[Buch] Kritik der linken Kritik am Grundeinkommen
„Karl Reitter nimmt sich die linke Kritik am Grundeinkommen vor: Er analysiert und kritisiert vor dem Hintergrund aktueller ökonomischer, sozialer und politischer Entwicklungen Einwände, die von Linken unterschiedlicher Orientierung vorgebracht werden. Der Bogen spannt sich vom Vorwurf, es handle sich um ein neoliberales Projekt, über die Behauptung, der treffsichere Sozialstaat dürfe nicht durch die ›Gießkanne‹ Grundeinkommen ersetzt werden, bis zum Einwand, jene, die ›nur‹ ein Grundeinkommen beziehen würden, würden auf Kosten der Lohnarbeiter*innen leben. Ebenso wird auf Befürchtungen eingegangen, ein Grundeinkommen würde Frauen zurück an den Herd drängen und das Engagement für Arbeitskämpfe würde sinken. Dem Einwand, ein Grundeinkommen sei unfinanzierbar, wird ebenso entgegnet wie der Behauptung, nur die Lohnarbeit könne den Menschen Sinn und Anerkennung vermitteln. Zugleich stellt Reitter klar, worum es den Befürworter*innen eines emanzipatorischen Grundeinkommens eigentlich geht, welche Bedeutung es für eine offensive Verteidigung des Sozialstaats und für große Bevölkerungsteile hinsichtlich Einkommenssicherheit hat – und was es tatsächlich bedeutet, es abzulehnen.“ Umschlagtext zum Buch von Karl Reitter, gerade im Mandelbaum-Verlag erschienen. Siehe weitere Infos zum Buch und als exklusive Leseprobe im LabourNet Germany das Kap.4: Primärverteilung und/oder Sekundärverteilung – wir danken Karl und dem Verlag!
- Das Buch: 18.00 €, 268 Seiten, ISBN: 978385476-901-9, Erschienen: April 2021
- Infos zum Buch und Bestellung beim Mandelbaum-Verlag und ebd. Kap.1: Grundfragen des Grundeinkommens als Leseprobe beim Verlag (samt Inhaltsverzeichnis und Einleitung)
- Primärverteilung und/oder Sekundärverteilung
„Unter Primärverteilung oder primäre Einkommensverteilung sind die Einkünfte aus unmittelbaren Erwerbseinkommen zu verstehen. Primär deshalb, weil der im kapitalistischen Sektor produzierte Mehrwert unmittelbar zwischen dem Kapital (in den Formen Profit, Zins und Grundrente) und der ArbeiterInnenklasse in Form der Löhne und Gehälter aufgeteilt wird. Unter Sekundärverteilung sind staatliche Transfers wie alle Formen von sozialer Unterstützung, Pensionen und anderen Zuwendungen aus dem Steueraufkommen und den Sozialversicherungsbeiträgen zu verstehen. Das Grundeinkommen wäre eine Form der Sekundärverteilung. Ich vertrete hier die These, dass die Auseinandersetzung um die Primärverteilung (also die Erwerbseinkommen) unter immer ungünstigeren Bedingungen geführt werden muss. Es gilt also, das Terrain des gesellschaftlichen Kampfes um die Sekundärverteilung zu erweitern, also Profite, hohe Einkommen und hohen Besitz via Steuern als Grundeinkommen umzuverteilen. Beide Orientierungen schließen sich nicht kategorisch aus, sondern können sich sehr wohl ergänzen. Auch bei diesem Thema zeigt sich erneut die Einseitigkeit und Starrheit der Positionen unserer KritikerInnen. Für sie ist die Primärverteilung der einzige und entscheidende Hebel für die Sicherung der Einkommen der lohnabhängigen Menschen. Die Sekundärverteilung wird nur für Personen akzeptiert, die zu jung, zu krank, oder zu alt für Lohnarbeit sind oder eben trotz aller Bemühungen keinen Arbeitsplatz gefunden haben. Gesellschaftspolitisch läuft bei unseren KritikerInnen alles darauf hinaus, die Primäreinkommen zu sichern und zu erhöhen. Sekundäreinkommen haben in ihren Konzeptionen bloß die Funktion, Primäreinkommen in Notfällen zu ergänzen und nötigenfalls zu substituieren. Schon die Idee, systematisch an beiden Hebeln anzusetzen, also auch die Sekundäreinkommen, wie es das Grundeinkommen darstellt, als ernsthafte gesellschaftliche Alternative zu stärken und zu entwickeln, wird kategorisch abgelehnt. (…) Unsere KritikerInnen lassen sich auch nicht durch die Tatsache irritieren, dass auch jetzt ganz ohne Grundeinkommen Niedriglöhne weltweit der Standard sind. Die Möglichkeit für Arbeitskräfte durch das Grundeinkommen »Nein« zu unwürdigen Arbeitsbedingungen und zu angebotenen Niedriglöhnen zu sagen, soll als Argument nicht gelten. Andererseits wird der Fokus auf die Sekundärverteilung auch mit ethischen und moralischen Argumenten abgelehnt. Die Sekundärverteilung soll die Primärverteilung nicht wesentlich ergänzen oder gar ersetzen. (…) Aber ihr Standpunkt hat doch Methode. Da jede Alternative zur Primärverteilung strikt abgelehnt wird, bleibt offenbar nur die Option eines erzwungenen Optimismus. Ralf Krämer, der einen Kreuzzug gegen das Grundeinkommen führt, schreibt auf einer seiner Folien : »Millionen neue gute Arbeitsplätze für Soziale Dienste, Bildung, Öko-Umbau sind besser, leichter finanzierbar, bündnisfähiger und durchsetzbarer« als das Grundeinkommen. (Krämer 2017 ; Folie 25) Selbst der sehr bedächtig argumentierende Joachim Bischoff behauptet : »Die Fähigkeiten der Gewerkschaften zur Durchsetzung von angemessenen Einkommensforderungen und von Arbeitszeitverkürzungen schafft die Grundlage für erhöhten privaten Konsum und ist die Folge beschäftigungswirksamer Effekte.« (Bischoff 2007 ; 89) Bischoff schrieb das 2007, wäre es nicht angemessen, heute, dreizehn Jahre später, Bilanz zu ziehen? Das »Wünsch dir was«, mit dem sie das Konzept des Grundeinkommens als unrealistisch und unrealisierbar abkanzeln, trifft mindestens ebenso auf ihre Orientierung zu. Mit welcher Unbedarftheit ein gezähmter, sozialer und gerechter Kapitalismus als Ziel angestrebt wird, selbstredend mit guter, befriedigender und zeitlich reduzierter Arbeit, ist schon erstaunlich. (…) Unser höchst engagierter Kämpfer gegen das Grundeinkommen, Christoph Butterwegge, schreibt, und ich gebe ihm da völlig recht: »Nie war das Kapital mächtiger und weltbeherrschender als gegenwärtig, weshalb die politischen Forderungen seiner KritikerInnen, wenn diese ernstgenommen werden und sich durchsetzen wollen, realitätsgerecht, d. h. erheblich weniger illusionär sein müssen.« (Butterwegge 2018 ; 211) Warum es leichter und weniger illusionär sein soll, auf der Ebene der Primärverteilung denn auf der Ebene der Sekundärverteilung zu punkten, das freilich ist nicht nachvollziehbar. (…) Diese komplexe hierarchische Struktur der Einkommen und der Arbeitsbedingungen war und ist weltweit so, seit Jahren und Jahrzehnten, überall auf der Erde. Die Ökonomisierung sozialer Herrschaftsstrukturen ist eine unbestreitbare Tatsache. Sie könnte nur durch eine vollkommen unrealistische und utopische Maßnahme wirklich überwunden werden, nämlich durch absolut gleiche Löhne für alle und für jede Tätigkeit, egal welche. Die Forderung »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« hingegen lässt die Hierarchien bestehen und legitimiert sogar ungleiche Bezahlung, wenn die Arbeit eben »ungleich« ist. Selbst wenn es gleich viel Ärztinnen wie Ärzte, männliches wie weibliches Pflegepersonal geben sollte, verdienen ÄrztInnen wesentlich mehr als Pflegekräfte. Die Hierarchie der Löhne und Wertschätzungen bleibt bestehen. (…) Die Perspektive auf die Primärverteilung ist offensichtlich seit Jahrzehnten in der Krise. Warum also nicht die Strategie wechseln, warum die Primärverteilung nicht durch die Perspektive auf eine umfassende und niemanden ausschließend Sekundärverteilung ergänzen? Warum nicht dem Neoliberalismus eine neue Orientierung gegenüberstellen, warum stattdessen ausschließlich auf den etwas altbackenen Gewerkschaftskampf setzen, obwohl sich die gesellschaftlichen Bedingungen dafür permanent verschlechtern? Die bloße Teilhabe an der Primärverteilung garantiert insbesondere für die neuen prekären Arbeitsformen wenig bis nichts. Die traditionelle gewerkschaftliche Orientierung ist weder umfassend gesamtgesellschaftlich ausgerichtet, noch stärkt es die individuelle Verhandlungsmacht…“ Kap.4: Primärverteilung und/oder Sekundärverteilung (S. 62-75) samt Inhaltsverzeichnis und Einleitung
Siehe auch: [20.1.2021] Online-Seminar mit Karl Reitter: Kritik der linken Kritik am Grundeinkommen