Wider die Ideologie der Beschäftigung
In einem Gespräch mit Hans-Jürgen Arlt weist der Münchner Publizist, Philosoph, Politikwissenschaftler und Kunsttheoretiker Michael Hirsch u.a. daraufhin: „… Wir leben in einem Staat der Arbeitsbeschaffung. Obwohl immer mehr Reichtum mit immer weniger Arbeit erzeugt wird, werden Mangel, soziale Ungleichheit und sozialer Ausschluss, Stress, Angst, Zeitarmut und kulturelle Armut nicht weniger, sondern nehmen eher zu. Anstatt zu überlegen, wie wir Arbeit so organisieren, damit mit dem geringsten Kraft- und Zeitaufwand sowie unter Einbeziehung und zum Wohle aller Menschen die notwendigen Güter erzeugt werden, hängen wir einer Ideologie der Beschäftigung an. Theodor W. Adorno schrieb schon 1961: »Vollbeschäftigung wird zum Ideal, wo Arbeit nicht länger das Maß aller Dinge sein müßte.« Daran hat sich bis heute nichts geändert…“ Hans-Jürgen Arlt im Gespräch mit Michael Hirsch am 15. Juli 2016 beim OXI-Blog
- Weiterhin im Text: „(…) Der Staat der Arbeitsbeschaffung betreibt vor allem eine Umdeutung des Phänomens der Arbeitslosigkeit: Wo es in Wirklichkeit darum ginge, die vorhandene und strukturell immer weiter zurückgehende Menge an Erwerbsarbeit sowie ihre Erträge gerecht unter den Gesellschaftsmitgliedern zu verteilen, versucht der neoliberale Staat weniger, sinnvolle Arbeit für Menschen zu schaffen, die welche suchen, als vielmehr durch Androhung von Strafen Arbeitskräfte für Beschäftigungen zu schaffen, die eigentlich keiner haben will. (…) Kein Wunder, dass auf diese Weise massenhaft schlechte Arbeit, Niedriglohnarbeit und entregelte Arbeitsverhältnisse entstanden sind und die soziale Spaltung der Gesellschaft voranschreitet. (…) Wenn die progressiven gesellschaftlichen Kräfte keine klaren, die gesamte Bevölkerung ansprechenden Alternativmodelle zur Debatte stellen, dann wird die Lücke eben durch Rechtspopulisten, Nationalisten und Faschisten gefüllt. Der Erfolg rechtspopulistischer und rechtsradikaler Strömungen bei Arbeitern, Prekären und Arbeitslosen ist stets das Symptom einer politischen Schwäche der Linken. Insofern liegt die Schuld hier bei den großen Partei-, Gewerkschafts-, Medien-, Schul- und Hochschulapparaten der Linken. Sie scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, dass das auch »ihre« Leute sind, die da – wohl mehr aus Verzweiflung denn aus Überzeugung – nach ganz rechts abwandern…“