Ein kleiner Beitrag zur Begriffsklärung „Finanzkrise“ und „Eurokrise“

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 4.6.2013

Europas Revolution von oben

Man konnte gerade bei Attac mitbekommen, dass der Begriff „Eurokrise“ in der kritischen Auseinandersetzung mit dieser Krise „eskamotiert“ werden soll: so schreibt der bundesweite Koordinierungskreis von Attac in seiner Stellungnahme zu den Blockupy-Aktionstagen (vom 3. Juni 2013): Der Streit um den Umgang mit der – fälschlicherweise als „Euro-Krise“ bezeichneten – Austeritätspolitik ist mit diesem Wochenende (in Frankfurt) auch in der deutschen Öffentlichkeit angekommen.“

Da erscheint mir doch einfach einiges durcheinander zu kommen – das aber in der Gesamt-Diskussion durchaus typisch ist. Möchte Attac hier „unbewußt“ einem gewissen „vernebelnden“ Trend der öffentlichen Auseinandersetzung hinterherlaufen? Oder gehört Attac auch zu den „Kohorten“, die noch nie begriffen haben, was eine gemeinsame Währung für alle Volkswirtschaften in dieser einheitlichen Euro-Zone bedeutet? (vgl. z. B. die New York Times „Prisoners of the euro“ (www.nachdenkseiten.de/?p=17456#h02 externer Link)

Deshalb möchte ich einmal anhand einer aktuellen Diskussion versuchen, bisherige Krisen-Erklärungsbegriffe – wie „Euro-Krise“ und das Pendant „Finanzkrise“ in ihren jeweiligen Zusammenhang zu stellen. Dabei sind Begriffe immer Konstrukte, die Realitäten genauer zu „erfassen versuchen.

Ein allgemeiner Trend: Alles nur Finanzkrise? Es könnte so viele entlasten

Auch heute in der „Süddeutschen Zeitung“ (vom 4. Juni 2013 – Feuilleton, Seite 15 – „Politisches Buch“) ist unter der Überschrift „Marktkonforme Mitbestimmung“: Klug und klar erklärt Steffen Vogel die Ursachen und fatalen Folgen der Finanzkrise (nicht im Netz) in seinem Buch „Revolution von oben. Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise“ von Steffen Vogel (http://www.laika-verlag.de/laika-diskurs/europas-revolution-von-oben externer Link, vgl. auch allgemein noch zu Steffen Vogel: http://www.blaetter.de/archiv/autoren/steffen-vogel externer Link)

Was mich nur etwas irritiert oder sogar bei aller wünschenwerter Aufklärung über „unsere“ Krisenzusammenhänge etwas abstößt, ist, dass – obwohl er es in seinem Titel sogar anführt – er auch gegen den Begriff der Euro-Krise „wettert“: „Viele reden von der Euro-Krise. Damit werden die wahren Zusammenhänge vernebelt“ (SZ)(siehe dazu meine Feststellungen vor gut einem Jahr „Weitere Schneisen schlagen für eine marktkonforme Demokratie: Mit dem Fiskalpakt zum Scheitern von Europa“: http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/fiskal_bahl1.html)

Schon damals konnte eindeutig festgehalten werden, dass diese „oktroierte“ Austeritätspolitik den Euroraum extrem belasten wird – und dass im Gegenteil eine Politik ohne diese heftig angepeilte „Spaltung“ der Gesellschaft – wie das Beispiel Schweden zeigt (vgl. dazu den Kongress „Umfairteilen“ (www.nachdenkseiten.de/?p=17370#h02 externer Link) – ökonomisch viel erfolgreicher ist.
Nur deshalb bleibt ein Attac-Konsens „allein“ gegen die Austeritätspolitik protestieren zu wollen, ohne die tieferen Krisenursachen zu thematisieren, einfach – auch heute – m.E. etwas zu kurz gegriffen.

Geändert hat sich: die Basis des Protestes ist breiter geworden

Geändert hat sich in diesem Jahr nur, dass es einen breiteren Protest auch in Deutschland gibt (siehe zu Blockupy z.B. „Die Ordnung der Anderen“ (http://www.fr-online.de/meinung/leitartikel-blockupy-frankfurt-die-ordnung-der-anderen,1472602,23098752.html externer Link), was sich dann auch in einer deutlich pointierteren Berichterstattung, die doch die Krisenbewältigung als die „Ordnung der Anderen“ sehr klar auf den Punkt zu bringen vermag – aber auch nicht zuletzt zum desaströsen Polizeieinsatz klare Worte zu finden vermag. (vgl. auch (http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/kommentar-blockupy-frankfurt-ein-desastroeser-einsatz,15402798,23096954.html externer Link. Ein Bericht von KollegInnen – über einen offenen Brief verteilt – vermag das noch zu verdeutlichen (https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/06/blockupy_offenerbrief.pdf ). Siehe dazu auch die Gewerkschaft Verdi: Polizeiliche Übergriffe aufklären: http://hessen.verdi.de/pressemitteilungen/showNews?id=03806372-cc73-11e2-7968-0015c5f266ac externer Link, weiter auch noch zum Demonstrationsgeschehen in Frankfurt einen Überblick bei www.nachdenkseiten.de/?p=17456#h03 externer Link – und weitaus ausführlicher noch die Zusammenstellung bei Labournet https://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/grundrechte-all/demonstrationsrecht/blockupy-demonstrationsrecht-im-eimer-hunderte-aktivisten-verbrachten-stunden-in-polizeigewahrsam/)

