in De Cive (1642) und später in seiner staatstheoretischen Schrift Leviathan (1651)

[3] Siehe dazu: Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart (DTV) 1979

[4] Hier irrt Andreas von Westphalen, wenn er in seinem Buch schreibt: „Konkurrenz ist nicht zuletzt das zentrale Merkmal des Neoliberalismus, wie der Guardian-Journalist George Monbiot in seinem Versuch schreibt, dieses widersprüchliche Phänomen zu definieren.“ Westphalen, Andreas von: Die Wiederentdeckung des Menschen. Warum Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen. Frankfurt (Westend Verlag) 2019, S. 162

[5] Kohn, Alfie: No Contest. The Case Against Competition. [Why we lose in our race to win], New York, 1986 (1992); S. 8

[6] Heuler, Oliver: Staatsreligion Wettbewerb. Drei Mythen dienen als Standbeine, Trend onlinezeitung 04/2008   https://www.streifzuege.org/2008/staatsreligion-wettbewerb/

[7] Zu Letzteren siehe auch: Hirsch, Joachim: Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensystems, Hamburg (VSA) 2005; im Besonderen S. 145 ff.

[8] Bregman, Rutger: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit, Hamburg (Rowohlt) 2021

[9] Kropotkin, Peter: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Berlin (Hofenberg) 2018 (engl. Originalausgabe 1902, deutsche Erstausgabe 1904)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=223764
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