Claus Offe: “Europa in der Falle”

Ein guter “Euro-Krisen”-Überblickstext gut geeignet zur Anregung für Diskussionen in engagierten Gesprächsrunden. Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 8.1.2013

Um das noch gleich anzuregen, habe ich schon einmal einige Fragen bzw. Probleme angesprochen (ohne vollständig sein zu wollen), um gleich gezielter nachfragen zu können und sich nicht „erschlagen“ zu lassen von der Komplexität diese hervorragenden Überblicks aus sozialwissenschaftlicher Sicht. Und zu einer „diskursiven“ Auseinandersetzung eignet sich dieser Text zur Euro-Krise besonders, weil er nicht immer wieder – wie die Ökonomen das lieben – an einzelnen „Stellschrauben“ gegen die Krise ansetzt, sondern einfach einmal das „Ganze“ in den Blick nimmt. Nur auch das kann einige Probleme wieder „verdecken“: Trotz aller Begeisterung für diesen Text hatte ich noch Anlass für einige kleine Anmerkungen zu Claus Offe, „Europa in der Falle“ externer Link .

Mit diesem zusammenfasenden Blick über diese ganze Krise gerät es auch wieder politisch zu „glatt“ (= die politischen Akteure werden so allzuleicht entschuldigt) und so kommt der Text mir letztlich doch zu auswegslos daher.
Trotzdem muss ich nicht zuletzt ein kleines „sorry“ noch anbringen, denn eigentlich ist doch Jubel-Geschrei angesagt, weil hier ein Sozialwissenschaftler doch einmal diesen großen Rundumschlag – ökonomische Kompetenz eingeschlossen – gewagt hat und zu diesem so „geschlossenen“ Überblick sich aufgerafft hat – und „sorry“ muss ich jetzt deshalb sagen, weil ich an diesen sozialwissenschaftlichen – und damit „beschreibenden“ – Offe-Text doch noch wagen möchte, einige Fragen zu stellen, die dieser „Europa-Werdung“ u.a. an institutonellem „Vorgeplänkel“ zugrunde lagen und liegen. Deshalb einfach ein paar Fragen noch, die diese „Geschlossenheit“ etwas aufbrechen:

Ist nicht seit Maastricht das Soziale aus Europa beseitigt?

War es nicht schon die Wende zum „Maastricht-Vertrag“ Anfang der neunziger Jahre mit seinem „Schulden-Regime“, das die Weichen – wohl wieder auf Druck Deutschlands und „letztlich“ Delors aushebelnd“ – für Europa „rechtlich“ falsch stellte? (Das von Delors noch „ursprünglich“ anvisierte Soziale war vertraglich im Interesse DM-Deutschlands schon wieder „eskamotiert“ worden)

Und sind Lohnstückkosten nur das Problem der anderen?

Weiter: Ist nicht die Senkung der Lohnstückkosten auch ein Problem Deutschlands, das mit seinem „Export-Überschuss-Lohndumping-Modell“ die ökonomisch schon vor der gemeinsamen Währung starke Position Deutschlands („der reiche Norden“) ins schier unermessliche verstärkte? Nur die Betonung vor allem der „Senkung“ der Lohnstückkosten bei dem „armen Süden“ (S.1) (obwohl was Deutschland nach unten (Lohndumping) gesündigt hatte, hatte diese meist mit einem „zuviel“ nach oben auch gesündigt -) setzt setzt doch diesen von Deutschland in Gang gesetzten Dumping-Kreislauf nur einseitig nach unten – und nicht gegensitig angleichend – weiter fort, der auch ein Deutschland selbst schon genügend soziale Ödnis entstehen ließ? (vgl. z.B. nur einmal den letzten Abschnitt „Auch Deutschland bleibt sozial nicht verschont: Eine zerbröselnde Mittelschicht, „Spitze“ in der Frauendiskriminierung und „Top“ bei der Armut.“ auf der Seite 10 bei (www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/zur-jahreswende-20122013-was-jetzt-auf-uns-wartet-es-wird-spannend-werden/ ) – selbst wenn Deutschland beim Abstieg in der Krise immer weiter „oben“ bleibt. (Offe: „Die größten Nutznießer des Euro sind die Deutschen, deren – unter den Bedingungen der Gemeinschaftswährung noch gesteigerten – Exportüberschüsse ein Teil des Problems sind. Und Deutschland profitiert sogar von der Krise: Hierzulande kommt der Staat heute so bllig wie nie zuvor und nirgendwo sonst an Kredite.“ S. 76)

Wer hat die spekulationsbedingten teueren Schulden der Südländer „verursacht“?

Und sind die so teuren Schulden der „armen Südländer“ nicht auch durch die Weigerung Deutschlands (Merkel) seit dem NRW-Wahlkampf 2010 für eine – durchaus mögliche – europäische Solidarität durch die Finanzmärkte erst entstanden? Denn erst mit der Finanzkrise explodierte die griechische Staatsschuld? (vgl. z.B. a)“das hochgetriebene Zins-Niveau“ auf der Seite 3 bei (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl40.html )

Ist eine Schuldengemeinschaft nur ideologisch des Teufels – oder auch billiger?