Nur die Assymetrie dieses demokratischen Protestes wird dann nicht nur bei diesem „alternativlosen“ Polizei-Einsatz deutlich, sondern dem gleichzeitigen „Schreddern“ der die Finanzmärkte „beruhigenden“ Finanztransaktionssteuer durch die Finanz-Lobby! (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/banken-lobbying-gegen-transaktionssteuer-eine-steuer-wird-geschreddert-1.1685756 externer Link)

Dies zeigt, dass wir es einerseits durchaus mit der ungebrochen Macht der Banken zu tun haben, die die Politik anscheinend immer noch fest im Griff haben, aber wir bei einer möglichen Lösung allein dieses Problems dennoch in Europa damit nicht an ein Ende der Krisenbewältigung gekommen wären. Deshalb stößt mir – auch bei Steffen Vogel wie bei Attac – diese „Beschränkung“ auf eine Finanzkrise besonders auf, weil mit diesem Ausser-Acht-Lassen der Euro-Krise können die gesamten Krisenursachen gar nicht mehr wahrgenommen – geschweige denn „bewältigt“ werden.

M.E. haben wir es in Europa – anders als der „Rest“ der Welt – mit zwei Krisen zu tun: eben der Eurokrise (= bedingt durch eine unvollkommene Währungsunion) und der Finanzkrise – vgl. dazu meine Begiffsklärung „Europas Krisen-Matroschkas“ (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl34.html) – und in den Staatsschulden werden beide „Krisen-Narrative“ regelrecht zusammengeführt –

Eine „Doppelrolle“ der EZB

Und bei den Staatsschulden kommt dann die Europäische Zentralbank ins Spiel, die ja in Frankfurt besonders interessierte:

1.) mit ihrer positiven Rolle durch den Aufkauf von Staatsschulden der Krisenländer, deren Zinslast zu senken und die Finanzmärkte zu „beruhigen“ (vgl. mit Blick auf den anstehenden Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht sowohl a.) Rudolf Hickel: www.nachdenkseiten.de/?p=17215#h01 externer Link sowie http://www.taz.de/!117166/ externer Link) und b.) Heike Joebges und Maik Grabau „Erfolge und Risiken der EZB-Politik in der Euro-Krise“ „Money for nothing and Risks for free“ (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/10041.pdf externer Link pdf)

2.) Aber dann auch mit ihrer schrecklichen Rolle – vermittelt gerade über diesen für die Krisenländer angenehmen Einsatz, die Zinslast auf die Staatschulden zu drücken – gleichzeitig als „Vollzusorgan“ der Troika-Auflagen zu dienen – und die Austeritätspolitik in den Krisenländern zu exekutieren (= Zinsentlastung gibt es nur, wenn die Durchsetzung der Austeritätspolitik von der jeweiligen Regierung zugesagt wird) (vgl. dazu oben von Stephan Hebel „Die Ordnung der Anderen“ – aber auch „Mario Draghi`s Economic Ideology revealed“ (https://www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/mario-draghis-economic-ideology-revealed/). Durch statistische Tricks versucht Draghi, die eigentlich an dem vereinbarten 2-Prozent-Ziel an Inflation ausgerichtete Lohnpolitik mit dem deutlich Darunterbleiben von Deutschland „frecherweise“ einfach auszublenden. Das Lohndumping aus Deutschland in der Eurozone will er damit – ganz im Sinne der deutschen Kanzlerin – „verschleiern“ – und nebenbei noch den französischen Staatspräsidenten – mit seinen weniger neoliberal-gewichteten Politikvorstellungen – an der Nase herumführen. (siehe auch oben den Kommentar von Stephan Hebel „Die Ordnung der Anderen“)

Die analytische Einschränkung verschleiert deutsche Politik-Defizite

Und die Medien „fahren“ m.E. ziemlich auch auf diese analytische Einschränkung „ab“ (aus durchaus nachvollziebaren Gründen). Dies begann schon bei der „Reduktion“ auf die Finanzkrise bei Wolfgang Streeck in seinen Adorno-Vorlesungen „Gekaufte Zeit“ – jedoch auch bei ihm aus auch nachvollziehbaren Gründen (http://www.nachdenkseiten.de/?p=17173#more-17173 externer Link), weil er sich an der wissenschaftlichen Vorbereitung des Lohndumping durch Deutschland in der Eurozone mit den sog. Arbeitsmarkt-Reformen „beteiligt“ hatte.

