Bedingungsloses Grundeinkommen als Grundrecht? Geschichte, Gegenwart und Zukunft einer (bisher) utopischen Forderung
„… Eine besondere Pointe der Grundeinkommensforderung besteht schließlich darin, dass seine Einführung der Gesellschaft sowohl einen gesteigerten Individualismus als auch gesteigerte Solidarität abverlangt. Eine dominant individualistische Gesellschaft wird niemals die Solidarität aufbringen, allen – und das heißt aus Sicht des Einzelnen vor allem: allen anderen – ein bedingungsloses Grundeinkommen zuzugestehen. Umgekehrt wird eine dominant solidarische Gesellschaft die Individuen niemals so freilassen, wie es die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens erfordert. Anders gesagt: Die Individualisierung des Individuums, die das Grundeinkommen ermöglicht, lässt sich nur dann verwirklichen, wenn sich die Gesellschaft zugleich solidarischer begreift. Und die Solidarisierung der Gesellschaft, die das Grundeinkommen ermöglicht, lässt sich nur dann verwirklichen, wenn das Individuum zugleich individualistischer begriffen wird. Praktisch heißt das: Will ich die Freiheiten eines bedingungslosen Grundeinkommens für mich selbst in Anspruch nehmen, muss ich bereit sein, sie allen anderen ebenfalls zuzubilligen. Ich muss mich nicht nur für meine eigene, sondern gleichermaßen für die Freiheit der anderen einsetzen. Der neue Gesellschaftsvertrag, den das bedingungslose Grundeinkommen erforderlich macht, umfasst sowohl Freisinn als auch Gemeinsinn, Eigeninitiative ebenso wie Interesse am anderen. Wenn wir diese Bedingtheiten eines bedingungslosen Grundeinkommens berücksichtigen und willens sind, ihnen Rechnung zu tragen, dann muss seine Forderung nicht länger utopisch bleiben.“ Artikel von Philip Kovce vom 18. September 2020 bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)