Was gehört alles dazu, wenn ein anderes Europa angepeilt wird?
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 1.4.2019 – wir danken!
Auf eine kurze Besprechung von Büchern, die sich gut zur Perspektive für Euopa ergänzen, hat Steffen Lehndorff (http://www.europa-neu-begruenden.de/impressum/ ) in den neuesten WSI-Mitteilungen (Heft 2 / 2019, S. 150 f.) aufmerksam gemacht. Als „Grundlage“ nimmt er Claus Offe, „Europa in der Falle“ (https://www.perlentaucher.de/buch/claus-offe/europa-in-der-falle.html )
Eine Wende hält – laut Lehndorff – Offe durch ein politisches Großprojekt der Umverteilung für möglich… Dem institutionell nur die Fixierung des neoliberalen Projektes durch den Maastrichter Vertrag, sowie anschließend noch der Fiskalpakt im Wege steht. (https://www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart?publikationsid=47515&mime_type=application/pdf )
Diese institutionelle Blockierung von Euro-Europa für einen sozialen Ausgleich hat sich vehement in der Griechenlandkrise deutlich gemacht. (https://stephanschulmeister.wifo-pens.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Greece_Blaetter_08_15.pdf )
Ohne die Überwindung dieser Unmöglichkeit des Ausgleichs durch Umverteilung wird für Steffen Lehndorff daher zum Zerfall der EU und zum Zusammenbruch der Eurozone führen.
So könnte die Eurozone letztendlich doch zu einem gemeinsamen Handeln „verführen“ – bevor sie als gemeinsame Währungszone scheitert und zerbricht!
Ganz bedeutend hält Lehndorff bei Offe jedoch die politische Tatsache, die für Offe wichtig ist, dass auch die nationalen sozialen Probleme gar nicht allein national zu bewältigen sind. Die politischen Prozesse, die aber für solch eine Willensbildung erforderlich sind, müssen angeregt werden und sich entwickeln. Deshalb gilt es diesen Zusammenhang von inhaltlichen Problemen mit den Prozeduren der – eben auch europäischen – Willensbildung zusammenzubringen.
Nur ein großer Anteil dieser weiteren Entwicklung für die EU müsste sich gerade in Deutschland abspielen. (vgl. dazu „Deutschland in klarer Verweigerung eines gemeinsamen Euro-Europa“ (https://www.labournet.de/?p=141839)
Diese Möglichkeit der Politisierung der sozialen europäischen Probleme – bei Offe – sieht Lehndorff als das Element, das über viele bisherige linke Debatten zu Europa hinausweist – eben dieser Zusammenhang von den inhaltlichen Problemen (die Analyse der Mängel) mit den Prozeduren der europäischen Willensbildung. Oder eben im Jargon der politischen Wissenschaft: So könnte ein Positivsummenspiel von „positiver Integration“ und „Inputlegitimation“ – sprich eine Demokratisierung der EU! – in Gang gesetzt werden.
Leider werden soziale Unruhen – wie die „gilets jaunes“ in Frankreich – bisher nicht in solch einem europäischen Zusammenhang „begriffen“ – oder auch zugespitzt ausgedrückt: wie Deutschland das Scheitern der Präsidentschaft von Macron in Frankreich letztlich unter dem Regime eines gemeinsamen Euro, an das alle wegen der gemeinsamen Vorteile gebunden sind, mitverursacht. (Vgl. auch Alexis Spire zu den Protesten der Gilets Jaunes“: https://monde-diplomatique.de/artikel/!5549063 )
Unter dem Dach einer gemeinsamen Währung werden eben die Probleme des einen Landes auch die Probleme des anderen Landes.
Trotzdem sind die Angriffe auf den Euro – von den Rechtspopulisten gerne vorgetragen – eben auf eine falsche Zielscheibe gezielt, weil nicht der Euro – dieses ökonomische Einigungsprojekt – das Problem ist, wie auch Stephan Schulmeister insistiert, sondern eben dieser neoliberale Rahmen, der politisches Handeln – vor allem gemeinsames – „ausschließen“ soll. (https://stephanschulmeister.wifo-pens.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Euro_Blaetter_07_2018.pdf )
Steffen Lehndorff hält in seinem kurzen Überblick sich aber gar nicht lange bei diesen – politisch gewollten – neoliberalen Blockierungen bzw. Fixierungen des Euro auf, sondern sieht die Lösungen in einem anderen Reader – als Ergänzung zu Claus Offe – schon vorliegen: Klaus Busch u.a. „Europa geht auch solidarisch“ (https://www.axel-troost.de/de/article/9298.europa-geht-auch-solidarisch-streitschrift-fuer-eine-andere-europaeische-union.html )
Die Komplementarität der beiden Europa-Analysen – und wieweit reicht das?
Lehndorff schließt seine Betrachtung zu diesen beiden Werken zu Europa mit der Folgerung: In der Zusammenschau sind beide Veröffentlichungen auf eine zum Nachdenken anregende Weise komplementär. Einerseits könnte ein sachkundig ausgearbeitetes Reformprogramm wie das der Streitschrif zur Bereicherung von Claus Offe dienen.
