»Keynesianismus ist nicht unbedingt links«
Die Austeritätspolitik in der EU wird oft als alternativlos dargestellt. Viele Linke erhoffen hingegen vom Keynesianismus ein besseres Leben. Die Jungle World sprach mit dem Politikwissenschaftler und Publizisten Ingo Stützle über die Euro-Krise, Austerität und den Keynesianismus. Diesen Herbst erschien Stützles Studie »Austerität als politisches Projekt« (Westfälisches Dampfboot). Interview von Axel Berger in der Jungle World vom 14. November 2013
Aus dem Text: „… Die Idee, die Angst vor den Folgen der Verschuldung für eine Politik der Austerität zu nutzen, kennt nicht nur die politische Klasse in Deutschland. Bereits Ronald Reagan kannte sie. Dessen Direktor des Office of Management, David Stockman, prägte den Begriff des »strategischen Defizits«. Darunter verstand er eine nützliche Staatsverschuldung, die es plausibel macht, dass man sparen muss. Und ein solches Defizit erreicht man, indem man die Steuern für Vermögen, Spitzenverdiener und die große Industrie senkt. Ähnliches gibt es aus Großbritannien zu berichten, dem zweiten Land, das bei der Durchsetzung neoliberaler Politik eine Vorreiterrolle spielte. Der leitende Wirtschaftsberater von Margaret Thatcher, Alan Budd, gab dem Observer Anfang der neunziger Jahre zu Protokoll: »Die Politik der achtziger Jahre, die Inflation durch Druck auf die Wirtschaft und Kürzung der öffentlichen Ausgaben zu bekämpfen, war ein Vorwand, um die Arbeiter abzustrafen.« (…) Wenn jemand derzeit ein ideeller Gesamtkapitalist ist, dann eher die EZB. Nur der EZB ist es möglich, gegen alle Euro-Staaten eine Politik durchzusetzen. In beschränktem Maße gilt das auch für Deutschland. Das zeigt sich etwa bei den Anleihekäufen, die die Bundesbank nicht wollte. Trotzdem wird es gemacht, aber unter strikten Auflagen, die den Austeritätskurs nur verstärken. So werden Anleihen nur von den Ländern gekauft, die sich dem Fiskalpakt unterworfen haben. (…) Auch wenn ich nichts gegen höhere Löhne und Sozialeinkommen habe, ganz im Gegenteil, so wird es doch etwas schräg, wenn Linke diese als Mittel einsetzen wollen, den Kapitalismus vor sich selbst zu retten. Wenn man sich die historische Herausbildung des Keynesianismus in den USA in Folge der großen Krise von 1929 ansieht, gingen dem eine Phase heftigster Klassenkämpfe und die Selbstorganisation der Lohnabhängigen und Arbeitslosen voran. Gleichzeitig passiert das, was Johannes Agnoli eine institutionelle Strategie nennt: die Einbindung subversiver Kräfte. Aus Klassenkampf wurde Sozialpartnerschaft. (…) An Keynes orientierte Ökonomen fassen Löhne und Staatsausgaben auch als Elemente der gesellschaftlichen Nachfrage auf. Deshalb finden Gewerkschaften und Sozialdemokraten – wozu auch die Partei »Die Linke« gehört – das auch so toll. Mit Keynes können sie Lohnerhöhungen und einen gut ausgebauten Sozialstaat mit »ökonomischer Vernunft« versöhnen. Sabine Nuss hat deshalb für derartige Vorstellungen den Begriff »Gebrauchsanleitungs-Kapitalismus« in die Diskussion eingebracht…“