Wahrscheinlich sind die Medien selbst wiederum auch vielzusehr an diesem „Irrweg“ beteiligt, so dass sie froh und dankbar sind, wenn diese Krisenursache des Lohndumping in einer Währungsunion nicht mehr vorkommt.
So wurden auch der Vorstoß der damaligen französischen Finanzministerin Christine Lagard gegen das Lohndumping aus Deutschland kaum als Problem angemessen wahrgenommen. Man kann durchaus davon ausgehen, dass die deutsche Regierung, diese Diskussion, die ihr hätte statt zum bisherigen Vorteil dann zum Nachteil hätte gereichen können, einfach „unterdrückt“ hat.
(http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/sopo/lohn_bahl.html)

Dennoch gibt es einen Sozialwissenschaftler – außer den Ökonomen -, der diesen Zusammenhang – sogar mit drastischen Worten – in den Mittelpunkt seiner – eben doch – Euro-Krisen-Betrachtungen stellt: Claus Offe (https://www.labournet.de/?p=21892)

Einen aus seiner Sicht recht guten Überblick zu Wolfgang Streeck – sozusagen das, was er im allgemeinen doch positiv bringt und nicht nur auslässt – können wir bei Jürgen Habermas nachvollziehen
(Jürgen Habermas, Kapitalismus oder Demokratie?: http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/mai/demokratie-oder-kapitalismus externer Link). „Den Rahmen für die Krisenerzählung – bei Wolfgang Streeck – bildet eine Interaktion, an der drei Spieler beteiligt sind : der Staat, der sich aus Steuern alimentiert und durch Wahlstimmen legitmiert; die Wirtschaft, die für kapitalistisches Wachstum und ein hinreichendes Niveau der Steuereinnahmen sorgen muss; schließlich die Bürger, die dem Staat ihre politische Unterstützung nur im Austausch gegen die Befriedung ihrer Interessen leihen.
Da Thema bildet die Frage, ob und gegebenenfalls wie es dem Staat gelingt, die konträren Forderungen beider Seiten auf intelligenten Pfaden der Krisenvermeidung zum Ausgleich zu bringen…
Der Inhalt der Erzählung besteht dann darin, dass die neoliberale Strategie der Befriedigung der Kapitalverwertungsinteressen grundsätzlich den Vorrrang vor den Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit einräumt – und die Krisen – deshalb ? – nur noch um den Preis weiter wachsender sozialer Verwerfungen „vertagen“ kann.“

Einerseits begrüßenswert, dass die Finanzkrise anerkannt wird – andererseits ist die Euro-Krise erforderlich um das Krisengeschehen insgesamt zu erfassen

So sehr es also lobenswert und begrüßenswert ist, dass inzwischen die Banken und die Finanzmärkte als eine Krisenursache – vor allem mit der verheerenden Wirkung auf die Demokratie bei uns – doch in den Focus der Analyse treten, so sehr ist es bedauerlich gerade den speziellen Anteil Deutschlands mit seinem forcierten Lohndumping unter dem Dach des gemeinsamen Euro – bei schon damals vorhandener höherer Produktivität in Deutschland gegenüber den meisten Ländern der Euro-Zone – einfach unter den Tisch zu kehren. (Problem durch die gemeinsame Währung)

Das Exportüberschuss-Lohndumping-Modell aus Deutschland, das jetzt mit dem sog. „Wettbewerbspakt“ auf europäischer Ebene „verewigt“werden soll (vgl. dazu Robert Misik,“Warum Merkels Pakt zur Zerstörung Europas verhindert werden muss“: http://www.gegenblende.de/21-2013/++co++b7ea79e6-bf18-11e2-96d1-52540066f352 externer Link) – für alle -, muss auch im Zentrum der Krisenanalyse bleiben – falls uns noch an einem gemeinsamen Europa liegt – und zwar bevor es sozial und ökonomisch auseinanderbricht.

Jüngst wurde auch dieser gegenseitig sich „tieferschaukelnde“ Prozess der „Europäisierung des Sozialabbaus“ noch ausführlich analysiert. (www.nachdenkseiten.de/?p=17405#h08 externer Link sowie breiter noch
http://www.rosalux.de/publication/39521/wettbewerbsfaehigkeit-entlarvung-eines-zauberworts.html externer Link) Das „Ergebnis“ diesen Prozesses hat die Weltarbeitsorganisation schon deutlich vor Augen (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/unruhen-wegen-arbeitslosigkeit-un-organisation-warnt-vor-dem-knall-in-europa-1.1686909 externer Link)

Ja, es ist in der Eurozone inzwischen zu einer Arbeitslosenquote der Schande gekommen: (www.nachdenkseiten.de/?p=17456#h05 externer Link)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=37135
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