Andererseits würde das Weiterverfolgen und Konkretisieren (!) von Offes Gedanke, dass erst aus der Verzahnung von Inhalt und Prozeduren der Willensbildung neue politische Handlungsfähigkeit erwachsen kann, der Streitschrift noch größere Überzeugungskraft verleihen, die sich vorrangig auf ökonomische Fakten gründet. Es fehlen die zur Mehrheitsbildung nötigen politischen Prozesse.
Den Denkanstößen dieser beiden Veröffentlichungen – auf die Lehndorff seine Betrachtungen beschränkt – würde ich nur noch die finanzkapitalistische Streitschrift von Stephan Schulmeister „Der Weg zur Prosperität“ (https://stephanschulmeister.wifo-pens.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Schulmeister_Prosperitaet_Einl_14_17_20.pdf ) dazugesellen wollen, weil sonst die finanzkapitalistische Dynamik allzuleicht diesen politisch guten Willen obsolet macht.
Aber nicht nur das: es werden auch wesentliche Momente des finanzkapitalistischen Protestes außen vor gelassen. Siehe dazu den Start der „Finanzwende“ (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzwende-prominenter-gruener-verlaesst-bundestag-und-gruendet-buergerbewegung-1.4126276?reduced=true ), der dazu wichtige Protest gegen die Steuerbetrügereien des Finanzkapitals auf Kosten der Allgemeinheit (https://www.finanzwende.de/themen/cumex/der-fall-eckart-seith/ ) und die weitere Organisierung dieses Protestes gerade gegen das allzumächtige Finanzkapital – immer im Interesse der Reichen – selbst wenn es noch nicht die Dimensionen der „Gelbwesten“ in Frankreich erreicht hat. (https://www.finanzwende.de/ )
Auch eine Wende für den Staat raus aus einer ewigen Austeritätspolitik könnte jetzt mit der Wirtschaft möglich werden:
Ein Ende für diese Fixierung der Schuldenbremse im Euro-Regime. (Vgl. Paul Krugman „Schulden als Sünde“ (https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/einer-muss-die-kassandra-sein )
Michael Hüther als Chef des IW, einer nicht unbedeutenden ökonomischen Denkfabrik der Arbeitgeber, hat sich auch bei uns für ein Ende der „Schuldenbremse“ ausgesprochen. (https://www.axel-troost.de/de/article/9976.10-jahre-schuldenbremse-ein-konzept-mit-zukunft.html sowie weiter noch https://www.labournet.de/?p=146668)
Diese ökonomisch sinnlose Einschränkung der politischen Handlungsmöglichkeit kann jetzt vielleicht auch für einen sozialdemokratischen Finanzminister wie Olaf Scholz eine in dieser Situation den Problemen angemessene öffentliche Investitionsstrategie entwickeln. (https://www.boeckler.de/116785_116790.htm )
Zunächst aber könnte zur Finanzierung der Investitionen die Bundesrepublik deutliche Akzente gegen die horrende Steuerhinterziehung (ca. 55 Milliarden!) setzen, da sie eine Gefährdung unseres demokratischen Gemeinwesen darstellt.
Dieser gewaltige Betrug am normalen Steuerzahler muss endlich geahndet werden. (https://www.sueddeutsche.de/politik/steuerhinterziehung-ein-gewaltiger-betrug-1.4381065 ) Es ist ja wahrhaft keine Kleinigkeit, wenn zum Nutzen „unserer“ Reichen und noch immer Reicheren ca. 55 Milliarden einfach regelrecht geklaut werden. Ein nur noch infamer Angriff auf Europas ehrliche Steuerzahler. (https://www.labournet.de/politik/eu-politik/wipo-eu/cum-ex-files-angriff-auf-europas-steuerzahler/)
Demgegenüber mutet es richtig zynisch an, wenn von Staats wegen (Staatsanwälte) dann noch gegen die Aufklärer dieses Steuerbetrugs vorgegangen wird. (http://taz.de/!5558238/ ) Das Bündnis Finanzwende sieht in diesem Vorgehen einen Skandal. (https://www.finanzwende.de/themen/cumex/der-fall-eckart-seith/ )
Diese gewaltigen Betrügereien stellen eine Gefährdung unseres demokratischen Gemeinwesens dar.
Die Gelbwesten in Frankreich haben diese Ungerechtigkeiten des Steuersystems schon ins Visier genommen, obwohl sie das wohl nicht allein in Frankreich gelöst bekommen werden.
Die Gelbwesten haben diesen Wahnsinn des Steuersystems sich bei ihrem Protest schon vorgenommen (https://monde-diplomatique.de/artikel/!5549063 ). Nur in Frankreich allein können wohl die Finanzierungsprobleme nicht gelöst werden. Dringend muss jetzt gegen Treiber dieser gewaltigen Umverteilung, die Investoren, endlich härter vorgegangen werden – bevor sie mit ihrem Handeln das gemeinsame Europa zerstören können. (https://www.ndr.de/nachrichten/Cum-Ex-Haerter-gegen-Investoren-vorgehen,cumex146.html )