Apologie der Arbeitsgesellschaft: Wie Staat und Industrie Flüchtlingspolitik als Gesellschaftspolitik betreiben
„… Die neu Eingewanderten sollen möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden, möglichst schnell aus den Transitzonen überfüllter Notunterkünfte in die normalen Wohngebiete der Mehrheitsgesellschaft umziehen. Dahinter steckt dasselbe Gesellschaftsmodell und dieselbe Sozialphilosophie wie schon hinter den Hartz-Reformen und der ganzen Agenda 2010: Deutschland ist eine Lohnarbeitsgesellschaft, und die einzig anerkannte Form sozialer Integration ist diejenige in den Arbeitsmarkt. Diese Sozialphilosophie hat in Deutschland die massenhafte Niedriglohnarbeit salonfähig gemacht. Was die Agenda 2010 mit den Einheimischen versucht hat, soll nun also auch mit den Einwanderern passieren: die möglichst schnelle und möglichst unbürokratische Integration in den Arbeitsmarkt – auch zu niedrigen Löhnen, die dann eben staatlich aufgestockt werden. Nicht einmal im Ansatz möchten die meinungsbildenden Medien die Frage diskutieren, was die vielen Fremden und Flüchtlinge hier tun sollen und können. Denn dann müssten wir uns fragen, ob unser herrschendes Gesellschaftsmodell die Menschen nicht viel zu einseitig und viel zu riskant auf eine einzige, arbeitsgesellschaftliche Identität festlegt. Im Rahmen der Doktrin der Lohnarbeitsgesellschaft ist das Entstehen von sogenannten Parallelgesellschaften unvermeidlich – und zwar von Ausländern wie Inländern gleichermaßen…“ Artikel von Michael Hirsch ohne Datum, am 12. April 2016 dokumentiert im Blog „Nachdenken… in München“. Weiterhin im Text:
- „… Wenn Erwerbsarbeit als einziges Modell sozialer Integration propagiert wird, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die anderen Formen von sozialer Praxis und soziokultureller Integration verkümmern. Ebenfalls nicht wundern dürfen wir uns über den wachsenden Druck auf die Löhne im unteren Einkommenssegment. Während die wirkliche politische Aufgabe immer in der politischen Regulierung sozialer Unterschiede von Einkommen, Bildung und sozialen Teilhabechancen liegt, betreibt die staatliche Forcierung der Steigerung des Arbeitskraftangebots eine soziale Spaltung der Gesellschaft.
Das einseitige Modell der Arbeitsgesellschaft betreibt heute eine gutgemeinte Flüchtlingspolitik als fragwürdige Gesellschaftspolitik. Es wird Zeit, diese Flüchtlingspolitik endlich von links zu kritisieren. Dann nämlich stellt sich die Frage, was ein Mensch eigentlich können und lernen muss, um ein guter Bürger in einer demokratischen Gesellschaft zu werden. Dann zeigte sich, dass nicht nur viele Ausländer, sondern auch viele Inländer diesbezüglich große Defizite haben. Falls die deutsche Gesellschaft ernsthaft darüber nachdenken würde, wie eine gute und gerechte Gesellschaft aussieht, dann müssten wir über ein Modell nachdenken, das wirklich allen Bürgern eine Erwerbsbeteiligung zu sozial gerechten Bedingungen ermöglicht. Dies ist nicht anders denkbar als mit radikal verringerten Arbeitszeiten für alle Bürger jeder Herkunft…“