Zwar hat Offe recht, dass die Lage so „scheint“, wie er sie schildert: „Alle Kenner sind sich im Prinzip einig, was nottut – nämlich eine langfristige „Schuldenvergemeinschaftung“ – aber das lässt sich dem wählenden Publikum der reichen Länder kaum vermitteln“. (S. 1) Nur muss ich auch dazu die Frage aufwerfen, die der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, als nüchtern bilanzierender Rechner, unserer Kanzlerin schon Ende Januar des letzten Jahres auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos mit auf den Weg gab: Könnte nicht der Weg über diese „Schuldenvergemeinschaftung“ (Eurobonds) einfach auf lange Sicht gesehen der billigere Weg sein als so stückchenweise über diese permanente „Gipfelroutine“ – und damit – jenseits der ideologischen Fixierung – auch dem Wähler der reichen Länder „vermittelbar“? (vgl, ab dem Abschnitt in der Mitte „Eurobonds als die seriösere und billigere Lösung“ ab der Mitte der Seite 2 f. bei (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl45.html)

Und dazu kommt doch – nicht zuallerletzt – die Frage einer gemeinsamen Ethik in und für Europa „Was du nicht willst, dass man dir tu`, das füg` auch keinem anderen zu.“ – denn ohne eine solche Maxime könnte sich Europa schnell auch noch in einem sozialdarwinistischen Kreislauf demokratie-zerstörend nach unten wieder finden. (vgl. „die „Goldene Regel“ als ethische Maxime..“ auf der Seite 8 bei
(www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/zur-jahreswende-20122013-was-jetzt-auf-uns-wartet-es-wird-spannend-werden/ )

Statt besetzen jetzt besitzen: ohne Krieg

Im Prinzip schildert diesen Vorgang – mit m.E. auch sozialdarwinistischer Grundierung – Offe wiedrum sehr plastisch: „Um ein Land wirtschaftlich unter Kontrolle zu bringen, musste man es früher besetzen. Heute – im Merkel-Europa – braucht man das nicht mehr. Man kann vollkommen friedliche Beziehungen zu einem Land unterhalten – und es trotzdem buchstäblich besitzen – indem man sich nämlich auf dem Wege dauerhafter Exportüberschüsse dessen Wirtschaft aneignet und seine Souveränität dadurch zerstört, dass man seine Haushaltshoheit und andere Elemente seiner Souveränität aushebelt.“ (S. 75)
So dürfte zunächst eine klare „gemeinsame Bilanz“ für die europäischen Kosten/Nutzen erforderlich werden, die auch Eurobonds schon kostenmäßig gar nicht mehr so abwegig erscheinen lassen, wie sie wiederum die „eiserne Kanzlerin“ (keinesfalls „ein-Merkel-Leben-lang“:= „nicht in meinem Leben“) eher ideologiefixiert erscheinen lässt.

Muss Europa normativ „entkernt“ bleiben?

Und dazu muss auch noch die rechtliche Situation, d.h. das Normative stärker für die in diese Richtung dann notwendige Veränderbarkeit einbezogen werden (vgl.z.B. Andreas Fischer-Lescano & Kolja Möller,“Soziale Rechtspolitik in Europa“ (http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09344.pdf externer Link pdf) – oder auch ergänzend „… zur Vollendung des neoliberalen Elends: Auf zur Fiskalunion“ auf der Seite 12 bis 13 bei (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl40.html)

Kann nur eine kommunistische „Bedrohung“ zu einem Ausgleich mit Marshall-Plan und Schuldenabkommen führen?

Was für die Deutschen unter der „Bedrohung“ des sog. „Kalten Krieges“ – nach dem Marshall-Plan 1948! – im „Londoner Schuldenabkommen“ 1953 an Schuldenerlass möglich war, muss ja unter den heutigen Bedingungen eines brutalstmöglichen „Survival of the Fittest“ nicht vollkommen abwegig sein? Oder geht das nur nicht, weil kein „Kommunismus“ mehr aus dem „Osten“ – als Alternative – droht?

So könnte sich doch dem, wo im Moment „ein Ausweg kaum zu finden ist“ (Offe), möglicherweise Auswege auftun, die nur die „gegenwärtige Politik“ (Parteien) so auswegslos „marktkonform“ zu verrammeln scheint (vgl. noch einmal den Schluss (S.11) bei (www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/zur-jahreswende-20122013-was-jetzt-auf-uns-wartet-es-wird-spannend-werden/)

Dabei haben sich die Gewerkschaften mit dem DGB schon einmal für einen europäischen Marshall-Plan auf den Weg begeben. (vgl. z.B. „Dann doch noch der DGB mit einem Marshall-Plan für Europa“ auf der Seite 10 bei (http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl45.html)

Ja, es muss einfach einen Wandel der Betrachtungsweise geben – und der muss vor allem von Deutschland ausgehen – wie James K. Galbraith erklärt. (www.nachdenkseiten.de/?p=15716 externer Link)
Oder wollte Claus Offe so tun, als hätten diese „unsere“ Parteien keine andere Wahl?

Und Claus Offe kann doch noch mehr als gegen Theodor Eschenburg „stänkern“ – jedoch ist zu befürchten, dass dieser recht lesenswerte Essay „Europa in der Falle“ nach einem Interview in der polnischen Zeitschrift „Krytyka Politycna“
längst nicht die breite Öffentlichkeit finden wird, wie seine Kritik an Eschenburg „damals“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=21892
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