Precht versus Butterwegge zum BGE: Ein besseres Leben für alle oder das Ende des Sozialstaats?
„Wenn Maschinen immer mehr Arbeit übernehmen, brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen, meint der Philosoph Richard David Precht. Der Politologe Christoph Butterwegge hält das für falsch: Ein Grundeinkommen höhle den Sozialstaat aus. Finanzbeamte, Bankangestellte, Call-Center-Mitarbeiter – schon bald werden die meisten von ihnen voraussichtlich nicht mehr gebraucht, und Computer erledigen ihre Aufgaben. Von diesem Szenario ist der Philosoph Richard David Precht überzeugt. Er sieht die Industriestaaten an der Schwelle zu einem „zweiten Maschinenzeitalter“. Die Digitalisierung bringe einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt mit sich: „Ich glaube, dass wir in eine Zeit kommen, in der ein Teil jener Berufe, die man algorithmisieren kann, tatsächlich algorithmisiert wird, und zwar überall dort, wo Menschen nicht dezidiert Wert darauf legen, mit Menschen zu tun zu haben.“ (…) Der Politologe Christoph Butterwegge hält das Grundeinkommen dagegen für einen Irrweg: Es sei weder sozial noch gerecht, sondern stehe für eine „Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip“. Lebensrisiken wie Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit ließen sich auf diese Weise nicht absichern, so Butterwegge, denn bei einem Grundeinkommen bleibe die Lebenssituation und der individuelle Bedarf eines Leistungsempfängers unberücksichtigt: „Das Grundeinkommen behandelt alle gleich und tut so, als gäbe es Gleichheit, die wir aber erst herstellen müssen.“ (…) Butterwegge: „Wenn Roboter die Arbeit tun und die Werte schaffen, dann stellt sich die Frage: Warum gehören die Roboter nicht uns allen? Dann stellt sich die Frage nach Sozialisierung von Produktionsmitteln und Überwindung des Kapitalismus. Aber diese Frage wird vernebelt durch die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen. Und das ist einer der vielen Gründe, aus denen ich es ablehne.“ Richard David Precht und Christoph Butterwegge im Gespräch mit Simone Miller beim Deutschlandfunk Kultur am 15. Juli 2018 (Audiolänge: ca. 40 Min., abrufbar bis zum 21. Januar 2019). Siehe Kommentare:
- Ungleiche ungleich behandeln: Ronald Blaschke findet, neoliberale wie linke Kritiker stellen das Bedingungslose Grundeinkommen falsch dar
„Viele Nutzer sozialer Medien haben sich letzte Woche über David Precht empört, aus gutem Grund. Der Philosoph hatte sich ein Streitgespräch mit dem Armutsforscher Christoph Butterwegge geliefert. Nach Precht wäre ein Grundeinkommen von 1500 Euro ein Stück mehr Sozialismus im Kapitalismus. Aber dann folgte eine Äußerung, die auf Twitter und Facebook viele erschreckte: »Ich würde Kindern kein Grundeinkommen bezahlen.« Auch das Kindergeld solle gestrichen werden. Wer 1500 Euro Grundeinkommen habe und keine berufliche Perspektive, solle nicht auf die Idee kommen, fünf Kinder in die Welt zu setzen. Zu Recht antwortete Grundeinkommensgegner und Diskussionspartner Christoph Butterwegge: »Das ist sozialreaktionär.« (…) Doch Precht vertritt in diesem Punkt nicht nur eine sozialreaktionäre Position, er hat neben einer klaffenden Wissenslücke auch ein enormes Gerechtigkeitsdefizit: Kinder und Jugendliche sind Grundrechteträger wie Erwachsene, haben also genauso das Recht auf eine bedingungslose Absicherung ihrer Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. Der Philosoph kennt die sozialpolitischen Debatten in diesem Land offenbar nicht. (…) Butterwegge hingegen unterschlägt bekannte Grundeinkommenskonzeptionen, diffamiert und macht unüberlegte Vorschläge…“ Kommentar von Ronald Blaschke bei neues Deutschland vom 26. Juli 2018
- Redaktion LabourNet Germany: Bei allem Verständnis für Christoph Butterwegges (altbekannte) Einwände, seine Gegnerschaft gegenüber einem Bedingungslosen Grundeinkommen von Precht enthält erhebliche – ebenso altbekannte – Schwäche: Sei es nun die Alters- oder die Kinderarmut, Butterwegge ignoriert (wieder einmal) völlig, dass ein Sozialstaat kaum noch existiert – außer als Zwangsmittel für Niedriglöhne und staatliche Lohnsubvention. Auch wenn die „Roboter uns allen gehören“, bleibt die Frage: Wovon leben? Es bleibt unverständlich, warum eine existenzielle Unabhängigkeit vom Verkauf der Arbeitskraft (wegen eines Grundeinkommens) den Neoliberalismus stärken soll, wenn die existenzielle Abhängigkeit vom Verkauf der Arbeitskraft doch die entscheidende Basis des Neoliberalismus ist. Aber auch sonst sieht Christoph Butterwegge gegenüber Richard David Precht eher alt aus – besonders mit seinem Bild vom Kapitalismus…